2. Buch
Übersetzung
1 (1) Euxinos und Korymbos harrten miteinander auf Antwort, und hofften, sie leicht zu bereden. Habrokomes und Anthia giengen in das Zimmer, wo sie gewöhnlich wohnten, erzählten einander, was sie gehört, warfen sich zu Boden, weinten, klagten. (2) »O Vater!« riefen sie, »o Mutter! o geliebte Vaterstadt! o Freunde und Verwandte!« Endlich faßte sich Habrokomes und sprach: »O wie Unseligen! Was werden wir noch erfahren im Barbarenlande, dem Frevel der Räuber preisgegeben? Schon beginnt der Seherspruch, schon fordert von mir der Gott die Strafe des Uebermuths. Mich liebt Korymbos, dich Euxinos. (3) O der für Beyde unseligen Schönheit! Bin ich deßhalb bis jetzt keusch geblieben, um mich einem von schändlicher Lust entbrannten Räuber hinzugeben? Welch ein Leben übrigt mir, wenn ich statt eines Mannes eine Dirne werde? wenn ich meiner Anthia beraubt bin? (4) Doch schwöre ich es bey der bis jetzt bewahrten Keuschheit, die von Kindheit an meine Gespielin war, daß ich mich nicht dem Korymbos hingebe. Sterben will ich eher und auch im Tode keusch erscheinen.« (5) Anthia aber rief: »O des Unglücks! Bald werden wir zur Erfüllung des Eides gezwungen. Bald werden wir Knechtschaft erdulden. Man liebt mich, und hoffte mich zu bereden, nach Habrokomes mein Lager zu besteigen, bey mir zu liegen, und der Lust zu genießen? (6) So möge ich nicht das Leben lieben, noch mit Schmach bedeckt, die Sonne schauen können! Beschlossen sey es: sterben wollen wir, Habrokomes; wir werden einander nach dem Tode besitzen, von niemanden gekränkt!«
2 (1) Diesen Entschluß faßten sie. Unterdessen kam Apsyrtos, der Räuberhauptmann, dahin; denn er hatte gehört, daß Korymbos und seine Genossen mit einer Menge bewundernswürdiger Schätze zurückgekommen seyen. Kaum hatte er Habrokomes und Anthien erblickt, so wurde er von ihrer Schönheit bezaubert, und verlangte sie – denn er hielt sie für einen großen Gewinn – sogleich für sich. (2) Die übrigen Schätze, Besitzthümer und Mädchen, soviel sie erbeutet hatten, vertheilte er unter Korymbos und seine Raubgenossen. Ungern traten Euxinos und Korymbos Habrokomes und Anthien an Apsyrtos ab; aber sie mußten sie abtreten. (3) Jene entfernten sich, und Apsyrtos nahm Habrokomes und Anthien sammt den zwey Dienern, Leukon und Rhoden, zu sich und führte sie nach Tyros. (4) Sehenswürdig war ihr Zug, und alle bewunderten die Schönheit, und die Barbaren, welche zuvor noch nie eine so reizvolle Gestalt gesehen hatten, hielten sie für Götter und priesen den Apsyrtos glücklich, daß er solche Diener hätte. (5) Er führte sie nach Hause und übergab sie einem treuen Diener, mit dem Auftrage für sie zu sorgen, damit er recht viel gewänne, wenn er sie um einen guten Preis verkaufte.
3 (1) In dieser Lage befanden sich Habrokomes und Anthia. Wenige Tage darauf, als Apsyrtos eines andern Handels wegen nach Syrien reiste, verliebte sich seine Tochter, Manto mit Namen, in den Habrokomes. Sie war schön und schon reif zu Vermählung; doch stand sie dem Habrokomes weit an Schönheit nach. (2) Da sie gewöhnlich um ihn war, so wurde sie von ihm gefesselt, konnte ihre Liebe nicht bändigen, und war unschlüssig, was sie thun sollte; denn sie wagte es nicht, mit ihm zu sprechen, weil sie wußte, daß er eine Gattin habe, und nimmer hoffte ihn bereden zu können; auch getraute sie sich nicht, einem ihrer Diener davon zu sagen, aus Furcht vor dem Vater. (3) Dadurch ward sie noch mehr entzündet, fühlte sich liebekrank und konnte sich nicht mehr zurückhalten. Daher beschloß sie ihre Liebe Rhoden zu entdecken – denn sie war Anthiens Jugendgespielin, gleichen Alters mit ihr und ein Mädchen – in der Hoffnung, diese allein werde beytragen, ihr Verlangen zu erfüllen. (4) Sie führt demnach, sobald sie Gelegenheit findet, das Mädchen zu dem väterlichen Hausaltar, bittet sie, nichts zu entdecken, und heißt sie schwören. Dann gesteht sie ihr ihre Liebe zu Habrokomes, fleht sie um ihren Beystand an, und macht ihr große Versprechungen, wenn sie sie unterstützte. (5) »Wisse,« sagte sie, »daß du meine Sklavin bist! wisse, daß du den Zorn einer Barbarin und einer Beleidigten empfinden wirst!« Mit diesen Worten entließ sie Rhoden. Diese war in der mißlichen Lage; denn sie wollte, aus Liebe zu Anthien, dem Habrokomes den Vorfall nicht erzählen, und fürchtete sich sehr vor dem Zorne der Barbarin. (6) Das Beste däuchte ihr, der Manto Reden zuerst dem Leukon mitzutheilen, mit dem sie auf sehr vertrauten Fuße stand; denn sie hatten schon in Ephesos miteinander Umgang. (7) Da sie ihn jetzt allein traf, sagte sie: »O Leukon! wir sind ganz verloren. Nun werden wir nummer unsere Jugendgespielen besitzen. Leidenschaftlich liebt die Tochter unsers Gebieters Apsyrtos den Habrokomes, und droht uns, (8) wenn sie ihn nicht erhält, mit schrecklicher Rache. Ueberlege demnach, was zu thun sey; denn der Barbarin zu widerstreben ist gefährlich; unmöglich aber ist es, den Habrokomes von Anthien zu trennen.« Bey diesen Worten war Leukons Antlitz mit Thränen erfüllt; denn er befürchtete, es möchte daraus großes Unglück entstehen. Endlich faßte er sich und sagte: »Schweig, o Rhode! denn ich will alles ordnen.«
4,2 unsicher
4 (1) So sprach er und gieng zu Habrokomes. Dieser dachte auf nichts anderes, als darauf, Anthien zu lieben und von ihr geliebt zu werden; mit ihr zu reden und ihren Reden zu horchen. »Gespielen meiner Jugend!« sagte Leukon, als er zu ihnen hineintrat, »was machen wir? welchen Entschluß fassen wir (2) Sklaven? Schön, o Habrokomes, dünkst du einem der Gebieter. Aus Sehnsucht nach dir härmt sich Apsyrtos Tochter, und schwer ist es, einem Barbarenmädchen, wenn sie liebt, zu widerstreben. Rathschlage nun, wie es dir gut däucht, rette uns alle, und laß uns nicht dem Zorne der Gebieter unterliegen!« (3) Bey diesen Worten ward Habrokomes sogleich von Zorn erfüllt, und schaute unverrückt den Leukon an. »O Elender!« sagte er, »du bist noch barbarischer, als diese Phöniker! du wagtest es, solche Reden zu Habrokomes zu erheben, und erzählst mir in Anthiens Gegenwart von einem andern Mädchen? (4) Sklave zwar bin ich; doch weiß ich mein Versprechen zu halten. Mein Körper ist in ihrer Gewalt; mein Geist aber ist frey. Manto drohe, wenn sie will, mit Schwertern, Stricken, Feuer und allem, was eines Sklaven Körper dulden kann. Wahrhaftig, nimmer wird sie mich bereden, freywillig gegen Anthien ungerecht zu handeln!« (5) So sprach er; Anthia aber verstummte, vom Unglück gebeugt, und vermochte kein Wort zu sprechen. Endlich und mit Mühe sich aufrichtend, sagte sie: »Ich lobe dein Wohlwollen, Habrokomes, und glaube, daß du mich außerordentlich liebst; doch bitte ich dich, Gebieter meines Herzens, verrathe dich nicht selbst, und gieb dich nicht barbarischem Zorne preis! Füge dich dem Verlangen der Gebieterin! (6) Ich will euch den Platz räumen, mich selbst entleibend. Nur um dieses bitte ich dich, begrabe mich selbst, küsse mich im Tode, und gedenke Anthiens!« Alles dieses stürzte den Habrokomes in noch größeres Unglück, und er wußte nicht, wie ihm geschah.
5 (1) In dieser Lage befanden sie sich. Da nun Rhode zögerte, konnte Manto nicht mehr widerstehen und schrieb ein Briefchen an Habrokomes, dieses Inhalts: »Den schönen Habrokomes grüßt seine Gebieterin. Manto liebt dich, und sie kann es nimmer ertragen (unanständig ist es traun für eine Jungfrau; doch nothwendig für eine Liebende) ich bitte dich, verachte mich nicht, verschmähe nicht die, welche dich zu ihrem Liebling erkor; (2) denn gehorchest du, so will ich meinen Vater Apsyrtos bereden, daß er mich dir vermähle, und deine jetzige Gattin wollen wir entfernen. Reich und glücklich wirst du seyn; widerstrebst du mir aber, so bedenke, was du leiden wirst – denn es rächt sich eine Verschmähte – bedenke, was deine Genossen, die Rathgeber deines Uebermuths, leiden werden!« (3) Sie nimmt und siegelt den Brief, und giebt ihn einer heimischen Dienerin, mit dem Auftrage, ihn dem Habrokomes zu überbringen. Als ihn Habrokomes erhielt und las, ward er unwillig über den ganzen Inhalt; am meisten aber kränkte ihn das, was Anthien betraf. (4) Jenes Täfelchen behält er bey sich, schreibt auf ein anderes und übergiebt es der Dienerin. Der Inhalt war dieser: »Gebieterin! thue, was du willst, und behandle mich wie einen Sklaven! Willst du mich tödten, so bin ich bereit, willst du mich foltern, so foltere mich, wie du willst! Dein Lager aber werde ich nicht besteigen, noch diesem deinem Gebote gehorchen.« (5) Als Manto diesen Brief erhielt, wurde sie von unbändigem Zorne ergriffen; Neid und Eifersuch, Trauer und Furcht – alles wechselte in ihr und sie sann darauf, wie sie den Uebermuthigen bestrafte. (6) Unterdessen kehrt Apsyrtos aus Syrien zurück und bringt von da für seine Tochter einen Bräutigam mit, Möris mit Namen. Sobald er angekommen war, ersann Manto sogleich gegen Habrokomes einen Rank, nahte mit zerrauftem Haare und zerrissenem Gewande ihrem Vater und warf sich ihm zu Füssen, mit diesen Worten: »Habe Mitleid, Vater, mit deiner Tochter, die ein Sklave mit Schmach bedeckte! (7) denn der keusche Habrokomes versuchte es, meine Jungfräulichkeit zu beflecken, und stellte auch dir nach, indem er sich für meinen Liebhaber ausgiebt. Strafe ihn für ein solches Wagestück, wie er es verdient; oder ich werde, willst du deine Tochter mit Sklaven vermählen, mich selbst zuvor entleiben.«
6 (1) Als dieses Apsyrtos hörte, untersuchte er in der Meynung, daß sie die Wahrheit rede, die Sache nicht weiter, sondern ließ den Habrokomes kommen und sprach: »Verwegener und ruchloser Mensch! du konntest es wagen, gegen deine Gebieter zu freveln, und du, ein Sklave, wolltest eine Jungfrau schänden! Doch soll es dir nicht Freude bringen; denn ich will dich strafen und durch deine Marter den andern Sklaven ein Beyspiel geben.« (2) So sprach er, achtete ganz und gar nicht auf Gegenrede und gebot den Sklaven, dem Habrokomes das Gewand zu zerreissen, Feuer und Geißeln herbeyzubringen und den Jüngling zu hauen: (3) ein kläglicher Anblick! Denn die Folter entstellte den ganzen Körper, ungewohnt sklavischer Martern; rings floß das Blut herab und die Schönheit schwand dahin. (4) Auch schreckliche Fesseln und Feuer gebrauchte er; am meisten aber bediente er sich der Folter gegen ihn, um dem Bräutigam zu beweisen, daß er ein keusches Mädchen erhalte. (5) Unterdessen fiel Anthia dem Apsyrtos zu Füßen und bath für Habrokomes. Jener aber erwiederte. »Ja deinetwegen soll er noch härter gezüchtigt werden, weil er auch gegen dich frevelte, da er, obgleich vermählt, eine andere liebte.« Dann gebot er ihn zu fesseln und in einen finstern Kerker zu verschließen.
7 (1) Man fesselte ihn und warf ihn in den Kerker. Schreckliche Muthlosigkeit ergreift ihn, besonders da er Anthien nicht sah. – Er sann auf verschiedene Weisen des Todes; fand aber keine, weil ihn viel bewachten. Unterdessen begieng Apsyrtos die Vermählung seiner Tochter, und man feyerte sie viele Tage hindurch. (2) Anthia aber war ganz Trauer, und wäre, hätte sie die Wächter des Gefängnisses bereden können, heimlich zu Habrokomes gegangen und hätte ihm ihr Leiden geklagt. (3) Als man Anstalten zur Abreise nach Syrien traf, entließ Apsyrtos seine Tochter mit vielen Geschenken, und gab ihr auch babylonische Gewande und einen Ueberfluß an Gold und Silber. Auch schenkte er ihr Anthien, Rhoden und Leukon. (4) Als nun Anthia dieses erfuhr, und daß sie mit der Manto nach Syrien gebracht würde, gieng sie, da sie Gelegenheit fand, zu Habrokomes ins Gefängniß, umarmte ihn und sprach: »O Gebieter! ich werde nach Syrien gebracht – denn Apsyrtos gab mich der Manto zum Geschenke – und komme in die Hände der Eifersüchtigen. (5) Du aber bleibst im Gefängnisse und stirbst eines kläglichen Todes, ohne jemand zu haben, der deinen Körper zur Bestattung schmücke. Doch schwöre ich dir bey unserm Geschicke, daß ich dein bleibe, sowohl im Leben, als auch, wenn ich sterben muß.« Mit diesen Worten küßte und umarmte sie ihn, umschlang die Fesseln und warf sich ihm zu Füßen.
8 (1) Endlich entfernte sie sich aus dem Gefängnisse. Habrokomes aber warf sich sogleich auf den Boden hin, stöhnte und weinte. »O geliebter Vater!« rief er aus. »O Mutter Themisto! Wo ist nun jenes Glück, das uns einst in Ephesos anlächelte? Wo sind die Herrlichen und Bewunderten, Anthia und Habrokomes, die Schönen? Fernhin zieht sie als eine Gefangene, und ich bin sogar dieses einzigen Trostes beraubt, und werde als ein Unglücklicher allein im Gefängnisse sterben.« (2) Bey diesen Worten überfällt ihn der Schlaf und es erscheint ihm ein Traumgesicht. Es däuchte ihm, als sähe er seinen Vater Lykomedes in schwarzem Gewande jedes Land und Meer durchirren, ins Gefängniß kommen, ihn von den Banden befreyen und aus dem Kerker führen; er selbst aber schweifte – so schien es ihm – in ein Pferd verwandelt, durch viele Länder, eine Stute verfolgend, fand sie endlich und wurde wieder ein Mensch.
9 (1) Er blieb nun im Gefängnisse verschlossen; Anthia aber wurde nach Syrien gebracht, und auch Leukon und Rhode. Als Manto mit den Ihrigen nach Antiochia kam, wo sich Möris aufhielt, rächte sie sich an Rhoden und haßte Anthien. (2) Sogleich ließ sie Rhoden und Leukon auf ein Fahrzeug setzen und fern von Syrien verkaufen; Anthien aber wollte sie mit einem Sklaven vereinen, und zwar mit einem sehr schlechten ländlichen Ziegenhirten, in der Meynung, sich dadurch mehr zu rächen. (2) Sie läßt den Ziegenhirten kommen, Lampon mit Namen, und übergiebt ihm Anthien, mit dem Befehle, sie als Gattin zu gebrauchen, und gebot ihm noch, wenn sie nicht gehorchte, Gewalt anzuthun. (3) Anthia wurde auf das Land gebracht, um mit dem Ziegenhirten zusammenzuleben. Als sie in der Gegend anlangte, wo Lampon die Ziegen weidete, wirft sie sich ihm zu Füßen, und fleht ihn an, Mitleid mit ihr zu haben und sie rein zu bewahren. Sie erzählt ihm, wer sie war, von dem vorigen Adel, von ihrem Manne, und seiner Gefangenschaft. Auf diese Reden erbarmt sich Lampon des Mädchens, schwört, sie unbefleckt zu bewahren, und hieß sie gutes Muthes seyn.
10,3 unsicher
10 (1) So lebte sie bey dem Ziegenhirten auf dem Lande, die ganze Zeit den Habrokomes beweinend. Apsyrtos aber durchsuchte das Zimmer, wo sich Habrokomes vor der Bestrafung aufhielt, fand das Briefchen der Manto an Habrokomes, erkannte die Schrift und sah ein, daß er ihn ungerecht strafe. Sogleich befahl er, ihn frey zu lassen, und vor ihn zu führen. (2) Habrokomes wirft sich, nach harten und jammervollen Leiden, dem Apsyrtos zu Füßen; dieser aber richtet ihn auf, mit den Worten: »Jüngling, sey gutes Muths! Ungerecht habe ich dich bestraft, den Reden meiner Tochter vertrauend; jetzt aber will ich dich aus einem Sklaven zu einem Freyen machen, ich übergebe dir die Verwaltung meines Hauses und führe dir eine Bürgerstochter als Gattin zu. Gedenke nicht in Bösem des Vergangenen; (3) denn ich that es nicht gern.« So sprach Apsyrtos. Habrokomes aber erwiederte: »Dank dir, Gebieter! daß du die Wahrheit erkanntest und meine Tugendhaftigkeit belohnst!« Alle im Hause freuten sich über Habrokomes und dankten dafür ihrem Gebieter. Habrokomes aber war in großer Betrübniß wegen Anthien und dachte oft bey sich: »Was nützt mir Freyheit? was Reichthum? was die Aufsicht über Apsyrtos Vermögen? Ein solcher Zustand ziemt mir nicht. Könnte ich sie doch, lebend oder todt, finden!« (4) Während er nun das Hauswesen des Apsyrtos besorgte, und bey sich dachte, wann und wo er Anthien finden würde, wurden Leukon und Rhode nach Xanthos, einer etwas vom Meer entlegenen Stadt in Lykien, gebracht. Dort kaufte sie ein Greis, der sie mit aller Sorgfalt pflegte, sie für seine Kinder haltend; denn er war kinderlos. Sie hatten zwar allen Ueberfluß; doch trauerten sie, weil sie Anthien und Habrokomes nicht sahen.
11 (1) Schon war Anthia einige Zeit bey dem Ziegenhirten, als Möris, der Gatte der Manto, stets in die Gegend kam, und heftige Liebe gegen das Mädchen nährte. Anfangs suchte er zwar seine Liebe zu bergen; endlich aber entdeckt er sie dem Ziegenhirten, und versprach ihm vieles, wenn er sie geheim hielte. (2) Der Ziegenhirt kömmt mit Möris überein; aus Furcht vor der Manto aber geht er zu ihr, und entdeckt ihr die Liebe des Möris. Voll Zorns sprach sie: »O ich unseligste aller Frauen! Die Nebenbuhlerin führe ich mit mir, die mich zuerst in Phönikien des Geliebten beraubte, und jetzt laufe ich meines Gatten wegen Gefahr! Doch wird es ihr nimmer Freude bringen, daß sie dem Möris schön däucht; denn ich will sie strafen, auch wegen des Vorfalls in Tyros.« (3) Vor der Hand hielt sie sich ruhig; als aber Möris verreiste, ließ sie den Ziegenhirten kommen, befahl ihm, Anthien zu ergreifen, in den dichtesten Wald zu führen und zu tödten, und versprach ihm dafür eine Belohnung. (4) Jener hatte Mitleid mit dem Mädchen; aus Furcht aber vor der Manto gieng er zu Anthien und entdeckte ihr den Auftrag. Anthia aber weinte und klagte: »O dieser Schönheit, die Beyden überall Fallstricke bereitet! Der unseligen Schönheit wegen starb Habrokomes in Tyros; ich hier. (5) Doch bitte ich dich, Ziegenhirt Lampon, der du bis jetzt Scheu hegtest, begrabe mich leich, wenn du mich tödtest, auf nachbarlichem Boden, drücke mir die Augen zu, und rufe, mich begrabend, unabläßig »Habrokomes!« Glücklich wäre ich, würde ich so mit Habrokomes begraben!« (6) So sprach sie und der Ziegenhirt fühlt Mitleid, erwägend, welch ein ruchloses Werk er verüben würde, wenn er ein so schönes Mädchen unschuldig tödtete. (7) Er konnte sie nicht ergreifen und tödten, sondern sprach zu ihr mit den Worten: »Anthia! du weißt, daß die Gebieterin Manto mir befahl, dich zu ergreife und zu tödten; aus Scheu aber vor den Göttern, und aus Mitleid gegen deine Schönheit will ich dich lieber irgendwo fern von diesem Lande verkaufen, daß nicht Manto, erfährt sie, daß du nicht starbst, vielmehr mich dafür züchtige.« (8) Unter Thränen ihm die Knie umschlingend, rief Anthia: »O Götter! o vaterländische Artemis! vergeltet dem Ziegenhirten diese Wohlthaten!« Sie redete ihm zu, sie zu verkaufen. (9) Der Ziegenhirt gieng mit ihr in den Hafen, verkaufte sie dort an kilikische Kaufleute, und kehrte mit dem Gelde wieder auf das Land zurück. (10) Die Kaufleute brachten Anthien zu Schiff, und steuerten mit anbrechender Nacht nach Kilikien. Ein feindlicher Wind aber hemmte sie, das Schiff scheiterte; und nur mit Mühe erreichten einige – unter diesen auch Anthia – indem sie sich auf einen Balken retteten, das Ufer. (11) In jener Gegend war ein dichter Wald. Während sie nun jene Nacht darin umherirrten, wurden sie von Hippothoos Raubgenossen gefangen.
12 (1) Unterdessen brachte ein Sklave aus Syrien dem Apsyrtos Briefe von der Manto, ungefähr dieses Inhalts: »Du gabst mich einem Manne in der Ferne. Anthien, die du mir mit andern Sklaven schenktest, hieß ich, weil sie viel Böses verübte, auf das Land ziehen. Da verliebte sich der schöne Möris in sie; denn er sah sie hier stets. Dieses konnte ich nicht mehr ertragen; ich ließ den Ziegenhirten kommen, und gab ihm den Auftrag, das Mädchen wieder in einer Stadt in Syrien zu verkaufen.« (2) Als dieses Habrokomes hörte, vermochte er es nicht länger zu bleiben. Demnach machte er sich ohne Apsyrtos, ohne aller Vorwissen auf, Anthien zu suchen. Er langte auf dem Gefilde an, wo Anthia mit dem Ziegenhirten wohnte, kehrte bey Lampon ein, dem Manto Anthien zur Ehe gegeben hatte, und bath ihn, es ihm zu sagen, wenn er etwas von einem Mädchen aus Tyros wüßte. (3) Der Ziegenhirt nannte ihm Anthiens Namen, erzählte ihm von der Vermählung, von seiner Scheu gegen sie, von Möris Liebe, von dem Befehle der Manto und von der Reise nach Kilikien; auch sagte er, daß sie stets eines gewissen Habrokomes gedenke. Dieser aber gab sich nich zu erkennen, sondern stand früh auf, und wanderte nach Kilikien, in der Hoffnung, dort Anthien zu finden.
13,4 13,7 13,8 unsicher
13 (1) Hippothoos, der Räuber, schmauste mit seinen Genossen die ganze Nacht, und wollte des andern Tags ein Opfer entrichten. Man schaffte alles herbey: Bildnisse des Ares, Holz und Kränze. (2) Die Feyer sollte auf die gewohnte Weise vor sich gehen. Das Schlachtopfer hingen sie, es mochte ein Mensch oder ein Thier seyn, an einem Baume auf und schossen aus der Ferne mit Wurfpfeilen darnach. Sie glaubten nähmlich, das Opfer derjenigen, welche trafen, sey dem Gotte willkommen; diejenigen aber, welche nicht trafen, versöhnten ihn durch ein zweytes. So nun sollte Anthia geopfert werden. (3) Schon war alles bereitet, schon wollten sie das Mädchen aufhängen, als man ein Geräusch im Walde, und ein Getöse von Menschen hörte. Der Friedensrichter von Kilikien, Perilaos mit Namen, einer der angesehenstens Kiliker, (4) überfiel mit einer starken Mannschaft die Räuber und tödtete alle, bis auf wenige, die er gefangen nahm; Hippothoos entgieng allein bewaffnet durch die Flucht. (5) Auch Anthia ward gefangen und Perilaos hatte Mitleid mit ihr, als er ihr Unglück vernahm. Dieses Mitleid aber war der Anfang eines großen Unglücks. Anthia wurde mit den gefangenen Räubern nach Tarsos in Kilikien gebracht. (6) Allein der gewohnte Anblick des Mädchens verleitete den Perilaos zur Liebe, so daß er allgemach von Anthien gefesselt wurde. Als sie nach Tarsos kamen, warf er die Räuber ins Gefängniß; Anthien aber behandelte er mit Achtung. Perilaos hatte weder Weib, noch Kinder, (7) und Schätze in großem Ueberfluße. Deßhalb sagte er zu Anthien, daß sie ihm alles seyn sollte: (8) Weib, Gebieterin und Kind. Anfangs sträubte sie sich zwar; da sie aber nicht wußte, was sie thun sollte, so willigt sie, weil er sie drängte und ihr sehr anlag – aus Furcht, er möchte Gewalt gebrauchen – in die Vermählung ein, und bittet ihn, eine kurze Zeit, ungefähr dreißig Tage, zu warten und sei rein zu bewahren. So verstellt sie sich; Perilaos glaubt ihr und schwört, sich des hochzeitlichen Lagers zu enthalten, bis jene Zeit verflossen sey.
14,4 unsicher
14 (1) Während sie bey Perilaos in Tarsos war und die Zeit der Vermählung abwartete, begab sich Habrokomes nach Kilikien, und stieß nicht weit von der Räuberhöhle – denn er war von dem rechten Wege abgekommen – auf den bewaffneten Hippothoos. (2) Als dieser den Habrokomes sieht, eilt er auf ihn zu, grüßt ihn freundlich und bittet ihn, den nähmlichen Weg zu gehen; denn ich sehe – sagte er – daß du, o Jüngling, wer du auch immer seyst, nicht nur schön, sondern auch besonders herzhaft bist, und dein Irren scheint ein ganz unverdientes Geschick zu seyn. (3) Laß uns also aus Kilikien wandern, und nach Kappadokien, und in den dortigen Pontos ziehen; denn dort sollen glückliche Menschen wohnen. (4) Habrokomes gestand nicht, daß er Anthien suche, und willigte in Hippothoos dringendes Verlangen; und sie schwören, sich gegenseitig zu unterstützen und zu helfen; denn Habrokomes hoffte auf der weiten Irre Anthien zu finden.
