8. Buch
Übersetzung
1 [208] Die Unternehmungen des Maximinus nach dem Tode Gordians, seine Ankunft in Italien, der Abfall Libyens und die in Rom ausgebrochene Zwietracht zwischen Volk und Soldaten sind in den vorhergehenden Abschnitten erzählt worden. Sobald Maximinus an den Gränzen Italiens angelangt war, schickte er Kundschafter voraus, um in Erfahrung zu bringen, ob etwa in den Gebirgsschluchten und Waldgründen Hinterhalte versteckt seien. Er selbst führte sein Heer auf das Blachfeld, ordnete die Legionen des schwerbewaffneten Fußvolks in Vierecke von mehr Breite als Tiefe, um möglichst viel Terrain zu beherrschen, stellte alles Gepäck, sowohl Saumthiere als Wagen in die Mitte, und bildete selbst an der Spitze seiner Leibgarde den Nachtrab. Die Flanken deckten die Geschwader der Panzerreiter nebst Maurusischen Speerschleuderern und orientalischen Bogenschützen. Auch Germanische Reiter führte er in großer Anzahl als Bundesgenossen mit sich, die er vorzugsweise in’s Vordertreffen zu stellen pflegte, um die ersten Angriffe der Feinde auszuhalten, weil sie beim Beginn des Kampfs voll Muth und Kühnheit, aber wenn’s ernstliche Gefahr gilt, wie alle Barbaren nicht viel werth sind. So zog das Heer in guter Ordnung und Haltung über die ganze Ebene, und kam an die erste Italische Stadt, welche die Eingebornen [209] Hēma nennen. Sie liegt am äußersten Ende jener Ebene unmittelbar am Fuße der Alpen. Dort trafen die dem Heere voraufgeschickten Kundschafter und Späher bei dem Maximinus ein mit dem Berichte: die Stadt sei menschenleer, alle Einwohner seien entflohen, nachdem sie die Thüren der Heiligthümer und Häuser in Brand gesteckt, und alle in der Stadt oder auf dem Lande befindlichen Vorräthe theils fortgeschleppt, theils verbrannt hätten, so daß weder für Zugvieh noch für Menschen Nahrungsmittel mehr vorhanden seien. Maximinus war zwar erfreut über diese plötzliche Flucht der Italioten, weil er meinte, daß alle städtischen Bevölkerungen es ebenso machen, und keine seinen Angriff zu bestehen wagen werde; aber sein Heer murrte, da es sich gleich beim Anfange des Feldzugs von Hungersnoth heimgesucht sah. Man übernachtete theils in der Stadt in thürlosen und von allem Hausrath entblößten Häusern, theils auf dem offenen Felde, und marschirte dann mit Sonnenaufgang weiter auf die Alpen zu. Dieses übermäßig lange Gebirge hat die Natur selbst als eine Schutzmauer Italiens emporgethürmt, mit seiner Höhe, die bis in die Wolken reicht, und mit seiner gewaltigen Längenausdehnung, die ganz Italien durchschneidend sich auf der rechten Seite Italiens bis an das Tyrrhenische Meer, auf der linken bis zum Ionischen Meerbusen erstreckt. Bedeckt ist es mit dichten ununterbrochenen Wäldern, und seine Pässe sind theils durch schroffe aufgerissene Abhänge von fürchterlicher Tiefe, theils durch die Rauhheit des Felsgesteins eng und schwer zu passiren. Es sind eigentlich nur Fußpfade von Menschenhand gemacht, und von den uralten Bewohnern Italiens mit großer Mühe angelegt. So zog das Heer mit großer Besorgniß hindurch, weil sie jeden Augenblick erwarteten, die Höhen besetzt und die Pässe zur Verhinderung ihres Durchmarsches gesperrt zu finden. Ihre Erwartung und Furcht war in der That gegründet, sofern sie die Natur und Beschaffenheit der Gegenden in Betracht zogen.
2 Als sie aber ungehindert und von Niemandem angefochten den Durchzug bewerkstelligt hatten, und vom Gebirge hinab in’s Lager [210] rückten, da wurden sie wieder guten Muths, und sangen Jubellieder. Maximinus hegte jetzt das feste Vertrauen, daß ihm Alles leicht von Statten geben werde, da die Italer nicht einmal den Muth gebabt hätten, die Schwierigkeiten ihres Terrains sich zu Nutze zu machen, wo sie leicht im Stande gewesen wären, sich selbst zu schützen, oder ihn aus Hinterhalten anzugreifen, und von den Gebirgshöhen herab den Kampf gegen ihn zu führen. Als aber sein Heer im Thale angekommen war, meldeten die Kundschafter: eine der größten Städte Italiens, Aquileja1, habe ihre Thore geschlossen; die voraufgeschickten Schaaren der Päonier hätten zwar muthig die Mauern berennt, aber da sie nach mehrmaligen Sturmangriffen nichts ausgerichtet, seien sie muthloß geworden, und zögen sich unter großem Verluste durch Steinwürfe und Wurfspieße und durch zahlreiche Pfeilschüsse zurück. Maximinus gerieth in Zorn gegen die Anführer der Päonier, denen er Schlaffheit im Kampfe vorwarf, und eilte selbst mit dem Hauptheer heran, in der Hoffnung, die Stadt ohne Mühe zu nehmen. Aquileja besaß schon längst als eine sehr umfangreiche Stadt eine starke eigene Bevölkerung. Ihre Lage am Meere machte sie zu einem Hauptstapelplatz von Italien, und zu einer Art Vorstadt aller Illyrischen Völkerschaften, und gewährte ihr die Möglichkeit, die zu Lande oder durch Flußschifffahrt ihr zugebrachten Produkte des Festlandes zur See auszuführen, und umgekehrt die auf dem Seewege ihr zugeführten Produkte und Bedürfnisse, deren Erzeugung das rauhe Klima des dortigen Festlandes nicht begünstigte, den Bewohnern desselben landaufwärts zukommen zu lassen. Da sie auf ihrem dazu besonders günstigen Gebiete starken Weinbau trieben, so versandten sie den Ueberfluß dieses Getränks in solche Gegenden, deren Bewohner den Weinstock nicht kultivirten. In Folge aller dieser Umstände lebte dort außer einer großen Zahl städtischer Einwohner auch eine große Masse von Fremden und Kaufleuten. Gerade um die gegenwärtige [211] Zeit aber war diese Volksmasse noch stark vermehrt worden durch die Menge der Menschen, welche aus den verlassenen Flecken und Dörfern der Umgegend dorthin zusammenströmte, um Schutz in der großen Stadt und hinter ihrer Befestigungsmauer zu suchen, welche jedoch sehr alt und seit einiger Zeit größtentheils in Verfall gerathen war, weil seit der Römerherrschaft die Städte in Italien nicht mehr Mauern oder Waffen bedurften, indem sie statt der früheren Kriege eines tiefen Friedens und des römischen Bürgerrechts genossen. Damals aber hatte der Drang der Noth sie gezwungen, eiligst die Mauern zu erneuern, die verfallenen Theile wiederherzustellen, und Thürme und Zinnen aufzurichten. Nachdem sie auf diese Art so schnell als möglich die Stadt durch eine Schutzmauer in Vertheidigungszustand gesetzt hatten, verrammelten sie die Thore, hielten Tag und Nacht die Mauern stark besetzt, und wiesen jeden Angriff zurück. Den Oberbefehl und die Sorge für das Ganze führten zwei Männer, gewesene Konsuln, vom Senate dazu auserwählt, von denen der eine Crispinus, der andere Meniphilus hieß. Diese hatten sehr vorsorglich die Stadt mit möglichst großen Vorräthen versehen, so daß Alles ausreichend vorhanden war, selbst für den Fall einer längeren Belagerung. Auch war Trinkwasser reichlich vorhanden, denn es gibt viele Cisternen in der Stadt, und hart an ihrer Mauer fließt ein Fluß, der zugleich den Schutz eines Grabens und Ueberfluß an Wasser gewährt.
3 Solche Vorkehrungen also hatte man in der Stadt getroffen. Als nun Maximinus erfuhr, daß die Stadt gehörig verwahrt und gesperrt sei, beschloß er, unter dem Scheine einer Gesandtschaft Leute abzuschicken, welche mit denen auf der Mauer verhandeln und sie zu bewegen suchen sollten, die Thore zu öffnen. In seinem Heere befand sich ein Oberster, dessen Vaterstadt Aquileja, und dessen Frau und Kinder, sowie alle seine Verwandten in der Stadt eingeschlossen waren. Diesen also sandte er mit einigen andern Hauptleuten niederen Ranges, weil er hoffte, daß dessen Worte als die eines Bürgers vorzugsweise Gehör finden würden. An Ort und Stelle gekommen, sagten die Abgesandten: Maximinus, ihr gemeinsamer Kaiser, befehle ihnen, [212] friedlich die Waffen niederzulegen, ihn als Freund statt als Feind aufzunehmen, und lieber an Unterhandlungen und Opfer, als an Blutvergießen zu denken, auch nicht zu übersehen, daß sonst ihre Vaterstadt Gefahr laufe, mit Stumpf und Stiel ausgerottet und von Grund aus zerstört zu werden, während es jetzt noch in ihrer Hand stehe, sich und ihre Vaterstadt zu retten, indem ihr allergnädigster Kaiser ihnen Amnestie und Vergebung aller ihrer Vergehen gegen ihn anbiete. Denn nicht sie seien die Schuldigen, sondern andere. Solche Botschaft also riefen die unten stehenden Abgesandten denen auf der Mauer mit erhobener Stimme zu, um sich ihnen verständlich zu machen. Das Volk aber, das in großer Anzahl auf der Mauer und den Thürmen stand, soweit es nicht mit der Bewachung anderer Theile beschäftigt war, hörte ruhig an, was sie sprachen. Crispinus aber, welcher besorgte, das Volk möchte, wie es nun eben seine Art ist, den Versprechungen Glauben schenken, und den Frieden dem Kriege vorziehend die Thore öffnen, eilte überall auf der Mauer umher, und bat und beschwor die Bürger: sie möchten standhaft bleiben, und tapfer Widerstand leisten, und keinen Treubruch an Senat und Volk von Rom begehen, sondern sich vielmehr als Retter und Vorkämpfer von ganz Italien in die Geschichte einschreiben. Auch sollten sie den Versprechungen eines meineidigen und betrügerischen Tyrannen keinen Glauben schenken, und sich nicht, geködert durch lockende Reden, einem sichern Verderben überliefern, während es in ihrer Hand stehe, das Kriegsglück, das sich so gut für sie, wie gegen sie entscheiden könne, zu versuchen. „Denn, sagte er, schon oft hat die Minderzahl den Sieg über die Mehrzahl davon getragen, und die, welche für die Schwächeren galten, haben die, welche sich ihnen an Tapferkeit überlegen glaubten, niedergeworfen.“ Auch von der großen Heeresmasse dürften sie sich nicht schrecken lassen. „Denn, sprach er, die, welche für einen Andern fechten, der, wenn es glücklich geht, den Vortheil davon hat, pflegen nur mäßige Kampflust zu haben, denn sie wissen, daß sie zwar von den Gefahren ihr Theil abbekommen, daß aber ein Anderer alle Hauptfrüchte des Sieges für sich erntet. Die aber für ihr Vaterland kämpfen, haben auf ihrer Seite auch größeren Anspruch auf den Beistand der Götter, da ja ihre Wünsche und Gebete nur darauf gerichtet sind, das Ihrige zu wahren, nicht [213] Andrer Eigenthum zu rauben. Und ihren Schlachtenmuth verleiht ihnen nicht fremdes Kommando, sondern die eigene innere Nöthigung, da ja auch die ganze Frucht des Sieges ihnen zu Gute kommt.“ Durch solche Worte, die er bald zu Einzelnen, bald zur Gesammtheit sprach, bewog sie Crispinus, der außerdem von Natur ein würdiges Aeußere und große Redegewandtheit in der römischen Sprache, sowie den Ruf eines tüchtigen Anführers besaß, auf ihren früheren Beschlüssen fest zu beharren, und auf seinen Befehl mußten die Abgesandten unverrichteter Sache abziehen. Es hieß damals, er habe auf die Fortsetzung des Krieges bestanden, weil eine große Menge von erfahrenen Opferschauern und Eingeweidewahrsagern, die sich in der Stadt befanden, meldeten, daß die Opferzeichen günstig seien. Auf diese Opferschau gaben nämlich die Italioten sehr viel. Auch wurden mehrere Orakelsprüche kund gemacht, in welchen ihr heimischer Gott ihnen Sieg versprach. Sie nennen denselben Belis, und weihen ihm eine vorzügliche Verehrung, indem sie ihn für Apollo halten2. Auch erzählten später einige Soldaten des Maximinus, sein Bild sei mehrmals in der Luft für die Stadt streitend erschienen. Ob dies nun wirklich Manchen ihre Phantasie vorgespiegelt haben mag, oder ob sie es nur vorgaben, weil sie die Schande nicht auf sich haben wollten, daß ein so großes Heer gegen einen an Zahl viel geringeren Haufen bürgerlichen Volks nichts habe ausrichten können, und sich lieber den Anschein geben wollten, als seien sie von Göttern und nicht von Menschen besiegt worden, lasse ich dahin gestellt. Allein der unerwartete Ausgang macht Alles glauben.
4 Wie dem nun sein mag, genug, Maximinus ging, als die Abgesandten unverrichteter Sache zu ihm zurückkehrten, mit noch [214] größerer Leidenschaft und Wuth vorwärts. Als er an einen großen Fluß3 kam, der sechzehn Meilensteine von der Stadt entfernt ist, fand er die Strömung überaus tief und breit. Denn die beginnende warme Jahreszeit, welche auf den oberhalb liegenden Gebirgen die während des ganzen Winters fest aufgethürmten Schneemassen zu schmelzen begann, hatte den Gebirgsstrom übermäßig stark angeschwellt. Das Heer wußte daher nicht, wie es den Uebergang bewerkstelligen sollte. Denn die Brücke, ein gewaltiges und wunderschönes Werk der früheren Kaiser, von Quadersteinen, auf Bogen ruhend, die allmälig immer größer wurden, hatten die Aquilejaner zerstört und abgebrochen, und so stand ohne Brücke und ohne Schiffe das Heer rathlos da. Einige Germanen, welche die starke und reißende Strömung der Italischen Flüsse nicht kannten, sondern meinten, dieselben flößen sanft durch die Ebenen, wie ihre heimischen Ströme (die deshalb auch leicht gefrieren, weil die Strömung keine starke Bewegung hat), warfen sich mit ihren an das Durchschwimmen gewöhnten Pferden hinein, aber der Strom riß sie fort, und sie kamen um. Zwei oder drei Tage verweilte Maximinus hier am Ufer, wo er das Heer hatte ein Lager aufschlagen, und dasselbe zum Schutz gegen Ueberfälle mit einem Graben umgeben lassen, und überlegte, wie er es machen solle, den Strom zu überbrücken. Da es an Bauholz, sowie an Fahrzeugen mangelte, durch deren Verbindung man hätte eine Brücke zustandebringen können, so machten einige von den Handwerkern darauf aufmerksam, daß sich in den verlassenen Dörfern viele leere hölzerne Weintonnen befänden, deren sich sonst die Bewohner zu eigenem Gebrauche und zur sichern Versendung des Weins an ihre Abnehmer bedienten. Da sie hohl waren, wie Schiffe, mußten sie an einander gebunden, gleich Kähnen auf der Oberfläche des Wassers schwimmen, während man ihr Fortgerissenwerden dadurch verhindern werde, daß man sie fest mit einander verband, worauf man Strauchwerk darüber legte, und mit Anwendung aller Händekraft eine mäßige Erdlage darüber schüttete. [215] So setzte denn unter seiner Leitung das Heer über den Fluß, und rückte gegen die Stadt an. Die Häuser der Vorstädte fanden sie überall verlassen; dennoch hieben sie alle Weinstöcke und Fruchtbäume nieder, verbrannten Vieles, und verwandelten die zuvor blühende Schönheit der Gegend in eine Wüstenei. Früher hatte man die Gegend mit ihren langen, gleichmäßig gepflegten Baumalleen und ihren überall sich von Baum zu Baum wie zum Festschmucke schwingenden Rebengewinden, wie im Festkranze prangend bezeichnen können. Alle diese Herrlichkeit rottete die Soldateska mit der Wurzel aus, und drang so gegen die Mauern der Stadt vor. Da aber das Heer sehr erschöpft war, so ward nicht gleich mit dem Angriffe begonnen, sondern man hielt sich außer Schußweite, und vertheilte sich in größern und kleinern Abtheilungen um die Festungsmauer, wie jede dazu angewiesen war, ihre Stellung zu nehmen, ruhte einen Tag aus, und begann darauf die Belagerung. Sturmmaschinen aller Art wurden herangeschleppt, und alle Künste der Berennung gegen die Festungswerke angewendet. Zahlreiche Sturmangriffe wurden fast täglich unternommen, während das gesammte Heer die Stadt wie in einem Netze eng umgarnt hielt. Die Aquilejaner dagegen leisteten auf ihren Mauern kräftigen und muthvollen Widerstand. Sie hatten ihre Tempel und Wohnhäuser verschlossen, und alles Volk sammt Weibern und Kindern kämpfte von Zinnen und Thürmen herab gegen den Feind. Kein Alter war so schwach, das sich nicht an dem Kampfe für die Vaterstadt betheiligt hätte. Die Vorstädte, und überhaupt Alles, was außerhalb der Thore lag, war von dem Heere des Maximinus zerstört, und das Holzwerk der Gebäude zur Anfertigung der Belagerungswerkzeuge verwendet worden. Der Feind wendete alle Gewalt an, eine Bresche in der Mauer zu legen, durch welche das Heer eindringen könnte, um die ganze Stadt auszuplündern und zu zerstören, und den Platz, auf dem sie gestanden, als eine Schaftrift und Einöde hinter sich zu lassen. Denn anders könne man mit Ehren nicht den Marsch gegen Rom antreten, wenn man nicht zuvor die erste Stadt Italiens, welche Widerstand zu leisten gewagt, von der Erde vertilgt habe. Daher ritten Maximinus und sein Sohn, den er zum Cäsar gemacht hat, mit Versprechungen von Geldgeschenken bittend bei den Soldaten umher, [216] und suchten das Heer zum muthigen Ausharren anzufeuern. Die Aquilejaner ihrerseits schleuderten Steine von den Mauern herab, machten eine Mischung von Pech, Schwefel und Erdharz, thaten sie in hohle Gefässe, die mit langen Handhaben versehen waren, zündeten die Mischung an, und schütteten sie, sowie der Feind sich den Mauern näherte, den Stürmenden alle mit einemmale wie einen feurigen Regenguß auf die Köpfe. Das mit den andern genannten Substanzen herabfließende Pech traf nicht bloß die unbedeckten Körpertheile, sondern floß überall hin, so daß die Getroffenen selbst die in Brand gesetzten Panzer und die übrige Waffenrüstung, an der das Eisen glühend wurde, sich vom Leibe rissen, während Alles, was daran von Leder und Holzwerk war, verbrannte und verschrumpfte. Da konnte man denn Soldaten sehen, die sich selbst die Rüstung ausgezogen hatten, und deren weggeworfenes Gewaffen wie Beutestücke aussah, wenn gleich ihnen dieselben nur durch eine künstliche List, nicht durch kriegerische Tapferkeit im Kampfe abgenommen worden waren. Auf diese Weise büßten viele Soldaten ihr Gesicht ein, während andere am Antlitz und an den Extremitäten und sonstigen unbedeckten Theilen des Körpers schwer verletzt wurden. Zugleich bewarf man auch die an die Mauer gebrachten Kriegsmaschinen mit Feuerbränden, die gleichfalls mit Pech und Harz getränkt an dem vorderen Ende der Geschosse, mit denen man sie abschoß, Pfeilspitzen hatten; brennend durch die Luft geschleudert drangen sie in die Maschinen ein, blieben daran haften, und setzten dieselben leicht in Brand.
5 In den ersten Tagen jedoch blieb das Kampfglück unentschieden und ziemlich gleich vertheilt. Mit der Zeit aber wurde das Kriegsvolk des Maximinus lässig, und da es sich in der Hoffnung auf glücklichen Erfolg fortwährend getäuscht sah, entsank ihm der Muth. Denn Gegner, von welchen sie gehofft hatten, daß sie keinen einzigen ordentlichen Sturmangriff aushalten würden, erfanden sie jetzt als Leute, welche nicht nur Widerstand leisteten, sondern sogar tapfer Stand hielten. Die Aquilejaner dagegen wurden [217] täglich muthiger und voll aller möglichen guten Zuversicht. Durch fortgesetzten Kampf gewannen sie mehr und mehr Erfahrung und Selbstvertrauen, und fingen an, die Soldaten sogar zu verachten, so daß sie Spottreden gegen sie führten, und den Maximinus verhöhnten, wenn er die Mauern rekognoszirte, und gegen ihn und seinen Sohn arge und lästerliche Schimpfreden ausstießen, durch die derselbe vor Aerger nur noch in größere Wuth versetzt wurde. Da er nun an den Feinden seinen Zorn nicht auslassen konnte, so bestrafte er wiederholt viele Hauptleute seiner eigenen Truppen, weil sie bei der Berennung aus Lässigkeit und Muthlosigkeit nicht ihre Schuldigkeit thäten. Dadurch wuchs bei den Seinen die Abneigung gegen ihn, während sich bei den Feinden die Verachtung steigerte. Dazu kam, daß die Aquilejaner Alles vollauf und Ueberfluß an allen Bedürfnissen hatten, weil in Folge richtiger Vorbereitung die Stadt mit Allem reichlich gefüllt worden war, was Menschen und Vieh an Speise und Trank bedurften. Das Heer dagegen litt Mangel an Allem, da es selbst alle Fruchtbäume umgehauen und die Fruchtfelder verbrannt hatte. Und während sie fortdauernd unter Zelten, die eben nur für vorübergehenden Bedarf hergerichtet worden waren, sehr Viele sogar unter freiem Himmel lagen, hatten sie Regengüsse und Sonnenbrand auszustehen, und wurden vom Hunger aufgerieben, ohne daß für sie und ihre Thiere Zufuhr beschafft werden konnte. Denn die Römer hatten alle Heerstraßen von Italien durch Mauerschanzen und Thore gesperrt. Zugleich hatte der Senat Männer konsularischen Ranges mit einer Auswahl tüchtiger Mannschaft aus ganz Italien abgeschickt, um sämmtliche Häfen zu besetzen, und nirgends ein Schiff aussegeln zu lassen, so daß Maximinus ohne alle und jede Kunde von dem blieb, was in Rom vorging. Auch die Saumpfade und Fußsteige wurden überall bewacht, so daß Keiner durchkam. So geschah es denn, daß das Heer, während es Andere zu belagern glaubte, selbst belagert wurde, da es weder Aquileja zu nehmen im Stande war, noch aus Mangel an Transportmitteln zu Wasser und zu Lande mit Aufgebung der Belagerung auf Rom losmarschiren konnte. Denn Alles war besetzt und versperrt. Dazu trug man sich mit Gerüchten, die in Folge der schlimmen Vorahnung die Wahrheit noch übertrieben: Das ganze römische Volk, hieß es, [218] sei in Waffen, ganz Italien sei eines Sinnes, alle Völkerschaften Illyriens und alle Provinzen im Osten und Süden rüsteten sich zum Kriege, und es sei nur eine Stimmung und Gesinnung des Hasses gegen Maximinus. So geriethen die Truppen in Verzweiflung, während sie an Allem, sogar an Wasser Mangel litten. Denn was ihnen zum Getränk diente, das Wasser des vorbeiströmenden Flusses war durch Blut und Leichen verpestet. Denn die Aquilejer warfen ihre Todten, da sie dieselben nicht in der Stadt begraben konnten, in den Fluß, und was von Leuten im Heere im Kampfe erschlagen ward, oder von Krankheit hingerafft wurde, übergab man gleichfalls dem Strome, da es an Mitteln zu ordentlicher Bestattung gebrach. Während nun so Verzweiflung und Muthlosigkeit im Lager herrschte, faßten eines Tages, als Maximinus in seinem Zelte schlief, und eine Art von Waffenruhe eingetreten war, in Folge deren sich der größte Theil des Heeres in seine Zelte, oder auf die angewiesenen Wachtposten begeben hatte, diejenigen Soldaten, welche früher ihr Standlager in der Nähe von Rom am Fuße des sogenannten Albanerbergs gehabt, und dort ihre Weiber und Kinder zurückgelassen hatten, plötzlich den Entschluß, den Maximinus zu ermorden, um der langwierigen und unabsehbaren Belagerungsnoth ein Ende zu machen, und nicht länger Italien für einen verzweifelten und allverhaßten Tyrannen zu verwüsten. Sie faßten sich also ein Herz, und gingen um Mittag auf sein Zelt los. Hier vereinigten sie sich mit den wachthabenden Leibgardisten, reißen seine Bildnisse von den Feldzeichen, und als er mit seinem Sohne, um zu ihnen zu reden, aus dem Zelte trat, hauen sie beide, ohne ihn zu Worte kommen zu lassen, nieder. Sie ermorden auch den Unterbefehlshaber des Heeres, sowie alle Busenfreunde des Kaisers; und nachdem sie die Leichname Jedermann zu beliebiger Beschimpfung und Mißhandlung Preis gegeben hatten, überließ man sie Hunden und Raubvögeln zum Fraße. Die Köpfe aber des Maximinus und seines Sohnes schickten sie nach Rom. Solch ein Ende nahmen Maximinus und sein Sohn, zur Strafe für ihr schlechtes Regiment.
6 [219] Als nun das übrige Heer das Vorgefallene erfuhr, gerieth es in große Bestürzung, und die That fand keineswegs allgemeinen Beifall, namentlich nicht bei den Päonischen und den übrigen Thrakischen Barbarentruppen, die ihm ja auch zum Throne verholfen hatten. Allein da die Sache einmal geschehen war, so gaben sie sich, wenn auch widerwillig, zufrieden, ja die Noth zwang sie, sich den Schein zu geben, als freuten sie sich über die That. Sofort legten Alle die Waffen nieder, und näherten sich in friedlichem Aufzuge den Mauern von Aquileja, meldeten die Ermordung des Maximinus, und baten, ihnen die Thore zu öffnen, und sie, die gestern noch Feinde gewesen waren, als Freunde aufzunehmen. Die obersten Hauptleute der Aquilejaner gestatteten nun zwar nicht die Eröffnung der Thore, wohl aber richteten sie statt dessen die mit Kränzen und Lorbeerzweigen geschmückten Standbilder des Maximus und Balbinus und des Cäsar Gordianus auf, begrüßten dieselben mit Jubelruf, und forderten auch die Soldaten auf, die von dem römischen Volk und Senat erwählten Kaiser anzuerkennen und jubelnd auszurufen4. „Die früheren Gordiane“5, sagten sie, „seien im Himmel und bei Gott.“ Darauf veranstalteten sie oben auf den Mauern einen Markt, auf welchem sie einen Ueberfluß von allen möglichen Bedürfnissen, von Speise und Trank aller Art, sowie von Kleidung und Schuhwerk, und was sonst eine reiche und blühende Stadt an menschlichen Lebensbedürfnissen bieten konnte, zum Verkauf ausstellten. Um so höher wuchs jetzt das Erstaunen des Heeres, da es sah, daß die in [220] der Stadt mit Allem hinreichend versehen waren, selbst wenn die Belagerung noch länger dauern sollte, während sie, an allen nothwendigen Bedürfnissen Mangel leidend, viel früher hätten zu Grunde gehen müssen, ehe sie eine so mit Allem versehene Stadt eingenommen. So blieb das Heer unter den Mauern der Stadt liegen, und ward von den Mauern aus mit allem Bedarf versehen, den ein jeder verlangte. Verhandlungen wurden gepflogen, und es war ein Friedens- und Freundschaftszustand, obschon der Schein einer Belagerung noch fortdauerte, da die Mauern geschlossen blieben, und das Heer um dieselben herum lagerte. So standen die Dinge vor Aquileja. Die Reiter aber, die sich mit dem Kopfe des Maximinus von Aquileja her auf den Weg gemacht hatten, beschleunigten ihre Reise mit aller möglichen Eile, und von allen Städten, zu denen sie kamen, wurden ihnen die Thore geöffnet, und die Bevölkerung empfing sie festlich mit Lorbeerzweigen in den Händen. Nachdem sie zu Schiffe die Seen und Sümpfe zwischen Altinum und Ravenna passirt hatten, trafen sie den Kaiser Maximus, der sich zu Ravenna aufhielt, wo er beschäftigt war, die aus Rom kommende ausgewählte Mannschaft und die aus Italien ausgehobenen Truppen zu sammeln. Zu ihm gestoßen war dort auch ein nicht unbeträchtliches Hülfscorps von Germanen, das dieselben ihm zugeschickt hatten, in Folge der Zuneigung, welche sie für ihn hegten seit der früheren Zeit, wo er mit gewissenhafter Sorgfalt das Statthalteramt bei ihnen verwaltet hatte. Während er nun so die Heeresmacht ordnete, mit der er gegen Maximinus’ Heer zu Felde zu ziehen gedachte, kommen die Reiter zu ihm mit dem Kopfe des Maximinus und seines Sohnes, verkünden ihm den glücklichen Sieg seiner Sache, daß das Heer den Beschlüssen der Römer beitrete, und den vom Senate gewählten Kaisern huldige. In Folge dieser unverhofften Freudenbotschaften bedeckten sich sofort die Altäre mit Opfern, und Alle feierten jubelnd den Sieg, den sie ohne Schwertschlag davon getragen. Maximus aber sendet, sobald er die günstig ausfallenden Opfer vollzogen hatte, die Reiter fort nach Rom, um dort das Vorgefallene dem Volke zu melden, und den Kopf des Maximinus zu überbringen. Als diese nun dort angekommen in die Stadt sprengten, und aller Welt den Kopf des Feindes zeigten, den sie auf eine [221] Stange gesteckt hatten, damit jeder ihn sehen könne, da ist mit Worten nicht zu beschreiben, wie groß der Festjubel an jenem Tage war6. Denn da war kein Alter, das nicht zu den Altären und Heiligthümern eilte, kein Mensch blieb zu Hause, sondern Alles lief wie trunken vor Begeisterung in gemeinsamer Freude umher, und strömte zuletzt auf dem Cirkus zusammen, als ob daselbst eine Volksversammlung abzuhalten wäre. Balbinus selbst opferte Hekatomben, und alle Beamten und der Senat, ja alle Einzelnen gaben sich, als ob sie des über ihren Nacken schwebenden Beils ledig wären, ohne Maß der Freude hin. Auch in die Provinzen wurden überall hin lorbeerbekränzte Boten und Herolde abgesendet.
7 Das war also in Rom der Festjubel. Maximus aber brach von Ravenna auf, und langte vor Aquileja an, nachdem er die Sumpfgewässer passirt hatte, die vom Eridanusflusse7 und den umliegenden Sumpfseen gebildet sich mit sieben Mündungen in’s Meer ergießen, weshalb auch die Landeseinwohner diese Gewässer in ihrer Sprache „die sieben Meere“ nennen. Sofort öffneten ihm die Aquilejaner ihre Thore, und nahmen ihn freundlich auf, während man aus allen Städten Italiens Gesandtschaften der vornehmsten Männer jeder Stadt an ihn abschickte, welche in weißem Festgewande und Lorbeerzweige in den Händen ihm ihre heimischen Götterbilder und die etwa in den Schatzkammern ihrer Tempel vorhandenen goldenen Kronen darbrachten, und dem Maximus unter Jubelrufen und Blumenwerfen huldigten. Auch sogar das Heer, welches Aquileja belagert hatte, [222] nahte sich ihm im friedlichen Aufzuge mit Lorbeer bekränzt, nicht in Folge seiner wirklichen Stimmung, sondern mit erheuchelter Liebe und Verehrung, welche der gegenwärtige Thronwechsel und dessen Glück nothwendig machte. Denn der größte Theil dieser Soldaten war unwillig, und im Herzen voll Groll darüber, daß der von ihnen erwählte Kaiser umgebracht, und die Macht jetzt in den Händen der vom Senate erwählten war. Maximus aber brachte den ersten und zweiten Tag nach seiner Ankunft in Aquileja mit Vollziehung von religiösen Handlungen hin, am dritten aber berief er das gesammte Heer auf die Ebene, wo für ihn eine Rednerbühne errichtet war, und hielt etwa folgende Rede: „Wie gut es für Euch gewesen ist, daß Ihr in Euch gegangen und auf die Seite der Römer getreten seid, davon habt Ihr jetzt die Erfahrung, da Ihr Frieden statt Krieg habt, durch die Götter, bei denen Ihr geschworen, und jetzt in der Lage seid, Eurem Fahneneide treu zu bleiben, der des römischen Reiches altehrwürdiges heiliges Eigenthum ist. Zugleich dürft Ihr darauf rechnen, alle diese Vortheile auch in Zukunft zu genießen, wenn Ihr den Römern und dem Senate, sowie Uns, Euren Kaisern, treu verbleibt, auf die Senat und Volk im Hinblick auf unsere edle Geburt und unsere zahlreichen hohen Staatswürden, in deren regelmäßiger Stufenfolge wir gleichsam Schritt vor Schritt zu dieser letzten Stufe hinangestiegen sind, ihre Wahl gelenkt haben. Denn die Herrscherwürde gehört nicht einem einzelnen Manne als Eigenthum, sondern sie ist gemeinsames Eigenthum des römischen Volkes von den ältesten Zeiten her, und die Stadt Rom ist der vom Schicksal gegründete Sitz der Kaiserherrschaft. Wir aber sind damit betraut, die Angelegenheiten des Reichs verbunden mit Euch zu führen und zu handhaben. Geschieht dies von Eurer Seite mit gebührender Zucht und Ordnung, und Verehrung und Respekt vor den Herrschern, so wird Euch daraus ein glückliches und sorgenfreies Leben erwachsen, und allen übrigen Menschen in Provinzen und Städten Friede und Gehorsam gegen ihre Obrigkeiten. Dann werdet Ihr nach Eures Herzens Wunsch in Eurer Heimath leben, und nicht in fremden Landen Euch abzuquälen brauchen. Daß aber die uns nicht unterworfenen Barbarenvölker Ruhe halten, werden wir unsere Sorge sein lassen. Denn da wir [223] jetzt zwei Kaiser sind, so wird es leichter sein, einerseits die Verwaltungsgeschäfte in Rom zu besorgen, und andrerseits etwaigen dringlichen Geschäften nach Außen hin zu genügen, da ja nach dem jedesmaligen Bedürfnisse immer Einer für die ihn in Anspruch nehmenden Geschäfte leicht bei der Hand sein kann. Glaube ferner Niemand von Euch, daß jemals des Vergangenen weiter gedacht werden wird, weder von Uns – denn Ihr thatet ja nur auf Befehl – noch von den Römern, oder von den andern Provinzen, welche wegen schlechter Behandlung abgefallen sind. Vielmehr wird eine allgemeine Amnestie stattfinden, und ein Bündniß fester Freundschaft als Grundlage dauernden Wohlwollens und gesicherter Ordnung.“ So ungefähr redete Maximus, verhieß dann den Soldaten großartige Antrittsgeschenke an Geld, und gab dann, nachdem er noch einige Tage in Aquileja verweilt hatte, den Befehl zum Rückmarsch nach Rom. Er entließ das übrige Heer in die Provinzen und Standlager, denen sie angehörten, während er selbst den Zug nach Rom in Begleitung der Garden, denen die Bewachung der Kaiserburg obliegt, und mit den unter Balbinus’ Befehlen befindlichen Truppen antrat. Mit ihm zogen aber auch die von Germanien gekommenen Hülfstruppen, denn er verließ sich vorzugsweise auf deren Anhänglichkeit, die sie zum Dank für seine frühere milde Verwaltung ihrer Provinz, ehe er noch Kaiser war, zu ihm hegten. Bei seinem Einzuge in Rom ging ihm Balbinus mit Cäsar Gordianus zur Seite entgegen, und Senat und Volk empfingen ihn mit Jubelruf, wie wenn sie einen Triumph feierten.
8 Die weitere Regierung der beiden Kaiser zu Rom war eine höchst geordnete und weise, und sie ernteten im Besondern wie im Allgemeinen überall Lob und Preis. Das Volk hatte seine Freude an ihnen, weil es stolz war auf so hochgeborne und des Kaiserthrones würdige Herrscher. Den Soldaten jedoch schwoll die Brust mehr und mehr von Unmuth; sie hatten keinen Gefallen an den Lobpreisungen des Volks, ja selbst die hohe Geburt der Kaiser war ihnen widerwärtig, und dazu ärgerten sie sich darüber, daß sie nun doch „Kaiser [224] von Senatsgnaden“ hätten. Es erbitterte sie ferner, daß Maximus die Germanen mit sich genommen hatte, denn sie rechneten darauf, daß sie an denselben Widersacher finden würden, sobald sie irgend einen Neuerungsversuch wagen möchten, und hielten sie im Verdacht, daß sie bestimmt seien, ihnen einen Hinterhalt zu legen, falls man versuchen sollte, sie durch irgend eine List zu entwaffnen, wo dann jene8, da sie in Rom standen, leicht an ihre Stelle treten dürften. Dabei stellte sich ihnen das Beispiel des Severus, der die Leibgarden, welche den Pertinax ermordet, hatte entwaffnen lassen, vor die Seele. Als nun also die Kapitolinischen Festspiele gefeiert wurden, und alle Welt mit dem Feste und den verschiedenen Schauspielen, welche dasselbe bot, beschäftigt war, traten sie plötzlich mit ihrem bisher verborgen gehaltenen Plane an’s Licht. Ihrer Leidenschaft nicht mächtig, und ganz ihrer wilden Wuth hingegeben, stürmten sie einmüthig zur Kaiserburg, und überfielen die beiden alten Kaiser. Zum Unglück waren diese selbst unter einander nicht recht eines Sinnes, sondern – wie denn die Begierde nach Alleinherrschaft einmal in des Menschen Natur liegt, und die höchste Machtstellung keinen Theilnehmer verträgt9, so suchte jeder von ihnen die Machtgewalt allein an sich zu reißen: Balbinus, indem er mit Berufung auf seine hohe Abkunft und sein früheres doppeltes Konsulat den Vorrang in Anspruch nahm, während Maximus zu gleichem Zwecke seine frühere Stellung als Präfekt der Stadt und seinen Ruf als bewährter Staatsmann geltend machte. Beide waren vornehme Patrizier, und eine lange Ahnenreihe stachelte beide auf, die Alleinherrschaft für sich zu begehren. Das wurde nun eben die Hauptursache zu ihrem Verderben. Als nämlich Maximus die Kunde erhielt, daß die Prätorianer, wie man sie nennt, mit bösen Absichten gegen die Kaiser heranrückten, wollte er die [225] Germanischen Hülfstruppen herbeirufen lassen, die in Rom standen, und stark genug gewesen wären, um den Angreifern zu widerstehen. Balbinus aber, welcher glaubte, das10 sei eine gegen ihn gerichtete Verrätherei und Kriegslist (er wußte nämlich, daß die Germanen dem Maximus sehr anhingen), legte Protest dagegen ein, indem er sagte: sie würden nicht kommen um beide Kaiser gegen den Angriff der Prätorianer zu schirmen, sondern um dem Maximus die Alleinherrschaft in die Hände zu spielen. Während sie aber so sich zanken, stürzen die Soldaten allesammt in die Thore der Kaiserburg, wo ihnen die mit der Bewachung derselben betrauten Raum gegeben hatten, und nehmen die Greise gefangen. Sie reißen ihnen die einfachen Kleider, die sie als Hauskleider anhatten, vom Leibe herunter, und schleppen sie nackt unter allen möglichen Beschimpfungen und Mißhandlungen aus dem Kaiserpalaste, schlagen sie, schimpfen sie „Senatskaiser“, reißen ihnen Barthaare und Augenbrauen aus, verüben an ihnen im trunkenen Uebermuthe alle möglichen körperlichen Mißhandlungen, und führten sie durch die ganze Stadt dem Lager zu, weil sie gleich Anfangs beschlossen hatten, sie nicht sofort im Palaste zu tödten, sondern ihr Müthchen an ihnen bei lebendigem Leibe zu kühlen, damit sie ihre Todespein um so länger fühlen möchten. Als aber, von dem Geschehenen unterrichtet, die Germanen zu den Waffen griffen, und den Kaisern zu Hülfe eilten, da stoßen die Prätorianer, auf die Kunde von dem Anrücken jener, die bereits am ganzen Körper verstümmelten Kaiser nieder. Die Leichname ließen sie auf der Straße liegen, und bemächtigten sich darauf des zum Cäsar ernannten Gordianus, den sie zum Kaiser ausriefen, weil sie gerade keinen Andern fanden. Dem Volke riefen sie zu: die, welche sie getödtet, seien ja gerade die, welche das Volk selbst von Anfang an nicht habe zu Regenten haben wollen, und der, welchen sie an jener Stelle gewählt, sei Gordianus, der Nachkomme des vorigen (Gordianus), den ja die Römer selbst mit Gewalt hätten zu ihrem Kaiser haben wollen. Darauf zogen sie [226] mit ihm in ihr Lager, schlossen die Thore, und verhielten sich ruhig. Als die Germanen erfuhren, daß die, zu deren Hülfe sie herbeieilten, erschlagen auf der Gasse lagen, wollten sie für todte Männer nicht einen fruchtlosen Kampf unternehmen, und zogen sich in ihr Quartier11 zurück. Solch’ ein unwürdiges und gräßliches Ende nahmen zwei würdige und achtungswerthe Greise von hoher Geburt, die durch ihre Verdienste zum Throne gelangt waren. Gordianus, der damals ungefähr dreizehn Jahre zählte, wurde darauf zum Alleinherrscher ausgerufen, und übernahm die Regierung des römischen Reichs.
Anmerkungen
1 Damals erster Seeplatz jener Gegend am adriatischen Meere, das „zweite Rom“ genannt, wegen ihrer Größe, Pracht und Reichthum. Später von Attila zerstört. Die Ueberreste ihrer Bevölkerung retteten sich auf die Inseln, auf denen später Venedig entstand.
2 Bei Capitolinus heißt dieser celtische Apollo Belenus. Vergl. Buttmann’s Mythologus I, S. 167 ff. Das Folgende erinnert an viele Engelerscheinungen der christlichen Sagengeschichte. Nach Capitolinus wurden diesem Gotte vom Senate Dankopfer, und der „kahlköpfigen Venus“ ein Tempel dekretirt; das letztere, weil die Frauen von Aquileja ihr Haar hergegeben hatten, um daraus Knebelspannseile für die Wurfgeschosse zu flechten.
3 Wahrscheinlich der heutige Isonzo (Sontus oder Sontius), über den bei der Station Pons Sonti (Sontusbrücke) die Straße von Aemona nach Aquileja führte. Er entsprang auf den karnischen Alpen, und fiel östlich von Aquileja in den Meerbusen von Triest.
4 Woher hatten die Aquilejaner diese Porträt-Standbilder der neuen Kaiser, die sie, wie es scheint, auf der Mauer den Soldaten zeigten? Wahrscheinlich hatte man bloß neue Köpfe auf vorhandene alte Statuen, vielleicht auf die des Maximinus und seines Sohnes gesetzt (siehe Stahr Torso I. S. 500), oder sonst irgend beliebige Statuen dazu genommen, die für die Porträtstatuen der neuen Kaiser einstweilen gelten mußten, bis man sie durch wirkliche ersetzte.
5 Die beiden in Karthago erwählten, und wie oben erzählt worden, daselbst umgekommenen Kaiser dieses Namens.
6 Ich glaube nicht zu irren, wenn ich aus diesen Worten schließe, daß Herodian sich damals als Augenzeuge in Rom befand.
7 Eridanus ist ursprünglich der Name des schon von Hesiodus genannten fabelhaften Bernsteinflusses. Man übertrug denselben später (wie hier Herodian thut) auf den Padus (Po), weil phönizische Schiffe den von den Ostseeküsten zu Lande nach den Häfen des Adriatischen Meeres gebrachten Bernstein an der Mündung des Po in Empfang zu nehmen pflegten. Die sieben Mündungen des Flusses waren zum Theil von Menschenhand angelegte Kanäle. Realencyklop. V. S. 1046.
8 Ich übersetze an dieser verdorbenen Stelle nach der auch von Osiander gebilligten Lesart καὶἐκεῖνοι, ἅτεπαρόντες.
9 „Von allen Leidenschaften und Begierden ist die Begierde nach Macht die gebieterischste und ungeselligste, weil der Stolz eines Einzigen die Unterwerfung Aller fordert.“ Gibbon.
10 D. h. der Befehl des Maximus, daß die Germanen auf die Kaiserburg rücken sollten.
11 Nach dem Ausdrucke Herodians hatten sie eine eigene „Kaserne“.
