Einleitung des Übersetzers

Ornament

[3] Das Geschichtswerk des Quintus Curtius Rufus „Über die Thaten Alexanders des Großen“ wird zuerst von einigen Schriftstellern des zwölften Jahrhunderts unserer Zeitrechnung erwähnt. Die ältesten jetzt noch vorhandenen Handschriften desselben stammen aus dem zehnten und elften Jahrhunderte. Da also aus dem Altertume weder über die Zeit seiner Entstehung noch über die Person des Verfassers irgend welche Nachrichten vorliegen, das Werk selbst aber, mit Ausnahme einer einzigen vieldeutigen Stelle, dem Urteil über beides nirgends einen vollkommen sicheren Anhaltspunkt bietet, so erklärt sich leicht die große Zahl verschiedenartiger Vermutungen, welche von den Gelehrten über diesen Schriftsteller aufgestellt worden sind. Jene bezeichnete Stelle findet sich ziemlich am Ende des Werkes (10, 28). Es wird dort die Zersplitterung des makedonischen Weltreiches dem Umstande zugeschrieben, daß nach dem Tode Alexanders die Herrschaft nicht in einer Hand geblieben sei, sondern mehrere sich zu Stützen des Reiches aufgeworfen haben. Dann heißt es im Originale, auf dessen Worte hier viel ankommt, weiter: Proinde iure meritoque populus Romanus salutem se principi suo debere profitetur, qui noctis, quam paene supremam habuimus, novum sidus illuxit. Huius, hercule, non solis ortus, lucem caliganti reddidit mundo, cum sine suo capite discordia membra trepidarent. Quot ille tum extinxit faces! quot condidit gladios! quantam tempestatem subita serenitate discussit! Non ergo revirescit solum, sed etiam floret imperium. Absit modo invidia, excipiet huius saeculi tempora eiusdem domus utinam perpetua, certe diuturna posteritas. D. h.: „Demnach bekennt das [4] römische Volk mit vollem Rechte, daß es seinem Fürsten die Rettung verdanke, ihm, der in der Nacht, die beinahe unsere letzte geworden wäre, uns strahlend als ein neues Gestirn aufging. Dieses Gestirnes wahrlich, nicht der Sonne Aufgang hat der im Dunkeln liegenden Welt das Licht wiedergegeben, als ohne ihr gesetzliches Haupt die entzweiten Glieder erzitterten. Wie viele Brandfackeln hat er damals ausgelöscht, wie viele Schwerter in die Scheide gebracht, welch gewaltiges Ungewitter durch den heitern Glanz seiner plötzlichen Erscheinung zerstreut! Es erstarkt also nicht nur, sondern es blüht auch das Reich. Neiden es uns nur nicht Götter, so wird auf dieses unser Zeitalter eine, wollen wir wünschen, nie erlöschende oder doch wenigstens langdauernde Nachkommenschaft aus eben diesem Regentenhause folgen.“

Wie man leicht sieht, beruht alles darauf, zu ermitteln, welcher „Fürst“ und welche „Nacht“ gemeint sei, die dessen plötzliche Erscheinung erhellt habe. In der That nun ist die Reihe der römischen Kaiser nicht klein, auf welche nach und nach jene Worte gedeutet worden sind. Die meisten Stimmen haben sich auf Augustus (Aldus Manutius, Herwarth, Hirt, Zumpt), Claudius (Brissonius, Acidalius, Lipsius, Tellier, Mützell, Teuffel) und Vespasianus (Rutgersius, G. J. Vossius, Buttmann, Pinzger, Bähr, Baumstark) vereinigt; doch haben auch Tiberius (Rader, Perizonius, Friedrich August Wolf), Trajan (Pontanus), Septimius Severus (Niebuhr), Alexander Severus (Johannes von Müller), Gordianus (Gibbon), Constantin (Bagnolo) und Theodosius (Kaspar von Barth) ihre Vertreter gefunden. Alle diese verschiedenen Ansichten hat in neuerer Zeit Mützell in der Vorrede zu seiner trefflichen Ausgabe des Curtius (Berlin 1841; 2 Bde.) S. XLVII. ff. einer äußerst sorgsamen und scharfsinnigen Prüfung unterzogen und zugleich auf sehr überzeugende Weise dargethan, daß die größte Wahrscheinlichkeit für Claudius spreche.1 Seiner Untersuchung entnehmen wir [5] daher im Wesentlichen, was für den Zweck dieser kurzen Mitteilung geeignet scheint. Gegen Augustus sind, von den geringern Unzuträglichkeiten dieser Auslegung abgesehen, erstens die Worte: „Welch gewaltiges Ungewitter hat er durch den heitern Glanz seiner plötzlichen Erscheinung zerstreut!“ geltend zu machen, da sein Auftreten, wodurch die politischen Ungewitter zerstreut und Ruhe und Friede wiederhergestellt wurden, auf keinen Fall als ein „plötzliches“ bezeichnet werden kann. Noch wichtiger aber ist, daß man bei ihm notwendig die „Nacht“ in allegorischem Sinne von den Jahren der Zwietracht und der Bürgerkriege seit Cäsars Ermordung bis zu Augustus‘ Alleinherrschaft verstehen muß. Dies verbietet jedoch der Zusatz: „Die beinahe unsere letzte gewesen wäre“, der, soll er anders richtig gedacht sein, nur auf eine bestimmte wirkliche, nicht auf eine figürliche Nacht bezogen werden kann. Wie auch im folgenden der Gegensatz: „Dieses Gestirnes, wahrlich, nicht der Sonne Aufgang hat der im Dunkeln liegenden Welt das Licht wiedergegeben“ nur dann keinen Anstoß erregt, wenn vorher von einer bestimmten wirklichen Nacht die Rede war. Nach jener Nacht, sagt Curtius, war es nicht der natürliche Sonnenaufgang, sondern das Erscheinen des neuen Kaisergestirns, das der im Dunkel, d. h. in Schrecken und Ungewißheit befindlichen Welt das Licht wiedergab.

Ist es sonach wohl kaum einem Zweifel unterworfen, daß man von einer allegorischen Auffassung der „Nacht“ abzusehen habe, so fallen schon dadurch allein alle diejenigen Hypothesen, die sich auf eine solche Deutung stützen, und wir werden nur derjenigen Auslegung beipflichten dürfen, welche uns eine historische, der Thronbesteigung eines Kaisers unmittelbar vorhergehende, gefahrdrohende Nacht nachweist. Dies aber ist noch bei keinem der genannten Kaiser mit irgend welcher Sicherheit gelungen, als allein bei Claudius: bei diesem jedoch in einer Weise, daß man kaum noch etwas zur vollkommenen Evidenz vermissen dürfte. Als nämlich Caligula am Nachmittage des 24. Januar 41 n. Chr. G. ermordet worden war, verbreitete sich, wie Sueton Caligula [6] 58 und Claudius 10 f., Dio 60, 1 u. 3 und ausführlicher noch Josephus Jüdische Altertümer 19, 1 ff. berichten, allgemeine Bestürzung. Die deutsche Leibwache begann unter dem Vorwande, des Kaisers Tod rächen zu wollen, mit Plündern und Morden, wobei selbst einige Senatoren niedergestoßen wurden. Die Konsuln beriefen den Senat auf das Kapitol, und ein Teil desselben, die Konsuln an der Spitze, beabsichtigte die republikanische Verfassung wiederherzustellen. Aber Volk und Heer erklärten sich dem entgegen: ersteres wollte die Schauspiele und Geschenke der Kaiser nicht missen, letzteres fürchtete an Macht und Einfluß zu verlieren. Da wollte es ein Zufall, daß einige im Palaste plündernde Soldaten den Claudius hinter einem Vorhange versteckt fanden, wohin er sich aus Angst geflüchtet hatte. Sie begrüßten ihn sofort als Kaiser und führten ihn mit sich hinaus ins Lager, wo er auch vom ganzen Heere zum Kaiser ausgerufen wurde. Mittlerweile war die Nacht eingebrochen. Die Beratung des Senates dauerte auch während derselben fort, ohne daß man sich jedoch einigen oder die Wahl des Claudius rückgängig machen konnte. Die Haltung der Soldaten, wenn man den erkorenen Kaiser nicht anerkenne und darauf beharre, durch eine Vielherrschaft die Monarchie zu Grunde zu richten, ward indes immer drohender und ließ die größte Gefahr sowohl für den Senat als für die ganze Stadt befürchten. Als am frühen Morgen einige von Caligulas Mördern die in der Stadt befindlichen Truppen durch eine Anrede zu beruhigen suchten, zogen diese ihre Schwerter und marschierten mit erhobenen Feldzeichen hinaus ins Lager, um sich mit ihren Kameraden, die bereits dem Claudius geschworen hatten, zu vereinigen. Da endlich gab der Senat den Widerstand auf und erkannte auch seinerseits den Claudius als Kaiser an, worauf sofort Ruhe und Ordnung zurückkehrten. Vergleicht man mit der Schilderung dieser Vorgänge die Stelle des Curtius, so wird man sie in allen wesentlichen Punkten derselben entsprechend finden. Hier haben wir eine Gefahr für das römische Reich, ähnlich wie das makedonische [7] nach vorheriger monarchischer Konzentration der Staatsgewalt einer Vielherrschaft und dadurch dem Untergange zu verfallen; hier eine Schreckensnacht, wo der friedliche Bürger fürchten mußte, es sei seine letzte, und die ganze römische Welt in Unsicherheit und Gefahr schwebte; hier Uneinigkeit und Bestürzung der verschiedenen Parteien, die sich ihres gesetzlichen Oberhauptes beraubt sahen; hier gezückte Schwerter und erhobene Brandfackeln der entfesselten Soldateska; hier endlich einen Fürsten, der sich ganz plötzlich und unerwartet auf den Thron erhoben sah, und mit dessen am Morgen erfolgter allseitiger Anerkennung allen diesen drohenden Zuständen sofort ein Ende gemacht wurde. Auch das Lob der Regierung des Claudius in den Worten: „Es erstarkt also nicht nur, sondern es blüht auch das Reich“ darf nicht auffallen, wenn man sich die ganze Stelle in der ersten, nicht unrühmlichen Regierungszeit dieses Kaisers und noch unter dem frischen Eindrucke der bei seiner Thronbesteigung stattgehabten Vorgänge geschrieben denkt. Was endlich den Wunsch wegen der Fortdauer des Kaiserhauses anlangt, so war auch dieser ganz am Platze, da Claudius einen Sohn, den Tiberius Claudius Germanicus Britannicus, und zwei Töchter hatte.

Die wenigen andern Stellen, in welchen man einen entfernten Hinweis auf die Zeit, worin Curtius schrieb, finden zu können meint, widersprechen wenigstens in keiner Weise der obigen Deutung. Wenn es 4, 20 von Tyrus heißt, daß es nach Überstehung so vieler Schicksale und von seiner Zerstörung wiedererstanden, jetzt wenigstens unter dem Schutze der milden römischen Herrschaft der Ruhe genieße, da der lange Friede alles neu aufleben lasse (longa pace cuncta refovente), so zwingt durchaus nichts, diese letzteren Worte auf einen Friedenszustand des gesamten römischen Reiches zu beziehen. Vielmehr kann man sie, wie Mützell richtig bemerkt, in ihrem Zusammenhange nur auf die Ruhe deuten, deren Tyrus selbst unter den heftigsten politischen Stürmen seit Alexander genossen hatte. Aus den Stellen aber wie 4, 15. 5, 23. 6, 6, in denen das Partherreich als zur Zeit des [8] Curtius in seiner vollen Macht stehend erwähnt wird, läßt sich mit Sicherheit nur das folgern, daß Curtius vor 227 n. Chr. G. geschrieben haben müsse, da in diesem Jahre die Herrschaft der Parther gestürzt wurde und an deren Stelle das neupersische Reich der Sassaniden trat, so daß es aus diesem Grunde unmöglich wird, an Kaiser abwärts von Alexander Severus zu denken.

Was endlich die Sprache, dieses hauptsächlichste Kriterium für die Entstehungszeit einer Schrift, anlangt, so ist die des Curtius von den meisten und kompetentesten Richtern als eine noch im ganzen reine und der klassischen Zeit würdige bezeichnet worden, und man wird unbedenklich dem wohlerwogenen Urteile Mützells beitreten können, „daß der sprachliche Stoff bei Curtius in etymologischer, lexikalischer und syntaktischer Hinsicht mit wenigen, nicht eben wesentlichen Ausnahmen noch entschieden den Charakter der Klassizität trägt, daß dagegen die rhetorische Behandlung desselben den nachteiligen Einfluß, den der Bildungsgang des Schriftstellers und der weniger strenge und reine Geschmack des Zeitalters auf die gesamte Darstellung haben mußte, sehr bestimmt erkennen läßt“. Somit berechtigt uns also auch dieses wichtige Beweismittel, dem Curtius seinen Platz in den nächsten Dezennien nach Augustus zuzuweisen.

Aus jener Zeit nun werden zwei Männer dieses Namens erwähnt. Von einem Curtius Rufus, der vom Kaiser Claudius die insignia triumphi [Ehrenzeichen des Triumphes] zuerteilt erhielt, berichten Tacitus Annalen 11, 21 und Plinius, Briefe 7, 27, er sei der Sohn eines Gladiators gewesen und als junger Mensch im Gefolge des Quästors nach Afrika gekommen. Dort habe ihm eine Erscheinung geweissagt, er werde einst als Prokonsul nach Afrika zurückkehren. Und wirklich sei es ihm nachher durch Gunst, Schmeichelei und geistige Energie gelungen, erst selbst Quästor zu werden, dann sich bis zum Konsul aufzuschwingen und so das Orakel wahr zu machen. Sodann findet sich in dem chronologischen Rhetorenverzeichnisse, das dem Bruchstücke [9] Suetons „Von berühmten Rednern“ vorangeht, ein Rhetor Quintus Curtius Rufus genannt, und zwar unmittelbar hinter Markus Porcius Latro, der im Jahre 4 v. Chr. G. starb. Ob man nun, wie Zumpt will, die Blütezeit dieses Rhetor Curtius gerade um die Zeit von Christi Geburt oder unter die Regierung des Tiberius, Caligula und Claudius zu setzen habe, ist bei dem Mangel aller weiteren Nachrichten ebensowenig zu entscheiden, als die andere Frage, ob unter einem dieser beiden Männer unser Geschichtschreiber zu suchen sei. Jedenfalls hätte man dabei wohl weniger an den ersteren zu denken, dem seine politischen Bestrebungen schwerlich Zeit zu wissenschaftlichen Arbeiten ließen, die übrigens Tacitus bei seiner Charakteristik des Mannes gewiß nicht unerwähnt gelassen hätte. Für den Rhetor dagegen würden allerdings Stil und Haltung des ganzen Werkes sprechen, die unverkennbar einen in der Rhetorenschule wohlgeübten Verfasser verraten.

Das Werk des Curtius bestand ursprünglich aus zehn Büchern, von denen jedoch die beiden ersten, welche die Geschichte Alexanders bis zu seinem Vordringen nach Phrygien im Frühjahre 333 enthielten, verloren gegangen sind. Außerdem fehlen der Schluß des fünften und der Anfang des sechsten, sowie einige beträchtliche Abschnitte des zehnten Buches.

Über die von ihm benutzten Quellen spricht sich der Verfasser, soweit sein Werk vorliegt, nirgends genauer aus. Genannt finden wir bei ihm von den Geschichtschreibern über Alexander nur den Klitarchus, Timagenes und Ptolemäus in der Stelle 9, 21 (s. daselbst die Anmerkungen), wo die beiden ersteren durch das Zeugnis des letzteren widerlegt werden, und noch einmal den Klitarchus 9, 32. Trotz dieses einzelnen Beispieles historischer Kritik jedoch ist gerade der Mangel an Kritik der Hauptvorwurf, der gegen Curtius erhoben werden kann. Denn allerdings ist derselbe, wie namentlich die Vergleichung Arrians ergiebt, bei weitem weniger den glaubwürdigen Mitteilungen eines Ptolemäus und Aristobulus gefolgt, als anderen unzuverlässigeren Gewährsmännern, deren vielleicht glänzendere Darstellung ihm [10] mehr zu imponieren geeignet war. Ob darunter vorzugsweise der ebengenannte Klitarchus zu rechnen sei, wie manche behauptet haben, muß hier unerörtert bleiben. Unzweifelhaft aber ist, daß er im ganzen die gleichen Quellen wie Diodor von Sizilien benutzt haben muß, mit dem eine vielfache und auffallende Übereinstimmung, namentlich auch in manchen Irrtümern, stattfindet. Um jedoch einer falschen Beurteilung unseres Schriftstellers vorzubeugen, muß sogleich bemerkt werden, daß eine kritische Sichtung des historischen Materials gar nicht in seiner Absicht lag: vielmehr war es ihm nur darum zu thun, alles das Merkwürdige und Wunderbare, was er über Alexander und seine Feldzüge überliefert fand, möglichst vollständig wiederzuerzählen, dem Leser selbst überlassend, ob er daran glauben wolle oder nicht. Ganz entschieden geht dies aus 9, 6 hervor, wo er, nachdem er eine Anekdote von dem merkwürdigen Jagdeifer der Hunde des indischen Königs Sopithes erzählt hat, fortfährt: „Freilich nehme ich mehr aus meinen Quellen auf, als ich selbst glaube: denn ich wage weder als wahr zu versichern, woran ich selbst zweifle, noch zu verschweigen, was ich berichtet finde.“ Und ähnlich sagt er schon früher 7, 33: „Man soll wenigstens nicht von der Treue meiner Darstellung gering denken, da ich alles, wie es überliefert ist, unverfälscht berichten will.“ Kein Wunder daher, wenn auf diese Weise manches Unrichtige und Sagenhafte in seine Erzählung aufgenommen wurde.

Ein anderer Grund vielfacher Ungenauigkeiten ist die rhetorische Vorbildung des Curtius. Glaubte schon Cornelius Nepos, daß zum Geschichtschreiber niemand geeigneter sei als Cicero, so galt vollends zu Curtius‘ Zeit, wo sich alles zu den Rhetorenschulen drängte, glänzender Redeschmuck und eine blühende Darstellung als eine der ersten Bedingungen der historischen Kunst. Darum kam ihm weniger darauf an, den objektiven Thatbestand des Geschehenen zu ermitteln und die Ereignisse in ihrem vollständigen und folgerichtigen Zusammenhange zu entwickeln, als überall die in die Augen fallenderen Punkte hervorzuheben und sie mit schönrednerischer Gewandtheit [11] auszuschmücken. So ist z. B. die Schilderung aller taktischen Bewegungen fast durchgängig mangelhaft und unklar, während wir dagegen einer Menge einzelner Schlacht- und Kampfscenen begegnen, die mit den lebhaftesten Farben ausgemalt sind. Ja, es finden sich sogar einzelne Partieen, die keine Gelegenheit zu einer belebteren Darstellung boten, wie der Marsch von Baktra nach Indien, ganz übergangen. Selbstverständlich kann es aber auch bei dieser Art Geschichtschreibung, die nicht sowohl die schlichte Wahrheit der Erzählung, als ihren Eindruck auf den Leser vor Augen hat, nicht an manchen Übertreibungen fehlen. Am willkommensten natürlich sind dem Verfasser diejenigen Vorgänge, welche ihm gestatten, den handelnden Personen längere Proben seiner Beredsamkeit in den Mund zu legen; und geschieht dies auch nirgends auf eine ungeschickte Weise, so glaubt man doch immer den dahinterstehenden Rhetor zu bemerken, der sie ihnen zuflüstert.

Einzelne Mängel haben ihren Ursprung in einem unvollkommenen Verständnis des griechischen Originales, andere teils in Irrtümern dieses Originales selbst, teils in den unzureichenden Kenntnissen jener Zeit überhaupt, besonders was die Geographie anlangt. Gerade aber in dieser letzteren Beziehung verdient auch wiederum hervorgehoben zu werden, wie treu die geographischen Schilderungen des Curtius häufig sind. Und es ist eines der Hauptverdienste Mützells um unsern Schriftsteller, durch sorgsame Vergleichung der Berichte sowohl orientalischer als occidentalischer Historiker und Reisebeschreiber nachgewiesen zu haben, daß Curtius in Rücksicht auf das Geographische ausgezeichnet treffliche Quellen gehabt haben müsse, und daß er dieselben im allgemeinen, namentlich wo der Inhalt Interesse zu gewähren schien, mit vorzüglicher Treue wiedergegeben habe.

Fragen wir endlich nach dem Standpunkte, welchen Curtius bei Beurteilung seines Helden einnimmt, so bewahrt er ihm allerdings bis zuletzt eine warme Teilname und Bewunderung, wie denn namentlich die rückblickende Charakteristik gegen Ende des Werkes (10, 18) den Beweis liefert, [12] daß er ihm in jeder Weise gerecht zu werden sucht. Im allgemeinen jedoch zeigt er sich wenig befähigt, eine so gewaltige historische Persönlichkeit wie Alexander sowohl im ganzen als in den seine Handlungsweise bestimmenden einzelnen Motiven richtig zu würdigen. Daß ihm für die großartigen Entwürfe des Eroberers zur Verschmelzung des Orientes mit dem Occidente alles Verständnis abgeht, darf ihm kaum zum Vorwurf gemacht werden, da das Altertum überhaupt für kosmopolitische Ideen wenig Empfänglichkeit besaß: lästig aber ist die einseitige Rolle des Moralphilosophen, in der er sich besonders nach beendigter Unterwerfung des Perserreiches Alexander gegenüber gefällt, und nicht allein die wirklich verwerflichen Handlungen desselben tadelt, sondern auch vieles ohne alle richtige Einsicht in die Sachlage zu bemäkeln geneigt ist. Wir erinnern beispielsweise nur an die Bacchusfeier auf dem Berge Nysa und den Festzug durch Karmanien.

Kann nun nach den obigen Bemerkungen dem Curtius zwar ein Platz unter den vorzüglicheren Historikern des Altertums nicht eingeräumt werden und hat sein Werk neben dem zwar nüchternen aber durchaus glaubwürdigen Arrian für den Geschichtsforscher nur insofern Wert, als darin wieder andere Quellenschriftsteller benutzt sind: so ist doch die beinahe stereotyp gewordene Redensart, daß er weniger ein Geschichtswerk als einen historischen Roman geschrieben habe, eben nur als eine pikante aber unwahre Phrase zu bezeichnen, die billig wenigstens aus litterargeschichtlichen Werken verschwinden sollte. Seine lebendige, die Phantasie anregende und zum Teil glänzende Darstellungsweise, verbunden mit der ungemeinen Anziehungskraft des von ihm behandelten Stoffes, hat ihm von jeher einen zahlreichen und dankbaren Leserkreis zugeführt, und besonders wird die Jugend sich immer gern von ihm für einen der größten Männer des Altertums begeistern lassen.

1 Ihm stimmt auch Teuffel in den Jahnschen Jahrbüchern 1858 Aprilheft 1. Abteil. S. 282 ff. bei.