5. Buch

Ornament

Übersetzung

1 Habrokomes gelangte nach seiner Abfahrt von Aegypten nicht nach Italien selbst; denn ein Sturm verschlug das Schiff, von der rechten Fahrt es abtreibend, und führte es nach Sikelien. Sie gelangten nach Syrakus, einer großen und schönen Stadt. Als Habrokomes dort angekommen war, beschloß er die Insel zu durchwandern und nachzuforschen, ob er nichts von Anthien erführe, und kehrte sogleich nah‘ am Meere bey Aegialeus, einem alten Fischer ein. Dieser war arm, und fremd und nährte sich mühsam von seinem Gewerbe. Freundlich nahm er den Habrokomes auf, hielt ihn wie seinen Sohn und liebte ihn außerordentlich. Einst, nach langem Umgange miteinander, erzählte ihm Habrokomes seine Schicksale und sprach von Anthien, von seiner Liebe und seiner Irre. Darauf begann Aegialeus seine Erzählung. »Mein Sohn!« sagte er, »ich bin weder ein Sikeliote, noch ein Eingebohrner, sondern ein Spartiate aus Lakedämon, wo ich einer der Angesehensten und Reichsten war. In meine Jugend – man hatte mich den Jünglingen beygezählt – liebte ich ein Bürgersmädchen, Thelxinoe mit Namen; und Thelxinoe lohnte meine Liebe mit Gegenliebe. Bey einer Nachtfeyer in der Stadt kamen wir zusammen – ein Gott leitete uns – und genossen desjenigen, weßhalb wir zusammenkamen. Eine Zeit lang pflogen wir heimlichen Umgang miteinander und schwuren oft, einander bis an den Tod zu lieben. Da beneidete uns einer der Götter: ich war noch ein Jüngling, als Thelxinoe von ihren Aeltern einem heimischen jungen Manne, Androkles mit Namen, zur Ehe versprochen wurde; auch liebte Androkles sie schon lange. Anfangs suchte das Mädchen unter vielen Vorwänden die Vermählung zu verzögern; endlich aber, da sie mit mir zusammenkommen konnte, gelobt sie des Nachts mit mir Lakedämon zu verlassen. Wir kleideten uns also wie Jünglinge, und ich schor auch in der Brautnacht Thelxinoens Haar. Nachdem wir Lakedämon verlassen hatten, giengen wir nach Argos und Korinthos, und schifften, dort unter Segel gehend, nach Sikelien. Auf die Nachricht von der Flucht, beschlossen die Lakedämonier unsern Tod. Hier litten wir zwar Mangel am Nothwendigen; doch waren wir entzückt und glaubten, alles zu genießen, weil wir beysammen waren. Vor Kurzem ist hier Thelxinoe gestorben; doch habe ich sie nicht begraben, sondern bewahre sie bey mir, liebe sie stets und gehe mit ihr um.« Mit diesen Worten führt er den Habrokomes in das innere Gemach und zeigt ihm Thelxinoen, zwar schon ein altes Weib, für Aegialeus aber noch ein schönes Mädchen. Ihr Leichnam war nach ägyptischer Weise bestattet; denn auch hierin war der Greis erfahren. »Mit ihr nun, mein Sohn Habrokomes!« sagte er, »rede ich stets, wie wenn sie lebte, liege ich bey ihr und esse mit ihr. Komme ich manchmal müde vom Fischfang zurück, so tröstet mich ihr Anblick; denn nicht so, wie sie jetzt dir vorkömmt, erscheint sie mir, sondern ich erinnere mich, mein Sohn, wie sie in Lakedämon, wie sie auf der Flucht war; ich erinnere mich der Nachtfeyer.« Er sprach noch, als Habrokomes klagte: »Unglücklichstes aller Mädchen! wann werde ich dich, wenn auch todt, finden? denn für Aegialeus ist Thelxinoes Körper ein großer Lebenstrost, und nun habe ich in Wahrheit erfahren, daß nicht Jugend die Gränze wahrer Liebe sey. Ich aber irre durch jedes Land und Meer und konnte nichts von dir hören. O unglücklicher Seherspruch! O Apollon, der du uns das Allerhärteste verkündetest, erbarme dich nun und gewähre uns das Ende des Seherspruchs!« So klagte er, und Aegialeus, mit dem er in Syrakus zusammenlebte und bald auch das Gewerbe getheilt hatte, tröstete ihn.

2 Hippothoos hatte schon eine große Bande zusammengebracht, und beschloß Aethiopien zu verlassen und größere Unternehmungen zu machen; denn Mann für Mann auszuplündern, schien ihm nicht genug, wenn er nicht Dörfer und Städte anfiele. Er nahm also seine Genossen zu sich und packte alles auf – er hatte viele Lastthiere und nicht wenige Kamele – verließ Aethiopien, zog nach Aegypten und Alexandria und richtete seine Gedanken wieder auf Phönikien und Syrien. Anthien aber hielt er für todt. Amphinomos, der sie in der Grube bewachte, fühlte sich liebeskrank und konnte sich von dem Mädchen nicht trennen, aus Liebe zu ihr und des bevorstehenden Unglücks wegen. Daher folgte er auch dem Hippothoos nicht, entschwand ihm unter der übrigen Menge und barg sich in einer Höhle mit den Lebensmitteln, die er gesammelt hatte. Mit anbrechender Nacht zog Hippothoos nach einem ägyptischen Dorfe, Areia genannt, um es auszuplündern. Da öffnete Amphinomos die Grube, nahm Anthien heraus und sprach ihr Muth ein. Da sie aber noch Furcht und Argwohn hegte, schwört er bey der Sonne und Aegyptens Göttern, sie rein von Vermählung zu bewahren, bis sie selbst einmal aus Ueberzeugung einwilligte. Anthia glaubt den Schwüren des Amphinomos und folgt ihm. Auch die Hunde verließen sie nicht, sondern liebten sie; denn sie waren an sie gewöhnt. Sie kamen nach Koptos und beschlossen dort einige Tage zu bleiben, bis Hippothoos weiter zog und sorgten für die Hunde, daß sie Lebensmittel hätten. Hippothoos und seine Genossen griffen das Dorf Areia an, mordeten viele Einwohner, brannten die Häuser nieder, und zogen nicht den nämlichen Weg, sondern schifften auf dem Nil fort; denn sie sammelten alle Kähne aus den dazwischen liegenden Dörfern, und stiegen ein, schifften nach Schedia und * * traten dort ans Land und durchzogen das übrige Aegypten.

3 Unterdessen hörte der Statthalter Aegyptens von dem Schicksal Areias, von Hippothoos Räuberbande und, daß sie aus Aethiopien komme. Er rüstete eine Menge Soldaten aus und schickte sie unter der Anführung eines seiner Verwandten, Polyidos, eines schönen und muthigen Jünglings, gegen die Räuber. Polyidos traf mit seinem Heere bey Pelusion auf Hippothoos, und es kam sogleich an den Ufern des Nils zu einem Treffen, in welchem auf beyden Seiten viele sanken. Mit anbrechender Nacht wandten sich die Räuber, und alle wurden von den Soldaten niedergehauen, bis auf wenige, welche gefangen wurden. Nur Hippothoos entfloh, nachdem er die Waffen weggeworfen, und kam des Nachts nach Alexandria. Dort bestieg er in Geheim ein segelfertiges Schiff und gieng in die hohe See. Seine ganze Absicht war auf Sikelien gerichtet, weil er glaubte, er könnte dort am besten verborgen bleiben und Unterhalt finden; denn er hatte gehört, daß die Insel groß und reich sey.

4 Polyidos aber begnügte sich noch nicht mit dem Siege im Treffen gegen die Räuber, sondern glaubte, er müsse nachspüren und Aegypten säubern, vielleicht daß er irgendwo den Hippothoos oder einen seiner Genossen entdeckte. Demnach schiffte er mit einem Theile seines Heeres und den gefangenen Räubern, daß sie, wenn sich einer sehen ließe, ihn anzeigten, den Nil hinauf, durchsuchte die Städte und wollte bis nach Aethiopien ziehen. Auch nach Koptos kamen sie, wo sich Anthia mit Amphinomos befand. Sie war eben zu Hause, als die gefangenen Räuber den Amphinomos erkannten und dem Polyidos anzeigten. Amphinomos wurde gefangen genommen und befragt, wo er alles in Betreff Anthiens gestand. Auf seine Aussage ließ Polyidos das Mädchen herbeybringen und frgte sie bey ihrer Ankunft, wer und woher sie sey. Sie aber sagte die Wahrheit nicht, sondern, sie sey eine Aegypterin und von Räubern gefangen worden. Unterdessen fühlt auch Polyidos heftige Liebe zu Anthien. Doch hatte er in Alexandria eine Gattin. Verliebt, suchte er sie Anfangs durch große Versprechungen zu gewinnen; endlich aber setzten sie ihren Zug nach Alexandria fort. Als sie in Memphis anlangten, wollte er ihr Gewalt anthun. Da sie ihm nicht entfliehen konnte, gieng sie, als eine Flehende, in den Tempel der Isis und sprach: »Gebieterin Aegpytens! rette mich wieder, da du mir oft zu Hülfe kamst; auch Polyidos schone meiner, die ich durch dich dem Habrokomes die Keuschheit bewahrte!« Polyidos fürchtete sich zugleich vor der Göttin, liebte zugleich Anthien und hatte ihres Schicksal wegen mit ihr Mitleid. Er nahte sich allein dem Tempel und schwur, Anthien nimmer Gewalt anzuthun, noch gegen sie zu freveln, sondern sie so lange rein zu bewahren, bis sie selbst wollte; denn ihm, dem Liebenden, däuchte es genug, sie nur zu sehen und mit ihr zu sprechen. Anthia traute den Schwüren, verließ den Tempel und gieng, da sie beschlossen hatten, sich drey Tage in Memphis zu erholen, in den Tempel des Apis. Dieser Tempel ist der berühmteste in Aegypten, und der Gott ertheilt jedem Orakel; denn naht sich ein Flehender und bittet er ihn, so tritt er selbst hervor und die um den Tempel des Gottes stehenden Aegyptier verkünden, entweder in Prose oder in Versen, jede Zukunft. Als Anthia in den Tempel kam, fiel sie vor dem Apis nieder und flehte: »O menschenfreundlichster der Götter! der du dich aller Fremden erbarmest, habe auch mit mir, der Unglücklichen, Mitleid und verkünde mir in Betreff des Habrokomes einen wahrhaften Seherspruch; denn sehe ich ihn noch und erhalte ich ihn zum Gatten, so will ich ausharren und leben; ist er aber gestorben, so ist es schön, mich von diesem elenden Leben zu befreyen.« So sprach sie, weinte und gieng aus dem Tempel; da riefen auf einmal vor dem Heiligthum spielende Knaben: »Anthia wird bald ihren Gatten Habrokomes erhalten.« Darauf wurde sie muthvoller, und flehte zu den Göttern, und sie setzten zugleich ihren Zug nach Alexandria fort.

5 Polyidos Gattin hatte gehört, daß ihr Mann eine Geliebte mitbrachte; aus Furcht aber, die Fremde möchte sie etwa an Gunst übertreffen, sagte sie nichts zum Polyidos, sondern sann auf Strafe für jene, die sie für ihre Nebenbuhlerin hielt. Während Polyidos den Statthalter Aegyptens von den Vorfällen benachrichtete und das übrige bey dem Heere besorgte, was ihm als Führer oblag, läßt Rhenäa – so hieß seine Gattin – in seiner Abwesenheit Anthien kommen – denn sie war im Hause – zerreißt ihr Gewand und mißhandelt sie. »Ruchlose!« sprach sie, »die du meine Ehe nachstielst, vergebens schienst du dem Polyidos schön; denn diese Schönheit wird dir nichts frommen. Räuber konntest du wohl gewinnen, und bey einer Menge berauschter Jünglinge liegen; Rhenäens Lager aber sollst du nimmer ungestraft entweihen!« So sprach sie, schor ihr das Haar, legte sie in Fesseln, und übergab sie einem treuen Diener, Klytos, mit dem Auftrage, sie zu Schiffe zu bringen, nach Italien zu führen und an einen Kuppler zu verkaufen. »Denn so,« sagte sie, »kannst du, die Schöne, deine Wollust sättigen!« Unter Thränen und Wehklagen wurde Anthia vom Klytos fortgeführt. »O der tückischen Schönheit!« rief sie aus, »o der unseligen Wohlgestalt! Warum belästiget ihr mich ohne Unterlaß? Warum erwecket ihr mir so viele Leiden? Nicht Grab, nicht Mord, nicht Fesseln, nicht Räuber waren hinreichend! Ja bald werde ich am Gemache stehen, und zwingen wird mich der Kuppler, die Keuschheit zu verletzen, die ich bis jetzt dem Habrokomes bewahrte.« »Gebieter!« sprach sie, dem Klytos sich zu Füßen werfend, »führe mich nicht auch noch jener Strafe zu, sondern tödte mich! Nimmer werde ich einen Kuppler als Gebieter dulden. Glaube mir, ich bin der Keuschheit gewohnt!« So bat sie und Klytos hatte Mitleid mit ihr und brachte sie nach Italien. Rhenäa aber sagte dem Polyidos, als er nach Hause kam, Anthia sey entflohen; und jener glaubte ihr auch wegen des Vorigen. Anthia kam nach Taras, einer Stadt in Italien, wo sie Klytos, aus Furcht vor Rhenäens Auftrag, an einen Kuppler verkaufte. Als dieser die Schönheit sah, wie er zuvor noch keine geschaut, glaubte er einen großen Vortheil von dem Mädchen zu ziehen, und ließ sie einige Tage ausruhen; denn sie war von der Fahrt und von Rhenäens Foltern ermüdet. – Klytos kehrte nach Alexandria zurück und erzählte der Rhenäa den Vorfall.

6 Hippothoos hatte seine Fahrt vollendet und langte auf Sikelien an; doch nicht in Syrakus, sondern in Tauromenion, und suchte Gelegenheit, sich Unterhalt zu verschaffen. Den Habrokomes aber ergriff in Syrakus mit der Länge der Zeit schrecklicher Gram und Verlegenheit, weil er Anthien nicht finden und nicht glücklich heimkehren konnte. Demnach beschloß er von Sikelien abzusteuern, nach Italien hinaufzureisen und von da, wenn er nichts von dem, was er suchte, fände, die unglückliche Fahrt nach Ephesos anzutreten. Schon lange waren ihre Aeltern und alle Ephesier in großer Trauer, weil weder ein Bote, noch Briefe von ihnen kamen, und ließen sie allenthalben aussuchen. Endlich aber beschlossen ihre Aeltern, dem Gram und der Altersschwäche unterliegend, ihr Leben. Während Habrokomes nach Italien reiste, faßten Leukon und Rhode, Habrokomes und Anthiens Jugendgespielen, da ihr Gebieter in Xanthos gestorben war und ihnen eine große Erbschaft hinterlassen hatte, den Entschluß, nach Ephesos zu schiffen, als wären ihre Gebieter schon glücklich heimgekehrt, und da sie selbst schon genug Ungemachs auf der Reise bestanden hatten. Sie brachten alle ihre Habe zu Schiffe, fuhren nach Ephesos, und kamen, in wenigen Tagen die Fahrt vollendend, nach Rhodos. Als sie aber dort vernahmen, daß Habrokomes und Anthia nicht in Sicherheit, und ihre Aeltern gestorben seyen, beschlossen sie, nicht nach Ephesos zu reisen, sondern eine Zeit lang dort zu bleiben, bis sie etwas von ihren Gebietern erführen.

7 Der Kuppler, welcher Anthien gekauft hatte, zwang das Mädchen nach einiger Zeit, vor dem Gemache zu stehen. Deßhalb schmückte er sie mit einem schönen Gewande und vielem Golde und stellte sie vor dem Kämmerchen zur Schau aus. Anthia weinte laut auf und klagte: »Weh mir Unglücklicher! Die vorigen Unfälle, die Fesseln und Räuber genügten also nicht; ja man will mich auch noch zwingen, meinen Körper Preis zu geben! O der mit Recht mißhandelten Schönheit! Warum verweilest du lästig bey uns? Doch warum traure ich so und ersinne keine List, um die Keuschheit zu schützen, die ich bis jetzt bewahrte?« Unter diesen Worten wurde sie vor das Gemach des Kupplers geführt, der ihr bald Muth einzuflösen suchte, bald drohte. Als sie angelangt und zur Schau ausgestellt war, strömte eine Menge Bewunderer ihrer Schönheit herbey, und viele waren auch bereit, für Geld ihre Lust zu befriedigen. In dieser verzweiflungsvollen Lage ersinnt sie eine List, um der Schmach zu entfliehen. Sie sinkt ohnmächtig zu Boden, diejenigen nachahmend, die an der sogenannten heiligen Krankheit leiden. Die Anwesenden fühlten zugleich Mitleid und Furcht, hemmten ihr Verlangen, sich mit ihr zu vereinen, und pflegten sie. Der Kuppler sah nun ein, zu welchem Schaden er gekommen, und in der Meynung, das Mädchen sey wahrhaft krank, brachte er sie nach Hause, legte sie nieder und pflegte sie. Als er sah, daß sie wieder zu sich gekommen, fragte er sie um die Ursache der Krankheit, und sie erwiederte: »Gebieter! schon zuvor wollte ich dir mein Unglück erzählen und meinen Zustand entdecken; aus Scham aber hielt ich ihn geheim. Doch jetzt ist es mir nicht schwer, mit dir darüber zu reden, weil du schon meine ganze Lage kennst. Als ein noch kleines Mädchen ward ich bey einem Feste und einer Nachtfeyer von den Meinigen getrennt, und stieß auf das Grab eines vor Kurzem gestorbenen. Da sprang, wie es mir däuchte, jemand aus dem Grabe heraus und wollte mich ergreife; ich floh und schrie. Der Mensch hatte ein fürchterliches Aussehen und eine noch schrecklichere Stimme. Endlich, als es Tag ward, verließ er mich, schlug mich auf die Brust und sagte, er habe mir dieses Krankheit verursacht. Von dieser Zeit an ergreift mich bald so, bald anders das Uebel. Doch bitte ich dich, Gebieter, zürne mir nicht; denn ich bin nicht Ursache daran. Du kannst mich ja wieder verkaufen und darfst nichts von dem Gelde verlieren, das du für mich gabst.« Dieses schmerzte zwar den Kuppler; doch verzieh er Anthien, als wenn sie dieses wider ihren Willen litte.

8 Anthia ward nun als eine Kranke bey dem Kuppler gepflegt; Habrokomes aber fuhr von Sikelien ab und kam nach Nukerion in Italien. Doch wußte er aus Mangel an Unterhalt nicht, was er thun sollte und gieng Anfangs umher, Anthien zu suchen; denn sie war der Grund seines ganzen Lebens und seiner Irre. Da er keine Spur entdeckte – denn das Mädchen war in Taras bey dem Kuppler – diente er als Steinmetz. Diese Arbeit war ihm aber zu drückend; denn sein Körper war nicht gewohnt, sich schweren und rauhen Arbeiten zu unterziehen. Er fühlte sich unglücklich und klagte oft über sein Schicksal. »Sieh Anthia!« sagte er, »dein Habrokomes treibt eine mühsame Kunst, und hat sich der Knechtschaft hingegeben! Hätte ich Hoffnung, dich zu finden und mein übriges Leben mit dir hinzubringen, so wäre dieses der allergrößte Trost für mich. Nun aber mühe ich Unglücklicher mich vielleicht eitel und vergebens; und du bist vielleicht irgendwo aus Sehnsucht zu Habrokomes gestorben; denn ich bin überzeugt, Geliebte, daß du auch im Tode meiner nicht vergaßest.« So klagte er und bestand mit Mühe seine Arbeiten. Unterdessen hatte Anthia in Taras im Schlafe einen Traum. Es schien ihr nämlich, als sey sie bey Habrokomes, die Schöne bey dem Schönen, als sey es die erste Zeit ihrer Liebe. Auch sah sie ein anderes schönes Mädchen, das den Habrokomes von ihr abzog; endlich, als er aufschrie und sie beym Namen nannte, erwachte sie und der Traum verschwand. Nach diesem Gesichte sprang sie sogleich auf, klagte und glaubte, das, was sie gesehen, sey wahrhaft. »Weh mir Unglücklicher!« sprach sie, »ich dulde alle Mühen, bestehe mannigfache Unfälle, ich Unselige! und sinne Mittel aus, die die Fassungskraft eines Weibes übersteigen, um dem Habrokomes die Keuschheit zu bewahren! Doch du hast vielleicht irgendwo eine andere Schöne gefunden; denn dieses zeigen mir die Traumgesichte an. Wozu nun soll ich noch leben? wozu mich härmen? Schöner ist es nun zu sterben, mich von diesem elenden Leben zu befreyen und aus dieser entehrenden und gefahrvollen Knechtschaft zu retten. Hat auch Habrokomes die Schwüre gebrochen, so mögen nimmer die Götter ihn strafen! Sicher geschah es nur aus Zwang; mir aber geziemt es, keusch zu sterben.« So sprach sie, weinte und sann darauf, ihr Leben zu enden.

9 Hippothoos, der Perinthier, führte Anfangs, aus Mangel an Unterhalt, in Tauromenion ein mühevolles Leben. Nach einiger Zeit aber gewann ihn eine alte Frau lieb und er heurathete sie auch von Noth bedrängt. Er war nicht lange mit ihr vermählt, als sie starb, und ihm vielen Reichthum und Ueberfluß hinterließ; ein großes Geleit von Dienern, einen großen Vorrath an Gewändern und ein prächties Hausgeräth. Er beschloß nach Italien zu schiffen, blühende Sklaven und Dienerinnen zu kaufen und einen andern Hausrath, so wie er einem reichen Manne ziemt. Stets erinnerte er sich an Habrokomes und wünschte ihn aufzufinden, sich für glücklich halten, sein ganzes Vermögen und seine Schätze mit ihm zu theilen. Er fuhr in die hohe See und kam nach Italien. Ihm folgte ein edler Jüngling aus Sikelien, Kleisthenes, und nahm an allen seinen Schätzen Theil; denn er war schön. Als Anthia wieder gesund schien, war der Kuppler sogleich darauf bedacht, sie zu verkaufen, führte sie demnach auf den Markt und stellte sie zum Verkaufe aus. Unterdessen durchwandelte Hippothoos die Stadt Taras, in der Absicht, wenn er etwas Schönes sähe, es zu kaufen. Er sieht Anthien, erkennt sie, staunt über den Vorfall und sann vieles bey sich. »Ist dieses nicht das Mädchen, das ich einst in Aegypten, Anchialos Mord rächend, in eine Grube verscharrte, und mit Hunden einkerkerte? Welche eine Veränderung? Wie ward sie gerettet? Wie entfloh sie aus der Grube? Welch eine sonderbare Rettung?« So sprach er und trat hinzu, in der Absicht, sie zu kaufen. »Mädchen!« sagte er, als er ihr nahe stand, »kennst du Aegypten nicht? Bist du nicht dort in Räuberhände gefallen? Hast du sonst nichts Schreckliches in jenem Lande erduldet? Sage es mir getrost; denn ich kenne dich von dorther.« Als sie von Aegypten hörte und sich des Anchialos, der Räuber und der Grube erinnerte, heulte und klagte sie und sprach, auf Hippothoos blickend, den sie keineswegs kannte: »Fremdling! wer du immer bist, viel Schreckliches habe ich in Aegypten erduldet und bin auch in Räuberhände gefallen. Doch sage mir, wie weißt du um meine Schicksale? Woher kennst du mich, die Unglückliche? Denn Berüchtigtes und Schmähliches habe ich erlitten; dich aber kenne ich ganz und gar nicht.« Als Hippothoos dieses hörte, erkannte er sie noch mehr aus dem, was sie sprach; doch schwieg er damals. Er kaufte sie von dem Kuppler, nahm sie mit sich und sprach ihr Muth ein; auch sagte er, wer er sey, erwähnt der Auftritte in Aegypten und erzählt ihm, daß sie den Anchialos seiner Unenthaltsamkeit wegen ermordet, von der Grube, vom Amphinomos, von der Freundlichkeit der Hunde und von der Rettung. Hippothoos erbarmte sich ihrer; doch fragte er sie noch nicht, wer sie sey. Durch den täglichen Umgang mit dem Mädchen wird auch er von Sehnsucht nach ihr entflammt, wünschte sich mit ihr zu vereinen und versprach ihr vieles. Anfangs widersetzte sie sich ihm und gab vor, sie sey des Lagers ihres Gebieters nicht würdig. Endlich aber, da er ihr anlag und sie nicht wußte, was sie thun sollte und es für schöner hielt, ihm alle Geheimnisse zu enthüllen, als dem Habrokomes das Gelübde zu brechen, erzählt sie ihm vom Habrokomes, von Ephesos, von ihrer Liebe, von ihren Schwüren, von ihren Unfällen, von den Räubern, und klagte stets um Habrokomes. Als Hippothoos hörte, daß sie Anthia, daß sie die Gattin seines innigsten Freundes sey, umarmte er sie, sprach ihr Muth ein, und erzählte ihr seine Freundschaft zum Habrokomes. Auch behielt er sie im Hause, trug, aus Achtung gegen Habrokomes, alle Sorgfalt für sie, und forschte allenthalben nach, ob er ihn nicht irgendwo fände.

10 Dieser arbeitete Anfangs mühsam in Nukerion, und beschloß endlich, da er sich den Mühen nicht mehr gewachsen fühlte, ein Schiff zu besteigen und nach Ephesos zu reisen. Er gieng des Nachts an das Meer, traf dort ein segelfertiges Schiff, stieg ein und begab sich wieder nach Sikelien, um von da nach Kreta, nach Kypros und Rhodos zu gelangen und dann nach Ephesos zurückkehren, in der Hoffnung, er werder auf der langen Reise auch etwas von Anthien erfahren. Mit wenigen Lebensmitteln zu Schiffe gehend und die Fahrt vollendend, kömmt er Anfangs nach Sikelien, und findet seinen vorigen Gastfreund, Aegialeus, todt. Er brachte ihm Opfer, vergoß viele Thränen, gieng wieder in die See und steuerte Kreta vorbey, worauf er nach Kypros kam. Nachdem er hier einige Tage verweilt und der vaterländischen Göttin der Kyprier gefleht, gieng er in die See und gelangte nach Rhodos, wo er in der Nähe des Hafens einkehrte. Als er schon nahe bey Ephesos war und sich an alle Unfälle erinnerte: an die Vaterstadt, an die Aeltern, an Anthien und an die Diener, seufzte er auf und sprach: »Weh mir Unglücklichem! allein werde ich nach Ephesos gelangen, ohne Anthien werde ich meinen Aeltern erscheinen, vergeblich wird meine Fahrt seyn und ich werde vielleicht unglaubliche Dinge erzählen, weil ich keinen Theilnehmer meiner Leiden habe. Doch mäßige dich, Habrokomes, und friste, kömmst du nach Ephesos, auf kurze Zeit dein Leben, erhöhe Anthien ein Grab, beweine sie, bringe Todtenopfer und lege dich hierauf selbst neben sie!« So sprach er und irrte ängstlich durch die Stadt, ohne Anthien, ohne Unterhalt. Unterdessen weiheten Leukon und Rhode während ihres Aufenthalts in Rhodos im Tempel des Helios neben der goldenen schweren Rüstung, welche Anthia und Habrokomes geweiht, eine Säule mit goldenen Buchstaben für Habrokomes und Anthien; auch standen die Namen der Weihenden darauf: Leukon und Rhode. Auf diese Säule traf Habrokomes, da er eben gekommen, um dem Gotte zu flehen. Als er die Nachricht las, die Weihenden und das Wohlwollen der Diener erkannte und in der Nähe die schwere Rüstung sah, klagte er laut auf, neben der Säule sitzend. »O ich Unglücklichster!« rief er aus. »Am Ziele des Lebens stehe ich und erinnere ich mich meiner Unfälle wieder. Sieh, diese Rüstung habe ich mit Anthien geweiht, mit ihr schiffte ich von Rhodos ab und nun komme ich ohne sie zurück! Haben unsere Jugendgespielen für uns beyde diese Säule geweiht, was soll es mir allein frommen? Wo finde ich meine Geliebten?« Während er so klagte und weinte, erschienen Leukon und Rhode, ihrer Gewohnheit gemäß dem Gotte zu flehen, sahen ihn neben der Säule sitzen und auf die Rüstung schauen; sie kannten ihn nicht und wunderten sich, wer er wohl wäre, daß er bey fremden Weihgeschenken verweilte. Endlich sprach Leukon: »Jüngling! weßhalb jammerst und klagst du, neben Weihgeschenken sitzend, die dich nichts angehen? Welchen Antheil hast du an den hier aufgezeichneten?« »Mich,« erwiederte Habrokomes, »mich betreffen die Weihgeschenke Leukons und Rhodens, und sie möchte ich, der unglückliche Habrokomes, nächst Anthien wieder sehen.« Bey diesen Worten staunten sie und erkannten ihn, nachdem sie sich allmählig erholt hatten, aus seiner Gestalt, aus seiner Stimme, aus seinen Reden und aus dem, was er von Anthien erwähnte. Sie fallen ihm zu Füßen und erzählen ihm ihre Schicksale, von ihrer Reise nach Syrien, von dem Zorne der Manto, von der Ausstattung, von der Verkaufung, von Lykien, von dem Tode ihres Gebieters, von ihrem Reichthum und von der Rückkehr nach Rhodos. Sie nahmen ihn mit sich in das Haus, wo sie wohnten, übergaben ihm ihre Schätze, pflegten ihn sorglich und sprachen ihm Muth ein. Ihm aber gieng nichts über Anthien; sie beweinte er unabläßig.

11 Während er mit seinen Jugendgespielen in Rhodos verweilte, und rathschlagte, was er thun sollte, beschloß Hippothoos, Anthien von Italien nach Ephesos zu führen, um sie ihren Aeltern zu übergeben und dort etwas vom Habrokomes zu hören. Er lud alle seine Habe auf ein großes ephesisches Fahrzeug, gieng mit Anthien in die See und kam, bey günstigem Winde in wenigen Tagen die Fahrt vollendend, des Nachts in Rhodos an. Dort kehrte er nahe am Meere bey einer alten Frau, Althäa mit Namen, ein; auch Anthien führte er zu seiner Gastwirthin, und schlief jene Nacht allein. Schon wollten sie den folgenden Tag die Fahrt antreten, als so eben der Rhodier-Staat dem Helios ein prächtiges Fest mit Aufzug und Opfern begieng, und eine Menge Bürger dieser Feyer beywohnte. Auch Leukon und Rhode waren zugegen, nicht so wohl, um an dem Feste Theil zu nehmen, als vielmehr zu forschen, ob sie nicht von Anthien erführen. Unterdessen kam Hippothoos mit Anthien in den Tempel. Als diese die Weihgeschenke ansah und sich der Vorzeit erinnerte, sprach sie: »Helios, der du auf die Schicksale aller Menschen niederschauest, und auf mich allein, die Unglückliche, nicht achtest! Beglückt flehte ich zu dir, als ich zuvor in Rhodos war, opferte mit Habrokomes, und galt damals für eine Glückliche; jetzt aber bin ich eine Sklavin statt einer Freyen, eine Gefangene, die Unglückliche statt der Unglücklichen! Allein komme ich nach Ephesos und werde ohne Habrokomes meinen Verwandten erscheinen!« So sprach sie, vergoß viele Thränen, und bath den Hippothoos um Erlaubniß, einen Theil ihres Haares abzuschneiden, es dem Helios zu weihen und für Habrokomes zu flehen. Hippothoos willigt ein; und sie schneidet sich von ihren Locken, so viel sie konnte, ab, und weiht sie, da sie, fern von allen, eine schickliche Gelegenheit findet, mit der Aufschrift: FÜR. IHREN. GATTEN. HABROKOMES. WEIHT. ANTHIA. DIESES. HAAR. DEM. GOTTE. Nachdem sie dieses gethan und gefleht hatte, gieng sie mit Hippothoos weg.

12 Leukon und Rhode, welche unterdessen dem Aufzuge beygewohnt hatten, nahen sich dem Tempel, schauen die Weihgeschenke, erkennen die Namen der Gebieter, küssen zuerst das Haar und vergießen viele Thränen, wie wenn sie Anthien sähen. Endlich giengen sie umher, ob sie sie nicht irgendwo finden könnten; das Volk der Rhodier aber kannte ihre Namen schon von dem vorigen Aufenthalte. Da sie jenes Tages nichts fanden, so kehrten sie nach Hause und zeigten dem Habrokomes an, was sie im Tempel gesehen. Diese unerwartete Begebenheit gieng ihm zu Herzen; doch war er guter Hoffnung, Anthien wieder zu finden. Den folgenden Tag kam Anthia mit Hippothoos wieder in den Tempel, weil sie nicht fortfuhren. Sie setzte sich zu den Weihgeschenken, weinte und seufzte. Unterdessen traten Leukon und Rhode herein – den Habrokomes, der eben deßhalb von Muthlosigkeit ergriffen war, hatten sie zu Hause gelassen – sehen bey ihrer Ankunft Anthien, kannten sie aber noch nicht; doch verglichen sie alles: Liebe, Thränen, Weihgeschenke, Namen und Gestalt. So erkannten sie sie allmählig, fielen ihr zu Füßen und lagen stumm da. Anthia konnte nicht begreifen, wer sie wären und was sie wollten; denn sie hätte nimmer Leukon und Rhoden gehofft. Als sie zu sich kamen, sagten sie: »O Gebieterin Anthia! wir sind deine Diener, Leukon und Rhode, welche die Reise und die Knechtschaft bey den Räubern mit dir theilten. Doch welch ein Zufall führt dich hieher? Sey getrost, Gebieterin! Habrokomes ist gerettet; er ist hier und weint stets um dich.« Diese Rede brachte Anthien außer sich, und mit Mühe sich fassend und sie erkennend, umschlingt und umartm sie sie und erfährt auf das genaueste, was den Habrokomes betraf.

13 Auf die Nachricht, Anthia und Habrokomes seyen gefunden, strömte alles Volk der Rhodier zusammen. Unterdessen erschien auch Hippothoos, wurde von Leukon und Rhoden erkannt, und erfuhr selbst, wer sie seyen. So hatte sich alles glücklich gefügt; nur Habrokomes wußte noch nichts davon. Sie liefen sogleich nach Hause. Habrokomes aber – er hatte von einem Rhodier gehört, daß Anthia gefunden sey – lief wie ein Rasender, »Anthia« rufend, mitten durch die Stadt; endlich trifft er sie bey dem Tempel der Isis, und es folgte ihnen eine große Menge Volkes. Als sie einander sahen, erkannten sie sich sogleich – denn darnach verlangte ihre Seele – umschlangen einander und sanken zu Boden. Viele Gemüthsbewegungen bedrängten sie zugleich: Lust, Trauer, Furcht, Rückerinnerung an die Vergangenheit und Angst vor der Zukunft. Das Rhodier Volk wünschte ihnen Glück und jauchzte, die mächtige Göttin Isis anrufend. »Wir sehen wieder« riefen sie, »Habrokomes und Anthien, die Schönen!« Nachdem sie sich erholt hatten und aufgestanden waren, giengen sie in den Tempel der Isis. »Dir, mächtigste Göttin!« sprachen sie, »danken wir für unsere Rettung; durch dich, Ehrwürdigste von allen! haben wir einander wieder gefunden.« Auch warfen sie sich vor dem Tempel zu Boden und fielen vor dem Altar nieder. Dann begaben sie sich in Leukons Wohnung – auch Hippothoos ließ seine Habe zu Leukon bringen – und sie waren bereit zur Abreise nach Ephesos. An diesem Tage opferten sie und bey dem Gastmahle erzählten sie Vieles und Mannigfaches von allem, was jeder gelitten und gethan; und da sie endlich jetzt wieder vereinigt waren, so setzten sie das Mahl noch lange fort. Da es schon Nacht geworden, so legten sich alle zur Ruhe, Leukon und Rhode, Hippothoos und der Jüngling aus Sikelien, der ihm nach Italien folgte, der schöne Kleisthenes. Auch Anthia ruhte beym Habrokomes.

14 Während die übrigen alle schliefen und tiefe Stille herrschte, umschlang Anthia den Habrokomes und weinte. »Mann und Gebieter!« sagte sie, »ich habe dich wieder gefunden, nachdem ich viele Länder und Meere durchgeirrt und den Drohungen der Räuber, den Nachstellungen der Corsare, dem Frevel des Kupplers, den Fesseln, der Grube, den Hölzern, dem Gifttranke und dem Grabe entronnen; doch komme ich eben so zu dir, Habrokomes, Gebieter meines Herzens! wie ich Anfangs aus Tyros nach Syrien schied. Keiner konnte mich zum Falle bereden, nicht Möris in Syrien, nicht Perilaos in Kilikien, nicht in Aegypten Psammis und Polyidos, nicht Anchialos in Aethiopien, nicht in Taras der Gebieter. Rein bin ich dir geblieben, jede List anwendend, um meine Keuschheit zu bewahren. Doch bist auch du, Habrokomes, keusch geblieben? Hat keine andere Schöne mir den Vorzug abgewonnen? Hat dich niemand genöthigt, der Schwüre und meiner zu vergessen?« So sprach sie und küßte ihn unabläßig, und Habrokomes erwiederte: »Ja, ich schwöre dir, bey dem ersehnten und mit Mühe gefundenen Tage, daß weder irgend ein Mädchen mir schön däuchte, noch der Anblick eines andern Weibes mich fesselte; ja du hast den Habrokomes so rein erhalten, als du ihn in Tyros im Gefängnisse zurückließest.« So rechtfertigten sie sich die ganze Nacht durch, und überzeugten einander.

15 Als es Tag ward, brachten sie alle ihre Habe zu Schiffe, stiegen ein und fuhren in die hohe See, unter der Geleitung des ganzen Rhodier Volkes. Auch Hippothoos reiste mit, sammt allen Schätzen und Kleisthenes. In wenigen Tagen vollendeten sie die Fahrt und kamen in Ephesos an. Von ihrer Rettung wußte schon die ganze Stadt. Als sie ausstiegen, giengen sie sogleich, wie sie waren, in den Tempel der Artemis, flehten vieles, opferten und brachten unter andern Weihgeschenken der Göttin auch ein Gemählde dar, auf dem alles, was sie erlitten und gethan, abgebildet war. Dann giengen sie in die Stadt hinauf und erhöhten ihren Aeltern große Denkmäler; denn sie waren vor Alter und Gram vor der Zeit gestorben. Sie selbst feyerten ihr übriges Leben wie ein Fest; und Leukon und Rhode nahmen an allen Angelegenheiten ihrer Jugendgespielen Theil. Auch Hippothoos beschloß seine übrigen Tage in Ephesos zuzubringen. Er erhöhte dem Hyperanthes ein großes Grabmal in Lesbos, nahm den Kleisthenes an Kindes Statt an und lebte mit Habrokomes und Anthien in Ephesos.