Vorrede
[III] Die griechischen Erotiker haben immer das Glück gehabt, unter allen Schriftstellern des Alterthums am fleißigsten bearbeitet und mit den gelehrtesten Commentaren bereichert zu werden. Auch [IV] hat man sich bemüht, ihnen für das ungelehrte Publikum ein deutsches Gewand zu leihen. So erschien, um den Achilles Tatios zu erwähnen, schon 1772 von Seybold eine deutsche Uebersetzung der Leukippe. Ob jedoch diese Uebersetzung die unsrige überflüßig gemacht habe, überlassen wir den Kunstrichtern zu entscheiden. Eine andere Frage, ob die Erotiker (ich meyne die vorzüglichsten unter ihnen: den Achilles, Heliodor und Longos) überhaupt übersetzt zu werden verdienen, dürfte wohl von jedem, [V] welcher von dem Vorurtheile frey ist, daß man nur die klassischen Autoren lesen dürfe, um sich zu bilden, von jedem, welcher den Fortgang der Künste und Wissenschaften in ihrem ganzen Umfange: in ihrem Aufkeimen, ihrer Blüthe und ihrem Hinsinken kennen zu lernen wünscht – bejahend beantwortet werden. Außerdem zeichnet sich Leukippe, als Kunstwerk betrachtet, durch einige, nicht gemeine Vorzüge aus, zu deren Würdigung ich eine eigene Kritik angehängt habe, und kann jedem Leser von vielen Seiten mannichfaches [VI] Vergnügen und Interesse gewähren.
Was diese Uebersetzung betrifft, so ist sie anzusehen als ein Denkmahl akademischer Freundschaft, von mir und meinem Freunde Güldenapfel gemeinschaftlich errichtet. Wir haben uns bemüht, die griechische Simplicität, welche beym Achilles öfters in Witzeley übergeht, so weit es die deutsche Sprache und die Gesetze des Vortrags erlaubten, nachzubilden und den Achilles mit allen seinen Eigenheiten, doch nach der Einschränkung, [VII] welche unsere Sprache zu machen berechtigt ist, dem deutschen Leser in die Hände zu geben.
Da wir öfters entweder von der gewöhnlichen Auslegung, oder dem gemeinen Texte abgewichen sind, so habe ich philologische Bemerkungen hinzugefügt. Die erklärenden Anmerkungen sind indirekte Vertheidigungen der gewöhnlichen Lesearten.
Wegen Entfernung des Druckorts sind manche Fehler und Ungleichheiten in der Schreibart stehen geblieben, welche [VIII] ich gewünscht hätte, bey eigener Durchsicht der Druckbogen verbessern zu können.
Jena 1801, den 3ten Oktober.
Friedrich Ast.
