8. Buch

Ornament

Übersetzung

1 [310] Eben wollten wir uns niedersetzen und von unsern Angelegenheiten sprechen, als Thersander in größter Eile mit einigen Zeugen in den Tempel gesprungen kam, und dem Priester mit lauter Stimme zurief: In Gegenwart dieser rufe ich die Götter zu Zeugen an, daß du einen Menschen, der nach dem Gesetze zum Tode verurtheilt ist, gegen Recht und Plicht von seinen Fesseln befreyt hast. Auch meine Sclavin hast du bey dir, eine wollüstige und manntolle Dirne. Daß du mir diese ja aufbewahrst! [311] Die Worte: Sclavin und Manntolle Dirne! drangen mir bis ins Innerste meiner Seele und verwundeten mich so tief, daß ich nicht länger schweigen konnte. Du bist ein Sclave, fiel ich ihm ins Wort, der niedrigste Sclave, ein toller und üppiger Wollüstling! Sie hingegen ist eine Freygebohrne, und noch Jungfrau und der Göttin würdig. Du, ein Gefangener und Verurtheilter, willst noch solche Lästerungen ausstoßen? sagte er, da er mich so reden hörte, und schlug mich zweymal mit solcher Heftigkeit ins Gesicht, daß mir das Blut stromweise aus der Nase floß. Er hatte in diesem Schlage seine ganze Wuth ausgelassen. Bey dem dritten Mahle schlug er mich unvorsichtiger Weise auf den Mund, stieß seine Hand gegen meine Zähne, und verwundete sich die Finger, so daß er laut aufschrie und die Hand kaum zurückziehen konnte. So rächten die Zähne seine vorige Mißhandlung. Sie verwundeten die Finger, welche mich schlugen, und der Hand wiederfuhr, was sie mir zugefügt hatte. Der Weichling schrie laut auf über die Verletzung, zog seine [312] Hand zurück, und hörte nun auf zu schlagen. Ich sah, was er davon getragen hatte, aber gleich als hätte ich es mir nicht zuzuschreiben, stieß ich über diese gewaltsame Behandlung die heftigsten Klagen aus, und erfüllte den ganzen Tempel mit Geschrey.

2 „Wie soll man sich noch vor dem Stärkern schützen? Wohin soll man noch seine Zuflucht nehmen? Welcher unter den Göttern soll uns noch beystehen, wenn uns Artemis nicht schützt? Im Heiligthume wird man geschlagen, vor dem Altare gemißhandelt! So geht es nur in Wüsteneyen zu, wo man weder einen Gott, noch einen Menschen zum Zeugen anrufen kann. Du aber übst selbst im Angesichte der Götter solche Gewaltthätigkeiten aus. Den Missethätern gewähren die Tempel der Götter sichere Zuflucht, und ich habe niemandem Unrecht zugefügt, komme bittend zur Artemis und werde an ihrem Altare, ach! im Angesichte der Göttin so gemißhandelt. [313] Auf die Göttin fallen die Schläge zurück. – Doch bey Schlägen ließ er es nicht einmal bewenden; sein Frevel geht weiter. Wie im Krieg und in der Schlacht bekomme ich Wunden im Gesicht, und der Boden wird mit Menschenblut befleckt. Wer bringt der Göttin solche Opferspenden? Thun dieses nicht die Barbaren120 und die Taurier121? Ist dieß die Artemis der Skythen122? Nur bey diesen wird der Tempel mit Blut bespritzt. Die Ionische [314] Artemis hast du zur Skythischen gemacht, in Ephesus fließt Taurisches Blut. – Zieh auch noch das Schwerdt gegen mich! Doch wozu noch das Schwerdt? Deine Hand hat schon die Dienste des Schwerdtes gethan. Was bey einem Mord geschiehet, hat deine mörderische, mit Blut bespritzte Rechte schon verübt.“

3 So schrie ich. Alle, die im Tempel waren, versammelten sich um mich und schalten auf ihn. Selbst der Priester sagte: Schämst du dich nicht, so öffentlich hier im Tempel solche Handlungen zu verüben? Nun faßte ich Muth und rief aus: „Dieß hab’ ich erduldet, ihr Männer von Ephesus, und bin ein Freygebohrner, aus einer nicht unansehnlichen Stadt! Dieser stellte mir nach dem Leben, Artemis aber rettete mich und entlarvte diesen Betrüger! – Jetzt muß ich hinausgehen und draußen mein Gesicht abwaschen; hier im Tempel will ich es nicht thun, damit nicht das [315] geweihte Wasser mit Frevelblut verunreiniget wird.“ Mit Mühe stießen sie dann den Thersander aus dem Tempel. „Dir, sagte er noch im Weggehen, ist schon das Urtheil gesprochen und eine Strafe bestimmt, wie du sie nie wieder leiden wirst! An dieser Buhlerin aber, die sich für eine Jungfrau ausgiebt, wird die Syrinx Rache nehmen.“

4 Nachdem er bey Seite gebracht war, gieng auch ich aus dem Tempel heraus und reinigte mein Gesicht. Es war eben Tischzeit und der Priester nahm uns äußerst gastfreundlich auf. Während dem Essen konnte ich den Sostratos nicht frey anblicken; denn ich wußte, wie viel ich ihm Kummer verursacht hatte. Sostratos war nicht weniger in Verlegenheit, mich anzusehen; denn [316] an meinen Augen bemerkte er noch die Spuren seiner Mißhandlung. Auch Leukippe hatte ihren Blick beständig zur Erde gerichtet. Kurz, das ganze Gastmahl war in Bild verlegener Schaam. Als der Becher herumgieng, und Dionysos die Schüchternheit in etwas aufgeheitert hatte – denn er ist ja der Vater der Freymüthigkeit, – redete der Priester zuerst den Sostratos an: Willst du nicht eure Geschichte erzählen, Gastfreund? Ich glaube, sie muß einige nicht unangenehme Verwickelungen haben, und zum Weine schicken sich vorzüglich dergleichen Geschichten. Mit Freuden ergriff Sostratos die Gelegenheit zu reden und sagte: Der Theil der Geschichte, welcher mich angeht, ist ganz einfach. Ich heiße Sostratos und bin von Geburt ein Byzantier. Dieser ist mein Neffe, diese meine Tochter. Das übrige erzähle du, lieber Kleitophon, und scheue dich nicht. Denn gesetzt auch, es wäre manches für mich kränkend, so geschah es ja nicht durch deine, sondern durch des Schicksals Schuld. Dann gewährt auch die Erzählung der vergangenen Schicksale dem, der [317] nicht mehr leidet, mehr Vergnügen, als Kummer.

5 Ich erzählte nun der Reihe nach unsere ganze Geschichte seit der Abreise von Tyros: die Schifffahrt, den Schiffbruch, die Vorfälle in Aegypten und bey den Hirten, den Raub der Leukippe, den falschen Leib beym Opfer, die List des Menelaos, die Liebe des Feldherrn und das Heilmittel des Chaireas; die Entführung durch die Räuber und meine Wunde an der Hüfte, wovon ich noch die Narbe zeigte. Als ich auf Melitten zu reden kam, stellte ich meine Handlungsweise von Seiten der Sittsamkeit, doch ohne zu lügen, in einem günstigen Lichte dar. Ich erzählte von Melittens Liebe und von meiner Enthaltsamkeit, wie lange sie mir anlag, wie sie ihren Zweck nicht erreichte, was sie versprach und wie sie seufzte. Dann unsere Abreise nach Ephesus und alles, was auf dem Schiffe vorfiel, daß wir beyde zusammen schliefen und daß ich – bey der Artemis beschwor [318] ich dieß – von ihr, wie ein Weib von einem Weibe, aufstund. Nur eine einzige meiner Handlungen übergieng ich mit Stillschweigen: die Gunstbezeigung, welche ich darauf Melitten erwiesen hatte. Dann gieng ich über auf das Gastmahl, wie ich die erdichtete Anklage gegen mich machte, und führte so die Erzählung fort bis auf die Ankunft der heiligen Gesandtschaft. „Dieß ist meine Geschichte, sagte ich dann; bedeutender aber sind Leukippens Schicksale. Sie wurde verkauft, wurde Sclavin, grub das Land, und die Zierde des Hauptes wurde ihr entrissen, du siehst hier noch die Verstümmelung!“ Und so erzählte ich alles der Reihe nach. Als ich an den Sosthenes und Thersander kam, strich ich auch hier ihr Benehmen heraus und erhob sie noch weit mehr, als mich. Diese Gefälligkeit erzeigte ich ihr noch besonders deshalb, weil es ihr Vater mit anhörte. Ich führte an, wie sie jede Schmach des Körpers [319] und jede Mißhandlung erduldet hatte, bis auf eine einzige. „Und dieser einzigen wegen, fuhr ich fort, setzte sie sich allen übrigen aus, und blieb, Vater, bis auf den heutigen Tag noch eben so tadellos, wie du sie von Byzantion weggeschickt hast. Für mich ist es kein Lobspruch, daß ich auf der Flucht nichts von dem bebangen habe, was mich zu fliehen bewogen hatte; wohl aber für sie, daß sie sogar mitten unter den Räubern noch Jungfrau blieb, und selbst den größten Räuber, den unverschämten und gewaltthätigen Thersander, besiegte. Unsere Flucht, lieber Vater, geschah nicht ohne Grund: die Liebe vertrieb uns, es war die Flucht zweyer Liebenden; auf der Reise selbst aber wurden wir einander verschwistert. Ist irgend dem Manne Jungfrauschaft beyzulegen, so bewahre ich sie noch bis jetzt für Leukippen, und sie hat sich seit langer Zeit der Artemis geweiht. – Du, Gebieterin Aphrodite, zürne nicht auf uns, als hätten wir es aus Frevel gegen dich gethan; ohne den Vater wollten wir die Hochzeit nicht vollziehen! Nun ist er da! Jetzt steig herab und sey uns günstig!“ Als sie dieß hörten, staunte der Priester über jedes Einzelne meiner Erzählung. Sostratos [320] aber weinte jedesmahl, wenn Leukippe auftrat. Jetzt hörte ich auf zu erzählen. „Unsere Geschichte habt ihr nun gehört, setzte ich dann hinzu; nun wünschte ich auch von dir, Priester, ein Einziges erklärt zu wissen. Was ist es denn, womit Thersander beym Weggehen Leukippen drohte? er sprach von der Syrinx.“ „Gut, daß du fragst, antwortete er. Denn es ist billig, daß wir, die wir die Umstände mit der Syrinx wissen, sie auch den ankommenden Fremden bekannt machen. Ich will also deine Erzählung erwiedern.“

6 „Du siehst den Hain dort hinter dem Tempel. In diesem ist eine Höhle, welche keine Frauen, sondern nur reine Jungfrauen betreten dürfen. Innerhalb der Höhle, nicht weit von dem Eingange, liegt eine Syrinx. Ist dieß Instrument auch bey euch Byzantiern üblich, so [321] versteht ihr was ich sage. Sollte indeß jemand von euch weniger damit bekannt seyn, wohlan, so will ich erzählen, was es mit ihr für eine Bewandniß hat, und zugleich die ganze Mythe vom Pan123 damit verbinden.“ „Die Syrinx besteht aus mehrern Pfeifen, jede Pfeife aus einem Rohre. Alle diese Röhre tönen wie Eine Flöte, und liegen in einer Reihe an einander, so daß eins an das andere befestigt ist. Ihre Stellung ist auf der vordern wie auf der hintern Seite. Ein Rohr ist immer kleiner als das zunächst folgende. Das zweyte ist um so viel größer als das erste, um so viel das dritte größer ist als das zweyte, und so stehen der Reihe nach die übrigen Röhre mit den vorhergehenden immer in gleichem Verhältniß. Das mittlere ist halb so groß als das längste.“ „Diese Ordnung gründet sich auf das Verhältniß der Töne. Oben ist der höchste Ton und [322] unten der tiefste, so daß beyde in den äußersten Pfeifen liegen. In der Mitte liegen die Zwischentöne, und die mittleren Röhre tragen den hellen Ton immer tiefer hinab, bis er zuletzt in den tiefsten übergeht. Alle die Töne, welche bey der Flöte der Athene innerhalb derselben erhallen, bringt auch die Flöte des Pan vermittelst des Mundes hervor. Bey jener richtet sich der Ton nach der Setzung der Finger, bey dieser aber versieht der Mund den Dienst der Finger. Dort hält der Flötenspieler alle Oeffnungen zu, bis auf eine einzige, durch welche der Hauch hineinfließt; hier aber läßt er alle Röhrchen offen, und legt nur die Lippe an dasjenige, welches ertönen soll. Er springt abwechselnd von einem zum andern und sieht immer darauf, wie er eine schöne Harmonie der Töne hervorbringen kann.“ „Diese Syrinx nun war anfangs weder eine Flöte noch ein Rohr, sondern ein Mädchen, das nach allem zu urtheilen, schön war. Pan liebte und verfolgte sie; sie aber floh und ein dichter Wald nahm sie auf. Pan eilt ihr auf dem Fuße nach, streckt die Hand aus und will sie ergreifen, und schon wähnt er sie erreicht zu haben und beym Haare zu halten; aber seine Hand faßt [323] das Haar von Rohr. Denn sie versank, wie man sagt, in die Erde, und an ihrer Stelle sproßte aus der Erde dieses Rohr hervor.“ „Im Zorn schneidet Pan das Rohr ab, gleichsam als wenn es ihm seine Geliebte geraubt hätte. Da er sie hierauf nirgends finden konnte, hielt er dafür, das Mädchen sey in Rohr aufgelößt worden. Er weinte, daß er das Rohr abgeschnitten hatte, und glaubte, seine Geliebte getödtet zu haben. Er trug die abgeschnittenen Röhrchen zusammen, betrachtete sie als Glieder ihres Körpers und verband sie wieder zu Einem Körper. Er nahm sie in die Hand, küßte sie, die Glieder des verwundeten Mädchens, und wie er sie an den Mund legte, und ihm ein Liebesseufzer entfuhr, hauchte er unter Küssen von oben in die Röhrchen. Der Hauch floß durch die engen Oeffnungen hinab, brachte ein Getön hervor und die Syrinx hatte eine Stimme.“ „Diese Syrinx nun soll Pan dort niedergelegt und in jene Höhle eingeschlossen haben. Er selbst soll oft zu ihr gehen und nach seiner Gewohnheit flöten.“ „In der folgenden Zeit wurde diese Gegend der Artemis geweiht und der Vertrag mit ihr [324] gemacht, daß kein Weib daselbst hinabsteigen sollte.“ „Wird nun ein Mädchen angeklagt, daß sie keine Jungfrau mehr sey, so begleitet sie das Volk bis an den Eingang der Höhle, und die Syrinx spricht dann das Urtheil. Das Mädchen geht, blos mit einem besondern Gewande geschmückt, hinein und der Eingang der Höhle wird verschlossen. Ist sie eine Jungfrau, so hört man einen angenehmen und himmlischen Gesang. Ob nun der Ort selbst den Hauch, der diesen Ton hervorbringt, aufbewahrt und der Syrinx mittheilt, oder ob vielleicht Pan selbst flötet, lasse ich unentschieden. Bald darauf öffnen sich die Thüren der Höhle von selbst, und die Jungfau tritt hervor, mit Fichtenlaub bekränzt. Ist die Jungfrauschaft aber erlogen, so schweigt die Syrinx, und statt des Gesanges geht ein Gestöhne aus der Höhle hervor. Das Volk entfernt sich sogleich, und läßt das Weib in der Höhle zurück. Den dritten Tag darauf geht eine heilige Jungfrau an den Ort hin, findet die Syrinx auf der Erde liegend und das Weib ist verschwunden.“ „Hierzu macht euch bereit, und bedenket, was euch wohl für ein Schicksal bevorstehen [325] möchte? Ist sie noch Jungfrau, wie ich sehr wünsche, so geht mit Freuden dahin. Die Syrinx wird euch günstig seyn; denn nie hat ihr Urtheil getäuscht. Wenn aber nicht – denn ihr seht selbst ein, wie leicht es geschehen konnte, daß sie bey so vielen Nachstellungen auch wider ihren Willen –“

7 „Sage nicht, wie leicht es geschehen konnte! fiel ihm sogleich Leukippe ins Wort. Ich bin augenblicklich bereit, in die Höhle der Syrinx hinabzusteigen, und mich, auch ohne gerichtliche Auffoderung, einschließen zu lassen.“ „Desto besser! erwiederte der Priester. Deine Enthaltsamkeit und dein Schicksal versetzen mich in die theilnehmendste Freude.“ Als es Abend wurde, wies der Priester jedem von uns seine besondere Schlafstelle an, und wir legten uns nieder. Um unserm Gastfreunde nicht beschwerlich zu fallen, hatte Kleinias nicht mit bey ihm gegessen, [326] sondern war da geblieben, wo er sich den vorigen und den folgenden Tag aufhielt. Sostratos war, wie ich merkte, bey der Erzählung von der Syrinx unruhig geworden, und schien zu besorgen, wir möchten aus Scheu für ihn die Wahrheit der Sache verschwiegen haben. Ich gab deshalb Leukippen heimlich durch einen Wink zu verstehen, ihrem Vater seine Besorgniß zu benehmen; denn sie mußte am besten wissen, wie sie ihn zu überzeugen glaubte. Auch sie mochte ein Gleiches vermuthen und verstand mich daher sogleich. Sie hatte schon vorher darauf gedacht, wie er wohl am schicklichsten zur Ueberzeugung gebracht werden könnte. Als sie dann beym Schlafengehen ihrem Vater eine gute Nacht wünschte, sagte sie leise zu ihm: „Sey meinetwegen unbesorgt, lieber Vater, und glaube unserer Erzählung. Ich schwöre dir bey der Artemis, keins von uns hat Unwahrheit gesprochen!“ Den Tag darauf waren Sostratos und der Priester mit der Opferfeyerlichkeit beschäftigt, und die Opfer waren in Bereitschaft. Auch der [327] Senat war dabey versammelt, und nahm an dem Opfer Antheil. Viele frohe Wünsche stiegen zur Göttin empor. Jetzt trat Thersander – denn auch er war zugegen – zum Oberrichter und sagte: „Schreib’ unsern Prozeß auf morgen aus; denn der, den du gestern verurtheilt hast, ist von einigen frey gelassen worden, und Sosthenes ist nirgends zu finden.“ Der Termin wurde also auf den folgenden Tag angesetzt, und wir tragen die nöthigen Vorkehrungen dazu.

8 Der Gerichtstag erschien und Thersander hielt folgende Rede: „Ich weiß nicht, womit ich meine Rede beginnen soll; nicht, wen ich zuerst und wen ich zuletzt anklagen soll. So viele sind der Gräuelthaten! so viele der Verbrecher! Ein Verbrechen so [328] unerhört wie das andere! Jedes steht für sich da, und auch in der Anklage darf ich sie nicht mit einander verbinden. Meine Seele ist so voll davon, daß ich besorge, von einem auf das andere geführt zu werden und nichts vollständig vortragen zu können. Die Rede eilt zu dem fort, was noch nicht gesagt ist, und hinder uns, das Gesagte in seinem ganzen Umfange darzustellen. Während Ehebrecher fremde Sclaven morden, und Mörder mit fremden Weibern Ehebruch treiben, stören uns Kuppler die heiligen Opfer, und liederliche Dirnen schänden die Heiligkeit der Tempel. Und wenn man überlegt, was die Tage daher geschehen ist, kann wohl gegen Sclaven und Herrn etwas ärgeres verübt werden, als hier, wo sich Gesetzlosigkeit mit Ehebruch, Gottlosigkeit mit Mord vereinbart? Ihr habt einen Menschen zum Tode verurtheilt, gleich viel, aus welchem Grunde: ihr habt ihn binden und ins Gefängniß abführen lassen, bis zur Vollziehung der Strafe. Dieser steht hier vor euch, statt der Fesseln mit einem weißen Gewande bekleidet, und in der Reihe freygebohrner Männer steht der Gefangene. Vielleicht will er sich sogar erkühnen, seine Stimme zu erheben, und gegen mich, oder vielmehr gegen euch und euren Urtheilsspruch als Redner aufzutreten. – Ließ das Urtheil der Richter vor! – [329] Hört, wozu ihr ihn verurtheilt habt, und meine Klage gegen ihn! Ueber Kleitophon wurde das Todesurtheil gesprochen. Wo ist nun der Henker? Ergreif ihn, führ’ ihn ab, reich’ ihm den Giftbecher. Dem Gesetze nach ist er todt; er ist schon überreif zum Tode. Was sagst du dazu? Priester, du heiliger und erhwürdiger Mann! In welchen heiligen Gesetzen steht es geschrieben, daß du Missethäter, die von dem hohen Rath und von den Prytanen124 verurtheilt, die schon den Fesseln und dem Tode überliefert sind, der ihnen zuerkannten Strafe entrissen, ihnen die Fesseln lösen, und dich sonach über Vorsitzer und Richter hinwegsetzen darfst? – Steh auf von deinem Sitz, Oberrichter! Ueberlaß ihm die Herrschaft und den Richterstuhl! Du bist über keinen mehr Herr, darfst nicht mehr Missethäter verurtheilen. Was du beschließen wirst, wird noch heute aufgehoben. – Was stehst du noch unter uns da, Priester, wie einer aus dem Volke? Steig hinauf, setze dich auf den Richterstuhl und sprich du vollends das Urtheil über uns! Oder vielmehr gebiete uneingeschränkt, kein Gesetz, [330] kein Gutachten der Richter werde von dir anerkannt! Ja, halte dich nicht mehr für einen Menschen, der Artemis gleich laß dich verehren! denn ihre Macht hast du schon an dich gerissen. Ihr allein kömmt es zu, die, welche sich zu ihr flüchten, zu retten, und zwar vor der gerichtlichen Untersuchung. Einem Gefangenen hat nie die Göttin die Fesseln gelößt, einen zum Tode Verurtheilten nie von der Strafe befreyt. Für Unglückliche, nicht für Missethäter sind die Altäre. – Du aber befreyst auch die Gefangenen, und sprichst die Verurtheilten von der Strafe los. So erhebst du dich sogar über die Artemis. – Wenn wohnte noch je ein Mörder im Tempel statt im Gefängniß? wenn ein Ehebrecher bey der keuschen Göttin? O Greuel! Ein Ehebrecher bey der ewigen Jungfrau! – Aber auch noch eine zügellose, ihrem Herrn entlaufene Dirne war bey ihm. Auch diese wurde, wie bekannt, von dir aufgenommen. Beyde fanden bey dir Einen Heerd und gleiche Bewirthung; und, wer kann das wissen? vielleicht schliefst du auch bey ihr. Zu einem öffentlichen Hause hast du den Tempel herabgesetzt. Der Artemis Heiligthum wurde eine Wohnung für Ehebrecher, das Schlafgemach einer liederlichen Dirne. So etwas geschieht kaum in den niedrigsten Häusern der Wollust! – [331] Meine erste Klage ist also gegen diese beyden gerichtet. Den einen will ich für seine Unverschämtheit bestraft wissen, und der andere muß der ihm zuerkannten Strafe überliefert werden.“ „Die zweyte Klage führe ich gegen Melitten, wegen des Ehebruchs. Gegen diese habe ich gar nichts weiter zu sagen. Denn es ist schon beschlossen worden, die Sache durch die Folter der Dienerinnen zu untersuchen. Letztere also fodere ich hiermit auf, und wenn sie noch auf der Folter aussagen, sie wüßten nichts davon, daß dieser Verurtheilte lange Zeit bey Melitten gewohnt, und in meinem Hause, ich will nicht sagen Ehebrecher, sondern als Mann geschaltet und gewaltet habe, spreche ich sie von aller Schuld frey. Geschieht aber das Gegentheil, so muß sie mir nach dem Gesetz ihre Mitgift zurücklassen, und er unterwirft sich der Strafe der Ehebrecher. Nun ist er aber schon zum Tode verurtheilt, so daß ihm, er mag nun das eine Mahl als Ehebrecher oder als Mörder sterben – denn für beyde ist er verantwortlich – immer seine Strafe noch nicht ganz gebüßt hat. Denn er hat das Leben doppelt verwürkt, und bleibt also immer noch einen andern Tod schuldig.“ [332] „Meine dritte Klage ist gegen meine Sclavin selbst und gegen diesen würdigen Mann, ihren vermeintlichen Vater, gerichtet. Allein diese will ich bis nachher versparen, wenn ihr über jenen das Urtheil gesprochen habt.“ Mit diesen Worten endigte er seine Rede.

9 Jetzt trat der Priester hervor. Er war in Beredsamkeit sehr geübt, vorzüglich im komischen Witz, worin er sich den Aristophanes125 [333] zum Muster gewählt hatte. Er fieng an, sich zu vertheidigen, und in einem satyrischen, aber sehr feinen Tone Thersanders zügelloses Leben anzugreifen. „Von Menschen, sagte er,126 die in unserer Nähe ihr Wesen treiben, auf eine so unanständige Weise geschändet zu werden, ist wahrhaftig nicht das Werk eines reinen Mundes. Aber nicht nur hier, sondern überall hat er eine schandbare Zunge. Schon in seiner Jugend hielt er sich beständig zu recht ehrsamen Männern, und brachte bey ihnen die ganze Zeit seiner Blüthe hin. Es ist nicht auszusprechen, was er that. Er spielte immer den Enthaltsamen, ließ [334] sich gern unterrichten, gab sich jedem hin, der ihn aus dieser Absicht brauchte, und lag ihm stets an der Seite. Er verließ das väterliche Haus, miethete sich einen engen Winkel und legte daselbst seine Wirthschaft an. Er gieng immer seinen Lieblingsneigungen nach, nahm jeden auf, den er dazu tüchtig fand, und lebte mit ihm in vertrautem Umgange. Und so schien er nur für sein Herz Nahrung zu suchen; im Grunde aber war es ein Deckmantel schändlicher Begierden. Und wie sorgte er nicht auch für den bloßen Körper! Wir sahen ihn überall, wo es etwas zu ringen gab, sahen, wie er sich einsalbte, wie er des andern Hülte umschlang, wie er unter den Jünglingen, mit denen er rang, sich immer am liebsten an die stärkern machte. Dieß that er in seiner Jugend. Als er zum Manne heranwuchs, enthüllte er, was er vorher verborgen hatte. Sein übriger Körper war verblüht, für ihn sorgte er nun nicht mehr; nur seine Zunge schärfte er zu zügelloser Frechheit, von seinem Munde machte er den schaamlosesten Gebrauch. Jeden schändet er. Schon auf seinem Gesicht zeigt sich seine Unverschämtheit, die so weit geht, daß er Männer, die ihr mit der Priesterwürde beehrt haben, in eurer Gegenwart, ohne zu erröthen, lästert. Hätte [335] ich irgend wo anders gelebt, wäre ich nicht von jeder unter euch gewesen, so würde ich mir und allen meinen Freunden eine Vertheidigung schuldig seyn. Da ihr aber selbst wisset, wie wenig seine Lästerungen mich treffen, so will ich jetzt nur auf seine Anklage gegen mich antworten.“ „Du hast, sagt er, einen zum Tode Verurtheilten in Freyheit gesetzt. Und deswegen nun geberdet er sich so schrecklich, schilt mich einen Tyrannen, und was er noch alles für Schmähungen gegen mich ausstieß. Aber nicht der ist ein Tyrann, der falsch Angeklagte in Schutz, sondern der, welcher Unschuldige, die weder der Senat noch das Volk verurtheilt hat, in Verwahrung nimmt. Oder sage doch, welches Gesetz gab dir denn das erste Mahl das Recht, diesen fremden Jüngling ins Gefängniß zu werfen? Welches Gericht hatte denn den Befehl gegeben, ihm Fesseln anzulegen? Gesetzt auch, er habe alles das Unrecht verübt, dessen du ihn beschuldigst, so urtheile man doch erst über ihn, man überführe ihn, und gestatte ihm die Vertheidigung. Das Gesetz, das über dich und uns alle gebietet, mag ihn fesseln. Denn ohne den Ausspruch des Gerichts darf sich keiner über den andern etwas anmaßen. Wohlan, verschließ die Gerichtshöfe, reiß die Amtshäuser nieder, [336] stoße die Richter hinaus! Alles, was du zum Vorsitzer sagtest, kann mit größerm Rechte gegen dich gesagt werden. Weiche dem Thersander von deinem Sitz, Oberrichter! Nur zum Schein bist du Vorsitzer. Dieser verwaltet dein Amt; ja, er thut noch mehr als du. Du hast noch Beysitzer, und ohne diese darfst du nichts thun. Du übst keine Macht aus, außer hier auf dem Richterstuhle. Nie hast du in deinem eigenen Hause einen Menschen zum Gefängniß verurtheilt. Dieser wackre Mann hingegen vereinigt alles in sich: Volk, Senat, Oberrichter und Vorsteher. Zu Hause straft und richtet er, und läßt ins Gefängniß werfen, und die Zeit, wenn er Gericht hält, ist der Abend. Fürwahr ein herrlicher Richter, ein Richter der Finsterniß! – Und nun schreit er einmahl über das andere: du hast einen Verbrecher, der schon zum Tode verdammt war, in Freyheit gesetzt! Zu was für einem Tode? Was ist er denn für ein Verbrecher? Sage doch, womit hat er denn den Tod verschuldet? „Er ist des Mordes wegen verurtheilt,“ sagst du. Einen Mord also hat er begangen. Nun so sage mir doch nur, an wem? Das Mädchen, das er getödtet haben soll, siehst du ja hier am Leben; und so wirst du es wohl nicht wieder wagen, ihn des Mordes zu beschuldigen. Und es ist nicht etwa [337] nur das Schattenbild des Mädchens, Pluto127 hat nicht etwa gegen dich die Gemordete aus dem Schattenreiche zurückgesandt. – Du bist eines doppelten Mordes schuldig. Denn diese hast du todt gesagt, jene wolltest du wirklich tödten. Ja, auch sie hast du umbringen wollen. Wir haben alles gehört, was auf dem Landgute vorgefallen ist. Allein Artemis, die erhabene Göttin, hat sie beyde errettet; das Mädchen entriß sie den Klauen des Sosthenes, und den Jüngling den deinigen. Auch den Sosthenes hast du auf die Seite geschafft, damit er dich nicht etwa verrathen möchte. Und schämst du dich denn nicht, diese Fremdlinge anzuklagen, und dich bey beyden der Verläumdung schuldig zu machen?“ „So weit meine Vertheidigung gegen die Lästerungen dieses Mannes; den Fremden will ich ihre Vertheidigung selbst überlassen.“

10 Jetzt wollte ein angesehener Redner, einer vom Rathe, mich und Melitten vertheidigen; [338] aber ein anderer von Thersanders Parthey, Nahmens Sopatros, kam ihm zuvor, und sagte: „Jetzt, mein bester Nikostratos – so hieß mein Redner, – ist die Reihe an mir, gegen diesen Ehebrecher zu reden; dann kömmt es an dich. Denn was Thersander eben gesagt hat, erstreckte sich blos auf den Priester; nur mit Wenigem und ganz oberflächlich berührte er den Gefangenen. Habe ich bewiesen, daß er doppelt das Leben verwürkt hat, dann ist die Reihe an dir, ihn von seiner Schuld frey zu sprechen.“ So sprach er, machte wunderliche Geberden, und rieb sich die Stirn. „Wie der Priester seinen Witz spielen ließ, fuhr er fort, wie er alle seine Ausfälle auf den Thersander in ein schmutziges und schaamloses Gewand hüllte, haben wir gehört. Gleich im Eingange der Rede schmähte er auf den Thersander, weil er ihn angegriffen hatte. Allein Thersander hat von allem, was er gegen dich sagte, nicht das mindeste erlogen. Er hat ja den Gefangenen frey gemacht, er hat die Dirne aufgenommen, er hat mit dem Ehebrecher gemeinschaftliche Sache gemacht. Alles hingegen, was er auf eine weit schändlichere Weise gegen Thersanders [339] Leben ausstieß, ist nichts als Verläumdung. Und doch sollte ein Priester vor allen Dingen darauf sehen, daß er, um sich seiner eigenen Ausdrücke gegen ihn zu bedienen, seine Zunge von Schande rein hielt. Ich kann mich nicht genug wundern, wie er nach seinen spöttischen Witzeleyen mit Ernst auftrat, und uns nicht mehr in räthselhaften Ausdrücken, sondern ganz offen die übertriebendsten Vorwürfe machte, daß wir einen Ehebrecher ergriffen und in Fesseln gelegt haben. Es muß ihm eine schöne Belohnung versprochen seyn, daß er so vielen Eifer dabey zeigte. Man kann auch wohl der Sache leicht auf die Spur kommen. Er sah diese verbuhlten Gesichter des Ehebrechers und der Dirne. Sie ist jung und blühend; auch der Jüngling ist noch in der Blüthe, ist nicht abschrecken von Ansehn, und zu den Lüsten des Priesters wohl noch brauchbar. Wer von diesen beyden hat dich nun für deine Mühe belohnt? Denn ihr schlieft ja alle beysammen, berauschet euch gemeinschaftlich, und niemand war des Nachts als Zeuge bey euch. Ich befürchte, ihr habt der Artemis Heiligthum zu Aphroditens Tempel gemacht. Und was deine Priesterwürde betrifft, so wollen wir noch mit einander rechten, du bist dieser Ehre nicht würdig. – Jedermann weiß, wie Thersander [340] von seiner frühesten Jugend an immer einen sittsamen Lebenswandel führte, und als er zum Manne herangewachsen war, heirathete er gesetzmäßig. Leider aber hat er sich in der Wahl des Weibes getäuscht. Er verließ sich auf ihren Stand und ihr Vermögen, fand sie aber dann nicht so, wie er sie wünschte. Denn allem Anscheine nach hat sie schon vorher mit andern ihr Wesen getrieben, nur hielt sie es vor diesem braven Manne verborgen. Zuletzt aber trieb sie es so weit, daß sie ihre Schande ganz öffentlich zur Schau trug; ihre Schaamlosigkeit stieg aufs höchste. Ihr Mann unternahm eben eine weite Reise, und dieß hielt sie für den schicklichsten Zeitpunkt, ihren Lüsten nachzuhängen, und fand zum Unglück diesen verbuhlten Jüngling – Zum Unglück, sage ich; denn einen Liebhaber zu finden, der bey Weibern die Rolle des Mannes spielt, bey Männern aber selbst zur Frau wird, ist gewiß das größte Unglück. – Es war ihr nicht genug, in einem fremden Lande sorglos und öffentlich mit ihm zu wirthschaften, sondern sie brachte ihn auch mit hierher, schlief auf dem ganzen Wege bey ihm, und überließ sich ganz offenbar im Anblick aller auf dem Schiffe der Schwelgerey. O über den Ehebruch! Land und Meer sind Zeuge von ihm! O über den Ehebruch! Von Aegypten bis Jonien verbreitet er sich! [341] Wird jemand ein Ehebrecher, so wird er es nur auf Einen Tag, und geschieht es auch zum zweyten Mahle, so thut er es wenigstens im Geheim, und hält es vor jedermann verborgen. Ihr Ehebruch aber ist so allgemein bekannt, als wäre er ausposaunt, vom Herold ausgerufen worden. Ganz Ephesus kennt den Ehebrecher. Denn ungescheut führte sie ihn aus der Ferne mit sich hierher; sie kaufte die verführerische Schönheit, wie eine Waare, auf, und brachte einen Ehebrecher mit nach Hause. Ja, wird sie sagen, ich hielt meinen Mann für todt! Allerdings bist du, wenn er gestorben ist, von der Schuld befreyet; denn dann ist niemand da, der den Ehebruch erduldet. Eine mannlose Ehe kann nicht geschändet werden. Lebt aber der Mann noch, und ist es sonach eine wirkliche Ehe, so wird sie dadurch, daß ein anderer die Gattin schändet, nicht aufgehoben, sondern es wird ein Raub an ihr begangen. So wie es nun aber kein Ehebruch genannt werden kann, wenn der Mann nicht mehr lebt, so ist es Ehebruch, wenn er noch lebt. –“

11 Mitten in der Rede fiel Thersander dem Sopatros ins Wort und sagte: „Wozu noch so viele Worte? Ich habe hier eine doppelte Auffoderung, die eine an Melitten, und zwar nicht der Folter wegen, wie ich kurz vorher sagte; die andere betrift die vermeintliche Tochter des Gesandten, die im Grunde meine Sclavin ist. Zugleich las er vor:“ „„Thersander fodert Melitten und Leukippen – so, habe ich gehört, soll die Dirne heißen – auf. Melitte soll, wenn sie seit meiner Abwesenheit mit diesem Fremdlinge nichts zu thun gehabt hat, in das Wasser der heiligen Styx hinabsteigen, und sich durch einen Schwur von der Anklage befreyen; Leukippe hingegen, wenn sie bekennt, daß sie ein Weib ist, zu ihrem Herrn zurückkehren; denn nur Sclavinnen ist es erlaubt, den Tempel der Artemis zu betreten. Giebt sie sich aber für eine Jungfrau aus, so mag man sie in die Höhle der Syrinx verschließen.““ Diese Auffoderung nahmen wir sogleich an, denn wir waren schon darauf gefaßt. Auch Melitte [343] ließ den Muth nicht sinken; sie war sich wohl bewußt, daß in Thersanders Abwesenheit nichts unter uns vorgefallen war, als wechselseitige Gespräche. „Auch ich, sagte sie, nehme diese Auffoderung an, ja, ich setze noch mehr hinzu – und dieß ist alles, was man verlangen kann: – Ich bin mir nicht bewußt, weder mit einem Fremden, noch mit einem Ephesier Gemeinschaft gehabt zu haben, wie du mich beschuldigst. Aber wie wird es dir ergehen, wenn du als falscher Ankläger ertappt wirst?“ Dieß überlaß dem Urtheile der Richter! sagte er. Darauf wurde beschlossen, den folgenden Tag die Auffoderung an uns zu vollziehen, und das Gericht gieng aus einander.

12 Während dem Essen erzählte uns der Priester die Geschichte von dem Wasser der Styx. [344] „Es war einmahl ein schönes Mädchen, fieng er an, Nahmens Rhodopis. Sie war eine Liebhaberin der Jagd. Ihre Füsse waren im Laufen geübt, und ihre Hände geschickt den Bogen zu führen. Ein Gürtel, eine Kopfbinde und ein Gewand, das sie bis an das Knie heraufschürzte, was ihre Kleidung. Das Haar trug sie nach Art der Männer geschoren.“ „Artemis sieht sie. Sie gefiel ihr, und die Göttin rief sie zu sich. Seitdem jagte sie immer in ihrer Gesellschaft, und meistens theilten sie den Fang mit einander. Rhodopis schwur auch, beständig bey ihr zu bleiben, den Umgang der Männer zu meiden, und sich Aphroditens Gewalt zu entziehen.“ „Rhodopis schwur, und Aphrodite hörte es. Sie wurde zornig und wollte sich an dem Mädchen wegen des Uebermuthes rächen.“ „In Ephesus war ein Jüngling, der schönste unter den Jünglingen, so wie Rhodopis die schönste unter den Jungfrauen. Er hieß Euthynikos. Auch er jagte, wie Rhodopis, und wollte eben so, wie sie, von Aphroditen nichts wissen.“ [345] „Gegen beyde macht sich nun die Göttin auf, und führt ihr Wild an Einen Ort zusammen. Bisher waren sie immer getrennt. Artemis war eben nicht zugegen.“ „Aphrodite tritt zu ihrem Sohn, dem Bogenschützen, und spricht zu ihm: „Siehst du, mein Sohn, dieß Paar, das Aphroditen nicht huldigt, das uns und unsern Geheimnissen so abhold ist? Doch die Jungfrau schwur auch noch einen verwegenen Schwur gegen mich. Siehst du, wie sie beyde auf den Hirsch zusammenlaufen? Beginne auch du deine Jagd, zuerst auf das kühne Mädchen. Dein Geschoß wird gewiß besser treffen.““ „Beyde nun spannen den Bogen, sie auf den Hirsch, Eros auf das Mädchen, und beyde treffen. Die Jägerin trifft und wird getroffen. Der Hirsch hat den Pfeil im Rücken, das Mädchen im Herzen. Das Geschoß war die Liebe zum Euthynikos.“ „Ein zweyter Pfeil trifft den Jüngling.“ „Euthynikos und Rhodopis sehen einander. Anfangs stehen sie da, heften ihre [346] Augen auf einander, und keins von beyden will den Blick seitwärts richten. Bald aber entzündet sich in ihnen die Wunde, und Eros selbst leitet sie in diese Grotte, wo jetzt die Quelle ist. Hier brechen sie ihren Schwur.“ „Artemis sieht Aphroditen lächeln, merkt, was geschehen ist, und lößt das Mädchen in Wasser auf eben da, wo ihr der Gürtel gelößt wurde.“ „Wird nun ein Mädchen der Unkeuschheit beschuldigt, so steigt sie in die Quelle, und reinigt sich. Die Quelle ist klein, und geht nur bis an die Knöchel. Mit dem Urtheile selbst verhält es sich so: Sie schreibt den Schwur auf ein Täfelchen, und hängt es an einer Schnur befestigt um den Hals. Hat sie nicht falsch geschworen, so bleibt das Wasser ruhig in seiner Lage. Hat sie aber falsch geschworen, so braußt das Wasser auf, steigt bis an den Hals empor, und überdeckt das Täfelchen.“ Unter diesem Gespräche war der Abend herbey gekommen, und wir giengen, jedes für sich, zu Bette.

13 Den folgenden Tag war das ganze Volk beysammen. Thersander gieng mit fröhlicher Miene voraus und sah zugleich höhnisch lächelnd auf uns. Leukippe war angethan mit einem heiligen Gewande. Es war aus feiner Leinwand, und gieng bis zu den Füssen herab; in der Mitte umschloß es ein Gürtel. Ihr Kopf war mit einer purpurnen Binde umwunden, ihre Füsse ohne Sohlen. Mit allem Anstande trat sie in die Höhle. Ich stand da, und zitterte und bebte. „Daß Leukippe noch Jungfrau ist, sagte ich bey mir, davon bin ich ganz überzeugt. Aber, Geliebte, vor dem Pan ist mir bange. Er liebt die Mädchen, und ich befürchte, du möchtest ihm die zweyte Syrinx werden. Sie flohe den Verfolger auf freyer Ebene, und er verfolgte sie im Freyen. Dich aber schließen wir in die Höhle ein, wie in eine Festung, so daß du nicht einmahl entfliehen kannst, wenn er dich verfolgt. Aber sey uns geneigt, Pan! und verletze nicht die Gesetze [348] dieses Orts; denn wir haben sie heilig beobachtet. Als Jungfrau laß uns Leukippen zurückkehren! Diese Verbindlichkeit bist du der Artemis schuldig. Täusche sie nicht, die jungfräuliche Göttin!“

14 Während ich so bey mir selbst sprach, tönte ein lieblicher Gesang aus der Höhle hervor, und jedermann versicherte, nie einen helleren Ton gehört zu haben. Sogleich sahen wir die Thüre sich öffnen, und Leukippe sprang heraus. Das ganze Volk schrie laut auf vor Freude und schmähte den Thersander. Wie mir dabey war, kann ich nicht beschreiben. Einen und dieß den schönsten Sieg hatten wir davon getragen. Darauf begaben wir uns zur Styx, um die zweyte Untersuchung anzustellen. Auch hieher folgte uns das Volk, um es mit anzusehen. [349] Alles war in Bereitschaft. Melitten wurde das Täfelchen umgehängt. Die Quelle war sehr klein. Melitte stieg hinein, und stand mit heiterer Miene da. Das Wasser blieb, wie es war, ruhig in seiner Lage, und übersprang nicht im Mindesten seine gewöhnlichen Gränzen. Als die Zeit, welche sie in der Quelle bleiben mußte, verflossen war, faßte sie der Oberrichter bey der Hand, und zog sie aus dem Wasser. So hatte Thersander schon zweymahl den Sieg verlohren. Zum dritten Mahle wollte er sich nicht der Gefahr aussetzen, und schlich sich eilig nach Hause. Er befürchtete, vom Volke gesteinigt zu werden. Eben brachten vier Jünglinge auch den Sosthenes herbey. Es waren zwey von Melittens Verwandten und zwey Diener, die Melitte abgeschickt hatte, ihn aufzusuchen. Thersander hatte es von fern her erfahren, und da er wohl wußte, das Sosthenes auf der Folter alles eingestehen würde, kam er zuvor, und machte sich bey einbrechender Nacht eilig aus der Stadt. [350] Den Sosthenes ließen die Richter, da Thersander entflohen war, ins Gefängniß werfen. Darauf entfernten wir uns, in jeder Rücksicht als Sieger, und von allen Seiten rief man uns Glückwünsche zu.

15 Den Tag darauf wurde Sosthenes von Bevollmächtigten vor die Richter gebracht. Da er sah, daß man ihn zu der Folter abführte, gestand er alles, was er dabey gethan hatte, offenherzig ein. Nicht einmahl das übergieng er, was sie von ihr vor Leukippens Thüre mit einander gesprochen hatten. Er wurde nun wieder ins Gefängniß gebracht, um seine Strafe zu leiden, und Thersander, der die Flucht ergriffen hatte, des Landes verwiesen. Uns aber bewirthete der Priester nach seiner gewöhnlichen Weise. [351] Während dem Essen setzten wir unsere Erzählung fort, und ergänzten, was wir den vorigen Tag übergangen hatten. Leukippe scheute sich nun nicht mehr vor ihrem Vater, da sie so offenbar als Jungfrau befunden worden war, und erzählte alles, was ihr begegnet war, mit dem größten Vergnügen. Als sie auf Pharos und auf die Räuber kam, sagte ich zu ihr: Erzähle uns doch die Geschichte mit den Räubern aus Pharos, und das Räthsel mit dem abgeschnittenen Kopfe, damit es auch dein Vater höre. Denn nur dieß ist noch übrig zur Vollendung der ganzen Geschichte.

16 „Die Räuber hatten, fieng sie an zu erzählen, ein unglückliches Weib bey sich, eine von den Dirnen, welche mit Aphroditens Geschenken Gewinn treiben. Sie hatten ihr weiß gemacht, sie würde einen auf dem Schiffe zum Manne bekommen. Das Weib schiffte also mit, [352] ohne daß sie wußte, warum sie eigentlich da war, und lebte ganz ruhig mit einem Räuber, der isch für ihren Liebhaber ausgab.“ „Sie raubten mich, brachten mich, wie du sahst, auf das Schiff und ruderten schnell davon. Bald aber erblickten sie das Schiff, das sie verfolgte, nahmen den Schmuck und die Kleider des unglücklichen Weibes, und legten sie mir an, ihr aber die meinigen. Sie stellten das Weib auf das Verdeck, von wo aus sie die Verfolger sehen konnten, schnitten ihr den Kopf ab, und warfen sie, wie du sahst, ins Meer. Den Kopf behielten sie für jetzt noch auf dem Schiffe; da ihnen aber nicht mehr nachgesetzt wurde, warfen sie auch diesen hinaus.“ „Ob sie das Weib blos deswegen mit genommen hatten, oder ob sie Willens waren, sie als Sclavin zu verkaufen, was späterhin mir wiederfuhr, kann ich nicht sagen. So viel ist gewiß: als sie verfolgt wurden, tödteten sie sie statt meiner, um ihre Verfolger zu täuschen. Vielleicht glaubten sie von mir, wenn sie mich verkauften, mehr Gewinn zu ziehen, als von jener. Und dieß gab auch Veranlassung, daß Chaireas seine wohlverdiente Strafe leiden mußte.“ [353] „Er selbst hatte den Rath gegeben, jenes Weib statt meiner zu tödten und ins Meer zu stürzen. Der übrige Räuberhaufe aber wollte mich nicht ihm allein überlassen. Man habe ja, sagten sie, vorher einen andern Körper gehabt, der ihnen, wenn sie ihn verkauft hätten, reichlichen Gewinn gebracht haben würde. Für die Getödtete also müsse ich verkauft werden und der Gewinn nicht ihm allein, sondern allen gemeinschaftlich zufallen.“ „Er widersetzte sich, suchte sich lange zu rechtfertigen, brachte den Vertrag in Erwähnung, nach welchem er sie nicht für sie zum Verkauf, sondern für sich als Geliebte geraubt habe.“ „Da er dabey ziemlich anmaßend sprach, hatte einer, der hinter ihm stand, den guten Einfall, ihm den Kopf abzuschneiden. Er litt also die gerechte Strafe für den Raub, und wurde nun selbst ins Meer geworfen.“ „Nach einer langen Fahrt von zwey Tagen brachten mich die Räuber, ich weiß selbst nicht, wohin, überließen mcih für Geld einem Kaufmanne, mit dem sie in Verkehr standen, und dieser verkaufte mich wieder an den Sosthenes.“

17 [354] „Ihr habt, Kinder, sagte hierauf Sostratos, nun beyde eure Geschichte erzählt; wohlan so will auch ich einen Beytrag zu diesern Erzählung liefern, und euch erzählen, was sich zu Hause mit Kleitophons Schwester, Kalligone, zugetragen hat.“ Wie ich den Nahmen meiner Schwester hörte, wurde meine ganze Aufmerksamkeit gespannt. „Ja, Vater, sagte ich, erzähle uns von ihr, aber nur, wenn sie noch lebt.“ Er fieng nun an, alles zu erzählen, was ich schon berührt habe, vom Kallisthenes, vom Orakel, von der heiligen Gesandtschaft, dem Schiffe und von dem Raube. „Als er auf dem Schiff erfuhr, setzte er hinzu, daß es nicht meine Tochter war, war ihm sein ganzer Plan vereitelt. Doch auch Kalligonen liebte er sehr. Er warf sich ihr zu Füßen und sagte: Meine Gebieterin! halte mich nicht für einen Räuber, oder für einen Bösewicht. [355] Ich bin einer der Edeln aus Byzantion, und darf mich jedem andern an die Seite stellen. Die Liebe bewog mich, diesen Raub zu erheucheln, und dieses Mittel gegen dich zu gebrauchen. Von heute an betrachte mich als deinen Sclaven. Zum Brautgeschenk gebe ich dir alles hin, mich und so viele Güter, als dir dein Vater nie würde gegeben haben. So lange es dir beliebt, will ich dich als Jungfrau aufbewahren.“ „Durch diese und andere noch anlockendere Reden suchte er sich das Mädchen geneigt zu machen. Ueberdieß war er schön gebildet, und wußte durch seine Beredsamkeit leicht zu überreden.“ „Als er nach Byzantion kam, setzte er ihr ein sehr ansehnliches Brautgeschenk aus, versah sie noch außerdem reichlich mit Kleidern, Gold und allem, was zum Schmucke reicher Frauen gehört. Seinem Versprechen gemäß blieb sie bey ihm unverletzt und wohl aufbehalten, und dadurch gewann ihn das Mädchen lieb.“ „Auch im Uebrigen zeigte er sich als einen ordentlichen, bescheidenen und mäßigen Jüngling. Kurz, es war auf Ein Mahl eine wundervolle Veränderung in ihm vorgegangen. Er wich den Aeltern [356] von seinem Sitz, und kam denen, die ihm begegneten, mit seinem Gruß zuvor. Bisher war sein Charakter immer zweydeutig gewesen, jetzt aber kehrte er von seinen Ausschweifungen zur Besonnenheit zurück. Er zeigte sich großmüthig, wenn jemand seiner Hülfe bedürftig war. Und mit Einem Worte, jedermann wunderte sich, daß aus einem Menschen von so schlechten Sitten ein so biederer Jüngling geworden war.“ „Vor Allem suchte er sich mir gefällig zu machen, und ich gewann ihn auch würklich sehr lieb. Seine vorigen Ausschweifungen hielt ich mehr für natürliche Anbrausung als für Zügellosigkeit. Mir fiel dabey das Beyspiel des Themistokles128 ein, der in seiner Jugend ein zügelloses Leben geführt haben soll, später aber an Weisheit und Biedersinn alle Athenäer übertraf.“ [357] „Es reuete mich nun, daß ich ihn zurückgewiesen hatte, als er um meine Tochter warb. Denn er bewies mir alle Achtung, nannte mich Vater, und begleitete mich in die Volksversammlungen.“ „Auch die Kriegsübungen vernachlässigte er nicht mehr, und zeichnete sich in den Reitübungen recht wacker aus. Zwar fand er an diesen auch während seines schwelgerischen Lebens Vergnügen, und widmete sich ihnen, aber nur zur Pracht und zur Ergötzung. Unvermerkt aber nahm sein gesetzter männlicher Sinn eben so zu wie seine Erfahrung. Sein Hauptgeschäft war, sich auf alle mögliche Weise im Kriegswesen auszuzeichnen. Auch schoß er der Stadt eine ansehnliche Summe vor, und wurde mit mir zugleich zum Heerführer ernannt, wodurch sich seine Achtung gegen mich noch mehr vergrößerte, und in allen Stücken zeigte er sich mir ergeben.“

18 „Nachdem wir unter dem sichtbaren Beystande der Götter gesiegt hatten, kehrten wir unter [358] frohen Danksagungen nach Byzantion zurück. Es wurde beschlossen, dem Herakles und der Artemis ein Opfer zu bringen, und die Wahl traf uns beyde. Ich sollte hier der Artemis, er zur Tyros dem Herakles opfern.“ „Jetzt ergriff Kallisthenes meine Rechte, und erzählte mir zuerst, was er wegen Kalligonen unternommen hatte. „Vater, setzte er dann hinzu, was ich gethan habe, geschah freylich im Feuer der Jugend; später aber handelte ich mit Ueberlegung. Denn bis jetzt habe ich das Mädchen als Jungfrau aufbewahrt, und dieß noch dazu im Getümmel des Kriegs, wo niemand die Vergnügungen aufzuschieben pflegt. Nun bin ich entschlossen, sie nach Tyros zu ihrem Vater zurückzuführen, und sie von ihm gesetzmäßig zur Ehe zu empfangen. Will er mir das Mädchen geben, so werde ich mich für glücklich schätzen; ist er aber starrsinnig, und nicht zu bewegen, so empfängt er sie als Jungfrau zurück. Es ist mein innigster Wunsch, sie zu bekommen, und ich habe ihr ein ansehnliches Brautgeschenk bestimmt.““ „Ich will dir doch auch den Aufsatz vorlesen, den ich unserer Verabredung gemäß entworfen habe, [359] ehe ich in den Krieg zog, worin ich den Wunsch an den Tag legte, das Mädchen möchte an den Kallisthenes verheirathet werden, und seine Geburt, seine Würde und seine Vorzüge im Krieg aus einander setze.“ „Nun habe ich beschlossen, sobald unsere Sache entschieden ist, nach Byzantion zurückzukehren, und von da nach Tyros zu reisen.“ –

19 Den folgenden Tag kam Kleinias, und brachte uns die Nachricht, Thersander sey des Nachts entflohen. Er habe die Auffoderung nicht gemacht, um den Prozeß zu gewinnen, sondern es sey nur ein Vorwand gewesen, die Ueberführung seiner Vergehen zu verzögern. Wir warteten noch drey Tage, so lange nemlich der Termin angesetzt war, giengen dann zum Oberrichter, und hörten den Ausspruch der Gesetze, nach welchen Thersander nichts mehr an uns zu fodern hatte. [360] Darauf bestiegen wir ein Schiff, segelten mit günstigem Winde nach Byzantion, vollzogen daselbst die lange gewünschte Hochzeit, und reisten nach Tyros. Zwey Tage später kam auch Kallisthenes. Mein Vater war eben mit der Zubereitung des Opfers beschäftigt, welches auf den folgenden Tag zur Hochzeit meiner Schwester bestimmt war. So opferten wir zusammen, und flehten gemeinschaftlich zu den Göttern, unsere Ehen zu beglücken. Wir beschlossen, den Winter über in Tyros zu bleiben, und dann nach Byzantion zurückzukehren.

Anmerkungen

120 Barbaren nannten die Griechen alle Völker, die keine Griechen waren. Hier unterscheidet sie Achilles von den Tauriern und Skythen, und versteht wahrscheinlich die nordwestlichen Völkerschaften von Europa, die Gallier und Belgier, darunter, bey denen nicht selten Menschenopfer gewöhnlich waren.

121 Taurier wohnten in der heutigen Krim, und opferten der Artemis die ankommenden Fremden.

122 Skythen nannten die Alten alle Völker, die hinter dem schwarzen und kaspischen Meere wohnten. Sie hatten die Gewohnheit, die Kriegsgefangenen zu opfern und ihr Blut zu trinken.

123 Pan, eine Hirtengottheit, wird mit Hörnern und Ziegenfüßen vorgestellt. Ihm wird die Erfindung der siebenröhrigen Hirtenpfeile beygelegt, die hier weitläufig beschrieben wird.

124 Prytanen waren in jedem griechischen Staate die höchsten obrigkeitlichen Personen.

125 Aristophanes, ein griechischer Komödiendichter, der sich in der Satyre vorzüglich auszeichnete. Von ihm und zweyen andern Komödiendichtern, Kratinos und Eupolis, sagt Horaz:

sie nahmen sich die Freyheit, jeden,
den böse Sitten oder Uebelthaten
der Ahndung würdig machten, auf die Bühne
zu stellen; und kein Taugenichts, kein Dieb,
kein Ehebrecher und kein Mörder war
vor ihrem Strafamt sicher.

Horaz I, 4. nach der Wielandischen Uebersetzung.

126 Der erste Theil dieser Rede ist voll von satyrischen Zweydeutigkeiten; fast in jedem Worte liegt ein Doppelsinn, den man sich im Deutschen zwar nachzubilden bemüht hat, der aber immer nur dann erst vollkommen verständlich wird, wenn man sich dabey an die, uns nicht so bekannte, Sitte der Knabenliebe erinnert. Man nahm Knaben zu sich unter dem Scheine, sie in den Wissenschaften zu unterrichten, und brauchte sie zur Befriedigung seiner Begierden.

127 Pluto, der Gott der Unterwelt.

128 Themistokles, ein berühmter Feldherr zu Athen, wurde wegen seines ausschweifenden Lebens von seinem Vater enterbt. Dieß munterte ihn denn auf, sich mit desto größerm Eifer den ernsten Geschäften des Staats zu widmen, und er erwarb sich um sein Vaterland große Verdienste.