5. Buch

Ornament

Übersetzung

1 Nach einer Fahrt von drey Tagen kamen wir nach Alexandrien. So wie ich der sogenannten Sonnenpforte näher kam, strahlte mir schon die blendende Schönheit der Stadt entgegen und erfüllte meine Augen mit Vergnügen. Von den Pforten der Sonne bis zu den Pforten des Mondes – dieß sind die Schutzgötter der Stadt – lief auf beyden Seiten eine Reihe Säulen in gerader Linie hinab. In der Mitte derselben war der öffentliche Platz, der von vielen Wegen durchschnitten war, so daß man mitten in der Stadt eine weite Reise zu machen glaubte. Einige Stadien weiter kam ich an den Alexandersplatz101. Hier sah ich eine andere Stadt, und die höchste Pracht zwischen zwey Säulenreihen getheilt, von denen die eine gerade aus gieng, die andere eine schräge Richtung hatte. Ich wendete meine Augen nach allen Straßen hin, und war unersättlich im Anschauen; dennoch aber vermochte ich nicht, die Schönheiten ganz zu umfassen. Einiges sah ich, anderes wünschte ich zu sehen, zu dem andern wurde ich gleichsam hingezogen, anderes wollte ich nicht ungesehen vorbeygehen lassen. Das, was ich sah, fesselte meinen Blick; was ich noch erwartete, riß ihn mit sich fort. Voll Begierde, dieß alles zu überschauen, irrten meine Augen durch alle Straßen, und mußten endlich, des Anschauens müde, dem Kampf unterliegen. Auch zeigte sich mir ein neues und ungewöhnliches Schauspiel. Die Größe der Stadt wetteiferte mit ihrer Schönheit, die Menge der Einwohner mit dem Umfange derselben, und beyde trugen den Preis davon. Denn jene war größer, als ein ganzes Land, diese zahlreicher als ein Volk. Sah ich auf die Stadt hin, so war es mir unbegreiflich, wie ein Volk sie mit Einwohnern füllen könnte. Warf ich meinen Blick auf die Einwohner, so staunte ich, wie eine Stadt sie alle zu fassen vermöchte. So hielten sie sich das Gleichgewicht.

2 Zufälliger Weise wurde gerade dem höchsten Gotte, dem Zeus der Griechen oder, wie ihn die Aegyptier nennen, dem Serapis, ein Fest gefeyert. Rings um war die Gegend von Opferflammen erleuchtet: das prächtigste Schauspiel, das ich je gesehen habe. Es war Abend, die Sonne war untergegangen, aber nirgends war es Nacht; denn eine andere Sonne stieg in zertheilten Flammen zum Himmel empor. Ich sah die Stadt mit dem Himmel um die Schönheit wetteifern. Hier bekam ich auch den Meilichischen Zeus102 und seinen Tempel zu sehen. Flehend baten wir ihn, unsern Mühseligkeiten ein Ende zu machen. Dann giengen wir in die Wohnung, die Menelaos für uns gemiethet hatte. Zeus aber wollte unsre Bitte noch nicht erhören; denn es stand uns noch ein neuer Kampf bevor.

3 Chaireas hatte schon seit geraumer Zeit Leukippen heimlich geliebt, und uns auch deshalb das Heilmittel angezeigt. Denn er suchte dadurch nicht nur Gelegenheit, mit uns bekannt zu werden, sondern glaubte auch das Mädchen für sich selbst zu retten. Da er nun aber die Schwierigkeit einsah, seinen Zweck zu erreichen, so machte er einen Plan gegen uns. Er verband sich mit einigen Räubern, die sich, wie er, mit dem Seewesen beschäftigte, und bat uns, nachdem er mit ihnen Abrede genommen hatte, unter dem Vorwande, seinen Geburtstag zu feyern, zu sich nach Pharos.103 Als wir eben aus dem Hause giengen, begegnete uns ein unglückliches Zeichen. Ein Habicht, der eine Schwalbe verfolgte, schlug mit seinen Flügeln Leukippen auf den Kopf. Ich erschrack darüber, und rief mit gen Himmel gerichtetem Blicke: „O Zeus! was zeigst du uns hier? War dieser Vogel wirklich von dir gesandt, so gieb uns ein anderes deutlicheres Zeichen!“ Als ich mich umwendete, stand ich zufällig an der Werkstätte eines Mahlers. Hier erblickte ich ein Gemählde, das auf etwas ähnliches hinzudeuten schien. Es hatte das Unglück der Prokne, die Gewaltthätigkeit der Tereus, und das Abschneiden der Zunge zum Gegenstande. Der ganze Hergang der Geschichte war vorgestellt: das Gewand, Tereus, der Tisch, eine dabeystehende Dienerin, die das ausgebreitete Gewand hielt. Daneben stand Philomele, legte den Finger auf das Gewand, und zeigte die gewebten Figuren. Prokne nickte ihr zu, sah wild auf und zürnte dem Gemählde. In das Gewand selbst war der Thraker, Tereus, gewebt, wie er mit Philomelen den Liebeskampf kämpfte. Ihr Haar war zerrauft, der Gürtel gelößt, das Kleid heruntergerissen, die Brust halb entblößt. Die rechte Hand streckte sie nach dem Tereus aus, mit der linken schloß sie das zerrissene Gewand an die Brust. Tereus hielt Philomelen in seinen Armen, zog ihren Körper mit Gewalt an sich, und suchte sie noch fester zu umschließen. Auf dem übrigen Theile des Gemähldes zeigten die Weiber in einem Gefäße dem Tereus die Ueberbleibsel vom Gastmahle: den Kopf und die Hände seines Sohnes. Lachen und Furcht schwebte zugleich auf ihrem Gesichte. Tereus war im Begriffe, vom Lager aufzuspringen, und das Schwerdt gegen sie zu ziehen. Er stemmte den Fuß gegen den Tisch; dieser stand weder, noch lag er, sondern hatte nur den Anschein, als wollte er fallen.

4 Nach meinem Bedünken, sagte Menelaos, ist es wohl besser, die Reise nach Pharos zu unterlassen. Denn weder der Flug des Vogels, noch die Drohung des Gemähldes sind, wie du siehst, günstige Zeichen für uns; wenigstens die Zeichendeuter rathen an, auf den Inhalt der Gemählde, die uns beym Ausgange zu irgend einem Geschäft aufstoßen, zu achten, und den Erfolg nach dem Hergange der dargestellten Geschichte zu berechnen. Hier nun siehst du, wie viel Unglück das Gemählde in sich faßt: eine gesetzwidrige Liebe, einen schändlichen Ehebruch, das traurige Loos der Weiber. Drum wäre mein Rath, das Weggehen für jetzt zu unterlassen. Seine Erinnerung schien mir gegründet. Ich sagte es daher dem Chaireas für diesen Tag auf. Er verließ uns mit dem größten Unwillen und versprach, den Tag darauf wieder zu kommen.

5 Was hat es denn, fragte mich Leukippe, ganz im Charakter der Weiber, die nur allzugern Erzählungen hören, mit der Geschichte dieses Gemähldes für eine Bewandniß? Was sind das für Vögel? Wer sind die Weiber und dieser unverschämte Mann? Du siehst hier, hub ich an zu erzählen, eine Nachtigall, eine Schwalbe und einen Wiedehopf. Alle drey sind Menschen und alle drey Vögel. Der Wiedehopf ist der Mann, die Schwalbe ist Philomele, die Nachtigall Prokne, zwey Weiber aus Athen. Der Mann Tereus und Prokne ist seine Gemahlin. Die Barbaren können sich, wie es scheint, nicht mit einem Weibe begnügen; zumahl wenn sich ihnen zur Befriedigung ihrer zügellosen Begierden Gelegenheit darbietet. Eine solche günstige Gelegenheit findet dieser Thraker in der Schwesterliebe der Prokne. Prokne schickt ihn zu ihrer Schwester. Als Proknens Gatte reist er ab und kehrt als Philomelens Liebhaber zurück; denn auf dem Rückwege wird ihm Philomele die zweite Prokne. Er fürchtet nun Philomelens Zunge, giebt ihr zum Hochzeitgeschenk das Unvermögen zu reden und entreißt ihr das Werkzeug der Sprache. Allein dieß halt ihm nichts. Philomelens Kunst erfand eine schweigende Rede. Sie webt ein Gewand und stellt die ganze Geschichte in dem Gewebe dar. Die Hand ahmt die Zunge nach und verräth Proknens Augen, was die Ohren vernehmen sollten. So erzählt sie ihr durch Weben, was sie erduldet. Prokne vernimmt die Gewaltthätigkeit vom Gewand und sucht sich auf eine außerordentliche Weise an ihrem Manne zu rächen. Zwey Weiber von zweyfachem Zorn entbrannt, von Schande und Eifersucht angetrieben, fassen einen gemeinschaftlichen Entschluß und denken auf ein Gastmahl, das noch schrecklicher seyn sollte, als die Schändung selbst. Das Mahl war der Sohn des Tereus, von dem Prokne vor der Rache Mutter war; jetzt aber hatte sie die Schmerzen der Geburth vergessen. So besiegen die Quaalen der Eifersucht selbst die Schmerzen der Geburth. Die Weiber, einzig bedacht, sich an dem, der das Ehebett geschändet hat, zu rächen, achten das damit verbundene Unglück, wenn sie auch selbst dabey leiden sollten, weit geringer, als das Vergnügen, das ihnen die Rache gewährt. So genoß Tereus das Mahl der Erinnyen104. Furchtsam und lachend brachten ihm die Weiber in einem Gefäße die Ueberbleibsel des Knaben. Tereus sieht sie, erkennt sich als Vater des Mahles und jammert über das Gericht. Voll Wuth zieht er sogleich das Schwerdt und stürzt auf die Weiber zu. Diese werden aber von der Luft in die Höhe gehoben; Tereus steigt mit ihnen empor und wird zum Vogel, und auch in den Vögeln ist die Leidenschaft noch sichtbar. Die Nachtigall fliehet, Tereus verfolgt sie, und so erhält sich der Haß selbst noch in den Vögeln.

6 Auf diese Weise entgiengen wir für jetzt der Nachstellung; aber wir hatten dadurch nicht mehr gewonnen, als Einen Tag; denn des andern Morgens früh war Chaireas bey uns. Aus Achtung für ihn konnten wir seine Einladung nicht ablehnen. Wir bestiegen einen Kahn und kamen nach Pharos. Menelaos aber blieb unter dem Vorwande, daß er sich nicht wohl befände, zurück. Zuerst führte uns Chaireas an den Thurm und zeigte uns den bewundernswürdigen Bau desselben. Es war ein Berg, der sich mitten aus dem Meer erhebt und mit seinem Gipfel bis an die Wolken emporragt. Unter ihm hin fließt das Wasser, so daß er schwebend auf dem Meere zu stehen scheint. Auf der Spitze des Bergs leuchtet das Wachtfeuer, ein anderer Leiter der Schiffe. Dann führte er uns in seine Wohnung, die am äußersten Ende der Insel, nahe am Meere stand.

7 Gegen Abend entfernte sich Chaireas unter dem Vorwande, ein wenig bei Seite zu gehen. Nach einiger Zeit entsteht vor der Thür ein plötzliches Geräusch und mit einem Mahle springt ein Trupp starker Männer herein. Sämtlich ziehen sie das Schwerdt und stürzen auf das Mädchen zu. Ich konnte meine Geliebte nicht forttragen sehen und warf mich zwischen die Schwerdter. Aber einer von ihnen schlug mich auf die Hüfte, daß ich niedersank, und, schon im Fallen, war ich ganz mit Blut überströmt. Das Mädchen warfen sie auf ein Schiff und flohen davon. Bey dem Lärmen und dem Geschrey, wie ein Räuber zu erheben pflegt, erschien der Commendant der Insel, den ich noch von der Armee her kannte. Ich zeigte ihm die Wunde und bat ihn, die Räuber zu verfolgen. Sogleich bestieg er eins von den Schiffen, die ihn dem Hafen der Stadt vor Anker lagen, und verfolgte sie mit der daselbst befindlichen Wache. Auch ich ließ mich ins Schiff tragen und schiffte mit. Als die Räuber das Schiff zu einer Seeschlacht bereit ankommen sahen, stellten sie das Mädchen, dem sie die Hände auf dem Rücken zusammen gebunden hatten auf das Verdeck, und unter dem lauten Ausruf: Seht hier den Kampfpreis! hieb ihr einer von ihnen den Kopf ab und warf den Körper ins Meer. Ich schrie auf, als ich es sahe, jammerte laut und wollte mich in die Fluthen stürzen. Die Anwesenden hielten mich zurück. Ich bat, man möchte wenigstens das Schiff anhalten und einige ins Meer springen lassen, um mir, wo möglich, den Leichnam des Mädchens zum Begräbnisse zu verschaffen. Der Commendant ließ sich überreden und hielt das Schiff an. Zwey von den Schiffern warfen sich in die Fluthen, ergriffen den Körper, und brachten ihn ins Schiff. Unterdessen waren die Räuber mit größerer Anstrengung geflohen. Als wir ihnen wieder näher kamen, erblickten sie ein anderes Schiff, das sie sogleich erkannten und zu Hülfe riefen. Es war ein Räubergesindel von Purpurfischern. Da der Commendant zwey Schiffe gegen sich gerichtet sah, gerieth er in Furcht und ließ das Schiff zurücktreiben. Denn die Seeräuber hatten ihrer Flucht Einhalt gethan und uns zum Kampf aufgefodert. Wir kamen ans Land. Ich stieg aus, warf mich über den Leichnam hin und weinte. Leukippe! rief ich, jetzt bist du mir doppelt entrissen! Land und Meer theilen sich in deinen Leichnam. Zwar habe ich den Rest deines Körpers, dich selbst aber habe ich verlohren. Das Meer war bey der Theilung nicht billig gegen das Land. Unter dem Anschein des größern ist mir nur ein kleiner Theil von dir übrig geblieben; das Meer aber umfaßt in Wenigem dich ganz. – Da mir das Schicksal nicht vergönnte, dein Antlitz zu küssen, wohlan denn, so will ich deinen zerstümmelten Leichnam küssen!

8 So klagte ich, begrub den Leichnam und ging wieder nach Alexandrien zurück. Wider Willen wurde ich von meiner Wunde geheilt und führte, ungeachtet der häufigen Bemühungen des Menelaos, mich zu trösten, ein trauriges Leben. Es waren bereits sechs Monate verflossen, als mein Schmerz anfing, sich zu vermindern. Denn die Zeit ist ein Heilmittel des Kummers, sie lindert die Wunden der Seele. Die Sonne gewährt einen fröhlichen Anblick und der Schmerz, wenn er auch das Maaß etwas übersteigt, erregt zwar, so lange das Gemüth erhitzt ist, auf einige Zeit eine heftige Wallung; wird aber durch die Annehmlichkeiten des Tages besiegt und gemildert. Wie ich einmahl über den Markt hingehe, ergreift mich jemand von hinten bei der Hand, dreht mich um, fällt mir, ohne ein Wort zu reden, um den Hals und überhäuft mich mit Küssen. Anfangs wußte ich nicht, wer es war; ich stand betäubt da und ließ mich ruhig von seinen Umarmungen überströmen. Jetzt aber trat er ein wenig zurück, ich sahe das Gesicht und – erkannte in ihm den Kleinias. Vor Freude schrie ich laut auf, warf mich ihm um den Hals und erwiederte jede seiner Umarmungen. Dann giengen wir in meine Wohnung. Er erzählte mir, wie er dem Schiffbruch entkommen war, und ich benachrichtigte ihn, was mit Leukippen vorgefallen war.

9 Als das Schiff gescheitert war, fieng er an zu erzählen, stieß ich sogleich auf die Seegelstange. Mit genauer Noth ergriff ich die Spitze derselben, die schon von vielen besetzt war, umfaßte sie mit beyden Händen und suchte mich im Schweben an ihr festzuhalten. So wurden wir einige Zeit auf den Fluthen umhergetrieben, als der Balken von einer gewaltigen Woge ergriffen und gerades Weges an einen Felsen geworfen wurde. Zum Glück hieng ich auf der andern Seite. Bald aber wurde er wieder, gleich einer Maschine, mit Gewalt zurückgestoßen und riß mich, wie von einer Schleuder getrieben, mit sich fort. Nun schwamm ich den ganzen übrigen Tag, ohne Aussicht zur Rettung, auf den Wogen umher und ganz ermattet hatte ich mich schon dem Schicksal ergeben, als ich ein Schiff auf mich zukommen sah. Ich streckte, so gut ich konnte, die Hände aus und winkte ihnen zu, mich zu retten. Entweder aus Mitleiden oder vom Winde hingetrieben kamen sie auf mich hin und warfen mir, während das Schiff an mir vorüberlief, einen Tau zu. Diesen ergriff ich; und so entrissen sie mich dem Tode. Das Schiff segelte nach Sidon, und einige, die mich erkannten, stellten mich wieder her.

10 Nach zwey Tagen kamen wir in Sidon an. Ich bat die Sidonier, die sich mit auf dem Schiffe befanden – es war der Kaufmann Xenodamas und sein Schwiegervater Theophilos, – keinem Tyrier, der ihnen etwa aufstoßen möchte, zu sagen, daß ich vom Schiffbruch gerettet worden wäre, damit nicht meine Abreise mit euch bekannt würde. Denn hielten sich diese nur ruhig, so hoffte ich, daß es verborgen bleiben würde, da ich erst seit acht Tagen aus ihren Augen verschwunden war. Meinem Gesinde hatte ich, wie du weißt, gesagt, ich würde auf zehen Tage auf das Land reisen, und ich erfuhr auch, daß mein Vorgehen überall Glauben gefunden hatte. Dein Vater war noch nicht aus Palaistine zurück, kam aber acht Tage nachher. Er traf von Leukippens Vater einen Brief an, der den Tag nach unsrer Abreise überbracht worden war, worin dir Sostratos seine Tochter zu geben verspricht. Er fand sich, als er ihn las, und unsre Flucht erfuhr, in der betrübtesten Lage. Der Brief verhieß ihm ein Glück, welches er nun für verlohren halten mußte, und es fehlte nur wenig, so hätte das Schicksal die Umstände so gefügt. Denn wäre nur der Brief etwas früher angekommen, so wäre von alle dem nichts geschehen. Er glaubte auch jetzt, seinem Bruder nichts davon schreiben zu dürfen, und bat daher auch die Mutter des Mädchens, vor der Hand davon zu schweigen. Vielleicht, sagte er, finden wir sie wieder und überhaupt darf Sostratos von dem ganzen Vorfalle nichts erfahren. Sie werden, wo sie auch seyn mögen, die Verlobung gewiß hören, und wenn sie die Ursach ihrer Flucht nicht länger zu verhehlen brauchen, gern zu uns zurückkehren! Nun bot er alle Kräfte auf, eurer Flucht auf die Spur zu kommen. Vor wenigen Tagen kam der Tyrier Diophantos aus Aegypten und brachte ihm die Nachricht, er habe dich dort gesehen. Ich erfuhr es, bestieg sogleich ein Schiff und habe dich schon seit acht Tagen in der ganzen Stadt gesucht. Mache dich daher auf die Ankunft deines Vaters gefaßt, der vielleicht bald hier seyn wird.

11 Bey dieser Erzählung beseufzte ich das Spiel des Schicksals von neuem. O ich Unglücklicher! rief ich aus; jetzt giebt mir Sostratos Leukippen! Mitten im Kriege läßt er mir die Vermählung ankündigen! Genau hat er die Tage abgezählt, um ja nicht unsrer Flucht zuvor zu kommen. – Ach, zur Unzeit lächelt mir das Glück! Nur um einen Tag – und wie selig wär’ ich gewesen! – Nach dem Tode erst die Vermählung! nach dem Trauergesange das Brautlied! Welche Braut giebt mir das Schicksal! Nicht einmahl im Tode wird sie mir ganz vergönnt. Jetzt ist es nicht Zeit zu klagen, fiel ihm Kleinias ein; laß uns darauf denken, ob wir in unser Vaterland zurückkehren, oder deinen Vater hier erwarten. Keines von beiden, versetzte ich. Denn mit welcher Miene sollte ich meinem Vater unter die Augen treten, ich, der so schändlich entfloh und noch überdieß ihm das Pfand seines Bruders raubte? Nichts bleibt mir übrig, als vor der Ankunft meines Vaters von hier zu entweichen. Unterdessen kamen Menelaos und Satyros unvermerkt herein, umarmten den Kleinias und erfuhren von uns die Lage der Umstände. Und doch, fuhr Satyros fort, kannst du dein Glück machen und kannst zugleich ein Herz retten, das von Liebe zu dir entflammt ist. Auch Kleinias mag es hören. Aphrodite hat ihm ein großes Glück angeboten, er will es aber nicht annehmen. Sie hat in einer Ephesierin, Nahmens Melitte, die heftigste Liebe gegen ihn erregt. Diese ist eine bildschöne Frau, besitzt große Reichthümer und steht in der Blüthe der Jugend. Ihr Mann ist kürzlich auf dem Meer umgekommen. Nun verlangt sie hier den Kleitophon, ich will nicht sagen, zum Manne, sondern zu ihrem Gebieter und trägt ihm sich und ihr ganzes Vermögen an. Seinetwegen hält sie sich schon zwey Monate hier auf und liegt ihm an, mit ihr zu gehen. Er begegnet ihr aber, ich weiß nicht, warum? mit Verachtung; vielleicht glaubt er, Leukippe werde ihn wieder aufleben.

12 Ich glaube, Satyros hat nicht unrecht, erwiederte Kleinias. Denn wenn Schönheit, Liebe und Reichthum sich gegen dich vereinigen, so gilt weder Ueberlegung, noch Aufschub. Schönheit gewährt Vergnügen, Reichthum ein anmuthiges Leben und Liebe fodert Achtung. Den stolzen Verächtern zürnt die Gottheit. Auf denn, folge dem Satyros und huldige dem Eros! Seufzend antwortete ich: Führe mich, wohin du willst, wenn es Kleinias auch für gut findet. Nur mag sie mich nicht zu sehr beunruhigen und mir den Genuß der Liebe eher abzwingen wollen, als bis wir nach Ephesus kommen. Denn hier, wo ich Leukippen verlohr, habe ich jeden Umgang mit einem Weibe verschworen. Als Satyros dieß hörte, lief er eilig zu Melitten und brachte ihr die fröhliche Nachricht. Bald darauf kam er wieder und sagte, Melitte wäre bey dieser Nachricht vor Freude beynahe in Ohnmacht gesunken. Sie ließe mich noch diesen Tag zu sich bitten, um die Hochzeit einzuleiten. Ich ließ mich überreden und gieng.

13 So bald sie mich sah, kam sie auf mich zu, umarmte mich und überströmte mein ganzes Gesicht mit Küssen. Sie war wirklich schön; ihr Gesicht war gleichsam mit Milch gefärbt und auf ihren Wangen schienen Rosen hervor zu sprossen. Strahlen der Liebe glänzten aus ihrem Auge. Sie hatte ein langes, dichtes Haar, an Farbe dem Golde ähnlich. Kurz, ich gestand mir, daß ich sie nicht ohne Wohlgefallen sah. Das Gastmahl war sehr prachtvoll. Sie rührte zwar von allen, was aufgetragen wurde, etwas an, so daß sie zu essen schien; sie konnte aber nichts ganz genießen. Mich zu sehen war ihr Alles. Denn für Liebende giebt es außer dem geliebten Gegenstande nichts anziehendes. Die Liebe nimmt die ganze Seele ein und gönnt selbst der Nahrung keinen Platz. Das Vergnügen der Anschauung fließt durch die Augen in die Brust, zieht das Bild des Geliebten immer mit sich, stellt es in dem Spiegel der Seele dar und bildet sich seine Gestalt. Der Abfluß der Schönheit wird durch unsichtbare Strahlen in das liebende Herz hinabgezogen und drückt sein Schattenbild im Innern ab. Ich bemerkte, daß sie nicht aß und sagte zu ihr: Du genießest ja aber gar nichts von deinen Speisen? Du scheinst mir, wie die Figuren auf Gemählden, zu essen? Könnte mir wohl, antwortete sie, das herrlichste Gesicht, könnte mir der köstlichste Wein einen schönern Genuß gewähren, als dein Anblick? Bey diesen Worten küßte sie mich und nicht ungern empfieng ich ihre Küsse. Dieß, sprach sie, indem sie etwas zurück trat, dieß ist meine Nahrung!

14 So stand es für jetzt mit uns. Am Abend suchte sie mich zu überreden, bey ihr zu übernachten. Ich verbat mir es aber aus eben dem Grunde welchen ich schon dem Satyros angegeben hatte. Mit Mühe und ungern wurde ich von ihr entlassen. Den Tag darauf hatten wir eine Zusammenkunft im Tempel der Isis105 verabredet, wo wir einander sprechen und im Angesicht der Göttin Treue geloben wollten. Auch Menelaos und Kleinias waren zugegen. Wir schworen beyde, ich: sie aufrichtig zu lieben, sie aber: mich als ihren Gemahl anzuerkennen und zum Herrn ihres ganzen Vermögens zu machen. Aber unser Vertrag, fügte ich hinzu, fängt erst dann an, wenn wir nach Ephesus kommen. Dort erst wirst du, wie ich schon gesagt habe, an Leukippens Stelle treten! Darauf wurde uns ein herrliches Gastmahl bereitet, welches wir einstweilen den Hochzeitschmaus nannten; die Hochzeit selbst wurde unserer Verabredung gemäß aufgeschoben. Dabey erinnere ich mich noch eines Scherzes, den Melitte über Tische machte. Als uns die anwesenden Gäste zur Hochzeit Glück wünschten, nickte sie mir unvermerkt zu und sagte: Ich allein gehe leer aus, wie die Todten, deren Leichnam man nicht finden kann. Ihnen setzt man ein leeres Grabmahl, mir feyert man, was ich noch nie hörte, eine leere Hochzeit. In diesen Worten lag Ernst und Scherz zugleich.

15 Den folgenden Tag machten wir uns zur Abreise fertig, von einem günstigen Wind eingeladen. Menelaos begleitete uns bis an den Hafen, nahm Abschied und wünschte uns eine glückliche Fahrt. Dann kehrte er zurück, wahrlich, ein biederer, und ich möchte sagen, ein göttlicher Jüngling. Seine Augen waren mit Thränen erfüllt und uns allen preßte sein Abschied Thränen aus. Kleinias fand für gut, mich nicht zu verlassen, sondern bis nach Ephesus mit zu schiffen. Dort wollte er sich einige Zeit verweilen, und wenn meine Angelegenheiten in Ordnung gebracht wären, wieder zurückreisen. Der Wind war uns günstig. Als wir uns Abends nach gehaltener Mahlzeit zu Bette legen wollten – für mich und Melitten war eine eigene Kajüte auf dem Schiff eingerichtet, – warf sie sich über mich her, küßte mich und bat um die Vollziehung der Hochzeit. Jetzt, sagte sie, sind wir über Leukippens Grenzen hinaus! Jetzt haben wir das gesetzte Ziel erreicht! Hier ist das Ende des Termins! – Warum soll ich noch harren, bis wir nach Ephesus kommen? Verborgen ist uns das Schicksal des Meeres, trügerisch sind die veränderlichen Winde! Glaube mir, Kleitophon, ich brenne vor Liebe. Könnte ich sie dir offenbaren, die zehrende Flamme! Hätte ich gleiche Natur mit dem gemeinen Feuer; könnte ich durch meine Umarmungen auch dich in Flammen versetzen! So aber zieht diese Flamme, gegen die Natur des andern Feuers, bloß ihre Nahrung aus sich selbst und, durch die Umarmungen der Liebenden noch mehr angefacht, schont sie der Umarmten! O über die geheimnißvolle Flamme! Im Verborgenen entzündet sie sich! Nie will sie außer ihren Grenzen um sich greifen! Laß uns, Geliebter, die Geheimnisse Aphroditens feyern!

16 Zwinge mich nicht, antwortete ich ihr, die heiligen Pflichten gegen die Todten zu verletzen. Ueber das Gebiet dieser Unglücklichen sind wir noch nicht hinaus, wir wären denn in ein anderes Land gekommen. Hörtest du nicht, daß sie im Meer’ ihren Tod fand? Noch schiffe ich über Leukippens Grab hin. Vielleicht umschwebt jetzt ihr Schattenbild unser Schiff. Die Seelen derer, die im Meer umkommen, steigen, wie man sagt, nicht ganz zum Hades106 hinab, sondern irren auf dem Wasser umher. Auch sie steht uns vielleich bey unsern Umarmungen zur Seite. – Und dieser Ort – scheint er dir denn geschickt zum Genuß der Liebe? Eine Umarmung auf den Wellen? Eine Hochzeit auf dem schwankenden Meere? Willst du, daß wir uns ein unstetes Brautgemach bereiten? Das sind Spitzfindigkeiten, Geliebter, antwortete sie; jeder Ort dient den Liebenden zum Brautgemach. Nichts ist dem Gotte der Liebe verschlossen. Und ist Eros, sind Aphroditens Geheimnisse hier auf dem Meere nicht ganz in ihrem Eigenthume? Aphrodite ist die Tochter des Meeres. Laß uns der Göttin der Ehe huldigen! Laß uns ihre Mutter durch die Hochzeitfeyer verehren! Auch alles, was uns umgiebt, scheint mir auf Hochzeit hinzudeuten. Jochförmig schwebt die Seegelstange über den Kopf herab, an die Seegel knüpfen sich die Taue: alles, mein Geliebter, hat eine schöne Vorbedeutung. Unter dem Joch steht unser Gemach, in einander verschlungen sind die Taue, und in der Nähe des Gemachs ist auch das Ruder. Sieh, unsre Ehe steht unter der Führung des Schicksals. Poseidon107 und das Chor der Nereiden108 führen uns ins Brautgemach: denn hier feyert auch er mit Aphroditen seine Hochzeit. – Lieblich flüstert der Wind um die Taue, sein Säuseln dünkt mich der Hochzeitgesang. Du siehst das geschwängerte Seegel; auch diese Vorbedeutung ist für mich günstig, bald wirst du mir Vater werden. Da ich sah, daß sie mir zu sehr anlag, sagte ich zu ihr: Darüber, Geliebte, könnten wir sprechen, bis wir nach Ephesus kämen. Denn ich schwöre dir hier bey dem Meer und bey dem Glück unserer Fahrt, daß es auch mein eifrigster Wunsch ist. Aber auch das Meer hat seine Gesetze. Oft habe ich von den Schiffern gehört, die Schiffe müßten vom Liebesgenusse rein bleiben, vielleicht weil sie als ein Heiligthum zu betrachten sind, vielleicht auch, damit sich nicht jemand mitten in so großen Gefahren üppiger Schwelgerey überlasse. Wir wollen uns also, Geliebte, gegen das Meer nicht brüsten, und die Hochzeitfeyer nicht mit Furcht vermischen; wir wollen uns ein reines Vergnügen aufbewahren! Durch diese Reden und durch schmeichelnde Küsse beruhigte ich sie, und wir schliefen den übrigen Theil der Nacht, ohne unsre Wünsche zu befriedigen.

17 In fünf Tagen hatten wir unsre Fahrt geendigt und kamen in Ephesus an. Melittens Haus war eins der schönsten in Ephesus. Sie hatte eine zahlreiche Dienerschaft und das kostbarste Geräthe. Sogleich befahl sie ein Mahl, so prachtvoll als möglich, zuzubereiten. Bis dahin, sagte sie, wollen wir auf das Landgut gehen. Dieß war vier Stadien109 von der Stadt entfernt. Wir setzten uns auf einen Wagen und fuhren hinaus. Kaum waren wir hier angekommen und giengen durch die Reihen der Bäume hin, als uns mit einem Mahl eine Frau zu Füßen fiel, die mit schweren Ketten belastet war und eine Hacke in der Hand hielt. Ihr Kopf war geschoren, ihr Körper mit Schmutz bedeckt und mit einem äußerst schlechten Gewande bekleidet. Erbarme dich, Gebieterin, rief sie uns zu, eines unglücklichen Weibes, das zwar freygebohren ist, jetzt aber – so wollte es das Schicksal – zur Sclavin wurde! Hiermit schwieg sie. Steht auf, Weib, erwiederte Melitte; sag, wer bist du? wo kömmst du her? wer hat dir diese Fesseln angelegt? Auch noch im Unglück spricht deine Gestalt laut für deine edle Abkunft. „Dein Verwalter hat es gethan, sagte sie, weil ich seinen Lüsten nicht fröhnen wollte. Ich heiße Lakaina und bin von Geburt eine Thessalierin. Mein gegenwärtiges Schicksal, welches dich um Rettung fleht, stelle ich dir anheim. Befreye mich von dem Elende, worin ich mich befinde, und traue mir so lange, bis ich dir die 2000 Drachmen,110 die Sosthenes den Räubern für mich gegeben hat, wiedererstatte. Wir werden sie so bald als möglich zusammen zu bringen suchen. Wo nicht, so will ich deine Sclavin bleiben. Du siehst, wie er mich mit Schlägen gemißhandelt hat.“ Bey diesen Worten schlug sie ihr Gewand zurück und zeigte ihren Rücken, der noch erbärmlich zerfleischt war. Wie ich sie so reden hörte, fuhr es mir durch alle Glieder; denn sie schien mir etwas von Leukippen zu haben. „Fasse Muth! Sagte Melitte zu ihr. Ich will dich frey machen, und unentgeldlich in das Haus deines Vaters zurück senden – Rufe mir doch jemand den Sosthenes.“ Leukippe wurde sogleich von ihren Fesseln gelößt. Sosthenes aber erschien ganz betroffen. Du Elender! redete ihn Melitte an, hast du je gesehn, daß einer von unsern niedrigsten Sclaven so schmählig behandelt worden ist? Sag, wer ist diese Frau? Lüge nicht. Ich kenne sie nicht, meine Gebieterin, antwortete er; nur das weiß ich, daß sie mir von einem Kaufmanne, Nahmens Kallisthenes, verkauft worden ist. Er habe sie, sagte er mir, von Räubern gekauft; sie wäre aber eine Freygebohrne. Er nannte sie Lakaina. Sie entließ ihn darauf seines Dienstes; Leukippen aber übergab sie den Dienerinnen und befahl ihnen, sie zu baden, ihr ein reines Gewand anzuziehen und sie in die Stadt zu führen. Darauf verrichtete sie noch einige Geschäfte, derentwegen sie auf das Landgut gegangen war; bestieg dann mit mir den Wagen, und wir kehrten in die Stadt zurück, wo uns ein Gastmahl erwartete.

18 Während dem Essen winkte mir Satyros mit einer ernsten Miene, aufzustehen. Dieß that ich auch unter dem Vorwande, mich etwas zu entfernen. Ohne ein Wort zu reden kam er auf mich zu und überreichte mir einen Brief. Ich nahm ihn und war, ehe ich ihn noch las, wie vom Blitz getroffen; denn ich erkannte Leukippens Schriftzüge. Der Brief lautete so:
„Leukippe grüßt den Kleitophon, ihren Gebieter.
So muß ich Dich nennen, da Du der Gemahl meiner Gebieterin bist. Du weißt zwar, wie viel ich Deinetwegen erduldet habe; aber jetzt seh’ ich mich genöthigt, Dich daran zu erinnern. Deinetwegen verließ ich meine Mutter und trieb mich in der Irre herum; Deinetwegen litt ich Schiffbruch und wurde von Räubern ergriffen; Deinetwegen wurde ich zum Reinigungsopfer bestimmt und war jetzt zum zweyten Mahle dem Tod ausgesetzt; Deinetwegen wurde ich verkauft und mit Ketten belastet; ich trug die Hacke, grub das Land und wurde gegeiselt, damit Du – was Du nun bist – einer fremden Gattin und ich – o möchte es nicht geschehen! – einem andern Manne zu Theil würde? Doch blieb ich bey so vielen Trübsalen standhaft; Du aber wurdest, ohne verkauft und gegeiselt zu seyn, der Mann einer andern. Wenn nun die Leiden, welche ich Deinetwegen erduldet habe, irgend auf Erkenntlichkeit Anspruch machen können, so bitte Deine Gemahlin, mich heimzusenden, wie sie mir versprochen hat. Wegen der 2000 Drachmen, die Sosthenes für mich gezahlt hat, kannst Du mir trauen und bey Melitten Bürge seyn, daß ich sie ihr schicken werde. Byzantion ist nahe. Wolltest du es ihr aber selbst erstatten, so sieh es an als eine Vergeltung für die vielen Mühseligkeiten, die ich Deinetwegen erduldete. Lebe wohl und sey glücklich in Deiner neuen Ehe. Ich schreibe Dir dieses noch als Jungfrau.“

19 Ich wußte nicht, wie mir war, als ich dieß gelesen hatte. Ich entbrannte, erblaßte, gerieth in Erstaunen, konnte meinen Augen nicht trauen, freute mich und wurde niedergeschlagen. Kömmst du mit diesem Brief aus dem Hades? sagte ich zum Satyros; oder was soll das bedeuten? Ist Leukippe wieder von den Todten erstanden? Ja freylich, sagte er; es ist eben die, die du draußen auf dem Landgute sahest. Niemand würde sie dort für das blühende Mädchen erkannt haben: so sehr hatte sie das abgeschnittene Haar entstellt. Du machst mich überaus glücklich! sagte ich. Aber nur meine Ohren willst du mit diesem Glück erfreuen und es nicht auch meinen Augen zeigen? Dieß noch nicht, erwiederte Satyros. Halte dich noch zurück, bis wir einen ganz sichern Entschluß fassen können; sonst sind wir alle verlohren. Du siehst, die erste der Ephesischen Frauen verfolgt dich mit wüthender Liebe, und wir sind ganz hülflos in der Schlinge gefangen. Nein, dieß vermag ich nicht, antwortete ich ihm; denn Freude strömt mir durch alle Adern meines Körpers. Sieh, sie selbst fodert mich zur Rechtfertigung auf! Schnell las ich den Brief noch einmal und, gleich als säh’ ich in ihm Leukippen vor mir stehen, wiederholte ich jedes einzeln. Ja, meine Geliebte, rief ich dann aus, du machst mir gerechte Vorwürfe. Alles hast du meinetwegen erduldet, ich war die Ursach’ aller deiner Leiden! Bey den Geiseln und Foltern, mit welchen Sosthenes sie gemartert hatte, konnt’ ich mich der Thränen nicht enthalten; die Foltern standen mir gleichsam vor Augen. Die Vorstellung faßt die Nachricht, welche der Brief enthält, mit den Augen der Seele auf und stellt das, was sie erblickt, so dar, als geschähe es jetzt vor ihren Augen. Ueber und über wurde ich roth, als ich den Vorwurf wegen der Hochzeit las. Es war mir nicht anders, als wär’ ich wirklich im Ehebruch ertappt worden. So sehr schämte ich mich vor den bloßen Buchstaben.

20 O ich Unglücklicher! rief ich aus. Wie, Satyros, wie soll ich mich vertheidigen? Leukippe hat mir das Urtheil gesprochen; ach! bald wird sie mich auch hassen. – Aber sage mir nur, wie ist sie denn gerettet worden? Wessen Körper haben wir begraben? Dieß alles wird sie dir bey Gelegenheit selbst erzählen, sagte Satyros; jetzt mußt du ihr antworten und sie wieder aussöhnen. Auch ich habe ihr schon heilig versichert, daß du sie wider deinen Willen geheirathet hast. Du sagtest noch oben drein, ich hätte sie geheirathet? O ich bin verloren! durch dich verloren! Wie kannst du so reden? Weiß denn nicht die ganze Stadt von deiner Hochzeit! Aber beym Herakles,111 Satyros, und bey unserm jetzigen Geschick, ich habe ja nicht geheirathet! Du scherzest, guter Kleitophon; du schläfst ja bey ihr. Ich weiß, daß ich dir etwas Unglaubliches sage; aber sie hat mich noch nicht für sich gewinnen können. Kleitophon hat bis auf diesen Tag Melitten noch nicht berührt. – Aber sage mir nur, was soll ich denn schreiben? Dieser Vorfall hat mich aus aller Fassung gebracht, ich weiß mir weder zu rathen, noch zu helfen. Ja, sagte Satyros, ich weiß eben so wenig, als du; aber mache nur eilig! Eros wird es dir ja wohl eingeben. Ich fing nun an zu schreiben:
„Sey mir gegrüßt, meine Gebieterin, Leukippe!
Ich bin glücklich, aber auch zugleich unglücklich. Du bist mir so nahe und doch bist du mir entfernt; nur durch Briefe kann ich dich sehen. Willst du den wahren Aufschluß abwarten, ohne mich zum voraus zu verurtheilen, so wirst du erfahren, daß ich meine Keuschheit – wenn anders den Männern Keuschheit zugeschrieben werden kann – eben so wenig verletzte, wie du. Jetzt, ehe ich mich vertheidigt habe, wirst du mich hassen; aber ich schwöre dir bey den Göttern, die dich retteten, ich werde mich in kurzem deshalb bey dir rechtfertigen. Lebe wohl, meine Geliebte, und versage mir nicht deine Gunst.“

21 Ich gab dem Satyros den Brief und bat ihn, ihr das Nöthige von mir zu sagen. Freudig gieng ich dann zum Gastmahle zurück; aber meine Freude war mit Trauer vermischt. Ich konnte voraussehen, daß mich Melitte diese Nacht nicht entlassen würde, ohne die Hochzeit vollzogen zu haben; und da ich Leukippen wieder gefunden hatte, war es mir nicht möglich, ein anderes Weib auch nur anzusehen. Zwar that ich meinem Gesichte Gewalt an, um ihr eben so vorzukommen, wie vorher; ich konnte es aber nicht ganz über mich erlangen. Ich stellte mich daher, als ob mich ein Fieberfrost überliefe. Allein sie merkte, daß ich mich deshalb verstellte, um vorläufig die Erfüllung meines Versprechens von mir abzuwenden; doch konnte sie mich davon nicht überführen. Ich stand, ohne gegessen zu haben, vom Tische auf und wollte zu Bette. Sogleich hörte sie ebenfalls zu essen auf und folgte mir auf dem Fuße nach. Als wir ins Schlafgemach kamen, vergrößerte ich noch die erdichtete Krankheit. Warum thust du dieß? sagte sie im bittenden Tone zu mir; wie lange willst du mich schmachten lassen? Sieh, das Meer haben wir durchschifft, Ephesus ist erreicht; dieß war der Hochzeitterain! Sollen wir noch einen andern erwarten? Wie lange soll unser Bett’ ein Heilightum bleiben? Du reichst mir eine solche Menge Wasser und verweigerst mir zu trinken? Schon so lange Zeit dürfte ich, und doch hatte ich des Wassers die Fülle, lag selbst an der Quelle. Mein Ehebette gleicht dem Getränke des Tantalos112. So sprach sie, verbarg ihr Gesicht an meiner Brust und weinte so sehr, daß ich würklich zum Mitleiden gerührt wurde. Ich wußte nicht, was ich anfangen sollte; sie schien mir gegründete Vorwürfe zu machen. Ich schwöre dir, Geliebte, redete ich sie an, bey den vaterländischen Göttern, mir selbst liegt daran, deinen eifrigen Wünschen entgegen zu kommen. Allein ich weiß nicht, wie mir geworden ist. Es überfiel mich mit Einem Mahl eine Unpäßlichkeit, und ohne Gesundheit, weißt du wohl, vermag die Liebe nichts. Bey diesen Worten trocknete ich ihre Thränen und versicherte sie mit neuen Schwüren, das Ziel, nach dem sie strebte, wäre nicht mehr fern. So hielt ich sie damals mit Mühe von mir ab.

22 Den folgenden Tag ließ sie die Dienerinnen zu sich kommen, welchen sie Leukippens Pflege übertragen hatte, und fragte sie, ob sie mit der gehörigen Sorgfalt gewartet worden wäre? Auf die Antwort: sie hätten es ihr an nichts fehlen lassen, befahl sie Leukippen zu sich zu führen. Es wäre überflüssig, sagte sie zu ihr, dich auf die gütige Behandlung aufmerksam zu machen, die du von mir genossen hast, da sie dir hinlänglich bekannt ist. Erzeige du mir nun da, wo du kannst, eine Gegengefälligkeit. Ihr Thessalerinnen wisset, wie ich höre, diejenigen, die ihr liebt, durch Zauberery so zu fesseln, daß sie zu einem andern Weibe nicht die geringste Neigung fühlen, von der hingegen, von der sie bezaubert worden sind, so angezogen werden, daß sie diese für ihr Alles halten. Verschaffe mir dieß Zaubermittel, meine Liebe! Du kennst den Jüngling, der gestern mit mir auf dem Landgute war – Deinen Mann meinst du? unterbrach sie Leukippe sehr schlau; so hörte ich wenigstens von deinem Gesinde. Was für einen Mann? antwortete Melitte: ich habe mit ihm eben so wenig Gemeinschaft, als mit den Steinen. Eine Verstorbene behauptet bey ihm den Vorzug vor mir. Er mag essen oder schlafen, so kann er den Namen Leukippe – so nennt er sie – nicht vergessen. Seinetwegen hab’ ich mich vier Monate in Alexandrien aufgehalten; ich bat, ich flehte. Auf alle mögliche Weise hab’ ich ihm zugeredet, alles hab’ ich gethan, wodurch man sich gefällig machen kann. Er aber blieb gegen meine Bitten gefühllos, wie Stahl oder ein Stück Holz. Kaum ließ er sich durch die Länge der Zeit nur so weit überreden, daß er mir seinen Anblick verwilligte. Ja, ich schwöre dir bey Aphroditen, schon seit fünf Tagen schlaf’ ich mit ihm zusammen, und jedesmal steh’ ich von ihm auf, wie von einem Verschnittenen. Es ist eben so, als liebte ich eine Bildsäule. Nur zur Ergötzung der Augen hab’ ich den Geliebten. Eben so wie du mich gestern batest, bitte ich dich jetzt: Gieb mir etwas für seine Sprödigkeit. Du rettest dadurch eine Seele, die der Auflösung schon nahe ist. – Als Leukippe dieß hörte, schien sie sich zu freuen, daß ich noch nichts mit ihr zu thun gehabt hatte. Sie versprach, wenn sie ihr erlauben wollte, auf das Landgut zu gehen, Kräuter zu suchen, und entfernte sich. Denn wenn sie es auch hätte ableugnen wollen, so würde man ihr doch nicht geglaubt haben; und deswegen versprach sie es wohl auch. Es wurde nun Melitten leichter ums Herz. Denn sie hatte wenigstens Hoffnung, und das Angenehme gewährt, wenn es uns auch noch nicht gegenwärtig ist, schon in der Hoffnung Vergnügen.

23 Von allen diesem wußte ich nichts und war ganz muthlos. Ich dachte immer nur darauf, wie ich mich für die folgende Nacht Melitten entziehen und mit Leukippen zusammen kommen könnte. Aus gleicher Absicht faßte auch Melitte sogleich den Entschluß, auf das Landguth zu gehen, um hier Leukippen mit dem, was sie nöthig hatte, zu versehen. Gegen Abend wollte sie wieder zurück kommen. Wir waren eben bey Tische und hatten uns kaum niedergelassen, so entstand im Vorzimmer ein großer Lärmen und ein Zusammenlauf von Menschen. Ein Diener kam außer Athem herein gesprungen und rief: Thersander lebt! er ist da! Dieser Thersander war Melittens Gemahl, von dem sie geglaubt hatte, er wäre im Meere umgekommen. So hatte sie nehmlich von einigen seiner Diener erfahren, die sich, als das Schiff scheiterte, gerettet hatten und würklich glaubten, Thersander habe in den Fluthen seinen Tod gefunden. Kaum hatte es der Diener gesagt, so kam auch Thersander hinein gesprungen. Er hatte unsre ganze Geschichte auf dem Weg erfahren und eilte mich noch zu ertappen. In der größten Bestürzung über den unerwarteten Zufall sprang Melitte auf und wollte ihrem Mann um den Hals fallen. Er aber stieß sie mit Gewalt zurück, erblickte mich, sprang mit den Worten: dieß ist der Ehebrecher! auch mich zu, schlug mich voll Wuth ins Gesicht, schleppte mich bey den Haaren herum, warf mich zu Boden und prügelte mich im Fallen auf die jämmerlichste Weise. Alles war mir ein Geheimniß. Ich wußte weder, wer der Mann war, noch warum er mich schlug. Jedoch vermuthete ich, was vorgefallen seyn möchte, und wagte es nicht, mich zu vertheidigen, ob ich es gleich gekonnt hätte. Da er endlich des Schlagens und ich des Nachsinnens müde war, stand ich auf und sagte zu ihm: Wer bist du denn? wodurch hab’ ich diese schändliche Behandlung verdient? Er wurde aber darüber, daß ich mich verantworten wollte, noch mehr aufgebracht, schlug mich von neuem und ließ Fesseln und Banden bringen. So wurde ich gebunden und ins Gefängniß geführt.

24 Indem dieß geschah, war mir unvermerkt Leukippens Brief entfallen, den ich unter dem Gewande an die Troddeln der Leinwand gebunden hatte. Melitte hob ihn heimlich auf; denn sie besorgte, es möchte einer von denen seyn, die sie an mich geschrieben hatte. Als sie allein war, las sie den Brief und fand Leukippens Nahmen. Dieß fiel ihr schwer aufs Herz; denn sie erkannte sogleich den Nahmen. Anfangs hielt sie sie zwar nicht für dieselbe, von deren Tod sie so oft hatte sprechen hören; beym Weiterlesen aber erfuhr sie die reine Wahrheit und gerieth ganz außer sich. Schaam, Zorn, Liebe und Eifersucht bemächtigten sich ihrer Seele. Sie schämte sich vor ihrem Manne, zürnte auf den Brief; allein der Zorn wurde durch die Liebe gemildert, welche, von Eifersucht noch mehr angefacht, endlich siegte.

25 Gegen Abend war Thersander in der ersten Hitze zu einem seiner Freunde gesprungen. Melitte verabredete es daher mit meinem Wächter und kam, ohne daß es außer zweyen, die sie an den Eingang gestellt hatte, jemand von den Dienern merkte, zu mir ins Gefängniß. Sie fand mich auf der Erde liegend, stellte sich neben mich und wollte ihr ganzes Herz eröffnen; indeß zeigten schon die Mienen ihres Gesichts, was sie sagen wollte. O ich Unglückliche! fieng sie an; zu meinem Verderben sah ich dich zuerst, ich, die ich ganz ohne Erfolg – und welcher Unsinn! selbst den liebe, der mich haßt, selbst mit dem noch Mitleiden habe, der mir Schmerzen versursacht! Und diese stolze Verachtung hat meine Liebe noch nicht unterdrückt! O über das Betrügerpaar! Mann und Weib hat sich gegen mich verschworen! Er spottete meiner seit so langer Zeit; sie geht hin, mir einen Liebestrank zu bereiten, und ich, die Betrogene, wußte nicht, daß ich von meinen Feinden das Heilmittel bat. Mit diesen Worten warf sie mir Leukippens Brief hin. Ich erkannte ihn sogleich, schauderte zurück und schlug die Augen nieder, wie einer, der eines Verbrechens überführt ist. Dann fieng sie von neuem an zu klagen. Ach, wehe mir! rief sie aus, so viel Unglück stürzt über mich zusammen! Deinetwegen habe ich meinen Mann verlohren und auch dich werde ich in Zukunft nicht besitzen, nicht einmahl der leere Anblick wird mir vergönnt seyn – das einzige, was ich von dir genoß. Ich weiß es, mein Mann haßt mich, beschuldigt mich des Ehebruchs mit dir, eines Ehebruchs ohne Genuß, ohne Liebe, wovon ich nichts habe, als die Schande. Andere Weiber haben für die Schande doch wenigstens das genossene Vergnügen; aber ich, Unglückliche, ich erndte bloß die Schande und nicht das geringste Vergnügen. O du Treuloser! du Unmensch! Du, selbst ein Sclave des Eros, konntest es wagen, ein liebendes Weib so in Flammen zu setzen und verschmachten zu lassen? Fürchtest du nicht sein Strafgericht? scheutest du nicht seine Fackel? ehrtest du nicht seine Geheimnisse? Brach dir das Herz nicht bey diesen weinenden Augen? Ja, grausamer bist du als die Räuber. Selbst ein Räuber wird durch Thränen gerührt. Dich aber kann nichts, weder Bitten, noch die Länge der Zeit, noch die Umarmungen auch nur ein einziges Mahl zur Liebe bewegen. Und überdieß, wie kränkend! du umarmtest mich, küßtest mich und standst nicht anders von mir auf, als ein Weib. Ist dieß nicht nur ein Schatten von Ehe? Und du schläfst ja nicht etwa bey einem Weibe, das schon zu alt war, oder deine Umarmungen zurück wies, sondern bey einem jungen, dich liebenden, und ein andrer würde sagen – schönen Weibe. Du Halbmann! Du Mannweib! Verderber der Schönheit! Den gerechtesten Fluch fluche ich dir. Mag es dir Eros auf gleiche Weise vergelten! So sprach sie und weinte.

26 Ich schwieg und blickte zur Erde. Was ich gesagt habe, Geliebter, fuhr sie nach einiger Zeit in verändertem Tone fort, war die Sprache des Zorns und der Traurigkeit. Jetzt soll die Liebe reden. Wenn ich auch zürne, so glühe ich doch noch immer für dich; werde ich gleich von dir verachtet, so kann ich doch nicht aufhören, dich zu lieben. Laß dich überreden! Habe wenigstens jetzt Mitleiden mit mir. Ich bitte nicht mehr um die vielen Tage und die lange Ehe, die ich Unglückliche mir träumte. Auch eine einzige Umarmung von dir ist mir genug. Ein geringes Mittel ist hinreichend, die lange Krankheit zu heben. Lösche nur in etwas das Feuer meiner Liebe! Habe ich mit voreiliger Hitze gegen dich gesprochen, so verzeihe mir, Geliebter! Unglückliche Liebe pflegt oft in Wuth überzugehen. Mein Betragen ist unanständig, ich weiß es; aber ich darf, ohne mich zu schämen, mich von den Geheimnissen der Liebe frey sprechen. Ich rede zu einem Manne, der in die Geheimnisse eingeweiht ist. Du kennst meine Leidenschaft. Andern sind die Pfeile des Gottes unbekannt; ihnen würde man die Verletzungen seines Geschosses umsonst zeigen; nur Liebende kennen die Wunden der Liebenden. Ich habe nur noch diesen Tag übrig; ich bitte dich also, erfülle dein Versprechen! Erinnere dich des Tempels der Isis, erinnere dich der Schwüre, die du dort ablegtest. Und wenn du, wie du versprochen hast, bey mir bleiben wolltest, so würde ich mich um tausend Thersander nicht bekümmern. Doch du hast Leukippen wieder gefunden; die Verbindung mit einer andern ist dir sonach unmöglich; auch hierin will ich dir gern nachgeben. Ich sehe, ich habe den Sieg verlohren; ich bitte daher um nichts mehr, als was mir zu Theil werden kann. Mehr als wunderbare Ereignisse setzen sich mir entgegen. Selbst die Todten leben wieder auf. O Meer! du hast mich auf der Fahrt am Leben erhalten; aber du machtest mich durch die Rettung unglücklicher! Denn zwey Todte sandtest du gegen mich. Es war noch nicht genug, daß Leukippe wieder auflebte, um Kleitophons Kummer zu stillen. Auch der wilde Thersander mußte noch dazu kommen. Ich mußte dich schlagen sehen und ich, Arme, konnte dir nicht helfen! Auf dieses Gesicht fielen die Schläge? O ihr Götter! Thersander muß blind gewesen seyn. – Aber ich bitte dich, Kleitophon, mein Gebieter – denn du bist der Gebieter meines Herzens – gewähre mir heute die erste und letzte Gunstbezeugung. Dieser Augenblick wird mir der Ersatz vieler Tage seyn. Möchtest du dann Leukippen nie wieder verlieren! möchte sie dir nie wieder auch nur im Scheintod entrissen werden! Verachte nicht meine Liebe; sie war die Ursach deines größten Glücks, sie hat die Leukippen wieder gegeben. Denn hätte ich dich nicht geliebt, hätte ich dich nicht von Aegypten weggeführt, so wäre Leukippe noch bis jetzt für dich todt. Auch der Zufall, Kleitophon, hat seine Geschenke. Schon mancher, der zufällig zu einem Schatz gelangte, wie verehrte er den Ort, wo er ihn fand! Er errichtete einen Altar, brachte Opfer und umkränzte die Erde. Du aber hast bey mir das Kleinod der Liebe gefunden und achtest die Wohltat nicht? Glaube mir, Kleitophon, Eros selbst fodert dich auf, ihm, der dich zur Weihe führte, zu huldigen und Melitten nicht zu verlassen, bevor du sie in die Geheimnisse eingeweiht hast. Denn er hat mein Feuer entzündet! – Höre, wie ich auch um deine übrigen Angelegenheiten besorgt bin. Du sollst jetzt von deinen Fesseln befreyt werden, wenn sich auch selbst Thersander dagegen erklärte. Du wirst, so lange du willst, bey meinem Jugendfreunde Wohnung finden. Morgen früh wird auch Leukippe dort bey dir seyn. Die Nacht über wollte sie auf dem Landgute bleiben, um beim Mondenscheine Kräuter zu suchen. So treibt sie ihr Spiel mit mir. Ich bat sie, da sie sich für eine Thessalierin ausgab, um ein Zaubermittel gegen dich. Denn was konnte ich, um mein Ziel zu erreichen, noch thun, als Kräuter und Zaubermittel suchen? Dieß ist ja die einzige Zuflucht für Unglücklichliebende. – Thersanders wegen kannst du außer Furcht seyn. Er eilte im Zorn aus dem Hause und sprang zu einem seiner Freunde. Es ist, als wenn ihn ein Gott von hier vertrieben hätte, damit ich von dir noch diese letzte Gunst erlangen könnte. Schlage sie mir nicht ab!

27 So sprach sie mit viel Ueberredung; denn Eros macht beredt. Dann löste sie die Fesseln, küßte mir die Hände, legte sie an ihre Augen und auf ihr Herz und sagte: Hörst du es klopfen? fühlst du sein heftiges Schlagen voll Furcht und Hoffnung und – o daß es geschähe! – voll Vergnügen? Dieses Klopfen selbst scheint dich anzuflehen! Nachdem sie mir die Fesseln gelöst hatte, warf sie sich weinend über mich und ich überließ mich der Leidenschaft. Ich befürchtete würklich, Eros möchte sich an mir rächen, zumahl da ich Leukippen wieder bekommen hatte und mich darauf von Melitten entfernen wollte. Auch geschahe es ja nicht mehr, um die Hochzeit zu vollzuziehen, sondern nur, um eine kranke Seele zu heilen. Ich ließ es daher geschehen, als sie sich über mich hinwarf und widerstrebte ihren Umarmungen nicht. So ergaben wir uns den Freuden der Liebe und bedurften keiner Polster und keiner Zurüstungen. Denn Eros ist Selbstschöpfer und augenblicklicher Rathgeber. Jeden Ort schafft er zu seinem Tempel um. Auch ist der unvorbereitete Genuß weit angenehmer, als der, zu dem viele Zurüstungen gemacht werden; denn er führt ein selbstgeschaffenes Vergnügen mit sich.

Anmerkungen

101 Der Ort, wo Alexanders Begräbniß war, und die königliche Burg stand; sein Umfang machte den fünften Theil der Stadt aus.

102 Meilichios (der Versöhner) wurde Zeus genannt, weil er bey einer großen Unruhe in dem Staate der Archiver Mittel zur Aussöhnung dargereicht hatte. Unter diesem Beynahmen wurde er denn auch in andern Orten verehrt.

103 Pharos, eine Insel am Ausflusse des Nils, unweit Alexandrien.

104 Erinnyen (Furien, Plagegöttinnen) wurden als geflügelte Ungeheuer mit blutigen Gesichtern und Schlangenhaaren dargestellt. Sie verfolgten diejenigen, welche etwas Böses begangen hatten und noch nicht mit den Göttern ausgesöhnt waren.

105 Isis, die vornehmste Göttin der Aegyptier, Gemahlin des Osiris.

106 Hades oder Orkus, die Unterwelt, der Aufenthalt der Schatten oder der Verstorbenen.

107 Poseidon, Zeus Bruder, welchem bey der Theilung der drey Reiche die Herrschaft über das Meer zufiel.

108 Nereiden, die Töchter des Nereus, des Meergottes, und der Doris, unter denen die vorzüglichsten Amphitrite, die Gemahlin des Poseidon, und Thetis, des Achilles Mutter, waren.

109 Ein Stadion enthielt 125 Schritte.

110 Eine Drachme betrug nach unserm Gelde ungefähr 3 Groschen.

111 Beym Herakles, ein gewöhnlicher Schwur bey den Griechen. Herakles war Zeus und Alkmenens Sohn.

112 Tantalos, der König von Phrygien, aß an der Tafel der Götter. Einst soll er den Göttern seinen Sohn, Pelops, gekocht vorgesetzt haben. Deshalb wurde er von den Göttern damit bestraft, daß er in der Unterwelt bis an den Hals im Wasser stehen musste, ohne seinen Durst stillen zu können; denn, wenn er trinken wollte, zog sich das Wasser zurück.