Origo gentis Romanae
Übersetzung
[Des Sextus Aurelius Victor1 Geschichtwerk vom Ursprunge des Römischen Volks]
[8] Von den Gründern Janus und Saturnus an, die Reihe der einander folgenden Regenten hindurch, bis zum zehnten Consulate des Constantius, zusammengestellt aus den Geschichtschreibern Verrius Flaccus und dem Antiaten2 (wie ihn wenigstens derselbe Verrius lieber nennen wollte, als Antias), ferner aus den Jahrbüchern der Pontifices, sodann aus dem Cnäus Egnatius Veratius, Fabius Pictor, Licinius Macer, Varro, Cäsar, Tubero und aus allen Werken der alten Geschichtschreiber, wie Jeder der [beiden] Neueren, sowohl Livius als Victor der Afrikaner, versichert hat3.
1 (1) Man glaubt, daß zuerst Saturnus nach Italien gekommen sei, wie auch der Dichter Virgil in jenen Versen bezeugt4:
Von des Olympus Höh’n erschien als der Erste Saturnus,
Jupiter’s Waffen entfloh’n und verbannt nach entrissener Herrschaft usw.
(2) [9] Die kindliche Einfalt der Menschen des Alterthums aber soll bis zu jener Zeit so groß gewesen sein, daß sie alle zu ihnen kommende Fremdlinge, wenn sie nur, mit Einsicht und Weisheit begabt, irgend Etwas zur Einrichtung des Lebens und Bildung der Menschen beitrugen, weil sie deren Aeltern und Herkunft nicht kannten, nicht nur selbst für Sprößlinge des Himmels und der Erde hielten, sondern auch ihren Nachkommen als solche anzusehen geboten; wie z. B. diesen Saturnus selbst, den sie für einen Sohn des Himmels und der Erde erklärten. (3) Wenn man nun auch dieß annahm, so ist doch so viel gewiß, daß Janus noch früher nach Italien gekommen und der später kommende Saturnus von ihm aufgenommen worden ist. (4) Man muß daher annehmen, daß auch Virgil nicht aus Unkenntniß der alten Geschichte, sondern nach seiner Redeweise, den Saturnus „den Ersten“ genannt habe, nicht als ob vor ihm Niemand gekommen sei, sondern weil er „Einer der Ersten“ gewesen; wie er auch sagt:
– – – der zuerst von Troja’s Gestaden5,
(5) während es doch zweifellos feststeht, daß Antenor noch vor dem Aeneas zu Schiffe nach Italien gelangt sei, und nicht in der dem Gestade zunächst gelegenen Küstengegend, sondern in den inneren Landstrichen, d. h. in Illyrien6, die Stadt Patavium erbaut habe; wie derselbe Virgil die Venus in jenen Versen sagen läßt, worin sie sich bei Jupiter über die Drangsale des Aeneas beklagt7:
Konnte doch einst Antenor, umringenden Griechen entronnen,
Sicher Illyriens Bucht und das Innre des Landes erreichen usw.
(6) Weshalb er aber das Wort „sicher” hinzugefügt habe, ist von mir, noch ehe ich die vorliegende Schrift begann, am gehörigen Orte, in einer aus dem Buche „Über den Ursprung von Patavium“ bekannten Abhandlung auf’s Ausführlichste erklärt worden. (7) Demnach hat hier „der Erste“ dieselbe Bedeutung, wie im zweiten Buche [10] der Aeneis bei Aufzählung der Helden, die dem hölzernen Pferde entstiegen. (8) Denn nachdem der Dichter den Thessander, Sthenelus, Ulysses, Akamas, Thoas und Neoptolemus genannt hat, fügt er noch hinzu: „und als Erster Machaon8“. (9) Hier nun läßt sich fragen, wie nach so Vielen, die schon vorher genannt sind, von einem „Ersten“ die Rede sein könne? Allein wir werden [auch hier] „der Erste“ statt „Einer der Ersten“ gesetzt verstehen oder annehmen müssen, [daß Virgil so schreibe,] weil Jener in Bezug auf Kenntniß der Heilkunst in jenen Zeiten der vollendetste Meister gewesen sein soll.
2 (1) Doch um auf meinen eigentlichen Gegenstand zurückzukommen, so erzählt man Folgendes: Creusa, die ungemein schöne Tochter des Königs von Athen Erechtheus, gebar, vom Apollo geschändet, einen Knaben9, den man zur Erziehung nach Delphi schickte, während sie selbst von ihrem Vater, der von jenen Vorgängen Nichts wußte, mit einem gewissen Xiphus, Einem seiner Gefährten, vermählt wurde. (2) Da dieser durch sie nicht Vater werden konnte, reiste er nach Delphi, um das Orakel zu befragen, wie er Vater werden könne. Der Gott antwortete ihm, er solle denjenigen an Kindesstatt annehmen, der ihm am folgenden Tage zuerst begegnen würde. (3) So begegnete ihm denn jener oben erwähnte Knabe, der Sohn des Apollo, und wurde von ihm an Kindesstatt angenommen. (4) Als er herangewachsen war, kam er, durch das väterliche Reich nicht zufrieden gestellt, mit einer großen Flotte nach Italien, wo er auf einem von ihm in Besitz genommenen Berge eine Stadt erbaute, die er nach seinem Namen Janiculum nannte.
3 (1) Während also Janus bei den noch rohen und uncultivirten Ureinwohnern herrschte, kam Saturnus, aus seinem Reiche vertrieben, nach Italien, wurde wohlwollend als Gastfreund aufgenommen, und erbaute nicht weit von Janiculum eine Burg, die er nach seinem Namen Saturnia benannte. (2) Er lehrte zuerst den Feldbau und führte die wilden, nur vom Raube zu leben gewohnten Leute zu einer geordneten Lebensweise; weßhalb Virgil im achten Buche10 also schreibt:
[11] Früher bewohnten den Forst hier heimische Faunen und Nymphen
Und ein Männergeschlecht, entsproßt hartstämmigen Eichen,
Sonder Gesittung und Zucht; sie wußten nicht Stiere zu jochen,
Noch Vorräthe zu sammeln und klug das Erworbne zu sparen,
Sondern sie nährte der Zweig und der Jagd mühselige Beute.
(3) Diese nun verließen den Janus, der Nichts weiter als Götterverehrung und heilige Gebräuche eingeführt hatte, und schloßen sich lieber dem Saturnus an, der den noch rohen Gemüthern Lebensart und Gesittung einflößte und ihnen, wie wir oben sagten, zum allgemeinen Nutzen den Feldbau lehrte; wie ja auch jene Verse zeigen11:
Welcher dem rohen Geschlecht, das auf Bergeshöhen zerstreut war,
Zucht und Gesetze verlieh, und der Landschaft lieber den Namen
Latium gab, weil einst die Gegend ihn sicher verborgen12.
(4) Er soll ihnen damals auch die Kunst Erz zu stempeln und Münzen zu prägen gezeigt haben, welchen auf der einen Seite der Kopf des Janus13, auf der andern das Fahrzeug, auf dem er dorthin geschifft war, eingeprägt wurde. (5) Weshalb noch heut zu Tage Spieler, wenn sie ihr Geldstück gesetzt und [mit der Hand] bedeckt haben, den Mitspielern die Aufgabe stellen, ihre Meinung darüber auszusprechen, was wohl unten sei, Kopf oder Schiff, welches Spiel sie jetzt [den Namen] verunstaltend gewöhnlich navia nennen14. (6) Auch führt noch jetzt ein Tempel am Abhange des Capitolinischen Hügels, worin er sein Geld aufbewahrte, den Namen „Schatzkammer des Saturnus“. (7) Weil aber, wie wir oben sagten, Janus eher dahin gekommen war, räumte man, als nach dem Tode beide göttlicher Ehren für würdig erklärt wurden, dem Janus bei allen Opferhandlungen den ersten Platz ein, ja man ging so weit, daß selbst, wenn andern Göttern geopfert wird, nachdem der Weihrauch auf den Altar gestreut ist, Janus zuerst angerufen wird, wobei er auch den Beinamen „Vater“ führt, weshalb ihn auch unser [Dichter] mit diesem Beinamen also aufführt:
[12] Die Burg gründete Janus der Vater, und diese Saturnus15;
worauf er sogleich hinzugefügt:
Drum Janiculum jene, Saturnia diese genannt war.
Weil er eine wunderbare Kenntniß der Vergangenheit, wie auch der Zukunft besaß – – 16
[– – – – – – Es beherrschte der König Latinus,
Greiser bereits, Landschaften und Städt’ in dauerndem Frieden17;
unter dessen Regierung der Dichter die Trojaner nach Italien kommen läßt. Es fragt sich, wie Sallust18 sagen könne: „Und mit ihnen die Aboriginer19, ein ungebildeter Menschenschlag, ohne Gesetze, ohne Regierung, frei und ungebunden.“]
4 (1) Einige aber erzählen, als die Länder von der großen Fluth bedeckt gewesen seien, hätte sich eine Menge Menschen aus verschiedenen Gegenden auf den Gebirgen niedergelassen, wohin sie sich geflüchtet gehabt; von diesen sei ein Theil, Wohnsitze suchend, nach Italien gelangt und mit griechischen Namen nach den Bergspitzen, welche griechisch ὄρη [Ore] heißen, Aboriginer benannt worden. (2) Andere wollen behaupten, sie seien, weil sie herumirrend dorthin gekommen, zuerst Aberriginer20 und dann mit Veränderung des einen und Weglassung des andern Buchstabens Aboriginer benannt worden. (3) Bei ihrer Ankunft nahm sie Picus auf und gestattete ihnen zu leben, wie sie wollten. (4) Nach dem Picus regierte Faunus in Italien, der seinen Namen von fari21 erhalten haben soll, weil er die Zukunft in Versen vorauszusagen pflegte, die wir Saturninische nennen, welche Versart [13] zuerst bei der [die Stadt] Saturnia betreffenden Weissagung gebraucht wurde. (5) Zeuge dafür ist Ennius, wenn er sagt:
Im Versmaß, worin einst die Faunen und Seher gesungen.
(6) Sehr viele sagten, dieser Faunus sei auch der nach den Wäldern22 benannte Silvanus, Andere der Gott Inuus, Einige auch der Pan.
5 (1) Während also Faunus regierte, etwa sechzig Jahre vor der Ankunft des Aeneas in Italien, kam der Arcadier Evander, ein Sohn des Mercur und der Nymphe Carmentis, zugleich mit seiner Mutter eben dahin. (2) Von dieser berichten Einige, sie habe zuerst Nicostrata, später aber Carmentis geheißen von den Gedichten23, weil sie nämlich, jeder Wissenschaft ungemein kundig und mit Kenntniß der Zukunft begabt, ihre Aussprüche in Verse einzukleiden pflegte, weshalb denn sehr Viele sogar behaupten, nicht sowohl sie selbst sei nach den Gedichten Carmenta, als vielmehr die Gedichte nach ihr [carmina] genannt worden. (3) Auf ihren Antrieb nach Italien hinübergeschifft, schlich sich Evander vermöge seiner außerordentlichen Bildung und Kenntniß der Buchstaben in kurzer Zeit in die vertrauteste Freundschaft des Faunus ein, und von ihm gastfreundlich und wohlwollend aufgenommen, empfing er ein nicht unbedeutendes Stück Landes zum Wohnplatz, vertheilte es unter seine Begleiter, ließ Wohnungen auf dem Berge erbauen, welchen Jene zuerst nach dem Pallas Pallanteum, wir aber später Palatium nannten, und weihte daselbst dem Gotte Pan einen Tempel. Dieß ist nämlich der Nationalgott Arcadiens, auch nach Maro’s Zeugniß, welcher sagt:
Pan, Arcadia’s Gott, hat dich, Luna, verlockt und bethöret24;
deßgleichen:
Pan auch, stritt’ er mit mir vor Arcadia’s richtendem Ausspruch25.
Evander also lehrte zuerst von Allen die Einwohner Italiens die Buchstaben, welche er zum Theil selbst erst gelernt hatte, lesen und schreiben, machte sie auch mit dem in Griechenland zuerst erfundenem [14] Feldbau bekannt, lehrte sie den Gebrauch des Säens und war der Erste in Italien, welcher der Bearbeitung des Feldes wegen Ochsen zusammenjochte.
6 (1) Unter seiner Regierung kam ein gewisser Recaranus, Hercules genannt, von griechischer Herkunft, ein Hirt von riesigem Körper und großer Stärke, der an Gestalt und Körperkraft alle Anderen übertraf, eben dahin; (2) und als seine Heerden am Flusse Albula26 weideten, stahl ein Sclave des Evander, Namens Cacus, ein Mensch von durchtriebener Nichtswürdigkeit und ungemeinem Hang zum Stehlen, einige Rinder des Fremdlings Recaranus und zog sie, damit keine Entdeckung möglich sei, rückwärts in eine Höhle. (3) Wie nun Recaranus, nach Durchwanderung der Umgegend und Durchsuchung aller dergleichen Schlupfwinkel, die Hoffnung sie wiederzufinden aufgegeben hatte, beschloß er, seinen Verlust so gleichmüthig, als möglich, ertragend, sich aus dieser Gegend hinwegzubegeben. (4) Als aber Evander, ein Mann von ausgezeichneter Gerechtigkeit, die Sache, wie sie sich zugetragen hatte, erfuhr, bestrafte er den Sclaven und ließ die Kinder dem Recaranus zurückstellen. (5) Da nun weihete dieser am Fuße des Aventinus Jupiter dem Finder einen Altar, nannte ihn „den größten“ und opferte daran den zehnten Theil seines Viehes. (6) Während es früher Sitte war, daß die Menschen den zehnten Theil der Früchte ihren Königen darbrachten, erklärte er, es scheine ihm billiger, daß statt der Könige vielmehr die Götter dieser Ehre theilhaft würden. Daher schreibt sich offenbar die Sitte, dem Hercules den Zehnten zu opfern, weshalb auch Plautus sagt27: „zum herculischen Theil“, d. h. dem zehnten. (7) Nachdem also Recaranus den „größten Altar“ geweiht und an ihm den Zehnten geopfert hatte, verordnete er, weil Carmentis, zu diesem Opfer eingeladen, nicht dabei erschienen war, daß keine weibliche Person von dem essen dürfe, was diesem Altar geweiht worden sei. So blieben denn die Weiber von dieser heiligen Handlung gänzlich entfernt. So erzählt Cassius im ersten Buche.
7 (1) [15] In den Jahrbüchern der Pontifices dagegen wird erzählt, Hercules, ein Sohn Jupiters und der Alcmene, sei nach Besiegung des Geryon, eine Heerde vortrefflichen Hornviehes mit sich forttreibend, um Rinder dieser Raçe in Griechenland einzuführen, durch Zufall in jene Gegenden gekommen und habe, erfreut durch die Fülle von Futter, für einige Zeit seinen Wohnsitz daselbst aufgeschlagen, damit sich seine Leute und sein Vieh von der weiten Reise erholen könnte. (2) Als nun dieses in dem Thale, wo jetzt der Circus maximus ist, unter Vernachlässigung der Aufsicht weidete, weil man nicht glaubte, daß irgend Jemand es wagen würde, sich an der Beute des Hercules zu vergreifen, habe ein an körperlicher Größe und Kraft alle Anderen weit übertreffender Räuber derselben Gegend acht Rinder in seine Höhle gezogen, und zwar an den Schwänzen, damit nicht der Diebstahl aus den Fußstapfen entdeckt werden möchte. (3) Wie nun aber Hercules weiter ziehend seine übrige Heerde zufällig bei derselben Höhle vorbeigetrieben, hätten die darin eingeschlossenen Kühe von Ungefähr den vorüberziehenden zugebrüllt, und so sei der Diebstahl entdeckt worden. (4) Nachdem nun Cacus erschlagen worden, sei Evander auf die Nachricht von diesem Vorfall dem Hercules entgegen gegangen, habe ihm seine Freude darüber ausgesprochen, daß er sein Gebiet von einer so großen Plage befreit hätte, und, nachdem er erfahren, von welchen Eltern Hercules gezeugt sei, den ganzen Hergang der Sache dem Faunus melden lassen. Darauf habe auch Jener auf’s begierigste nach der Freundschaft des Hercules getrachtet. Dieser Annahme jedoch zu folgen hütete sich unser Maro28.
8 (1) Als nun Recaranus oder Hercules „Jupiter dem Finder“ den „größten Altar“ geweihet hatte, berief er zwei Männer aus Italien, den Potitius und Pinarius, zu sich, um ihnen die Besorgung dieser Opfer nach einer bestimmten Regel zu lehren. (2) Von diesen nun wurde Potitius, weil er eher gekommen war, zum Speisen der Eingeweide zugelassen, Pinarius aber sammt seinen Nachkommen davon ausgeschlossen, [16] weil er zu spät gekommen sei. Daher hat sich noch heutigen Tages der Gebrauch erhalten, daß keinem Mitgliede der Pinarischen Familie29 bei dieser Opferhandlung zu essen gestattet ist. (3) Einige behaupten, sie wären früher mit einem andern Namen belegt gewesen, später aber vom Griechischen πεινᾶν30 Pinarier genannt worden, weil sie nämlich mit leerem Magen und somit hungrig von diesem Opfer hinweggingen. (4) Diese Sitte, daß, wenn die Potitier das Opfer besorgten und von dem Stiere, den sie geopfert hatten, aßen, die Pinarier erst dann zugelassen wurden, wenn die Potitier Nichts mehr übrig gelassen hatten, erhielt sich bis auf den Censor Appius Claudius. (5) Später aber verlockte Appius Claudius die Potitier durch eine Geldspende, daß sie die Besorgung des Opferdienstes des Hercules den öffentlichen Sclaven lehrten und auch selbst weibliche Personen dabei zuließen. (6) In Folge dessen soll die ganze Familie der Potitier, welche bis dahin Vorrang beim Opfer hatte, innerhalb dreißig Tagen ausgestorben und so die Besorgung des Opfers in den Händen der Pinarier geblieben sein, und diese, sowohl von Religiosität als von Pflichtgefühl geleitet, solche geheimnißvolle Gebräuche treulich bewahrt haben.
9 (1) Als nach dem Tode des Faunus sein Sohn Latinus in Italien regierte, verließ Aeneas, nachdem Ilium31 vom Antenor und andern Fürsten32 an die Achiver verrathen an die Achiver verrathen worden war, bei Nacht die Stadt, indem er die Familiengötter vor sich [auf den Armen], seinen Vater Anchises aber auf den Schultern trug und zugleich seinen kleinen Sohn an der Hand mit sich fortzog. Obgleich bei Tagesanbruch von den Feinden erkannt, wurde er dennoch, weil er sich aus kindlicher Liebe mit einer solchen Bürde belastet hatte, nicht nur von Niemandem aufgehalten, [17] sondern erhielt sogar vom König Agamemnon die Erlaubniß sich hinzubegeben, wohin er wollte. Er ging nun auf den Ida33, erbaute hier Schiffe und steuerte nach dem Rathe des Orakels mit einer großen Anzahl von Leuten beiderlei Geschlechts nach Italien; wie Alexander von Ephesus im ersten Buche seines Marsischen Krieges lehrt. (2) Lutatius hingegen erzählt, daß nicht blos Antenor, sondern auch Aeneas selbst Verräther ihrer Vaterstadt gewesen seien. (3) Als nun diesem vom König Agamemnon gestattet worden sei, zu gehen, wohin er wollte, und auf seinen Schultern fortzutragen, was er für sein Theuerstes hielte, so habe er Nichts als die Hausgötter, seinen Vater und, wie Einige erzählen, seine beiden Söhne, nach den Angaben Anderer aber nur den einen, der den Namen Julus, später auch Ascanius führte, mit sich fortgenommen. (4) Durch diese liebevolle Gesinnung gerührt, hätten ihn die Fürsten der Achiver veranlaßt, nach Hause zurückzukehren und Alles, was er wollte, mit sich zu nehmen. So sei er denn mit großen Schätzen und sehr vielen Begleitern beiderlei Geschlechts von Troja weggezogen und nach Durchschiffung des weiten Meeres bei den Küsten verschiedener Länder vorbei nach Italien gekommen; zuerst aber habe er, in Thracien gelandet, die nach seinem Namen benannte Stadt Aenus gegründet34. (5) Als ihm jedoch die Treulosigkeit des Polymnestor aus der Ermordung des Polydorus offenbar geworden35, habe er sich von dort die Lavinia, die Tochter des Anius, eines Priesters des Apollo, geheirathet, nach deren Namen das lavinische Gestade benannt worden sei. (6) Nach Durchschiffung vieler Meere sei er endlich an einem Vorgebirge Italiens im Meerbusen von [18] Bajä36 in der Gegend des Sees Avernus gelandet und habe daselbst seinen von einer Krankheit hinweggerafften Steuermann Misenus begraben, und dessen Namen die Stadt Misenum benannt sei37; wie auch Cäsar im ersten Buche der Pontificalien schreibt, nach dessen Bericht jedoch dieser Misenus nicht ein Steuermann, sondern ein Trompeter war. (7) Daher hat Maro mit Recht beiden Meinungen folgend also geschrieben38:
Aber der fromme Aeneas erbaut ein gewaltiges Grabmal,
Das mit des Mannes Geräth’ er schmückt, der Trompet’ und dem Steuer.
(8) Freilich aber behaupten Einige mit Berufung auf Homer, daß zur Zeit des Trojanischen Kriegs der Gebrauch der Trompete noch unbekannt gewesen sei.
10 (1) Manche fügen außerdem noch hinzu, Aeneas habe die schon hochbejahrte Mutter des Euxinus, eines seiner Gefährten, an dieser Küste in der Nähe des Sees, welcher sich zwischen Misenum und dem Avernus findet, begraben lassen, und daher habe jene Localität, die noch jetzt der Euxinische Busen39 heißt, ihren Namen erhalten. Auch sei Aeneas, als er erfahren habe, daß ebendaselbst, in der sogenannten Stadt Cimbarions40, Sibylla den Sterblichen die Zukunft weissage, dorthin gegangen, um seinem Schicksal nachzuforschen, und auf Befragung der Seherin sei ihm verboten worden, seine Verwandte Prochyta, die er doch ganz gesund verlassen hatte, in Italien zu beerdigen; (2) aber zur Flotte zurückgekehrt, habe er sie todt gefunden und auf der nächsten Insel, welche noch jetzt denselben Namen führt41, begraben lassen, wie Vulcatius und Acilius Piso erzählen. (3) Von da abgereist, sei er an den Ort gekommen, der jetzt nach dem Namen seiner [19] Amme, die er hier verlor und begraben ließ, Hafen der Cajeta42 heißt. (4) Cäsar und Sempronius dagegen behaupten, Cajeta sei nur ihr Beiname, nicht ihr eigentlicher Name gewesen und ihr deshalb beigelegt worden, weil auf ihren Rath und Antrieb die Trojanischen Mütter, der langen Seereise müde, die Flotte in daselbst in Brand gesteckt hätten; nämlich vom griechischen Worte καίειν, welches „anzünden“ bedeutet. (5) Von da sei er an die Küste Italiens gelangt, welche nach einem Lorbeerhaine den Namen Laureus erhalten hat, und wo Latinus herrschte, habe hier mit seinem Vater Anchises, seinem Sohn und seinen übrigen Begleitern das Schaff verlassen und sich am Ufer niedergelegt, wo sie nach Aufzehrung aller Speise, die vorhanden war, auch noch die Rinde der geheiligten Mehltische43, die sich bei sich führten, aufgegessen hätten.
11 (1) Da habe Anchises vermuthtet, dieß sei das Ende ihrer Mühsale und Irrfahrt, weil er sich nämlich erinnerte, daß Venus ihm einst geweissagt habe, daß, wenn sie an fremder Küste, von Hunger getrieben, selbst über die geheiligten Tische hergefallen wären, dieß der vom Schicksal zum Aufschlagen ihres Wohnsitzes bestimmte Ort sein werde. (2) Auch habe ein trächtiges Mutterschwein, das sich, als man es aus dem Schiffe herausgebracht, um es zu opfern, den Händen der Opferdiener entwunden hätte, den Aeneas an den ihm einst gegebenen Orakelspruch erinnert, ein Vierfüßler werde sein Führer zur Gründung einer Stadt sein. (3) Da sei er ihm denn mit den Bildern der Familiengötter nachgegangen und habe auf der Stelle, wo es sich niedergelegt und dreißig Junge geworfen, eine Stadt zu erbauen angefangen und sie später Lavinium genannt. So erzählt Cäsar im ersten und Lutatius im zweiten Buche.
12 (1) Domitius aber berichtet, nicht runde Kuchen aus Mehl, wie oben gesagt worden, sondern Eppich, von dem sich eine große Menge daselbst fand, habe ihnen, um ihre Mahlzeit halten zu können, statt der Tische zur Unterlage gedient, und diesen hätten sie nach Aufzehrung [20] der andern Lebensmittel auch noch gegessen, kurz darauf aber erkannt, daß dieß die Tische wären, die sie der Weissagung zufolgen verzehren würden. (2) Während unterdessen Aeneas das Schwein am Ufer opferte und mit Vollendung der Opferhandlung beschäftigt war, soll er zufällig die argivische Flotte bemerkt haben, auf welcher sich Ulysses befand, und da er fürchtete, er möchte, vom Feinde erkannt, in Gefahr gerathen, zugleich aber auch die Unterbrechung der heiligen Handlung für den größten Frevel hielt, das Haupt mit dem Gewande verhüllt und so mit vollständiger Beobachtung aller Gebräuche das Opfer vollendet haben. Daher hat sich die Sitte, also zu opfern, auf die Nachkommen vererbt, wie Marcus Octavius im ersten Buche schreibt. (3) Domitius jedoch berichtet im ersten Buche, Aeneas sei durch ein Orakel des delphischen Apollo bedeutet worden, nach Italien zu gehen, wo er zwei Meere gefunden und das Frühstück sammt den Tischen verzehrt haben würde, eine Stadt zu erbauen. (4) So sei er denn im laurentischen Gebiete gelandet, und nachdem er eine kleine Strecke vom Ufer aus vorgeschritten, an zwei einander benachbarte Seen44 mit Salzwasser gelangt, in denen er sich gebadet habe. Als er sich durch Speise gestärkt und auch den Eppich, der ihm statt eines Tisches zur Unterlage gedient, verzehrt gehabt, habe er es für unzweifelhaft gehalten, daß dieß jene zwei Meere wären, weil sich in jenen Seen eine Art von Meerwasser gefunden und er die Tische, welche aus einer Unterlage von Eppich bestanden, mit verzehrt habe; und so hätte er denn an dieser Stelle eine Stadt erbaut und sie, weil er sich in dem See gebadet, Lavinium benannt45. Darauf wären ihm von Latinus, dem Könige der Aboriginer, fünfhundert Morgen Landes zum Wohnplatz geschenkt worden. (5) Cato dagegen erzählt in seiner Geschichte vom Ursprunge des römischen Volks Folgendes: Ein Schwein habe an der Stelle, wo jetzt Lavinium steht, dreißig Junge geworfen und, da nun Aeneas hier eine Stadt zu erbauen beschlossen, aber der Unfruchtbarkeit des Bodens wegen doch einige Furcht gehegen habe, seien ihm im Traume [21] die Gestalten seiner Familiengötter erschienen mit der Ermahnung, den Bau der Stadt, den er begonnen, fortzusetzen, denn nach eben so vielen Jahren, als das Schwein Junge geworfen, würden die Trojaner in fruchtbare Gegenden und reichern Ertrag gebende Ländereien hinüberwandern und eine Stadt hochberühmten Namens in Italien erbauen.
13 (1) Daher habe der König der Aboriginer Latinus auf erhaltene Nachricht, daß ein großer Haufe fremder Ankömmlinge mit einer Flotte gelandet sei und das laurentische Gebiet in Besitz genommen habe, ohne Zögern seine Truppen gegen die so plötzlich und unerwartet erschienenen Feinde hinausgeführt; doch noch ehe er das Zeichen zum Kampfe gegeben, habe er bemerkt, daß die Trojaner kriegerisch bewaffnet und geordnet wären, während seine Leute nur mit Steinen und Pfählen ausgerüstet und die linke Hand mit Kleidern und Fellen, welche ihnen zur Bedeckung dienten, umwickelt ausgezogen waren. (2) Deshalb habe er mit dem Kampfe Anstand genommen und in einer Unterredung gefragt, wer sie wären und was sie wollten, da er nämlich zu dieser Maßregel durch einen Wink der Götter genöthigt wurde; denn er war durch die Eingeweide [der Opferthiere] und durch Träume oft erinnert worden, er werde sicherer von Feinden sein, wenn er seine Truppen mit fremden Ankömmlingen vereinigt hätte; (3) und als er nun erfahren hatte, daß Aeneas und Anchises, durch Krieg aus ihrem Vaterlande vertrieben, mit ihren Götterbildern herumirrten und neue Wohnsitze suchten, sei er auf Freundschaft und Bündniß mit ihnen eingegangen, nachdem man sich gegenseitig zugeschworen hatte, daß man auch dieselben Feinde und Freunde haben wolle. (4) So hätten denn die Trojaner angefangen den Ort zu befestigen, den Aeneas nach seiner Gattin Lavinia, der Tochter des Königs Latinus, die schon vorher dem Turnus aus Herdonia verlobt gewesen war, Lavinium nannte46. (5) Amata jedoch, die Gemahlin des Königs Latinus, unwillig darüber, daß die Lavinia unter Zurückweisung ihres Vetters Turnus mit dem trojanischen Fremdling vermählt worden war, habe den Turnus aufgereizt die Waffen zu ergreifen, und dieser sei bald darauf mit einem gesammelten Heere von Rutulern in das laurentische Gebiet eingefallen, [22] Latinus aber zugleich mit Aeneas ihm entgegengezogen und Ersterer im Gewühl der Kämpfenden umringt und getödtet worden. (6) Dennoch gab Aeneas auch nach Verlust seines Schwiegervaters den Widerstand gegen die Rutuler nicht auf und erlegte sogar den Turnus. (7) Nachdem die Feinde in die Flucht geschlagen waren, kehrte er als Sieger mit seinen Leuten nach Lavinium zurück und wurde durch Uebereinstimmung aller Latiner zum König ausgerufen, wie Lutatius im dritten Buche erzählt. (8) Piso jedoch berichtet, Turnus sei ein Mutterbruderssohn der Amata gewesen und habe sich, nachdem Latinus erschlagen worden, selbst den Tod gegeben.
14 (1) Wie also Aeneas [erzählt man weiter]47 nach dem Tode die Herrschaft erlangt und noch voll von Zorn die Fortsetzung des Kriegs gegen die Rutuler beschlossen hatte, erflehten und verschafften sich diese Hülfe aus Etrurien vom König der Agilläer Mezentius, unter dem Versprechen, wenn der Sieg erkämpft wäre, solle das ganze Besitzthum der Latiner dem Mezentius anheimfallen. (2) Darauf ließ Aeneas, weil er an Truppenzahl schwächer war, viele Gegenstände, die zum Schutze der Stadt nöthig waren, in dieselbe zusammenbringen und schlug unterhalb48 Lavinium sein Lager auf. Nachdem er ihm seinen Sohn Euryleon zum Befehlshaber gegeben, führte er selbst, einen günstigen Zeitpunkt zum Kampfe wählend, seine Truppen in der Gegend eines vom Flusse Numicus49 gebildeten Sees zur Schlacht hinaus. Als hier auf’s Hitzigste gekämpft wurde, verfinsterte sich durch einen plötzlichen Wirbelwind die Luft und plötzlich ergoß sich unter ihn begleitendem Donner und Blitz ein solcher Regenstrom vom Himmel, daß Allen nicht blos die Augen geblendet, sondern auch die Gemüther in Bestürzung gesetzt wurden, und obgleich alle Kämpfer auf beiden Seiten der heiße Wunsch erfüllte dem Kampfe ein Ende zu machen, so war dennoch Aeneas in der Verwirrung jenes plötzlichen Gewitters verschwunden, und kam auch später nirgends wieder zum Vorschein. (3) Man erzählt aber, er sei, weil er nicht ahnte, daß er dem Flusse [23] so nahe war, von Ungefähr dem Ufer entgleitend in denselben hinabgestürzt, und so habe das Treffen geendet; als darauf die Wolken sich zertheilt und verzogen hatten und wieder heiterer Himmel leuchtete, glaubte man, er sei lebend in den Himmel aufgenommen worden. (4) Doch versichert man, derselbe sei später vom Ascanius und einigen Andern am Ufer des Numicus in derselben Tracht und Rüstung, in der er zum Treffen ausgezogen war, erblickt worden, welcher Umstand das Gerücht von seiner Unsterblichkeit noch bestärkte. Daher wurde ihm an jener Stelle ein Tempel geweiht und man beschloß, ihn Pater Indiges [den einheimischen Vater]50 zu nennen. (5) Hierauf wurde sein Sohn Ascanius, der auch Euryleon hieß, nach dem Ausspruch sämmtlicher Latiner zum König ernannt.
15 (1) Da Ascanius, somit zur Herrschaft über die Latiner gelangt, beschlossen hatte, den Krieg mit Mezentius ununterbrochen fortzuführen, bemächtigte sich Lausus, der Sohn des Letzteren, des Burghügels von Lavinium, und weil diese Stadt von der gesammten Streitmacht des Königs51 eingeschlossen gehalten wurde, schickten die Latiner Gesandte an den Mezentius, um zu hören, unter welchen Bedingungen er ihre Uebergabe genehmigen wolle. (2) Da er nun aber unter andern lästigen Forderungen auch die stellte, daß alljährlich der ganze Weinertrag, des latinischen Gebiets an ihn abgeliefert werden sollten, so beschloß man auf Rath und Antrieb des Ascanius, lieber zu sterben, als sich auf solche Art unter das Sclavenjoch zu beugen. (3) Nachdem also die Latiner den ganzen Ertrag der Weinlese nach öffentlichem Beschlusse dem Jupiter gelobt und geweihet hatten, brachen sie aus der Stadt hervor, schlugen die Besatzung [der Burg], tödteten den Lausus und zwangen den Mezentius zur Flucht. (4) Später erlangte derselbe durch eine Gesandtschaft Freundschaft und Bündniß mit den Latinern, wie Julius Cäsar im ersten Buche berichtet, und ebenso auch Aulus Postumius in der Schrift, die er „über die Ankunft des Aeneas“ verfaßte und herausgab. (5) Daher hielten die Latiner den Ascanius seiner außerordentlichen Tapferkeit wegen nicht nur für einen Sohn des Jupiter, sondern nannten ihn auch mit Verkleinerung und geringer [24] Veränderung des Namens zuerst Jobus und sodann Julus52. Von ihm stammt die Familie der Julier her, wie Cäsar im zweiten Buche und Cato in seiner Urgeschichte schreiben.
16 (1) Unterdessen war Lavinia, vom Aeneas schwanger hinterlassen, aus Furcht, als ob sie Ascanius verfolgen werde, in den Wald zum Tyrrhus, dem Aufseher über die Heerden ihres Vaters, geflohen und hatte daselbst einen Knaben, der nach der Ortsbeschaffenheit Silvius53 genannt wurde. (2) Weil aber der große Haufe der Latiner glaubte, sie sei vom Ascanius heimlich umgebracht worden, so erregte dieß eine gewaltige Erbitterung gegen ihn, und zwar in solchem Grade, daß man ihm sogar mit Waffengewalt drohte. (3) Da nun Ascanius, obgleich er sich durch einen Eid zu reinigen suchgte, doch Nichts bei ihnen ausrichtete, erbat er sich Aufschub, um Nachforschungen anstellen zu lassen, und stillte so den augenblicklichen Zorn des Volks ein wenig. Er versprach, den, welcher die Lavinia auffinden würde, mit großen Belohnungen zu überhäufen, führte die bald darauf mit ihrem Sohne Wiedergefundene in die Stadt zurück, und liebte sie mit aller einer Mutter gebührenden Ehrerbietung; (4) welche Handlungsweise ihm wieder große Gunst beim Volke verschaffte, wie Cajus Cäsar und Sextus Gellius in seiner Schrift vom Ursprunge des römischen Volks berichten. (5) Andere jedoch erzählen, als Ascanius vom gesammten Volke gedrängt worden sei, die Lavinia wieder herbeizuschaffen, und geschworen habe, daß er sie weder getödtet habe, noch ihren Aufenthaltsort wisse, so habe Tyrrhus, nachdem er um Stille gebeten, in jener zahlreichen Versammlung sich zu einer Entdeckung bereit erklärt, wenn ihm, der Lavinia und dem von ihr geborenen Knaben das Versprechen der Sicherheit gegeben würde, und so habe er denn, nachdem er dieses Versprechen empfangen, die Lavinia sammt ihrem Sohne in die Stadt zurückgebracht.
17 (1) Als dreißig Jahre in Lavinium verflossen waren, erinnerte sich Ascanius, daß nun nach der Zahl der Jungen, welche die weiße Sau geworfen hatte, die Zeit zur Gründung einer neuen Stadt gekommen [25] sei, und nachdem er die benachbarten Gegenden genau in Augenschein genommen, erspähte er einen hervorragenden Berg, der jetzt nach der auf ihm erbauten Stadt der albanische heißt, und gründete auf demselben eine feste Stadt, die er nach ihrer Gestalt, weil sie sich sehr in die Länge hin erstreckt, Longa, nach der Farbe der Sau aber Alba54 nannte. (2) Als er auch die Bildnisse der Familiengötter dorthin versetzt hatte, erschienen sie am folgenden Tage wieder in Lavinium, und abermals nach Alba zurückgetragen und mit Wächtern umgeben, zogen sie sich doch wiederholt an ihren alten Sitz nach Lavinium zurück. (3) Deshalb wagte Niemand sie zum dritten Male von dort zu entfernen, wie sich im vierten Buche der Jahrbücher der Pontifices, im zweiten des Cincius und Cäsar und im ersten des Tubero geschrieben findet. (4) Als Ascanius aus dem Leben geschieden war, entstand zwischen seinem Sohne Julus und dem Silvius Postumus, dem Sohne der Lavinia, ein Streit über die Thronfolge, weil man im Zweifel darüber war, ob der Sohn oder der Enkel des Aeneas der Berechtigtere sei. Da der Gesammtheit des Volks die Entscheidung überlassen wurde, so ernannte diese den Silvius zum König. (5) Die Nachkommen desselben, die alle den Beinamen Silvius führten, herrschten in Alba bis zur Erbauung Roms, wie im vierten Buche der Jahrbücher der Pontifices geschrieben steht. (6) Unter der Regierung des Latinus Silvius wurden die Pflanzstädte Präneste, Tibur, Gabii, Tusculum, Cora, Pometia, Locri, Crustumerium, Cameria, Bovillä und die übrigen Städte rings umher angelegt.
18 (1) Nach ihm regierte Tiberius Silvius, ein Sohn des Silvius. Als er seine Truppen gegen die ihn mit Krieg überziehenden Grenznachbarn geführt hatte, stürzte er während des Kampfgewühls in den Fluß Albula, wo er seinen Tod fand, und ward die Veranlassung zur Veränderung des Namens [dieses Flusses], wie Lucius Cincius im ersten und Lutatius im dritten Buche erzählen. (2) Nach ihm herrschte Aremulus Silvius, der von solchem Uebermuth nicht blos gegen Menschen, sondern selbst gegen die Götter erfüllt gewesen sein soll, daß er sich rühmte, er stehe noch über Jupiter selbst, und [26] wenn es donnerte, seinen Soldaten befahl mit den Waffen an die Schilde zu schlagen, wobei er prahlte, er bringe einen lauteren Schall hervor. (3) Ihn traf jedoch sofort die Strafe, denn er wurde vom Blitze getroffen und, vom Sturmwinde mit fortgerissen, in den Albanersee gestürzt, wie ihm sechsten Buche der Jahrbücher und im zweiten der Auszüge Piso’s geschrieben steht. (4) Aufidius freilich in den Auszügen und Domitius im ersten Buche berichten, er sei nicht vom Blitze getroffen worden, sondern bei einem Erdbeben zugleich mit seiner Königsburg in den Albanersee versunken. (5) Nach ihm regierte Aventinus Silvius. Dieser wurde, als ihn die Grenznachbarn mit Krieg überzogen, während des Kampfes umringt, von den Feinden erschlagen und am Fuße des Berges begraben, dem er seinen Namen gab, wie Julius Cäsar im zweiten Buche erzählt.
19 (1) Nach ihm wurde Silvius Procas König der Albaner, welcher seine beiden Söhne Numitor und Amulius zu gleichen Theilen als Erben einsetzte. (2) Da bestimmte nun Amulius als den einen Theil blos den Thron, als den andern aber das ganze baare Vermögen und die gesammte Masse der väterlichen Güter und stellte dem Numitor, welcher der ältere war, frei, welchen von diesen beiden Theilen er wählen wollte. (3) Numitor zog das Privatvermögen sammt den Gütern der Regierung vor, und so kam denn Amulius auf den Thron. (4) Um sich den Besitz desselben zu sichern, ließ er den Sohn seines Bruders Numitor auf der Jagd tödten, und nöthigte dann auch dessen Schwester Rea Silvia Priesterin der Vesta zu werden, indem er einen Traum erheuchelte, in welchem er von dieser Göttin ermahnt worden sei, daß solches geschehe, während er in Wirklichkeit [nur deshalb] so handeln zu müssen glaubte, weil er die Gefahr fürchtete, es möchte von der Rea ein Sohn geboren werden55, der die dem Großvater zugefügte Unbill rächen könnte, wie Valerius Antias im ersten Buche meldet. (5) Marcus Octavius und Licinius Macer dagegen erzählen, Amulius, der Oheim der Priesterin Rea, habe, von Liebe zu ihr ergriffen, bei bewölktem Himmel und trüber Luft, als es eben erst zu dämmern begonnen hatte und sie kam, um für den Opferdienst Wasser zu holen, [27] ihr aufgelauert und sie im Haine des Mars entehrt, sie aber nach Verlauf der [neun] Monate Zwillinge geboren. (6) Als er dieß erfahren hatte, befahl er, um seine verbrecherische That zu verheimlichen, die Priesterin zu tödten, die Kinder aber zu ihm zu bringen. (7) Da nun habe Numitor in Hoffnung auf die Zukunft, daß diese Knaben, wenn sie herangewachsen wären, einst Rächer des ihm angethanen Unrechts werden könnten, andere für sie untergeschoben und jene, seine wahren Enkel, dem Aufseher seiner Hirten Faustulus zur Erziehung übergeben.
20 (1) Dagegen aber erzählen Fabius Pictor im ersten Buche und Vennonius, die Jungfrau sei dem gewöhnlichen Gebrauche nach ausgegangen, um Wasser für den Opferdienst aus der Quelle im Haine des Mars zu holen, und nachdem ein plötzlicher Regenguß und ein Gewitter ihre Begleiterinnen zerstreut habe, vom Mars umarmt und in ihrer Bestürzung bald durch den tröstenden Zuspruch des Gottes wieder aufgerichtet worden, der ihr seinen Namen entdeckt und versichert habe, ihre Söhne würden des Vaters nicht unwürdig werden. (2) Sobald daher der König Amulius erfuhr, die Priesterin Rea Silvia habe Zwillinge geboren, befahl er sogleich sie an den Strom zu tragen und hineinzuwerfen. (3) Die, welchen dieser Befehl ertheilt worden war, legten die Knaben in eine Mulde und warfen sie am Fuße des palatinischen Berges in die Tiber, welche damals durch große Regengüsse ausgetreten war; ein Sauhirt dieser Gegend aber, Namens Faustulus, welcher zusah, als sie ausgesetzt wurden, bemerkte, daß beim Zurücktreten des Flusses die Mulde, in welcher die Knaben lagen, an einem Feigenbaume hangen geblieben war, und daß eine durch das Gewimmer der Knaben herbeigelockte Wölfin, welche auf Raub ausgegangen war56, sie zuerst beleckte und abtrocknete und ihnen dann, um ihrem Euter Erleichterung zu verschaffen, ihre Zitzen darbot; er stieg also hinunter, hob die Kleinen auf und übergab sie seiner Frau Acca Laurentia zur Erziehung, wie Ennius im ersten und Cäsar im zweiten Buche berichten. (4) Einige fügen noch hinzu, vor den Augen des [28] Faustulus sei auch ein Specht herbeigeflogen und habe mit vollem Schnabel den Knaben Speise beigebracht; deshalb ständen denn auch sowohl der Wolf als der Specht unter dem Schutze des Mars. Auch sei jener Baum, in dessen Nähe die Knaben ausgesetzt worden waren, der ruminalische genannt worden, weil das Vieh in der Mittagszeit, unter seinem Schatten ruhend, wiederzukäuen57 pflegte.
21 (1) Valerius dagegen erzählt, der König Amulius habe die von der Rea Silvia geborenen Knaben dem Sclaven Faustulus übergeben, um sie zu tödten, dieser aber sich vom Numitor erbitten lassen, sie nicht zu ermorden und sie seiner Geliebten Acca Laurentia zur Pflege übergeben, diese Frauensperson aber sei, weil sie ihren Lieb für Geld preiszugeben pflegte, Lupa58 genannt worden. (2) Es ist nämlich bekannt, daß Weibspersonen, welche mit ihrem Körper Gewerbe treiben, diesen Namen führen, weshalb auch dergleichen Orte, wo solche sich aufhalten, Lupanaria heißen. (3) Als aber die Knaben für Erlernung der Wissenschaften empfänglich geworden, hätten sie sich in Gabii59 aufgehalten, um sich Kenntnisse im Griechischen und Lateinischen zu erwerben, wozu ihnen ihr Großvater Numitor heimlich alle Mittel zugesteckt habe. (4) Sobald sie nun herangewachsen, sei Romulus, auf die von seinem Erzieher Faustulus ihm gemachte Entdeckung, wer sein Großvater, wer seine Mutter und was mit dieser geschehen sei, sofort mit bewaffneten Hirten nach Alba gezogen und habe nach Ermordung des Amulius seinen Großvater Numitor wieder auf den Thron gesetzt. Romulus sei er aber seiner großen körperlichen Stärke wegen genannt worden; denn es ist gewiß, daß in griechischer Sprache die Körperkraft ῥώμη [Rome] heißt. Der andere [Bruder] aber habe von seiner Langsamkeit den Namen Remus bekommen, denn Menschen dieser Eigenschaft wurden von den Alten Remores genannt.
22 (1) Nachdem also das, was wir oben berichtet haben, geschehen [29] und das Opfer an dem Orte, der jetzt das Lupercal heißt, vollbracht war, liefen sie60 Possen treibend herum, indem sie allen ihnen Begegnenden Streiche mit den Häuten der Opferthiere versetzten, und verordneten, daß dieß für sie und ihre Nachkommen ein alljährlich wiederkehrendes Fest sein sollte; auch gab Jeder seinen Leuten einen besonderen Namen und Remus nannte sie Fabier, Romulus aber Quinctilier, welche beide Namen sich noch jetzt bei den Opfern erhalten haben. (2) Dagegen wird im zweiten Buche der Jahrbücher der Pontifices erzählt, Amulius habe Leute abgesendet, welche den Hirten Remus zu ihm bringen sollten, und da sie nicht gewagt hätten, Gewalt gegen ihn zu brauchen, so hätten sie, als in dem Umstande, daß Romulus abwesend war, eine günstige Gelegenheit zur Hinterlist gefunden, zum Scheine ein Spiel vorgenommen, wer von ihnen mit auf dem Rücken gebundenen Händen einen Stein, nach dem man die Wolle abzuwiegen pflegte, mit den Zähnen aufheben und am weitesten tragen könnte. (3) Da habe Remus, im Vertrauen auf seine Kraft, sich anheischig gemacht, ihn bis auf den Aventinus zu tragen, und sei so, nachdem er sich habe binden lassen, nach Alba fortgeschleppt worden. Nachdem dieß Romulus erfahren, habe er eine Schaar von Hirten gesammelt, diese in Haufen von hundert Mann getheilt und ihnen Stangen gegeben, an deren Spitze Heubündel von verschiedener Gestalt befestigt waren, damit unter diesem Zeichen ein Jeder seinem Führer desto leichter folgen könnte. Daher sei es gekommen, daß späterhin diejenigen Soldaten, welche zu einem und demselben Feldzeichen gehörten, Manipulares genannt worden wären61. (4) So habe denn Romulus, nachdem er den Amulius getödtet, seinen Bruder aus der Haft befreit und seinen Großvater wieder auf den Thron gesetzt.
23 (1) Als nun Romulus und Remus mit einander über die Erbauung einer Stadt verhandelten, in welcher sie gemeinschaftlich regieren wollten, bezeichnete Romulus einen ihm dazu geeignet scheinenden Platz auf dem palatinischen Berge und wollte ihn Roma genannt wissen, Remus dagegen einen andern, vom Palatinus 5000 Schritte [30] entfernten Hügel, welcher Ort nach seinem Namen Remuria heißen sollte, und da ihr Streit kein Ende nehmen wollte, so wählten sie ihren Großvater Numitor zum Schiedsrichter und kamen mit ihm überein, die Entscheidung des Streites den unsterblichen Göttern zu überlassen, so daß derjenige von beiden, dem zuerst günstige Götterzeichen62 zu Theil werden würden, die Stadt erbauen, sie nach seinem Namen benennen und in ihr die Regierung führen sollte. (2) Als nun Romulus auf dem Palatium, Remus aber auf dem Aventinus die Vogelschau anstellten, erblickte Remus zuerst sechs in gleichem Zuge zur Linken fliegende Geier und schickte sogleich Leute ab, welche dem Romulus melden sollten, ihm seien bereits Götterzeichen gegeben worden, die ihm die Stadt zu gründen beföhlen, er möge sich also beeilen zu ihm zu kommen. (3) Wie nun dieser zu ihm gekommen war und auf seine Frage, was für ein Götterzeichen es gewesen wäre, die Antwort erhalten hatte, bei der Vogelschau seien ihm sechs Geier auf einmal erschienen, da sprach Romulus: „Ich aber will dir sogleich zwölf zeigen“, und sofort erblickte man zwölf Geier, indem zugleich ein Blitz und Donnerschlag ihr Erscheinen begleitete. (4) Darauf fragte Romulus: „Wie kannst du dich auf das Frühere berufen, wenn du das Gegenwärtige siehst?“ Als daher Remus einsah, daß er um die Regierung gebracht sei, sprach er: „Viele kühne Hoffnungen und Erwartungen werden in dieser Stadt auf’s Glücklichste in Erfüllung gehen.“ (5) Indessen behauptet Licinius Macer im ersten Buche, der Ausgang jenes Streites sei ein verderblicher gewesen, denn Remus und Faustulus, welche Widerstand versucht hätten, seien dabei getödtet worden. (6) Egnatius dagegen erzählt im ersten Buche, Remus sei bei jenem Streite nicht nur nicht erschlagen worden, sondern habe sogar den Romulus noch überlebt.
Allen diesen abweichenden Meinungen aber widerspricht die Geschichte des Livius63, welche bezeugt, daß Romulus auf angestellte Vogelschau [die neue Stadt] nach seinem Namen Roma benannte, und während er sie mit Mauern umgab, [31] den Befehl ertheilte, es solle Niemand über den Wall springen; daß aber Remus, [diesen Befehl] verlachend, dennoch hinübergesprungen und vom Hauptmann Celer mit einem Grabschreit erschlagen worden sei. Romulus [eröffnete] allen Ankömmlingen eine Freistätte64 – –
Anmerkungen
1 Oder vielmehr: eines unbekannten Verfassers. Vgl. die Einleitung.
2 Es ist der Valerius aus Antium gemeint. Das seine Herkunft bezeichnende Adjectivum wird auf doppelte Weise gebildet, Antiates und Antias.
3 Es ist klar, daß dieses Vorwort nicht einmal vom Verfasser dieser Schrift de origine gentis Romanae herrühren kann, sondern von dem Grammatiker vorausgeschickt wurde, der sie mit den beiden folgenden unter Aurel. Victor’s Namen zu Einem Ganzen zu verbinden suchte. Vgl. die Einleitung.
4 Aen. VIII, 319.
5 Aen. I, 1.
6 Patavium (das heutige Padua) lag zwar nicht in Illyrien, sondern in dem ihm benachbarten Venetien, da aber Virgil in der angezogenen Stelle den Meerbusen von Triest eine illyrische Bucht nennt, so braucht auch unser Verfasser den Namen Illyricum hier in weiterem Sinne.
7 Aen. I, 242.
8 Aen. II, 262.
9 Eben der oben I, 3 erwähnte Janus.
10 Vers 314 ff.
11 Ebenfalls aus Virgil’s Aeneis VIII, 321 ff.
12 Der Name Latium wird von latere, „verborgen sein“, abgeleitet.
13 Eius, „jenes Mannes“, kann sonst Niemanden bezeichnen, als den Janus.
14 Das Schiff heißt lateinisch navis.
15 Aeneis VIII, 357 f.
16 Hier findet sich im lateinischen Texte eine große Lücke, in welcher wahrscheinlich von den Aboriginern die Rede war, was einem spätern Glossator Veranlassung gab, die in Klammern folgenden Worte beizufügen, welche schwerlich von unserem Verfasser selbst herrühren, sondern sich nur vom Rande in den Text eingeschlichen haben.
17 Aeneis VII, 45.
18 Bell. Cat. c. 6.
19 D. h. Ureinwohner.
20 Von dem latein. Worte errare, „herumirren“.
21 D. i. „sprechen, sagen“, besonders auch „weissagend sprechen, weissagen“.
22 Der Wald heißt lateinisch silva.
23 Lateinisch carmina.
24 Georg. III, 392.
25 Eclog. IV, 58.
26 Der frühere Name der Tiber.
27 Vgl. Trucul. II, 7., 11., wo sich die Worte finden mihi detraxi partem Herculaneam, „ich zog mir den herculischen Theil ab“; aus welcher Stelle wahrscheinlich jenes Sprüchwort in partem Herculaneam, „zum herculanischen Theil“, entstand.
28 Diese Worte können sich nicht auf die Sage vom Cacus und alles früher in diesem Capitel Berichtete beziehen, was ja Virgil Aen. VIII, 193 ff. gerade eben so erzählt, sondern nur auf die §. 4 erwähnten gastfreundlichen Beziehungen des Evander und Faunus zum Hercules, von denen allerdings Virgil Nichts meldet.
29 Nach der gewöhnlichen Lesart nemini Potitio Pinariae gentis würde es heißen: „keinem Potitier aus der Pinarischen Familie“, was nur dann einen Sinn haben könnte, wenn wir annehmen wollten, nach dem Aussterben der Potitischen Familie sei der Name Potitier auf die mit der Besorgung dieser religiösen Feierlichkeit betrauten Mitglieder der Pinarischen Familie übergegangen. Da wir aber davon sonst Nichts wissen, und unser Verfasser sich schwerlich so seltsam und unverständlich ausgedrückt haben würde, so halte ich den Namen Potitio mit Schröter für unächt und lasse ihn in der Uebersetzung weg.
30 πεινᾶν (pinahn) heißt hungern.
31 D. i. Troja.
32 Nämlich der Trojaner.
33 Ein Waldgebirge in der Nähe von Ilium oder Troja.
34 Dieß ist wohl eine Verwechslung mit der Stadt Aenea auf der Halbinsel Chalcidice, deren sich aber auch Virgil Aen. III, 17 und andere Römer schuldig gemacht haben. Die thracische Stadt Aenus ist noch jetzt unter dem Namen Enos vorhanden.
35 Polymnestor, König von Thracien, tödtete nach Troja’s Eroberung aus Habsucht den Sohn des Priamus Polydorus, welchen sein Vater mit vielen Schätzen zu ihm geschickt hatte, um bei ihm Sicherheit zu finden.
36 Eine Stadt Campaniens, jetzt größtentheils vom Meere verschlungen, obgleich es hier noch ein Kastell Namens Baja gibt.
37 Auch sie ist bis auf wenige Trümmer zwischen jenem Castello di Baja und dem Lago Averno verschwunden.
38 Aen. VI, 232 f.
39 Diesen Namen nennt sonst Niemand in dieser Gegend.
40 Ebenfalls ein völlig unbekannter und wahrscheinlich verdorbener Name. Sibylla hatte ihren Wohnsitz bei Cumä.
41 Jetzt heißt sie Procida.
42 Das heutige Gaëta.
43 Flache Brode oder Kuchenscheiben, die bei den Opfern als Opferschalen benutzt wurden, hier aber als Tische dienten, worauf Aeneas und seine Gefährten ihre Mahlzeit hielten.
44 Den Avernus- und Lucrinussee, jetzt Lago Averno und Golf von Puzzuoli, da der Damm, der einst den Lucrinussee vom Meere trennte, jetzt von Letzterem durchbrochen ist.
45 „Sich baden“ heißt lateinisch lavari. Diese Etymologie des Namens Lavinium findet sich bei keinem andern Schriftsteller des Alterthums.
46 Der Ort lag auf dem heutigen Tuffhügel von Pratica, 3 Miglien von der Küste.
47 Diese Worte glaubte ich hinzufügen zu müssen, weil der Verf. alles Folgende in der Construction des Accus. c. Inf. erzählt.
48 Am Fuße der Anhöhe, worauf die Stadt erbaut war.
49 Noch jetzt Numico.
50 Als Schutzgott des Landes.
51 Nämlich der Agilläer, Mezentius.
52 Ein sehr verunglückter etymologischer Versuch, den Namen Julus von Jovis (filius) abzuleiten.
53 Von silva, der Wald.
54 Also Alba Longa. Longa heißt die Lange, Alba die Weiße. Die Höhe von Rocca di Papa in der Nähe des heutigen Albano trug wahrscheinlich ihre Burg.
55 Die Priesterinnen der Vesta aber durften bekanntlich nicht heirathen, sondern mußten das Gelübde ewiger Jungfrauschaft ablegen.
56 Nach der, wie es scheint, auch von Schröter gebilligten Conjectur Arntzen’s quae raptum ierat. Die höchst matte Lesart der Handschr. ist quae repente exierat, „die plötzlich hervorgekommen war“.
57 Lateinisch ruminari. Andere leiten mit größerer Wahrscheinlichkeit den Namen von ruma (Brust, Euter) her, weil die Wölfin die Knaben unter dem Feigenbaume säugte (rumam praebebat).
58 Dieß Wort hat eine doppelte Bedeutung, 1) eine Wölfin, 2) eine öffentliche Dirne.
59 Eine Stadt Latiums, deren Trümmer sich beim heutigen Castiglione, 10 Miglien von Rom, finden.
60 D. h. die beiden Brüder.
61 Manipulus heißt nämlich eigentlich ein Bund oder Bündel (von Heu, Stroh u. s. w.)
62 Auspicia, Winke, Anzeichen der Götter durch die Weissagevögel, deren Flug und Geschrei durch die dazu angestellten Priester (auspices) beobachtet wurde.
63 Die schon von Gruner mit Recht verworfenen Worte nostrae memoriae proclamans lasse ich weg.
64 Mit diesen Worten Romulus asylum convenis, die sich zu Anfang des zweiten Capitels der Schrift de viris illustribus wiederholen, bricht in den Handschriften dieses Schriftchen de origine gentis Romanae ab, und es hat sich daher eine doppelte Ansicht gebildet, entweder daß unser Verf. dieses Werkchen mit dem Tode des Remus geschlossen, ein späterer Herausgeber oder Abschreiber aber durch Hinzufügung jener Worte habe andeuten wollen, daß sich die Schrift de viris illustribus mit Weglassung ihres ersten Capitels (welches, vom Procas und seinen Sohnen handelnd, dorthin gar nicht passe) gleich als Fortsetzung an die Schrift de origine gentis Romanae anzuschließen habe; oder, daß das blos leere Wiederholungen aus letzterer Schrift enthaltende erste Capitel de viris illustribus ein unächter Zusatz eines spätern Abschreibers sei und das zweite Capitel jener Schrift noch als Schluß zu der origo gentis Romanae gehöre, die Schrift de viris illustribus aber eigentlich erst mit dem dritten Capitel Post consecrationem Romuli etc. begonnen habe. Obgleich mir nun letztere Ansicht die richtigere scheint (vgl. Besonders Schröter’s Bemerkungen), so habe ich doch, schon damit das erste Capitel de viris illustribus nicht ganz unübersetzt bliebe, der gewöhnlichen Anordnung folgen zu müssen geglaubt.
