Einleitung des Übersetzers
Ammianus Marcellinus, unstreitig der vorzüglichste Römische Geschichtschreiber der spätern Zeit, war nach seinem eigenen Berichte (XXI, 16.) ein Grieche von Geburt. Seine Vaterstadt ist zwar nicht mit Gewißheit bekannt, wahrscheinlich aber Antiochien (wie H. Valesius mit Recht aus einem Briefe des Libanius vermuthet), wo er um das Jahr 330 geboren wurde1. Was wir von seinen Lebensumständen wissen, ist nicht viel, dafür aber auch desto zuverläßiger, weil er es selbst erzählt.
Bei einer guten Herkunft (XIX, 6.) scheint er eine tüchtige Jugendbildung empfangen, auch Unterricht in der lateinischen Sprache, welche ihm in seiner Laufbahn so wichtig war, genossen zu haben. Er widmete sich, ob aus eigenem Triebe, oder auf Veranlassung seiner Eltern, ist unbekannt, dem Kriegsdienst und wurde unter die Protectores domestici (Leibwache) aufgenommen, die zur Begleitung des Regenten gebraucht, oft aber auch den Oberbefehlshabern der Truppen zu mancherlei Dienstleistungen beigesellt wurden. So hat unser Ammian den Magister Equitum Ursicinus auf verschiedenen Zügen begleitet, – 350 im Orient, 354 von da nach Mailand, 355 gegen Silvan, später wiederum nach dem Orient – auch dem Feldzuge Julian’s gegen die Perser (363) beigwohnt. Was ihm auf diesen Zügen begegnete, so wie manches Andre, ihn selbst Betreffende, erzählt es gelegentlich, und um hier nicht zu weitläufig werden zu müssen, verweise ich nur auf diese Stellen. Sie sind: Buch XIV, 9 [sic!] und 11.; XV, 5.; XVI, 10.; XVII, 4.; XVIII, 6.; XIX, 8; XXII, 15.; XXIII, 5.; XXV, 10. und XXXI, 16.
Wie lange er gedient, ist nicht mit Gewißheit zu ermitteln, so viel aber bestimmt, dass er späterhin, wahrscheinlich bald nach Julian’s Tode, sich zurückzog und in einer ehrenvollen Muße lebte. Da er, außer am Ende seines Werkes, zum letztenmale im zehnten Capitel des 25sten Buches von sich selbst spricht, da er (363) mit Jovian nach Antiochien gekommen war: so glaube ich annehmen zu dürfen, dass er gerade damals den Abschied nahm, und seine Vaterstadt zu seinem Aufenthaltsorte wählte. Hier scheint er im Jahre 371 noch gewesen zu seyn, da er von den Vorfällen bei der Verschwörung des Theodorus als Augenzeuge redet, und gerade diese Vorfälle möchten ihn wohl auch veranlaßt haben, seine Vaterstadt mit der Hauptstadt der Welt zu vertauschen. Vielleicht fiel auch seine Reise nach Aegypten, auf die er XVII, 4. und XXII, 15., hinzudeuten scheint, in die Zeit seines Aufenthaltes zu Antiochien.
Daß er zu Rom seine Geschichte geschrieben, dass er sie dort mit allgemeinem Beifall öffentlich vorgelesen, ist durch den, an ihn gerichteten, Brief des Libanius2 außer allen Zweifel gesetzt, und dass er damals ein schon betagter Mann war, sagt er uns selbst. Sein Geschichtswerk bestand aus einunddreißig Büchern, begann mit der Regierung des Kaisers Nerva (96) und endete mit dem Tode des Valens (378), umfaßte also einen Zeitraum von zweihundert und zwei und achtzig Jahren. Die dreizehn ersten Bücher, von Nerva bis auf Constantius, oder von den Jahren 96–352, sind leider völlig verloren gegangen, und obwohl sie die Begebenheiten dieser Zeiten nicht so ausführlich, als die folgenden, enthalten mögen: so ist ihr Verlust doch höchst zu bedauern. Doch die übriggebliebenen entschädigen uns für diesen Verlust und sind um so wichtiger für uns, als er Alles, was er erzählt, selbst erlebte, von Vielem sogar zuverläßiger Augenzeuge war.
Wann Ammian gestorben, ist ungewiß, allein mit vollem Rechte nimmt man an, daß er im Jahr 390 noch gelebt habe, was um so gewisser ist, als seine Geschichte bis zu 378 fortgeht. Daß er Heide und nicht Christ war, wie man wohl früher gerne glauben machen wollte, ist als erwiesen anzunehmen; eben so gewiß aber auch, daß er sich von der Anhänglichkeit an seine Religion zu keinem harten und unverdienten Urtheile über die Christen hinreißen ließ und daher, wie Wagner richtig bemerkt, der Forderung an einen Geschichtschreiber, keine Religion zu haben, völlig entspricht.
Sachtkenntniß, Wahrheitsliebe, gemäßigtes Urtheil und Unparteilichkeit, Haupteigenschaften guter Geschichtschreiber, zeichnen ihn in hohem Grade aus. Ungerecht ist daher Schirach3, wenn er behauptet, Ammian habe andere große Männer erniedrigt, um seinen Haupthelden, Julian, desto höher zu stellen. Ganz richtig dagegen urtheilt Schröckh4: „Er tadelt Heiden und Christen gleich strenge, wenn sie es ihm zu verdienen scheinen, und so sehr er auch den Julian wegen solcher Eigenschaften rühmt, die auch Gerechtigkeit liebende Christen an ihm bewundern müssen, so wenig vergißt er, seine Fehler, und darunter seine Härte gegen die Christen, zu missbilligen.“
Diese vorzüglichen Eigenschaften, zu denen noch seine Reichhaltigkeit kommt – die häufigen Episoden enthalten die anziehendsten Schilderungen von Ländern, Völkern und Naturereignissen5 – lassen uns die manchmal unreine und schwerfällige Diction desselben übersehen, auf welche Nachsicht er um so mehr Anspruch haben muß, als das Lateinische, das ohnehin damals schon lange seine frühere Reinheit verloren hatte, nicht seine Muttersprache war und er, nach einem langen und beschwerlichen Kriegerleben, erst im hohen Alter zu schreiben begann. Seine Darstellung ist lebhaft, mitunter blühend, ja mahlerisch zu nennen, seine Charakterschilderungen sind großentheils meisterhaft, und er wird Jeden anziehen, der sich mit ihm vertraut gemacht und die vielen, ein leichteres Verständnis hemmenden Schwierigkeiten überwunden hat.
Von den bisherigen Ausgaben ist die Wagner-Erfurdt’sche (Leipz. 1808, 3 Bde.), welche ich auch vorliegender Arbeit zu Grunde legte, zwar die beste, die wir bis jetzt haben, läßt aber eine neue, kritische Ausgabe um so mehr wünschen, als für den häufig und willkührlich verderbten Text seit Gronos fast nichts geschehen ist. Nur dann aber kann sich ein künftiger Herausgeber des Ammian ein wahres Verdienst erwerben, wenn er bisher unbenutzte Handschriften, oder doch wenigstens die schon gebrauchten, aus denen wir leider keine genaue und vollständige Sammlung verschiedener Lesarten haben, zu Rathe zieht und mit strenger Prüfung die willkührlichen Aenderungen bisheriger Herausgeber ausmerzt. Schon seit zwölf Jahren sammle ich an Materialien zu einer kritischen Ausgabe, ob ich sie aber, und wann, zu geben im Stande seyn werde, vermag ich noch nicht bestimmen.
Was endlich diese neue Uebersetzung betrifft: so waren Treue und allgemeine Verständlichkeit, ohne die Farben des Originales zu verwischen, mein Hauptzweck. Ob ich ihn erreicht habe, muß ich Sachkennern zu bestimmen überlassen, kann aber die Versicherung geben, daß ich, ihm möglichst nahe zu kommen und eine Arbeit von mehr als ephemeren Werthe zu liefern, redlich bemüht war. Die Wagner’sche Uebersetzung habe ich bei Revision der meinigen verglichen, und gerne gestehe ich, daß ich ihr Manches zu verdanken habe. Um Weitläufigkeit in den Anmerkungen zu verhüten, habe ich größtentheils nur auf andere Werke verwiesen, in denen nähere Belehrung zu finden ist, und hoffe, auch dadurch mir den Dank der Leser zu verdienen.
Hamm, den 10. August 1827.
Dr. Ludwig Troß.
1 Früher kann man sein Geburtsjahr, nach dem, was er am Ende des 10ten Capitels, B. XVII. sagt, nicht wohl ansetzen.
2 In Henr. Valesii praef. ad Ammian. p. LXXVI, ed. Wagner.
3 Historische Zweifel, S. 25.
4 Christliche Kirchengeschichte, Bd. 7., S. 63.
5 Heyne censura ingenii et historiar. Ammiani, in dessen opusc. Acad. und vor Wagner’s Ausg. d. Ammian.
