8. Buch

Ornament

Übersetzung

1 (1) [265] Als Alexander mehr zum staunenden Gerede des Volkes als zur Vergrößerung seines Ruhmes die Felsburg unterworfen hatte, theilte er, da das Umherschwärmen des Feindes die Absendung verschiedener Haufen nöthig machte, sein Heer in drei Theile. Ueber den einen war Hephästion, über den andern Cönos gesetzt: er selbst befehligte die Uebrigen. (2) Doch waren nicht alle Barbaren von gleicher Gesinnung. Einige unterlagen der Waffengewalt, die Mehrzahl fügte sich, bevor es zum Kampfe kam, seinen Befehlen, und ihnen ließ er Städte und Ländereien derer zutheilen, die bei ihrem Abfall beharrt hatten. (3) Es verheerten aber die aus ihrem Vaterlande vertriebenen Bactrier im Verein mit 800 massagetischen Reitern die benachbarten Flecken. Ihnen zu wehren, zog Attinas, der Befehlshaber über jenen District, mit 300 Reitern aus, ohne eine Ahnung des ihm gelegten Hinterhaltes. (4) Die Feinde verbargen nämlich in der zufällig an die Ebene grenzenden Waldung Bewaffnete, während einige Wenige Vieh vor sich her trieben, um den sich nichts Versehenden durch die Beute zu dem Hinterhalte hinzulocken; (5) und Attinas folgte ihnen also raubend, ohne seine Schaar geordnet und die Reihen geschlossen zu halten. Wie er aber bei dem Walde vorüber war, fielen die darin Gelagerten unerwartet über ihn her und hieben ihn mit seiner sämmtlichen Mannschaft nieder. (6) Schnell drang die Kunde von dieser Niederlage zu Craterus, der nun mit seiner gesammten Reiterei über sie kam; und waren auch die Massageten bereits geflohen, so kamen doch tausend Daher um. Mit ihrer Niederlage aber hatte die Erhebung der ganzen Gegend ihr Ende erreicht. (7) Auch Alexander hatte die Sogdianer aufs [266] neue unterjocht und zog wieder gen Maracanda. Hier traf er den Berdes, den er zu den Scythen jenseits des Bosporus1 geschickt hatte, nebst Gesandten dieses Volksstammes. (8) Ebenso hatte der Beherrscher der Chorasmier, Phrataphernes, dessen Gebiet an das der Massageten und Daher grenzte, Boten gesandt, mit dem Versprechen seinen Befehlen nachkommen zu wollen. (9) Die Scythen baten, er möge sich mit der Tochter ihres Königs vermählen; verschmähe er aber diese Verwandtschaft, so solle er den vornehmsten Macedoniern gestatten, mit den ersten Töchtern ihres Stammes Ehen zu schließen; auch werde, versprachen sie, ihr König selbst zu ihm kommen. (10) Beide Gesandtschaften wurden freundlich angehört, und in Erwartung des Hephästion und Artabazus ein Standlager bezogen. Als diese sich mit ihnen vereinigt hatten, gelangte man in die Gegend, welche Bazaira heißt2. (11) Von dem Reichthum bei den Barbaren in jenen Gegenden giebt es keinen auffallenderen Beweis, als die in großen Parks und Waldungen gehegten Heerden edlen Wildes. (12) Man wählt zu diesem Zwecke weit ausgedehnte Wälder, von häufigen Bächen immerfließenden Wassers anmuthig belebt; Mauern umschließen die Parks, und Thürme befinden sich darin als Zufluchtsstätten der Jäger. (13) Vier Menschenalter hintereinander war, wie man wußte, ein solcher Park unberührt geblieben: in ihn zog Alexander mit seinem ganzen Heere ein und gab Befehl das Wild von allen Seiten aufzujagen. (14) Als darunter ein Löwe von seltener Größe gegen den König selbst losstürzte, befand sich Alexander zunächst gerade Lysimachus, der nachmals König wurde, und hatte sich schon angeschickt dem Thiere seinen Jagdspieß entgegenzuhalten. Doch der König wies ihn zurück und hieß ihn gehen, mit dem Beifügen, er könne ebenso geschickt wie Lysimachus den Löwen allein tödten. (15) Lysimachus hatte nämlich einmal bei einer Jagd in Syrien ein Thier von ausnehmender Größe zwar allein erlegt, doch war er von ihm an der linken Schulter bis auf die Knochen zerfleischt worden, so daß er in die äußerste Gefahr gerathen war. (16) Eben dies warf ihm jetzt der König vor, und des letzteren That war noch tapferer wie seine Rede; denn er fing nicht nur das Thier auf, sondern [267] tödtete es auch durch einen einzigen Stoß. (17) In Folge dieses eben erzählten Vorfalles dürfte sich nach meinem Dafürhalten das thörichte Gerede3 verbreitet haben, Lysimachus sei vom Könige einem Löwen vorgeworfen worden. (18) Obwohl übrigens Alexander die Gefahr mit so glücklichem Erfolge bestanden hatte, so faßten doch die Macedonier nach ihrer Volkssitte den Beschluß, daß er weder zu Fuß, noch ohne ein auserlesenes Geleit der Vornehmsten oder Freunde jagen solle. (19) Nachdem man viertausend Stück Wild erlegt, hielt er in eben jenem Parke mit seinem ganzen Heere einen Schmaus. Von dort kehrte er nach Maracanda zurück, und da Artabazus’ Entlassungsgesuch um seines hohen Alters willen angenommen wurde, so bestimmte er dessen Provinz dem Clitus. (20) Es war das derselbe, welcher am Granicus den König, als er entblößten Hauptes kämpfte, mit seinem Schilde deckte, und die Hand des Rhosaces, der dies Haupt bedrohte, mit dem Schwerte abhieb: ein alter Soldat Philipp’s und durch viele Kriegsthaten rühmlich bekannt. (21) Seine Schwester Hellanice, die den Alexander aufgezogen hatte, wurde vom König nicht anders wie eine Mutter geliebt. Um dieser Ursachen willen vertraute dieser den kriegerischesten Theil des Reiches seiner Treue und seinem Schutze an. (22) Und schon für den folgenden Tag befehligt aufzubrechen, wurde er noch zu einem festlichen, ungewöhnlich früh beginnenden Mahle gezogen. Bei diesem begann der König, von vielem Weine erhitzt und übermäßig von sich eingenommen, seine Thaten zu rühmen, so daß es selbst für die Zuhörer zu stark wurde, die sich sagen mußten, daß er die Wahrheit berichte. (23) Doch schwiegen die Graubärte still, bis er anhob Philipp’s Thaten herabzusetzen und prahlte, der berühmte Sieg bei Chäronea sei sein Werk, und nur durch seines Vaters Neid und Mißgunst sei ihm der Ruhm dieser Großthat entrissen worden. (24) Als nämlich der Aufruhr unter den macedonischen [268] Truppen und griechischen Söldnern ausgebrochen sei, habe Philipp durch eine Wunde, die er in der Verwirrung erhalten, erschöpft dortgelegen und es für das Sicherste gehalten sich todt zu stellen: er dagegen habe dessen Leib mit seinen Schilde gedeckt und die auf jenen Eindringenden mit eigener Hand getödtet. (25) Dies habe aber sein Vater nie mit Gleichmuth eingestehen wollen, da er ungern dem Sohne sein Leben verdankt habe. Nach dem Feldzuge also, den er ohne jenen gegen die Illyrier unternommen, habe er als Sieger an seinen Vater geschrieben, die Feinde seien zerstreut und in die Flucht geschlagen, nirgends aber sei Philipp dabei gewesen. (26) Ruhm verdiene, fügte er hinzu, nicht wer die samothracischen Geheimdienste4 besuche, wo es Asien zu sengen und zu verheeren gelte, sondern die, deren Thaten durch ihre Größe allen Glauben übersteigen. (27) Dies und Aehnliches hörten die jüngeren Männer gern, die älteren verdroß es, hauptsächlich um Philipp’s willen, unter welchem sie ihre meisten Jahre verlebt hatten. (28) Da wandte sich Clitus, selbst auch nicht ganz nüchtern, zu denen, welche unter ihm zu Tische lagen, und citirte mit so gedämpfter Stimme, daß weniger die Worte als deren Schall vom König vernommen werden konnte, eine Stelle des Euripides5, des Inhaltes: (29) es sei ein schlechter Brauch bei den Griechen, auf die Tropäen nur die Namen der Könige zu schreiben, da so der durch fremdes Blut gewonnene Ruhm unterschlagen werde. Da nun der König argwöhnte, daß eine übelwollende Bemerkung gemacht worden sein möchte, hob er an die Tischnachbarn auszufragen, was sie aus Clitus’ Munde gehört hätten. (30) Doch als diese hartnäckig schwiegen, erinnerte Clitus allmälig mit lauterer Stimme an die Thaten Philipp’s und an dessen in Griechenland geführte Kriege, und erhob [269] alles dies über das gegenwärtig Vollbrachte. (31) Hierauf entspann sich ein Streit zwischen den Jüngeren und Aelteren, während der König, zwar scheinbar Clitus’ Reden, die seinen Ruhm herabsetzten, geduldig anhörend, bereits vom heftigsten Zorne erfaßt war. (32) Schien es nun auch, als würde er diesen bemeistern können, wenn Clitus seinen kecken Worten ein Ziel gesetzt hätte, so entbrannte er nur noch stärker, da ihm jener keine seiner Bitterkeiten schenkte. (33) Und bereits wagte es Clitus sogar den Parmenio zu vertheidigen, und stellte, nicht nur vom Weine, sondern auch von bösartiger Streitsucht fortgerissen, Philipp’s Sieg über die Athener höher als die Zerstörung Thebens. (34) Endlich schrie er: „Wenn es für dich zu sterben gilt, so ist Clitus der erste: nimmst du aber die Entscheidung über den Sieg vor, dann tragen den besten Theil diejenigen davon, welche am unverschämtesten das Andenken deines Vaters verunglimpfen. (35) Mir theilst du die Provinz Sogdiana zu, die sich so oft empört hat, und nicht nur noch unbezwungen, sondern geradezu unbezwingbar ist. Du schickst mich unter wilde Bestien von der leidenschaftlichsten Gemüthsart. Doch schweige ich von dem, was mich selbst angeht. (36) Aber du behandelst Philipp’s Soldaten geringschätzig und vergißt, daß wir noch heutigen Tages um Halicarnaß festsitzen würden, hätte nicht dieser alte Atharrias die den Kampf verweigernden jungen Mannschaften zurückgebracht. (37) Wie hast du’s denn also gemacht, Asien mit eben diesen jungen Burschen da zu unterwerfen? Wohl, meine ich, ist es wahr, was bekanntlich dein Oheim6 in Italien gesagt hat, er seines Theils sei auf Männer, du auf Weiber gestoßen.“ (38) Nichts von allen den unbedachten und thörichten Aeußerungen hatte den König mehr gereizt, als die herbeigezogene ehrenvolle Erwähnung Parmenio’s. Dennoch unterdrückte er seinen Unwillen und begnügte sich ihm zu befehlen, das Mahl zu verlassen, (39) indem er nichts weiter hinzufügte, als: wenn er noch länger geredet hätte, würde er ihm wohl auch noch vorgeworfen haben, daß er ihm sein Leben verdanke, wie er ja oftmals stolzer Weise sich gerühmt habe. (40) Und als jener noch aufzustehen zauderte, suchten ihn seine nächsten Tischnachbarn unter Schelten und Zureden gewaltsam abzuführen. (41) Wie man [270] ihn aber fortzog, gesellte sich zu seiner vorigen Heftigkeit auch noch der Zorn, und laut schrie er: mit seiner Brust habe er jenes Rücken gedeckt; nun, nachdem der Moment so großen Verdienstes vorüber, sei ihm selbst die Erinnerung daran verhaßt. (42) Zugleich warf er ihm Attalus’ Ermordung vor und rief schließlich mit Verspottung von Jupiters Orakel, dessen Sohn Alexander zu sein behaupte: er habe den König mit mehr Wahrheit bedient als sein Vater. (43) Jetzt hatte der Zorn des Königs eine Höhe erreicht, wie ihn kaum ein Nüchterner noch hätte beherrschen können. Nun da ihm schon vorher die Sinne vom Weine umstrickt waren, sprang er plötzlich vom Lager auf. (44) Bestürzt, die Becher nicht hin setzend, sondern werfend, erhoben sich die Freunde, voll gespannter Erwartung, was er in so ungeheurer Aufregung thun werde. (45) Er riß einem Trabanten die Lanze aus der Hand und wollte den noch immer mit gleich unbändiger Zunge fortrasenden Clitus durchbohren, doch Ptolemäus und Perdiccas hinderten ihn daran. (46) Sie umfaßten seinen Leib und hemmten sein unablässiges Entgegenringen, während Lysimachus und Leonnatus auch die Lanze entfernt hatten. (47) Jener beschwor die Soldaten bei ihrem Eide, rief, er werde, wie vor kurzem an Darius geschehen, von seinen nächsten Freunden gefesselt und befahl mit der Trompete das Zeichen zu geben, sich bewaffnet beim Königszelte zu versammeln. (48) Da warfen sich Ptolemäus und Perdiccas vor ihm auf die Kniee und flehten ihn an, nicht in so leidenschaftlichem Zorne zu beharren, und sich lieber Zeit zur Ueberlegung zu gönnen: Alles werde er am folgenden Tage mit größerer Gerechtigkeit ins Werk setzen. (49) Allein seine Ohren waren verschlossen, denn zu sehr tobte der Zorn in ihm. So rannte er, seiner Wuth nicht mächtig, hinaus in die Vorhalle des Zeltes, nahm einem der Wachehaltenden den Speer und stellte sich am Eingange auf, durch welchen, die mit ihm gespeist hatten, nothwendig heraustreten mußten. (50) Die übrigen hatten sich entfernt; Clitus tritt zuletzt hinaus und ohne Licht. Der König fragt ihn, wer er sei. Und da selbst aus dem Ton der Frage die Wildheit seines Entschlusses hervordrohte, (51) so erwidert jener, nicht mehr an seinen, sondern an des Königs Zorn denkend, er sei Clitus und gehe vom Gastmahle weg. (52) Doch indem er dies sagt, durchbohrt ihm Alexander die Brust mit dem Speere und ruft, vom Blute des Sterbenden bespritzt: „Gehe nun zu Philipp und Parmenio und Attalus!“

2 (1) [271] Uebel hat darin die schaffende Natur den menschlichen Geist berathen, daß wir mehrentheils, nicht was geschehen soll, sondern was bereits geschehen ist, in Erwägung ziehen. Auch der König, nachdem der Zorn aus seinem Gemüthe entwichen, und er sich vom Rausche ernüchtert hatte, erkannte bei zu später Ueberlegung die Größe seiner Schandthat. (2) Getödtet sah er einen Mann, der zwar jetzt die Redefreiheit maßlos gemißbraucht hatte, sonst aber trefflich im Kriege und, wollte er nicht erröthen es einzugestehen, der Retter seines Lebens war. Er selbst, der König, hatte dem grauenvollen Amte des Henkers vorgegriffen, hatte die Frechheit der Zunge, die sich wohl auf Rechnung des Weines schieben ließ, durch frevelhaften Mord gerächt. (3) Die ganze Vorhalle schwamm vom Blute dessen, der kurz zuvor sein Tischgenosse gewesen war: bestürzt und starren Bildsäulen gleich standen die Wachen von ferne, und die Einsamkeit gab der Reue desto freieren Raum. (4) So zog er denn den Speer aus dem Körper des Daliegenden und kehrte ihn gegen sich selbst; und schon hatte er ihn an seine Brust gesetzt, als die Wachen herbeistürzen, ihm trotz seines Widerstrebens denselben aus den Händen winden, und ihn selbst auf ihren Armen in das Zelt tragen. (5) Hier hatte er sich zu Boden geworfen und durchschallte die ganze Behausung mit jammervollem Geächz und Wehgeschrei. Dann zerfleischte er sich das Antlitz mit den Nägeln und flehte die Umstehenden an, ihn eine so entsetzliche Schmach nicht überleben zu lassen. (6) Unter solchen Anrufungen zog sich die ganze lange Nacht hin. Und bei seinem Nachsinnen, ob ihn wohl der Zorn der Götter zu einer solchen Unthat hingerissen habe, fiel ihm ein, daß dem Vater Bacchus sein jährliches Opfer nicht zur festgelegten Zeit dargebracht worden sei. Drum sei es, da der Mord beim Zechgelag und Schmause geschehen sei, offenbar der Zorn des Gottes gewesen. (7) Doch mehr noch beunruhigte ihn, daß er die Gemüther aller seiner Freunde in Bestürzung sah: Keiner werde fortan wagen sich mit ihm in ein Gespräch einzulassen; einsam werde er leben müssen wie ein wildes Thier, das die einen schrecke, die andern fürchte. (8) Dann bei Anbruch des Tages gebot er, den Leichnam, noch blutig wie er war, in das Zelt hineinzutragen, und als er vor ihm niedergelegt worden war, rief er unter strömenden Thränen: „Das ist der Dank, den ich der Pflegerin meiner Kindheit erstattet habe: ihre zwei Söhne haben [272] bei Milet für meinen Ruhm den Tod gefunden, dieser ihr Bruder, der einzige Trost in ihrer Verlassenheit, liegt von mir beim Mahle ermordet. (9) Wohin soll sich nun die Unglückliche wenden? Alle die Ihrigen überlebe ich allein, den allein sie nicht vermögen wird mit freundlichen Augen anzusehen. Und ich, der Mörder meiner Lebensretter, sollte in das Vaterland zurückkehren, um nicht einmal meiner Pflegerin, ohne ihres Unglückes zu gedenken, die Rechte bieten zu können!“ (10) Endlich, als der Thränen und des Jammers kein Ende wurde, ward der Leichnam auf Befehl der Freunde entfernt. Drei Tage lang lag der König eingeschlossen. (11) Als aber die Trabanten und Generale seiner Umgebung merkten, daß er zu sterben entschlossen sei, drangen sie alle mit einander in sein Zelt ein, und brachten ihn, nachdem er lange ihren Bitten widerstrebt hatte, mit Mühe dahin, Speise zu nehmen. (12) Und damit er sich um so weniger des Mordes schämen sollte, erklärten die Macedonier durch einen Beschluß, daß Clitus mit Recht getödtet sei; ja sie würden ihm sogar das Begräbniß verweigert haben, hätte der König nicht befohlen ihn zu beerdigen. (13) Nachdem er also zehn Tage bei Maracanda zugebracht hatte, hauptsächlich um seines Schamgefühles Herr zu werden, entsandte er den Hephästion mit einem Theile des Heeres in die Gegend von Bactra, um Proviant für den Winter zu beschaffen. (14) Die dem Clitus bestimmt gewesene Provinz aber gab er dem Amyntas; er selbst gelangte nach Xenippa7, einen an Scythien grenzenden District, der durch mehrere belebte Flecken bevölkert ist, weil die Fruchtbarkeit des Landes nicht nur die Eingeborenen fesselt, sondern auch Einwanderer anlockt. (15) Für die aus Bactra Vertriebenen, die von Alexander abgefallen waren, war es ein Zufluchtsort gewesen. Nachdem man aber in Erfahrung gebracht, daß der König sich nähere, wurden sie von den Einwohnern verjagt und bildeten, ungefähr 2000 an Zahl, eine geschlossene Schaar. (16) Alle waren zu Roß, schon im Frieden an Raubzüge gewöhnt; jetzt aber hatte nicht allein der Krieg, sondern auch die Hoffnungslosigkeit der Begnadigung die ohnedies wilden Gemüther noch wilder [273] gemacht. So griffen sie unversehens Alexander’s Feldherrn, Amyntas, an, und lange hatte das Treffen unentschieden geschwankt, (17) bis sie endlich nach Verlust von siebenhundert der Ihrigen, wovon dreihundert vom Feinde gefangen wurden, den Siegern den Rücken wandten, freilich nicht, ohne sich gerächt zu haben: denn 80 Macedonier wurden getödtet und außerdem 350 verwundet. (18) Dennoch erlangten sie auch nach diesem zweiten Abfalle Begnadigung. (19) Nachdem sich diese unterworfen hatten, kam der König mit seinem ganzen Heere in die Gegend, welche Nautaca heißt. Dort war der Satrap Sysimithres, der mit seiner eigenen Mutter zwei Söhne erzeugt hatte, da bei ihnen die geschlechtliche Vermischung der Eltern mit ihren Kindern erlaubt ist. (20) Dieser hatte seine Landsleute bewaffnet und die Pässe der Gegend, wo sie sich am engsten zusammenzieht, durch ein starkes Befestigungswerk geschlossen. Daran vorüber strömte ein reißendes Gewässer, während den Rücken ein Felsen umschloß, durch welchen die Einwohner einen künstlichen Durchgang gebrochen hatten. (21) Doch nur in den Eingang der Höhle dringt noch das Tageslicht, das Innere ist dunkel, wenn man kein Licht hineinbringt, und der unterirdisch fortlaufende Gang bietet einen Weg in das freie Feld, der nur den Eingeborenen bekannt ist. (22) Obwohl nun die Barbaren den schon durch seine natürliche Lage gesicherten Paß noch durch eine starke Mannschaft vertheidigten, ließ Alexander dennoch die Sturmböcke heranrücken und brachte die künstlich hinzugefügten Befestigungswerke zum Wanken, während Schleudern und Pfeile den größten Theil der Vertheidiger herunterjagten. Als diese in zerstreute Flucht getrieben waren, überschritt er die Trümmer jener Bollwerke, und rückte mit dem Heere an den Felsen heran. (23) Dazwischen strömte indeß noch der Fluß, indem die Gewässer vom obern Scheitel des Gebirges her ins Thal zusammenflossen, und es schien ein großes Stück Arbeit, eine so gewaltige Schlucht auszufüllen. (24) Gleichwohl befahl er Bäume zu fällen und Felsblöcke zusammenzuschichten; und schon war den mit dergleichen Arbeiten unbekannten Barbaren kein geringer Schrecken eingejagt, da sie den plötzlich sich erhebenden Damm erblickten. (25) Darum sandte der König, in der Hoffnung, sie könnten durch Furcht zur Uebergabe bewogen werden, den Oxartes, der demselben Volksstamme angehörte, sich ihm aber unterworfen hatte, um ihren [274] Anführer zu bereden, den Felsen zu übergeben. (26) Während dessen ließ er, um ihre Verzagtheit noch zu steigern, die Belagerungsthürme heranrücken, und von den Wurfmaschinen geschleudert blitzten Geschosse, so daß sich jene, jede andere Schutzwehr verschmähend, auf den Gipfel des Felsen flüchteten. (27) Nun begann Oxartes dem verzagten und an seiner Sache verzweifelnden Sysimithres zuzureden, es lieber mit der Redlichkeit als der Waffengewalt der Macedonier zu versuchen, und nicht die Eile des gegen Indien vordringenden siegreichen Heeres aufzuhalten; denn wer immer sich diesem entgegenstelle, werde das fremde Verderben auf sein eigenes Haupt lenken. (28) Und Sysimithres selbst zwar sagte die Uebergabe zu; als ihm jedoch seine Mutter und zugleich Gemahlin ankündigte, sie wolle eher sterben, als in irgend Jemandes Hände fallen, so hatte sich der Sinn des Barbaren wieder dem zugewandt, was ehrenvoller als sicherer war, und er schämte sich, daß die Freiheit bei den Weibern in höherem Werth stehe als bei den Männern. (29) Darum entließ er den Friedensunterhändler und war entschlossen die Belagerung auszuhalten. Als er jedoch die feindlichen Streitkräfte gegen die seinigen abwog, hob ihn wieder der Rath des Weibes, der ihm mehr vorschnell als nothwendig deuchte, zu gereuen an, (30) und schleunigst rief er den Oxartes zurück und beschied ihn, er wolle sich dem König unterwerfen, nur bitte er das Eine, daß er nichts von dem Willen und Rath seiner Mutter verlauten lasse, damit man auch für sie desto eher Gnade erlange. (31) Er ließ also den Oxartes vorausgehen und folgte ihm mit seiner Mutter, seinen Söhnen und der ganzen Schaar seiner Verwandten, ohne selbst ein Unterpfand des Schutzes abzuwarten, wie es ihm Oxartes versprochen hatte. (32) Der König schickte einen Reiter voran, mit dem Befehle, daß sie zurückkehren und sein Erscheinen erwarten sollten, dann kam er selbst zu ihnen, und stellte, nachdem er der Minerva und Victoria Opfer geschlachtet hatte, dem Sysimithres seine Herrschaft zurück, ihm zugleich Hoffnung auf eine noch größere Provinz machend, wenn er treulich an der Freundschaft mit ihm festgehalten hätte. (33) Als ihm der Vater seine beiden jungen Söhne übergab, hieß er sie ihm in den Krieg folgen. Dann rückte er nach Zurücklassung der Phalanx mit der Reiterei weiter vor, die Abtrünnigen zu unterwerfen. (34) Anfangs überwand man den steilen und durch Felsstücke gesperrten Weg, so gut es [275] eben gehen wollte. Bald jedoch waren nicht nur die Hufe der Rosse abgenutzt, sondern auch ihre Kräfte erschöpft, so daß die Mehrzahl nicht weiter folgen konnte, und der Zug allmälig lichter wurde, da das Uebermaß der Anstrengung, wie es meist so geht, die Scham zurückzubleiben überwand. (35) Dennoch verfolgte der König, von Zeit zu Zeit die Pferde wechselnd, ohne Unterbrechung die Flüchtigen. Die adligen Pagen, die ihn zu begleiten pflegten, hatten ihn verlassen, mit Ausnahme Philipp’s, eines Bruders des Lysimachus. Dieser, eben zum jungen Manne herangewachsen und, wie man leicht ersehen konnte, von seltenen Eigenschaften, (36) begleitete, so unglaublich dies scheinen mag, zu Fuß den König auf einem Ritte von 500 Stadien, und wiewohl ihm Lysimachus mehrmals sein Pferd anbot, konnte er dennoch nicht bewogen werden vom Könige zu weichen, obschon er außer dem Harnisch noch seine Waffen trug. (37) Desgleichen, als man in einen Wald gelangt war, worin sich die Barbaren versteckt hatten, kämpfte er auf das rühmlichste und beschützte den mit dem Feinde handgemein gewordenen König. (38) Nachdem jedoch die Feinde in eiliger Flucht die Waldung geräumt hatten, verließ ihn die geistige Kraft, die in der Hitze des Kampfes den Körper aufrecht erhalten hatte: indem plötzlich der Schweiß am ganzen Leibe stromweise hervorbrach, lehnte er sich an den nächsten Baumstamm. (39) Doch da selbst diese Stütze nicht genügte, nahm ihn der König in seine Arme auf, von denen umfangen er zusammensank und sein Leben aushauchte. Zu der Trauer hierüber kam für den König noch ein anderer nicht geringer Schmerz: (40) Erigyius, der zu seinen ausgezeichneten Feldherrn gehört hatte, war, wie er kurz vor seiner Rückkehr ins Lager8 erfuhr, gestorben. Beider Leichenbegängniß wurde mit jeder Art Gepränge und Ehrenbezeigung gefeiert.

3 (1) Hierauf hatte er beschlossen gegen die Daher zu ziehen, wo sich nämlich, wie er in Erfahrung gebracht, Spitamenes aufhielt. Aber auch dieses Unternehmen, wie so vieles andere, führte das in seiner Willfährigkeit gegen ihn nie ermüdende Glück statt seiner zu Ende, während er entfernt war. Spitamenes brannte von grenzenloser Liebe [276] zu seiner Gattin, die er, trotz dem daß sie die Beschwerden der Flucht und immer erneuten Vertreibung kaum zu ertragen vermochte, in jede Gefahr als Begleiterin mit sich führte. (2) Der Drangsale müde, wandte sie wiederholt weibliche Schmeicheleien an, damit er endlich seiner Flucht ein Ziel setzte, und die Milde des siegreichen Alexanders erprobend, den zu besänftigen suchte, dem er nicht entfliehen könnte. (3) Sie hatte drei erwachsene Söhne, die sie ihm geboren: diese führte sie an die Brust des Vaters und flehte ihn an, wenigstens dieser sich zu erbarmen; und, was ihren Bitten noch mehr Gewicht geben sollte, Alexander war nicht weit entfernt. (4) Doch er, voll Argwohn, daß man ihn verrathe, nicht zu bereden suche, und daß sie sicherlich, im Vertrauen auf ihre Schönheit, so bald als möglich in Alexanders Gewalt zu kommen wünsche, zückte den Säbel und hätte sein Weib durchbohrt, wäre er nicht durch das Dazwischenspringen ihrer Brüder gehindert worden. (5) Doch hieß er sie ihm aus dem Gesicht gehen, und bedrohte sie mit dem Tode, wenn sie vor seine Augen träte; um aber die Sehnsucht nach ihr zu mindern, fing er an die Nächte unter seinen Kebsweibern zuzubringen. (6) Allein der Ekel an dieser Umgebung entzündete die in seinem Innern noch fortglühende Liebe aufs neue. Der Gattin also wieder einzig und allein hingegeben, ließ er nicht ab sie zu beschwören, von solchen Gedanken abzustehen und sich das Loos, wie es ihnen einmal das Schicksal bereitet, gefallen zu lassen: er seines Theils wolle lieber sterben als sich ergeben. (7) Jene dagegen entschuldigte sich, daß sie vielleicht weibischen, dennoch aber treuen Sinnes zu dem gerathen, was ihr als nützlich erschienen: übrigens werde sie ihrem Manne unterthan sein. (8) Durch diese verstellte Fügsamkeit gewonnen, läßt Spitamenes zeitiger als gewöhnlich ein Gastmahl zurichten, und wird, von Wein und Speisen überladen, schon halb schlummernd in sein Schlafgemach getragen. (9) Sobald ihn aber sein Weib in tiefen und festen Schlaf versunken sieht, zieht sie das Schwert, das sie unter ihrem Kleide verborgen hatte, haut ihm den Kopf ab, und übergiebt mit Blut bespritzt denselben ihrem Sklaven, der um die That wußte. (10) Von eben diesem Sklaven begleitet kam sie, wie sie war, noch blutigen Gewandes in das macedonische Lager und ließ an Alexander melden, es sei etwas wichtiges, was er von ihr selbst erfahren müsse. (11) Dieser ließ die Barbarin sofort hereinführen, und als er sie [277] mit Blut bespritzt erblickte, meinte er, sie sei gekommen sich über eine Beleidigung zu beklagen, und hieß sie reden, was ihr Anliegen sei. (12) Doch sie verlangte, man solle den Sklaven hereinführen, dem sie befohlen hatte in der Vorhalle zu warten. Weil dieser nun das Haupt des Spitamenes unter seinem Kleide versteckt hielt, so schien dies verdächtig, und als man nachforschte, was er verbärge, zeigte er es. (13) Die Todesblässe hatte die Züge des blutlosen Gesichtes entstellt, und es war nicht deutlich zu erkennen, wer es sei. Benachrichtigt also, daß der Sklave ein menschliches Haupt bringe, trat der König aus dem Zelte und erfuhr hier auf sein Befragen, was das zu bedeuten habe, Alles durch das Bekenntniß des Menschen. (14) In Folge davon fühlte er sich abwechselnd von verschiedenen Gedanken und entgegengesetzten Empfindungen bestürmt. Für ein ungemeines Verdienst um seine Person erkannte er es, daß der Ueberläufer und Verräther getödtet sei, der, wenn er am Leben geblieben, so wichtige Unternehmungen verzögert haben würde; dagegen verabscheute er die furchtbare That, daß sie den um sie so wohl verdienten Mann, den Vater ihrer gemeinsamen Kinder, meuchlerisch ermordet hatte. (15) Doch überwog die Gräßlichkeit des Verbrechens das Dankgefühl für den geleisteten Dienst, und er ließ ihr ankündigen, sich aus dem Lager zu entfernen, um nicht dieses Beispiel barbarischer Wildheit auf die milderen Sitten und Gemüther der Griechen einwirken zu lassen. (16) Als die Daher Spitamenes’ Ermordung erfuhren, lieferten sie den Dataphernes, den Genossen seines Abfalles, gebunden an Alexander aus und ergaben sich ihm selbst. Eines so großen Theiles seiner gegenwärtigen Sorgen enthoben, wandte dieser sein Augenmerk auf Bestrafung von Ungerechtigkeiten, wo seine Befehlshaber ihre Gewalt auf habsüchtige und übermüthige Weise gebrauchten. (17) Darum übergab er Hyrcanien und das Gebiet der Marder nebst dem der Tapyrer an Phrataphernes, mit dem Auftrage, seinen Vorgänger Phradates zu ihm in Gewahrsam zu schicken. An Arsames’, des Statthalters von Drangiana Stelle kam Stasanor, nach Medien wurde Arsaces geschickt, um den Oxydates von dort abzulösen. Babylonien kam, da Mazäus mit Tode abgegangen war, unter den Befehl des Stamenes.

4 (1) Nachdem er dies geordnet, zog er im dritten Monate das [278] Heer aus den Winterquartieren, um in die Gegend zu marschiren, welche den Namen Gabaza9 führt. (2) Der erste Tag bot einen ungestörten Marsch; der zweite, zwar auch noch nicht stürmisch und unfreundlich, war doch trüber als der vorige und verstrich nicht ohne drohende Anzeichen des nahenden Unheils. (3) Am dritten begannen von allen Himmelsgegenden Blitze zu leuchten und durch ihr bald hervorbrechendes, bald verschwundenes Licht nicht nur die Augen, sondern auch die Gemüther des marschirenden Heeres zu erschrecken. (4) Fast ohne Unterbrechung ertönte der Donner, und allerorts sah man die Erscheinung zur Erde fahrender Wetterstrahlen. Die Ohren von dem Getöse betäubt, wagte der Zug nicht vorzuschreiten und nicht still zu halten, (5) als sich plötzlich, Hagel schleudernd und mit Gießbachs Gewalt, eine Regenfluth ergoß. Und Anfangs zwar hatten sie von ihren Schilden bedeckt Trotz geboten, doch bald vermochten die schlüpfrigen und starren Hände die Waffen nicht mehr zu erhalten, noch sie selbst zu bestimmen, nach welcher Richtung sie den Körper kehren sollten, da ihnen die Gewalt des Unwetters von allen Seiten mächtiger, als wo man ihr auswich, entgegentobte. (6) So lösten sich denn die Reihen, und irrend zerstreute sich der Zug durch den ganzen Gebirgswald. Viele aber hatten, mehr durch Furcht als Anstrengung erschöpft, sich zu Boden geworfen, obwohl die starke Kälte den Regen zu festem Eis hatte gefrieren lassen; (7) Andere hatten Baumstämme umschlungen, die für sehr Viele eine Stütze und Zufluchtsort wurden. (8) Zwar entging ihnen nicht, daß sie sich nur einen Platz zum Sterben erkoren, da, sobald die Bewegung aufhörte, die Lebenswärme erlosch; gleichwohl war diese träge körperliche Ruhe den Ermatteten so willkommen, daß es ihnen gleichgültig war in dieser Ruhe zu sterben. Denn nicht allein die heftige Wuth, sondern auch die anhaltende Dauer der unheilvollen Erscheinung bedrängte sie, und der natürliche Trost des Lichtes war ihnen außer durch das nachtähnliche Ungewitter auch noch durch das Dunkel der Waldung entzogen. (9) Einzig und allein der König hielt solchem Unheile Stand: er ging bei den Soldaten herum, sammelte die zerstreuten, richtete die zu Boden liegenden auf, zeigte ihnen in [279] einiger Entfernung den aus den Hütten emporwirbelnden Rauch und ermunterte sie die nächste beste Zuflucht zu erfassen. (10) Und Nichts trug mehr zur Rettung des Heeres bei, als daß man sich schämte den König im Stiche zu lassen, der bei alle der vervielfältigten Anstrengung sich den Drangsalen, die sie selbst zum Weichen gebracht hatten, gewachsen zeigte. (11) Doch die Noth, die in schlimmen Lagen mehr vermag als ruhige Ueberlegung, fand ein Mittel gegen die Kälte. Man machte sich nämlich daran mit Aexten Bäume zu fällen, und zündete überall aufgeschichtete Haufen davon an, (12) so daß man glauben konnte, der Wald stehe in einer einzigen Feuersbrunst, und es sei zwischen den Flammen kaum Raum für die Heeresabtheilungen übrig. Durch diese Wärme erhielten die starren Glieder wieder Bewegung, und der vom Frost beengte Athem begann almälig freier zu gehen. (13) Die Einen fanden Aufnahme in den Hütten der Barbaren, welche sie die Noth in der äußersten Verborgenheit des Waldes hatte aufspüren lassen; die Andern im Lager, das man zwar im Nassen, doch bei schon sich mindernder Wuth des Unwetters aufschlug. Zwei Tausend von den Soldaten, Marketendern und Packknechten raffte dieses verderbliche Ereigniß hin. (14) Es wird berichtet, daß man Manche an Baumstämme geklammert fand, gerade als ob sie nicht allein noch lebten, sondern auch mit einander sprächen, indem sie in der Stellung geblieben waren, worin einen jeden der Tod ereilt hatte. (15) Ein gemeiner macedonischer Soldat war, sich mit seinen Waffen eben noch aufrecht haltend, endlich ins Lager gelangt. Als ihn der König erblickte, sprang er, obwohl er sich selbst gerade dem Feuer zunächst die Glieder erwärmte, von seinem Sessel auf und ließ den erstarrten und seiner Besinnung kaum mehr mächtigen Mann, nachdem man ihm die Waffen abgenommen, auf seinem Stuhle niedersitzen. (16) Dieser merkte lange nicht, wo er ausruhte, noch wer ihm Platz gemacht hatte. Endlich wieder von Lebenswärme durchdrungen, erkannte er den königlichen Stuhl und den König und sprang erschrocken auf. (17) Doch Alexander sprach ihn freundlich anblickend: „Siehst du wohl, Kamerad, wie viel glücklicher ihr unter eurem Könige lebt als die Perser? Für sie wäre es ein todeswürdiges Verbrechen, auf dem königlichen Stuhle gesessen zu [280] haben, dir gereichte es zum Heile.“ (18) Am folgenden Tage rief er die Freunde und Truppenführer zusammen und ließ bekannt machen, er selbst wolle alles, was verloren gegangen sei, wiedererstatten. Und wie versprochen, so hielt er es auch. (19) Denn Sysimithres führte ihm eine große Menge Zugthiere und 2000 Kameele und Schafe und Rinder zu, deren Vertheilung zugleich den Verlusten und dem Nahrungsmangel der Soldaten half. (20) Voll Rühmens über den ihm von Sysimithres erstatteten Dank, gebot der König, im Begriff gegen die Sager10 zu ziehen, die Soldaten sollten gekochten Mundvorrath auf sechs Tage mit sich nehmen. Nachdem jener ganze Landstrich ausgeplündert worden war, gab er dem Sysimithres 30,[^000] Stück Vieh von der Beute zum Geschenk. (21) Von hier gelangte er in die Landschaft, welche der edle Fürst Oxyartes beherrschte, der sich der Macht und dem Schutze des Königs anvertraute. Diesem wurde die Herrschaft zurückgegeben und nichts weiter verlangt, als daß zwei von seinen drei Söhnen mit in den Krieg ziehen sollten. (22) Der Fürst übergab ihm auch den, der bei ihm zurückgelassen wurde. Mit barbarischer Prachtfülle hatte er zur Bewirthung des Königs ein Gastmahl bereitet, (23) und als er dies mit vielem Glanze feierte, ließ er dreißig edle Jungfrauen hereinführen. Unter ihnen befand sich seine eigene Tochter, Namens Roxane, von ausnehmender Körperschönheit und einem bei den Barbaren seltenen Anstande in ihrer Erscheinung. (24) Und obwohl sie inmitten einer auserlesenen Schaar eingetreten war, so zog sie doch Aller Blicke auf sich, zumeist des Königs, der unter den Gunstbezeigungen des Glückes, gegen welches die sterbliche Natur nicht hinreichend gewaffnet ist, schon weniger seine Begierden beherrschte. (25) Daher stürzte er, der die Gattin des Darius, der dessen zwei jungfräuliche Töchter, welchen sich an Schönheit Keine außer Roxane vergleichen konnte, mit keinem andern als den Gefühlen eines Vaters betrachtet hatte, sich jetzt dermaßen in die Leidenschaft zu einem, verglichen mit dem königlichen Stamme, niedrig geborenen Mägdlein, daß er behauptete, es diene zur Befestigung seiner Herrschaft, wenn Perser und Macedonier Ehebündnisse [281] schlössen: auf diesem einzigen Wege lasse sich den Besiegten ihre Scham unterlegen zu sein, den Siegern ihr Stolz nehmen. (26) Auch Achilles, von dem er selbst sein Geschlecht herleite, habe sich mit einer Kriegsgefangenen verbunden. Damit man es aber nicht für unrecht halte, wenn er sie zu sich bringen lasse, so wolle er sich demnach durch rechtmäßige Ehe mit ihr vermählen. (27) Hocherfreut über das unverhoffte Ereignis vernahm der Vater seine Worte; und der König, mitten in der Gluth der Leidenschaft, ließ nach Vätersitte ein Brod herbeibringen. Dieses galt bei den Macedoniern für das heiligste Pfand bei Vermählungen: man theilte es mit dem Schwert und Beide aßen davon. (28) Meines Erachtens wollten die Begründer der Volkssitte durch diese geringe und leicht zu beschaffende Kost denen, die ihre Glücksgüter verbanden, anzeigen, mit wie wenig sie zufrieden sein müßten. (29) Auf diese Weise vermählte sich der König über Asien und Europa ein bei der Kurzweil eines Gastmahles hereingeführtes Mädchen, um mit einer Kriegsgefangenen den zu zeugen, der über die Sieger herrschen sollte. (30) Die Freunde schämten sich, daß er beim Wein und Schmause sich aus den Unterworfenen den Schwiegervater erkoren; da jedoch seit Clitus’ Ermordung die freie Aeußerung aufgehört hatte, so gaben sie durch ihre Miene, diese servile Dienerin, ihre Zustimmung zu erkennen.

5 (1) Im Begriff nun nach Indien und von da an den Ocean zu ziehen, gebot er, damit nicht in seinem Rücken irgend eine Bewegung entstände, die sein Vorhaben hindern könnte, aus allen Provinzen 30,[^000] junge Männer auszuwählen und ihm bewaffnet zuzuführen, um sich ihrer zugleich als Geiseln und als Soldaten zu bedienen. (2) Zur Verfolgung des Haustanes und Catenes, die von ihm abgefallen waren, sandte er den Craterus ab, durch den der erstere gefangen genommen, der letztere in einem Treffen getödtet wurde. Desgleichen unterwarf Polypercon die Landschaft, die den Namen Bubacene führt, seiner Botmäßigkeit. Nachdem also Alles geordnet war, wandte er seine Gedanken dem indischen Kriege zu. (3) Das Land galt für reich, nicht allein an Gold, sondern auch an Edelsteinen und Perlen, und seine Cultur mehr auf üppige Verschwendung als auf großartige Pracht gerichtet. (4) Landeskundige erzählten, die Krieger schimmerten von Gold und Elfenbein: um also bei seiner Ueberlegenheit in den übrigen Stücken in keiner Hinsicht nachzustehen, ließ er die Schilde mit [282] Silberblech überziehen11, gab den Pferden goldene Zäume und verzierte auch die Panzer theils mit Gold, theils mit Silber. 120,[^000] Bewaffnete waren es, die dem Könige zu diesem Kriege folgten. (5) Und nun, mit allen Zurüstungen fertig, meinte er, es sei jetzt an der Zeit zu dem, was er vormals verkehrten Herzens ersonnen, und begann darauf zu denken, wie er sich göttliche Ehren beilegen möchte. Jupiters Sohn wollte er nicht blos heißen, sondern auch wirklich dafür gehalten werden, als ob er gleicher Weise den Gedanken wie den Zungen gebieten könne; (6) und verlangte darum, die Macedonier sollten ihn nach persischer Sitte anbetend durch Niederwerfen des Körpers an den Boden begrüßen. Bei solchem Begehren fehlte ihm auch nicht die Unterstützung heilloser Schmeichelei, dieses stätigen Unglückes der Könige, deren Macht öfter durch Schmeichler als durch den Feind gestürzt worden ist. (7) Doch war dies nicht die Schuld der Macedonier, deren keinem es beikam irgend etwas von der Vätersitte fallen zu lassen, sondern der Griechen, welche das Lehramt in den freien Wissenschaften durch üble Sitten geschändet hatten. (8) Ein gewisser Agis aus Argos, der elendeste Versmacher nach Chörilus12, und aus Sicilien Cleo, ein Speichellecker nicht nur aus eigener, sondern auch seiner Nation Verderbtheit, und sonstiger Auswurf ihrer Heimathsstädte, die aber vom König seinen Angehörigen und den Anführern der größten Heeresabtheilungen vorgezogen wurden: solche Leute eröffneten ihm damals den Himmel und prahlten, daß Hercules und Vater Bacchus und Castor nebst Pollux dem neuen Gotte nachstehen würden. (9) An einem Festtage also ließ er mit aller Pracht ein Gastmahl herrichten, zu welchem nicht nur die vornehmsten Freunde aus macedonischem und griechischem Stamme, sondern auch barbarischer Adel hinzugezogen werden sollte. Als er sich mit diesen niedergelassen, entfernte sich der König, nach kurzem Verweilen bei Tafel, wieder vom Gastmahl. (10) Jetzt hub Cleo, wie verabredet war, eine Rede voll Bewunderung seiner Ruhmesthaten an, und zählte dann seine Verdienste [283] auf, für die sie sich nur auf eine einzige Weise dankbar zu bezeigen vermöchten, wenn sie nämlich den, von dem sie wüßten, daß er ein Gott sei, auch offen als solchen bekennten, um durch einen geringen Aufwand an Weihrauch so große Wohlthaten zu vergelten. (11) Bei den Persern sei es nicht allein eine fromme, sondern auch weise Sitte, ihre Könige gleichwie die Götter zu verehren: denn die Majestät der Herrschergewalt sei Bürgschaft für eines jeden Sicherheit. Selbst Hercules und Vater Bacchus seien nicht eher zu Gottheiten geweiht worden, als bis sie die Mißgunst ihrer Zeitgenossen überwunden hatten: und gerade so viel als die Mitwelt verbürgt habe, glaube auch die Nachwelt. (12) Trügen nun auch die Uebrigen Bedenken, er seines Theils werde, sobald der König zum Mahle zurückkehre, sich mit dem Leibe zur Erde werfen. Doch sei es auch der Uebrigen Schuldigkeit Gleiches zu thun, namentlich der mit Weisheit Begabten: denn diese müßten ein Beispiel geben, wie der König zu verehren sei. (13) Sehr unverblümt waren diese Worte an Callisthenes13 gerichtet, der durch seine Würde und redefertige Freimüthigkeit dem König verhaßt war, als ob er allein die Macedonier in ihrer Bereitwilligkeit sich dergleichen zu fügen aufhalte. (14) Als es hierauf still geworden, und Aller Blicke auf ihn allein gerichtet waren, begann dieser: „Wäre der König bei deiner Rede zugegen gewesen, so brauchte wahrlich Niemand das Wort zu nehmen dir zu entgegnen. Er selbst nämlich würde dich bitten, ihn nicht zur Ausartung in fremde und ausländische Bräuche zu bringen, noch seine so glücklich vollbrachten Thaten durch derartige Schmeicheleien in Mißcredit zu setzen. (15) Doch weil er nicht zugegen, so will ich dir statt seiner erwidern: Keine Frucht ist zugleich frühreif und von langer Dauer, und du, statt dem König himmlische Ehren zu verleihen, entreißest sie ihm. Denn um für einen Gott zu gelten, bedarf es einer Zwischenzeit, und stets ist es die Nachwelt, die großen Männern diesen Dank erweist. (16) Ich meinestheils erflehe vielmehr dem Könige eine [284] späte Unsterblichkeit, damit sein Leben von langer, seine erhabene Hoheit von ewiger Dauer sei. Göttliche Verehrung folgt einstmals dem Menschen, niemals begleitet sie ihn im Leben. (17) Du führtest Hercules und Vater Bacchus als Beispiele der Erhebung unter die Unsterblichen an. Glaubst du denn, daß diese durch den Beschluß eines einzelnen Gastmahls zu Göttern gemacht worden sind? Erst entführte sie ihr natürliches Geschick den Blicken der Sterblichen, ehe sie ihr Ruhm in den Himmel erhob. (18) Ja, ja, Cleo, du und ich, wir machen Götter! von uns wird der König die Bürgschaft seiner Göttlichkeit annehmen! Laß uns doch deine Macht versuchen: mache einen zum König, wenn du einen Gott machen kannst. Leichter fürwahr ist’s den Himmel als die Herrschaft zu verleihen. (19) Mögen die gnädigen Götter ohne Unwillen Cleo’s Worte angehört haben, und sich den Lauf der Dinge in demselben Gleise wie bisher fortbewegen lassen. Mögen sie uns gestatten mit unsern eigenen Sitten zufrieden zu sein. Ich schäme mich unsres Vaterlandes nicht und begehre nicht zu lernen, nach wessen Manier ich den König verehren soll. (20) Denn offen gestanden, jene sind die Sieger, wenn wir von ihnen die Regeln, wie wir leben sollen, annehmen.“ Mit Beifall vernahm man Callisthenes’ Rede, wie eines Vertheidigers der allgemeinen Freiheit; und nicht blos stumme, sondern selbst laute Zustimmung hatte sie entlockt, besonders von Seiten der Aelteren, denen die ausländische Ummodelung der altgewohnten Sitte ein Stein des Anstoßes war. (21) Doch blieb nichts von dem, was hin und her gesprochen worden war, dem Könige unbekannt, da er hinter den Vorhängen stand, die er um die Tafelpolster hatte ziehen lassen. Daher schickte er an Agis und Cleo, sie sollten nach Beendigung des Gespräches, wenn er wieder eintrete, nur die Barbaren nach ihrer Gewohnheit sich vor ihm niederwerfen lassen. Und kurz darauf kehrte er zum Mahle zurück, gleich als ob er irgend etwas Wichtigeres verrichtet hätte. (22) Wie ihn nun die Perser anbeteten, hub Polypercon, der dem König zur Rechten lag, an, einen derselben, der mit dem Kinne den Boden berührte, spöttisch aufzufordern, daß er es derber gegen die Erde schlüge, und brachte dadurch den Grimm Alexanders, den dieser schon lange nicht mehr zu beherrschen vermochte, zum Ausbruch. (23) „Und du“ rief er also „willst mich nicht anbeten? oder [285] dünke ich etwa dir allein verspottenswerth?“ Jener versetzte, weder der König sei der Verspottung, noch er selbst einer verächtlichen Behandlung werth. (24) Da zerrte ihn der König vom Polster herab und warf ihn auf die Erde, und als er, das Antlitz am Boden, hingesunken war, rief er: „Siehst du, wie du jetzt dasselbe gethan hast, was du so eben an einem andern verlachtest!“ Darauf befahl er ihn ins Gefängniß abzuführen und hob das Gastmahl auf.

6 (1) Dem Polypercon jedoch verzieh er nachher, nachdem er ihn lange gestraft; gegen Callisthenes dagegen, der ihm schon von früher her als widerspänstig verdächtig war, bewahrte er einen nachhaltigeren Groll, den zu sättigen sich ihm bald Gelegenheit darbot. (2) Wie oben bemerkt14, war es bei dem hohen macedonischen Adel Sitte, ihre erwachsenen Söhne den Königen zu übergeben, zu Dienstleistungen, die sich von Sklavenverrichtungen nicht sehr unterschieden. (3) Nach einer feststehenden Reihenfolge der Nächte hielten sie vor der Thür des Zimmers Wache, worin der König schlief. Von ihnen wurden durch einen andern Eingang, als den die Bewaffneten besetzt hielten, die Beischläferinnen hineingeführt. (4) Desgleichen nahmen sie, wann der König zu Pferd steigen wollte, von den Stallknechten die Rosse in Empfang, führten sie vor und begleiteten ihn sowohl auf der Jagd als im Treffen, da sie in allen Uebungen der freien Künste ausgebildet waren. (5) Als eine vorzügliche Ehre für sie galt es, daß es ihnen erlaubt war, sitzend mit dem Könige zu speisen. Sie durch Schläge zu züchtigen, stand außer ihm selbst Niemand das Recht zu. (6) Dieses Corps war gleichsam die Pflanzschule der Heerführer und Befehlshaber bei den Macedoniern: aus ihm hatte die folgende Generation ihre Könige, deren Abkömmlingen viele Menschenalter nachher die Römer ihre Macht entrissen haben. (7) Ein Edelknabe aus diesem königlichen Corps nun, Namens Hermolaus, erhielt, da er einen Eber, den der König hatte treffen wollen, vorher geschossen hatte, auf dessen Befehl Schläge. (8) Über diese Schmach erbittert, ließ er sich bei Sostratus, seinem Kameraden aus dem gleichen Corps, der von Liebe zu ihm brannte, in Thränen und Wehklagen aus. Als nun dieser den Leib, in den er so sterblich [286] verliebt war, von Striemen entstellt sah, brachte er, vielleicht schon ehedem aus anderem Grunde gegen den König aufgebracht, den ohnehin schon gereizten jungen Menschen nach Austausch gegenseitiger Schwüre dahin, mit ihm einen Anschlag zur Ermordung des Königs zu machen. (9) Sie setzten aber die Sache nicht mit jugendlicher Hitze ins Werk, sondern wählten sich klüglich aus, wen sie zur Betheiligung an dem Verbrechen beiziehen wollten. Es wurde beschlossen, den Nicostratus, Antipater, Asclepiodorus und Philotas dazuzunehmen, durch welche noch Anticles, Elaptonius und Epimenes hinzukamen. (10) Doch stand ihnen zur Ausführung des Unternehmens kein ganz leichter Weg offen. Nothwendig mußten sämmtliche Verschworene in ein und derselben Nacht die Wache haben, um nicht von den in ihren Plan Uneingeweihten gehindert zu werden, während zufällig der eine in der, der andere in jener Nacht auf Wache war. (11) Und so verstrichen über Vertauschung der Reihenfolge ihres Wachtdienstes und den übrigen Zurüstungen zur Vollbringung der That zweiunddreißig Tage. (12) Die Nacht, wo die Verschworenen auf Wache sein mußten, war da, und sie frohlockten über ihre wechselseitige Treue, für die eine so lange Reihe von Tagen Zeugniß abgelegt hatte. Keinen hatte Furcht oder Hoffnung anderes Sinnes gemacht: so groß war bei allen entweder der Haß gegen den König, oder ihre Treue gegen einander. (13) Sie standen also an der Thür des Zimmers, worin der König speiste, um ihn beim Weggehen vom Mahle in sein Schlafgemach zu geleiten. (14) Allein das ihm eigene Glück, sowie die Munterkeit der Tischgenossen vermochten Alle zu reichlicherem Weingenuß, und zugleich zogen Tafelunterhaltungen die Zeit in die Länge, indeß die Verschworenen sich bald glückwünschten, daß sie ihn im Schlafe überfallen würden, bald besorgt waren, er möchte das Mahl bis zum hellen Morgen ausdehnen. (15) Denn bei Tagesanbruch mußten Andere ihren Posten ablösen, während sie selbst erst nach sieben Tagen wieder die Reihe traf; und es ließ sich nicht hoffen, daß bis dahin die Treue Aller ausdauern werde. (16) Doch wie nun bereits der Tag graute, wird das Gastmahl aufgehoben und der König tritt unter die Verschworenen, die froh sind, die Gelegenheit zur Vollführung ihres Verbrechens nahe gerückt zu sehen: als ein Weib, wie man glaubte, von prophetischem Geiste, die gewohnt war im Hause des Königs ein- und auszugehen, weil sie aus [287] innere Eingebung die Zukunft zu verkünden schien, ihm beim Weggehen nicht allein entgegentrat, sondern sich ihm förmlich in den Weg warf, und in Blick und Miene ihre innere Erregung kundgebend, ihm zurief, er solle zum Mahle zurückkehren. (17) Und er versetzte scherzhaft: „Die Götter geben da einen guten Rath“, rief die Freunde zurück und dehnte die Dauer des Gelages noch fast bis in die zweite Tagesstunde aus. (18) Schon hatten Andere aus dem Corps den Posten übernommen, um vor der Thüre des Schlafgemaches Wache zu halten, dennoch standen die Verschworenen noch da, obwohl ihrer Dienstpflicht genügt war: so hartnäckig ist die Hoffnung, in die sich die Gemüther der Menschen einmal versenkt haben. (19) Gütiger als sonst redete sie der König an und hieß sie nach Haus gehen, um ihrem Körper Erholung zu gönnen, da sie die ganze Nacht hindurch dagestanden hatten. Er ließ jedem 50,[^000] Sesterze15 auszahlen und lobte sie ungemein, daß sie, selbst nachdem sie den Posten an Andere übergeben, dennoch auf Wache ausgeharrt hätten. (20) So gehen sie, in ihrer Hoffnung auf ein so gewaltiges Unternehmen getäuscht, nach Hause. Und die übrigen zwar erharrten ferner die Nacht, wo sie die Wache träfe: Epimenes dagegen, mochte ihn nun die Freundlichkeit, mit der sich der König unter den Verschworenen gerade an ihn gewendet hatte, plötzlich anderen Sinnes gemacht haben, oder glaubte er, die Götter widersetzten sich ihrem Beginnen, eröffnete seinem Bruder Eurylochus, den er vorher in ihren Plan nicht hatte einweihen wollen, was im Werke sei. (21) Allen stand noch Philotas’ Bestrafung vor Augen. Daher versicherte dieser sich sofort seines Bruders und eilt mit ihm nach des Königs Wohnung. Dort weckt er die General-Adjutanten und betheuert, es betreffe des Königs Leben, was er bringe. (22) Die ungewöhnliche Zeit, zu der sie erschienen waren, ihre keineswegs eine ruhige Stimmung verrathenden Mienen und die Niedergeschlagenheit des einen von beiden alarmirte die vor dem Schlafgemach Wachhabenden, den Ptolemäus und Leonnatus. Sie öffnen also die Thür, bringen Licht16 und wecken den vom Weine [288] her in tiefen Schlaf versunkenen König. Als dieser allmälig zur Besinnung gekommen war, fragte er, was sie brächten. (23) Da ergriff Eurylochus ohne Zögern das Wort: nicht ganz und gar werde sein Haus von den Göttern verabscheut, da sein Bruder, obwohl er eine so gottlose That gewagt, doch wenigstens Reue darüber empfinde, und vor Andern gerade durch ihn eine offene Anzeige bewerkstellige. Auf eben diese Nacht, die jetzt entwichen, sei der Anschlag vorbereitet gewesen; Urheber des verruchten Planes seien solche, von denen es der König am wenigsten glauben würde. (24) Hierauf gibt Epimenes den ganzen Hergang der Sache und die Namen der Verschworenen an. Daß Callisthenes nicht als Theilnehmer an dem Unternehmen genannt worden war, stand sicher, aber auch, daß er häufig den Reden der Jünglinge, wenn sie den König tadelten und sich über ihn beschwerten, williges Gehör geschenkt hatte. (25) Manche setzten noch hinzu, als Hermolaus auch bei ihm sich über die vom König erhaltenen Schläge beklagte, habe Callisthenes erwidert: sie sollten bedenken, daß sie bereits Männer seien; und es sei zweifelhaft gewesen, ob dies Wort als Zuspruch zum geduldigen Ertragen der Schläge, oder als Aufstachelung des Unwillens der Jünglinge habe dienen sollen. (26) Als sich der König aus seiner geistigen und körperlichen Betäubung aufgerafft hatte, beschenkte er, da ihm das Bild der großen Gefahr, welcher er entgangen war, vor Augen schwebte, den Eurylochus mit 50 Talenten und den reichen Besitzthümern eines gewissen Tyridates, und begnadigte seinen Bruder, bevor er noch für das Leben desselben bat. (27) Die Theilnehmer an dem Verbrechen aber, und darunter auch den Callisthenes, gebot er zu fesseln und in Gewahrsam zu halten: dann, als sie in seinen Palast gebracht waren, überließ er sich, ermüdet vom Zechen und Nachtwachen, den ganzen Tag und die folgende Nacht der Ruhe. (28) Am folgenden Tage aber berief er einen zahlreichen Rath, dem die Väter und Verwandten derjenigen, um die es sich handelte, beiwohnten, selbst auch um ihr eigenes Leben nicht wenig besorgt: denn nach macedonischer Sitte mußten sie sterben, da die Häupter aller, welche mit jenen blutsverwandt waren, dem Tode geweiht [289] waren17. (29) Der König hieß die Verschworenen mit Ausnahme des Callisthenes hereinführen; und ohne Zögern bekannten sie, was sie im Sinne gehabt hatten. (30) Während hierauf die ganze Versammlung in Schmähungen gegen sie ausbrach, fragte sie der König selbst, wodurch er es denn verdient habe, daß sie eine so furchtbare That gegen ihn ersonnen hätten.

7 (1) Die Andern nun verharrten in dumpfem Schweigen, Hermolaus aber sagte: „Weil du denn fragst, als ob du es nicht wüßtest, so wisse, darum haben wir den Entschluß gefaßt dich zu tödten, weil du anfingst nicht wie über Freigeborene zu regieren, sondern uns wie Sklaven zu beherrschen.“ (2) Da sprang vor Allen sein Vater Sopolis auf, schrie, er sei auch der Mörder seines eigenen Vaters, und rief, indem er ihm die Hand vor den Mund hielt, man solle den durch sein Verbrechen und Unglück rasend gemachten nicht weiter hören. (3) Der König jedoch hielt den Vater zurück und gebot dem Hermolaus zu sagen, was er von seinem Lehrmeister Callisthenes gelernt habe. Und Hermolaus sprach: „Ich mache Gebrauch von deiner Gnade und sage, was mich unser Unglück gelehrt hat. (4) Welch kleinen Theil der Macedonier hat deine Grausamkeit übrig gelassen? wie wenige, die nicht von niedrigster Abkunft sind? Attalus, Philotas, Parmenio, der Lyncestier Alexander und Clitus, sie alle, so viel am Feind liegt, leben, kämpfen, decken dich mit ihrem Schild, erhalten für deinen Ruhm und Sieg Wunden: und einen herrlichen Dank hast du ihnen dafür erstattet. (5) Der Eine bespritzte deinen Tisch mit seinem Blute, der Andere starb nicht einmal eines einfachen Todes. Auf die Folterbank hast du die Anführer deiner Armeen gespannt und sie zu einem Schauspiel für die von ihnen besiegten Perser gemacht. Parmenio ward, ohne gehört zu sein, niedergestoßen, derselbe, durch den du den Attalus getödtet hattest. (6) Denn du brauchst die Arme der Unseligen unter einander, um deine Hinrichtungen zu vollziehen; und die du kurz zuvor als Diener des Mordes benutztest, läßt du plötzlich durch Andere niedermetzeln.“ (7) Auf diese Worte tobten sämmtliche Anwesende gegen Hermolaus los, ja sein Vater hätte zuletzt das Schwert gezogen und würde ihn zweifelsohne durchbohrt haben, wäre er nicht vom Könige gehindert worden: dieser hieß nämlich den Hermolaus [290] weiterreden und bat, man solle ihn, der nur die Ursachen seiner Bestrafung mehre, geduldig anhören. (8) Nachdem sie also mit Mühe zur Ruhe gebracht waren, begann dieser von Neuem: „Wie gütig gewährst du doch im Reden unerfahrenen Jünglingen das Wort! des Callisthenes Stimme dagegen, weil er allein zu reden versteht, verschließest du im Kerker. (9) Denn warum wird er nicht vorgeführt, da selbst die Eingeständigen gehört werden? Weil du nämlich das freie Wort des Unschuldigen dich zu hören scheust, und nicht einmal seinen Blick ertragen kannst. (10) Nun behaupte ich aber, daß er nichts gethan hat. Hier stehen, die mit mir die herrlichste That beabsichtigt haben: keiner sagt aus, daß Callisthenes unser Mitwisser gewesen sei, obwohl derselbe schon längst von diesem so gerechten und geduldigen Könige dem Tode geweiht ist. (11) Das also sind die Belohnungen der Macedonier, deren Blut du, als wäre es etwas Ueberflüssiges und Gemeines, vergeudest! Dir dagegen schleppen dreißig tausend Maulthiere dein erbeutetes Gold, während deine Soldaten nichts als danklose Narben in die Heimath zurückbringen werden. Doch Alles das vermochten wir zu ertragen, bevor du uns den Barbaren ausliefertest und nach einem ganz neuen Brauch die Sieger unter das Joch schicktest. (12) Dir gefällt Gewand und Lebensweise der Perser, die vaterländische Sitte ist dir verhaßt. Ein Perserkönig also, nicht der macedonische war es, den wir tödten wollten, und wir verfolgen dich nach Kriegsrecht als einen Ueberläufer. (13) Du hast verlangt, die Macedonier sollten vor dir die Kniee beugen; du verleugnest deinen Vater Philipp, und wenn es einen Gott gäbe, der mehr gälte als Jupiter, so würdest du auch Jupiter verschmähen. (14) Wunderst du dich also, wenn freie Männer deinen Hochmuth nicht zu ertragen vermögen? Was sollen wir noch von dir hoffen, denen nichts übrig bleibt, als entweder unbefleckt zu sterben, oder, was trauriger als der Tod, in Knechtschaft zu leben? (15) Kannst du dich aber noch bessern, dann verdankst du mir Großes; denn von mir zuerst hast du erfahren, was freigeborene Männer nicht zu ertragen vermögen. Im Uebrigen schone unsrer Eltern, und belaste nicht ihr der Söhne beraubtes Alter noch mit der Todesstrafe. Uns aber laß abführen, damit wir, was wir durch deinen Tod zu erlangen hofften, durch den unsrigen erreichen!“ Also Hermolaus.

8 (1) Hierauf der König: „Wie falsch das ist, was der da von [291] seinem Lehrmeister gehört und hier wiederholt hat, zeigt diese meine Geduld. (2) Denn einen der äußersten Schandthat Eingeständigen habe ich gleichwohl nicht nur angehört, sondern selbst euch genöthigt ihn anzuhören, obschon ich recht gut wußte, wenn ich diesem Meuchelmörder zu reden erlaubte, so würde er seine Wuth ausschütten, die ihn dazu getrieben hat, mich, den er wie einen Vater ehren mußte, ermorden zu wollen. (3) Neulich, als er sich auf der Jagd zu vorwitzig benommen hatte, habe ich ihn nach herkömmlicher, schon von den ältesten macedonischen Königen geübter Sitte züchtigen lassen. Das muß so sein, und wie es von den Vormündern an den Mündeln, von den Gatten an ihren Ehefrauen geschieht, so gestatten wir sogar Sklaven, Knaben dieses Alters zu schlagen. (4) Dies ist meine Grausamkeit gegen ihn, die er durch gottlosen Mord rächen wollte. Denn wie mild ich sonst gegen alle bin, die mir meiner Sinnesart zu folgen gestatten, das ist euch nicht unbekannt, und überflüssig wäre es, davon zu sprechen. (5) Daß dem Hermolaus die Bestrafung der Königsmörder mißfällt, da er selbst Gleiches verdient hat, wundert mich wahrlich nicht im geringsten. Denn wenn er den Philotas und Parmenio lobt, so vertheidigt er damit seine eigene Sache. (6) Den Lyncestier Alexander aber habe ich, nachdem er zweimal meinem Leben nachgestellt, trotz zweimaliger Anzeige freigegeben; als er wiederum dessen überführt war, verschob ich es dennoch zwei Jahre lang, bis ihr fordertet, daß er endlich sein Verbrechen durch die schuldige Strafe büßte. (7) Von Attalus erinnert ihr euch, daß er, bevor ich König wurde, der Feind meines Hauptes gewesen ist. Clitus endlich, o daß er mich nicht gezwungen hätte über ihn in Zorn zu gerathen. Und doch habe ich die Schmähungen seiner unbesonnenen Zunge gegen mich und euch länger ertragen, als er gethan haben würde, hätte ich dergleichen gesprochen. (8) Die Milde der Könige und Fürsten beruht nicht blos auf ihrer eigenen Sinnesart, sondern auch derer, die ihnen gehorchen. Folgsamkeit mildert die Strenge der Herrschaft; wo aber die Ehrerbietung aus den Gemüthern entschwunden ist, und man keinen Unterschied zwischen Oben und Unten macht, da bedarf es der Gewalt, um die Gewalt zurückzutreiben. (9) Doch was wundre ich mich, daß mir der da Grausamkeit vorwirft, da er es ja auch wagt, mir Geiz vorzurücken? Ich will keine [292] Einzelnen unter euch aufrufen, um nicht meine Freigebigkeit unbequem zu machen, wenn ich euch dadurch beschämen sollte. Sehet die ganze Armee an: die kurz zuvor nichts als ihre Waffen hatte, ruht jetzt auf silberverzierten Lagern, belastet ihre Tische mit Gold, führt Heerden von Sklaven mit sich und vermag ihre vom Feind gemachte Beute nicht zu erschleppen. (10) Ja aber die von uns besiegten Perser stehen bei mir in großen Ehren! Gewiß das sicherste Zeichen meiner Mäßigung ist es, daß ich nicht einmal über die Besiegten mit Hochmuth herrsche. Denn ich bin nach Asien gekommen, nicht um die Völker mit der Wurzel auszurotten, nicht um auf der Hälfte des Erdkreises eine Einöde zu schaffen, sondern damit die, welche ich durch Krieg unterworfen, mit meinem Siege nicht unzufrieden sein sollten. (11) Darum dienen sie mit euch zusammen und vergießen ihr Blut für eure Oberherrschaft, sie die bei hochmüthiger Behandlung sich empört haben würden. Von keiner Dauer ist ein Besitz, in den man durch das Schwert gelangt; das durch Wohlthaten gewonnene Wohlwollen aber ist von Bestand. (12) Wollen wir Asien besitzen, nicht blos durchwandern, so müssen wir seinen Völkern Antheil an unsrer Huld gewähren; dann wird deren Treue unsre Herrschaft dauerhaft und ewig machen. Und in der That schon mehr besitzen wir, als wir zu fassen vermögen; unersättliche Habsucht aber verräth es, sich immer mehr anfüllen zu wollen, wo es schon überfließt. (13) Aber freilich ich trage jener Sitten auf die Macedonier über! Bemerke ich doch bei vielen Völkern Dinge, die wir nicht erröthen dürfen nachzuahmen; und anders läßt sich ein so ungeheures Reich nicht wohl regieren, als wenn wir Manches ihnen überliefern, Manches wieder von ihnen lernen. (14)Das aber war nahezu lächerlich, daß Hermolaus verlangte, ich sollte die Vaterschaft Jupiters ablehnen, dessen Orakel mich als seinen Sohn anerkannt hat. (15) Oder stehen etwa die Aussprüche der Götter in meiner Gewalt? Er hat mir den Sohnesnamen angetragen, ihn anzunehmen war für diese meine Unternehmungen nicht ungehörig. O daß mich doch auch die Inder für einen Gott hielten! Hängen doch die Kriege vom Rufe der Kämpfer ab, und oft auch hat, was fälschlich geglaubt wurde, gleiche Wirkung wie die Wahrheit selbst geübt. (16) Oder glaubt ihr etwa, ich habe aus Hang zur Prunksucht eure Waffen mit Gold und Silber verziert? Nein, denen, die gewohnt sind nichts [293] gemeiner zu achten als diesen Stoff, wollte ich zeigen, daß die im Uebrigen unbesiegten Macedonier auch nicht an Goldreichthum besiegt werden. (17) Auf ihre Augen also will ich zuerst wirken, wenn sie alles das bei uns gemein und niedrig geachtet sehen, und sie belehren, daß wir nicht aus Begierde nach Gold oder Silber gekommen sind, sondern um den Erdkreis zu unterwerfen. Und diesen Ruhm, du Meuchelmörder, wolltest du mir stehlen, und die Macedonier ihres Königs beraubt den besiegten Völkern in die Hände liefern. (18) Jetzt aber erinnerst du mich eurer Eltern zu schonen! Zwar brauchtet ihr nicht zu wissen, was ich über sie beschlossen, damit euer Tod um so schmerzlicher wäre, wenn irgend in euch der Gedanke und die Sorge um eure Eltern lebendig ist: doch schon vormals habe ich jene Sitte, mit den Verbrechern auch die unschuldigen Verwandten und Eltern zu töten, aufgehoben, und versichere, daß sie alle ihre Ehrenstellen, die sie besessen haben, behalten sollen. (19) Warum du freilich deinen Callisthenes, dem allein du ein Mann dünkst, weil du ein Meuchelmörder bist, vorgeführt haben willst, weiß ich wohl: nämlich damit in Gegenwart dieser Versammlung die Schimpfreden, welche du bei ihm gegen mich bald selbst ausgestoßen, bald von Andern gehört hast, auch aus seinem Munde wiederholt werden. Wäre er nun ein Macedonier, so hätte ich ihn, den eines solchen Schülers so würdigen Lehrmeister, mit dir hereinführen lassen: nun aber hat er als Olynthier nicht gleichen Rechtsanspruch18.“ (20) Hierauf entließ er die Gerichtsversammlung und befahl, die Verurtheilten Leuten aus demselben Corps zu übergeben. Diese, um dem König ihre Treue durch Grausamkeit zu bethätigen, tödteten sie nach vielen Martern. (21) Auch Callisthenes starb, nachdem er gefoltert worden war19, der Betheiligung an der Verschwörung gegen des Königs Leben zwar nicht schuldig, doch sonst für den Aufenthalt am [294] Hof und unter schmeichlerischen Seelen durchaus nicht geeignet. (22) Darum hat keine andere Hinrichtung dem Alexander bei den Griechen größeren Haß zugezogen, da er einen durch Charakter und Bildung so ausgezeichneten Mann, der ihn noch dazu wieder für das Leben gewonnen hatte, als er nach Clitus’ Ermordung entschlossen war zu sterben, nicht nur habe tödten, sondern auch foltern lassen, und zwar ohne ihn vorher gehört zu haben. (23) Doch folgte dieser Grausamkeit allzu späte Reue.

9 (1) Um aber die zur Ausstreuung von Gerüchten so geeignete Muße nicht zu vermehren, brach er nach Indien auf, stets eine herrlichere Erscheinung im Kriege als nach dem Siege. (2) Indien liegt beinahe ganz nach Morgen zu und dehnt sich weniger in die Breite, als in gerader Richtung nach jener Himmelsgegend aus. (3) Die dem Südwind zugekehrten Theile erheben sich zu einer ziemlichen Höhe20; das übrige Land ist eben und bietet vielen berühmten, am Caucasus-Gebirge entsprungenen Strömen einen ruhigen Lauf durch seine Gefilde. (4) Der Indus ist kühler als die übrigen, und führt Wasser, das sich von der Farbe des Meeres nicht sehr unterscheidet. (5) Der Ganges, unter allen Flüssen im Osten der ausgezeichnetste, strömt erst südwärts hinab und streicht längshin an einer Mauer hoher Gebirge, dann geben ihm entgegenstehende Felsen die Richtung nach Osten. (6) Beide ergießen sich in das rothe Meer21: sie graben sich tiefgespaltene Ufer, und spülen zahlreiche Bäume mit großen Stücken Erdreiches fort, häufig auch durch Felsen gehemmt, an denen sie anprallen; (7) wo sie aber weicheren Boden finden, bilden sie Sümpfe und Inseln. Der Acesines22 fällt in den Indus, (8) der ihn auf seinem Laufe zum Meere auffängt, wobei beide Ströme mit großer Gewalt zusammenstoßen; [295] denn er bereitet seinem Einströmen einen sehr rauhen Empfang, ohne daß jedoch die zurückgeworfenen Gewässer deshalb wichen. (9) Seltener hört man den Dyardanes23 nennen, weil er durch die entferntesten Gegenden Indiens strömt; doch hegt er nicht nur Crocodile wie der Nil, sondern auch Delphine und bei andern Völkern unbekannte Flußungeheuer. (10) Der Ethimantus23, welcher sich in häufigen Biegungen unablässig krümmt, wird durch die Bewässerungsanstalten der Anwohner aufgezehrt, und dies ist der Grund, warum er nur schwache und bereits namenlose Ueberreste ins Meer entsendet. (11) Auch außer diesen wird das Land von vielen Strömen durchschnitten, die aber wenig bekannt sind, weil sie keinen gar großen Raum durchfließen. (12) Die dem Meere näherliegenden Landstriche aber öffnen sich durch ihre Senkung vornehmlich dem Nordwinde24; dagegen dringt dieser, durch die Bergketten abgehalten, in die inneren Theile nicht ein, die daher ein milderes Clima für die Erzeugung von Feldfrüchten haben. (13) So sehr jedoch verändert die Welt unter jenem Himmelsstrich den ständigen Wechsel der Jahreszeiten, daß, während andre Gegenden von der Sonnenhitze erglühen, Indien von Schneemassen bebeckt wird, und wiederum, während es anderwärts friert, dort eine unerträgliche Glut herrscht. Und die Ursache dieser Erscheinung ist noch nicht enthüllt. (14) Das Meer wenigstens, von dem es bespült wird, unterscheidet sich selbst nicht in der Farbe von den übrigen. Es hat seinen Namen Erythräisches Meer25 von einem König Erythrus, weshalb Manche, die das nicht wissen, glauben, daß es rothes Wasser habe. (15) Das Land bringt viel Flachs hervor, woraus die Kleider der meisten Eingeborenen bestehen. Auf den zarten Bast der Bäume [296] läßt sich geradeso wie auf Papier schreiben. (16) Vögel giebt es, die man lehren kann die Laute der menschlichen Stimme nachzuahmen26. Die dortigen Thiere finden sich nicht in andern Ländern, außer wenn man sie hingebracht hat. Auch leben daselbst Rhinocerose, ohne jedoch einheimisch zu sein. (17) Die Elephanten haben größere Kraft als die, welche man in Africa zähmt; und den Kräften entspricht die Größe. (18) Die Flüsse, die sanften und mäßigen Falles träg dahinschleichen, führen Gold mit sich. (19) Edelsteine und Perlen schüttet das Meer an den Strand; und sie sind für die Einwohner die hauptsächlichste Quelle des Reichthumes, besonders seitdem sie den Handel mit diesem verderblichen Luxus auf auswärtige Völker ausgedehnt haben: denn diese Auswürfe der anbrandenden Wogen werden nach Preisen, die sich nach dem Begehr stellen, abgeschätzt. (20) Wie überall, wirkt auch hier die Lage des Landes auf die Charakterbildung der Bewohner. (21) Den Körper hüllen sie bis auf die Füße in ein feines Linnengewand, um die Füße binden sie Sandalen, um das Haupt ein Leinentuch; an den Ohren hängen Edelsteine, und auch den Unter- und Oberarm schmücken die mit Gold, welche sich durch Geburt und Reichthum vor ihren Landsleuten auszeichnen. (22) Das Haupthaar wird öfter gekämmt als geschoren, immer ungeschoren bleibt das Kinn, die übrige Haut des Gesichtes aber halten sie so, daß sie ganz glatt erscheint. (23) Der Luxus der Könige jedoch, den sie selbst nur als königliche Pracht bezeichnen, übersteigt alle Ueppigkeit bei andern Völkern. Wenn der König sich öffentlich zu zeigen geruht, tragen Diener silberne Weihrauchpfannen und erfüllen den ganzen Weg, den er sich will tragen lassen, mit Wohlgerüchen. (24) Er liegt in einer goldenen, mit Perlenschnüren behangenen Sänfte: das Gewand, welches er anhat, ist mit Gold und Purpur gestickt; der Sänfte folgen Bewaffnete und Leibwächter, (25) in deren Mitte auf Zweigen Vögel schweben, die man abgerichtet hat durch ihren Gesang die ernsten Geschäfte zu unterbrechen. (26) Der Königspalast hat vergoldete Säulen, die in ihrer ganzen Länge ein aus Gold getriebener Weinstock umzieht, während silberne Bildnisse solcher Vögel, an deren Anblick man sich am meisten erfreut, angenehme Abwechslung in das Kunstwerk bringen. (27) Der Palast [297] öffnet sich zur Audienz, während der König sein Haupthaar kämmt und schmückt: dann ertheilt er den Gesandtschaften Bescheid und spricht seinen Unterthanen Recht. Auch läßt er sich nach Lösung der Sandalen die Füße mit Wohlgerüchen salben. (28) Bei der Jagd besteht sein hauptsächlichstes Geschäft darin, unter den Wünschen und Gesängen seiner Kebsweiber die in einem Zwinger eingeschlossenen Thiere zu schießen. Sie haben Pfeile von zwei Ellen Länge, die mit mehr Anstrengung als Erfolg abgeschossen werden; denn diese Waffe, deren ganze Bedeutung auf ihrer Leichtigkeit beruht, wird durch die unbequeme Last schwer gemacht. (29) Kürzere Reisen vollendet er zu Pferde, geht der Zug weiter, so führen Elephanten seinen Wagen27, und der ganze Körper dieser ungeheuern Thiere ist mit Gold bedeckt. Und damit keine Art der Sittenverderbniß fehle, so folgt in goldenen Sänften eine lange Reihe von Kebsweibern: ihr Zug ist von dem der Königin getrennt, kommt ihm aber an Ueppigkeit gleich. (30) Die Weiber bereiten das Mahl, desgleichen reichen sie den Wein dar, den alle Inder in reichem Maße genießen. Ist der König in Folge des Weines und der Müdigkeit eingeschlafen, so tragen ihn die Kebsweiber in sein Schlafgemach, indem sie in einem alterthümlichen Liede die Götter der Nacht anrufen. (31) Wer sollte nun glauben, daß inmitten dieser Lüste Sorge um Weisheit bestehe? Die eine Gattung, die man Weise nennt, lebt in der Wildnis und ist von roher Sitte. (32) Bei ihnen gilt es für löblich dem natürlichen Tode zuvorzukommen, und sie machen es sich zum Gesetz sich selbst zu verbrennen, wenn entweder ihr Alter ein zu hohes oder ihre Gesundheit hinfällig wird: den Tod abzuwarten halten sie für eine Schändung ihres Lebens. Und stirbt Jemand vor Alter, so wird seinem Leichnam nicht die geringste Ehre erwiesen; denn sie glauben, das Feuer werde befleckt, wenn es den Körper anders als lebend empfange. (33) Diejenige Classe von Weisen, welche in den Städten nach der allgemeinen Sitte leben, sollen den Lauf der Gestirne geschickt beobachten und die Zukunft vorhersagen. Auch glauben sie, daß [298] Niemand den Tod herbeirufe, der ihn unerschrocken zu erwarten vermöge. (34) Für Götter halten sie, was ihnen einmal Gegenstand der Verehrung geworden ist, namentlich Bäume, die zu verletzen ihnen als todeswürdiges Verbrechen gilt. (35) Sie haben Monate von fünfzehn Tagen, wobei sie jedoch am vollen Kreislauf des Jahres festhalten. (36) Die Zeit theilen sie nach dem Laufe des Mondes ein, nicht jedoch, wie die meisten Völker, wenn dies Gestirn seine Scheibe voll gemacht hat, sondern so oft es sich zu Hörnern krümmt28, und deshalb haben die, welche die Dauer der Monate nach diesen Mondphasen bemessen, kürzere Monate. (37) Noch vieles Andere wird berichtet, doch schien es nicht der Mühe werth damit den Gang der Erzählung aufzuhalten.

10 (1) Als nun Alexander in die Grenzen Indiens eingedrungen war29, kamen ihm kleine Fürsten der von ihnen regierten Stamme entgegen, mit der Erklärung seinen Befehlen gehorchen zu wollen. Er, sagten sie, sei der dritte Sprößling Jupiters, der zu ihnen gekommen sei: von Vater Bacchus und Hercules hätten sie durch das Gerücht vernommen, er selbst stehe in Person vor ihren Augen. (2) Der König nahm sie gütig auf und befahl ihnen zu folgen, um sich ihrer als Führer auf den Märschen zu bedienen. Als ihm aber weiter Niemand entgegenkam, schickte er den Hephästion und Perdiccas mit einer Heeresabtheilung voraus, um die, welche seine Herrschaft zurückwiesen, zu unterjochen; zugleich befahl er ihnen bis zum Flusse Indus vorzudringen und Schiffe zu bauen, worauf das Heer an das jenseitige Ufer übergesetzt werden könnte. (3) Da nun mehrere Flüsse zu überschreiten waren, so ließen sie solche Schiffe zimmern, die man auseinandernehmen und auf Wagen fortschaffen, und dann wieder zusammensetzen konnte. (4) Hierauf ertheilte er dem Craterus Befehl mit der Phalanx zu folgen, er selbst führte die Reiterei und die Leichtbewaffneten voraus und jagte die, welche ihm entgegengerückt waren, durch einen leichten Angriff in die nächste Stadt. (5) Und schon war auch Craterus bei der [299] Hand. Um daher von vorn herein dem Volke, das die macedonischen Waffen noch nicht erprobt hatte, Schrecken einzujagen, gebot er Niemandes zu schonen, wenn die Befestigungswerke der von ihm belagerten Stadt angezündet wären. (6) Uebrigens traf ihn, während er gegen die Mauern heranritt, ein Pfeil. Dennoch nahm er die Stadt, und es wurden nicht nur alle Einwohner derselben niedergemacht, sondern auch die Gebäude zerstört. (7) Nach Bezwingung dieses wenig bekannten Volksstammes gelangte er hierauf zu der Stadt Nysa. Als man das Lager zufällig ganz nahe vor der Stadt an einer waldigen Stelle aufgeschlagen hatte, durchschauerte die nächtliche Kälte heftiger als sonst ihren Körper, wogegen sich ihnen als passendes Gegenmittel das Feuer darbot. (8) Man fällte nämlich Bäume und fachte eine Flamme an, die mehr und mehr genährt die Grabmaler der städtischen Bevölkerung ergriff. Diese waren von altem Cedernholz erbaut und verbreiteten, einmal erfaßt, den Brand schnell weiter, bis Alles in Asche gesunken war. (9) Nun hörte man aus der Stadt erst das Bellen der Hunde, dann auch das Geschrei von Menschen; und jetzt erst merkten die in der Stadt, daß der Feind da sei, die Macedonier, daß sie vor der Stadt standen. (10) Schon aber war der König mit den Truppen ausgerückt und hielt die Mauern eingeschlossen, während die von den Feinden, welche den Kampf versucht hatten, mit Geschossen überschüttet wurden. Die Einen nun wollten sich ergeben, die Andern es auf einen Kampf ankommen lassen; und als der König ihre Unschlüssigkeit erfuhr, gebot er sie nur rings einzuschließen, aber Niemanden zu tödten. Endlich, der Drangsale einer Belagerung müde, ergaben sie sich. (11) Ihre Stadt, sagten sie, sei von Vater Bacchus erbaut, und mit diesem ihrem Ursprunge verhielt es sich wirklich so. (12) Sie liegt am Fuße eines Berges, den die Einwohner Meros30 nennen. Daher nahmen sich die Griechen die Freiheit zu fabeln, Vater Bacchus sei im Schenkel Jupiters verborgen gewesen. (13) [300] Von den Einwohnern über die Lage des Berges unterrichtet, stieg der König mit dem ganzen Heere, nachdem er Proviant vorausgeschickt, zum Gipfel hinan. In Menge wächst an dem ganzen Berge Epheu und Wein, in Menge strömen nie versiegende Wasser. (14) Auch die Baumfrüchte haben mannigfache heilsame Säfte, während der Boden von selbst aus zufällig verstreutem Samen Getreide hervorbringt. Von Lorbeer und Narde findet sich auf jenen Felsen ein ganzer wilder Wald. (15) Es geschah wohl weniger aus Anlaß einer göttlichen Begeisterung als aus Muthwillen, daß man allerorts Epheu- und Weinranken abbrach und mit Laub bekränzt Bacchanten gleich im ganzen Walde umherschweifte. (16) Also tönten Berg und Hügel von den Stimmen so vieler Tausende wieder, die den Schutzgott jenes Waldes anriefen, da sich der von Wenigen ausgegangene Uebermuth, wie es zu gehen pflegt, plötzlich Allen mitgetheilt hatte. (17) Denn wie mitten im Frieden streckten sie sich auf dem Grase und zusammengehäuftem Laube nieder. Und der König, über die zufällig entstandene Fröhlichkeit nicht ungehalten, vertheilte an Alle reichliche Speise und ließ sich das Heer zehn Tage lang dem Dienste des Vater Bacchus widmen. (18) Wer möchte da leugnen, daß auch ein ausgezeichneter Ruhm häufiger der Gnade des Glückes als der eigenen Tüchtigkeit zu verdanken sei? Denn nicht einmal die Schmausenden und vom Weine Betäubten wagte der Feind anzugreifen, da ihn das Geschrei der brüllenden Bacchanten nicht minder in Schrecken setzte, als wenn man ihren Schlachtenruf vernommen hätte. Das gleiche Glück beschützte sie, als sie auf der Rückkehr vom Ocean mitten unter den Augen der Feinde trunkene Gelage feierten31. (19) Von hier gelangte man in die Landschaft, welche Dädala heißt; allein die Einwohner hatten ihre Wohnsitze verlassen und waren in die weglosen und waldigen Gebirge geflohen. Er zog also nach Acadira hinüber, das jedoch ebenfalls durch die Flucht seiner Einwohner öde und verlassen lag. (20) Daher sah er sich genöthigt die Art der Kriegführung zu ändern. Er theilte nämlich seine Truppen und zeigte gleichzeitig an mehreren Orten seine Waffen, so daß sie überrascht, wo sie keinen Feind erwartet hatten, durch eine vollständige Niederlage [301] bezwungen wurden. (21) Ptolemäus nahm die meisten, Alexander die größten Städte ein, worauf er die vorher getheilten Truppen wiederum vereinigte. (22) Als er dann den Fluß Choaspes32 überschritten, ließ er den Cönos bei Belagerung einer reichen Stadt, welche bei den Einwohnern Beira heißt, zurück, während er selbst nach Mazagä kam. Dort war kürzlich der seitherige König Assacanus33 gestorben, und Stadt und Landschaft standen unter der Herrschaft seiner Mutter Cleophis. (23) 38000 Mann zu Fuß vertheidigten die Stadt, die nicht allein durch ihre Lage, sondern auch durch Befestigungen geschützt war. Denn auf der östlichen Seite umgiebt sie ein reißender Fluß, der durch seine auf beiden Seiten steil abfallenden Ufer den Zugang zu der Stadt hindert. (24) Gegen Westen und Süden hat die Natur wie mit Absicht mächtig hohe Felsen aufgethürmt, unterhalb deren Hohlungen und durch die Länge der Zeit tief ausgehöhlte Abgründe liegen, und wo diese aufhören, stellt sich ein mit ungeheurer Arbeit angelegter Graben entgegen. (25) Eine Mauer von 35 Stadien umgiebt die Stadt, deren untere Theile von Bruchstein, die obern von ungebrannten Ziegeln aufgeführt sind. Als Bindemittel der Backsteine dienen dazwischen gelegte andere Steine, damit das zerbrechliche Material auf härterem ruhe, und zugleich mit Wasser aufgelöste Thonerde. (26) Damit sich jedoch die ganze Masse nicht senkte, waren starke Balken daraufgelegt, und ein darüber angebrachter Holzbau deckte die Mauer sowohl, als bot auch einen Weg längs derselben. (27) Während Alexander diese Befestigungswerke betrachtete und in seinem Entschlusse schwankte, weil er die Hohlungen nur mittelst eines Dammes ausfüllen, und auch die Wurfmaschinen nicht anders an die Mauern bringen konnte, traf ihn Einer von der Mauer mit einem Pfeil. (28) Diesmal fuhr ihm zufällig das Geschoß in die Wade, und als der Pfeil herausgezogen war, befahl er sein Roß vorzuführen. Auf diesem reitend beendigte er, ohne selbst [302] die Wunde verbinden zu lassen, um nichts säumiger die beabsichtigte Recognition. (29) Als nun aber das verwundete Bein herabhing, und das Erstarren des geronnenen Blutes an der Wunde den Schmerz vermehrte, soll er gesagt haben, man nenne ihn zwar Jupiters Sohn, dennoch aber fühle er die Schwächen eines kranken Körpers. (30) Gleichwohl zog er sich nicht eher ins Lager zurück, als bis er Alles genau betrachtet und angegeben hatte, was geschehen solle. Also zerstörte man, wie es von ihm befohlen war, die Gebäude außerhalb der Stadt und riß ungeheure Massen Materials zur Errichtung des Dammes herunter. Andere warfen die Stämme großer Bäume sammt den Aesten und Steinblöcke in die Hohlungen. (31) Als nun der Damm bereits die Höhe der Erdoberfläche erreichte, wurden auch Thürme errichtet; und bei dem ungemeinen Eifer der Soldaten vollendete man diese Werke innerhalb neun Tagen. Sie in Augenschein zu nehmen trat der König, ehe noch seine Wunde vernarbt war, hervor, lobte die Soldaten und gab Befehl die Maschinen heranzurücken, von denen sich nun eine ungeheure Menge von Geschossen auf die Vertheidiger ergoß. (32) Namentlich schreckten die mit solchen Bauten Unbekannten die beweglichen Thürme, und man glaubte, daß diese gewaltigen Massen, die ohne eine sichtbare Hülfe34 herangeführt wurden, sich mittelst göttlichen Beistandes bewegten; ja auch die groben Mauergeschosse und die aus Maschinen geschleuderten mächtigen Speere, meinten sie, seien keine Waffen sterblicher Menschen. (33) Darum verzweifelten sie an der Vertheidigung der Stadt und zogen sich in die Burg zurück. Dann, da den dort Belagerten nichts als Uebergabe rathsam schien, stiegen Gesandte hinab die Gnade des Königs zu erbitten. (34) Als ihre Bitte gewährt war, kam die Königin mit einer großen Schaar vornehmer Frauen, die in goldenen Schalen Wein kredenzten. (35) Sie selbst führte ihren kleinen Sohn zu den Knieen des Königs und erlangte nicht nur Begnadigung, sondern behielt auch die Ehrenzeichen ihres früheren Ranges. Denn es blieb ihr der Titel Königin; und Manche glaubten, es sei dies mehr aus Rücksicht auf ihre Schönheit [303] als aus Mitleid geschehen. (36) Wenigstens führte auch ein Knabe, den sie nachher, sei es immer von wem, gebar, den Namen Alexander.

11 (1) Hierauf wurde Polypercon mit einer Heeresabtheilung nach der Stadt Nora gesandt und besiegte die ungeordneten Haufen der Einwohner in einem Treffen. Er drang den hinter ihre Mauern Getriebenen nach und nöthigte die Stadt zur Unterwerfung. (2) Auch viele unbekanntere Städte fielen, von den Ihrigen verlassen, in des Königs Gewalt. Die bewaffneten Einwohner derselben hatten einen Fels Namens Aornis35 besetzt. Von ihm ging die Sage, Hercules habe ihn vergeblich belagert, und ein Erdbeben habe diesen genöthigt davon abzustehen. (3) Während sich Alexander rathlos sah, weil der Felsen nach allen Seiten abschüssig und schroff war, kam ein bejahrter der Oertlichkeit kundiger Mann mit seinen beiden Söhnen zu ihm, und versprach, wenn er eine genügende Belohnung erhielte, einen Zugang zeigen zu wollen. (4) Alexander sicherte ihm 80 Talente zu und entließ, indem er einen der beiden Jünglinge als Geisel zurückbehielt, ihn selbst zur Ausführung seines Antrages. (5) Die leichten Truppen erhielten den Schreiber des Königs, Namens Mullinus, zum Anführer, denn sie sollten den Feind mittelst eines Umweges täuschen und die Höhe des Bergrückens erklimmen. (6) Der Fels wächst nicht, wie mehrentheils, in mäßigen und gelinden Steigungen zur Höhe seines Gipfels empor, sondern steht ähnlich wie eine Meta aufgerichtet, die zu unterst breiter ist, weiter oben sich verengt, und zu oberst sich in eine scharfe Spitze erhebt. (7) Seinen Fuß bespült der sehr tiefe Indus mit auf beiden Seiten felsigen Ufern, während sich auf der andern Seite steile Abgründe und ausgewachsene Schluchten befinden; und es gab keinen andern Weg zur Eroberung, als diese auszufüllen36. (8) In der Nähe war ein Wald: diesen befahl der König zu fällen, doch so, daß man [304] die Stämme abgeästet hinwarf, da die mit Laub umkleideten Zweige den Transport gehemmt haben würden. Er selbst warf den ersten Baumstamm hin; worüber das Heer zum Zeichen seines feurigen Eifers in lautes Geschrei ausbrach, denn Niemand weigerte sich eines Dienstes, bei dem der König vorangegangen war. (9) Binnen sieben Tagen waren die Schluchten ausgefüllt, und der König gab den Bogenschützen und Agrianern Befehl den steilen Abhang emporzuklimmen. Aus seinem Corps wählte er dreißig der entschlossensten jungen Männer aus, (10) und stellte an ihre Spitze den Charus und Alexander, den er an seinen mit ihm gemeinsamen Namen erinnerte. Und Anfangs, weil die Gefahr so offenbar war, beabsichtigte er sich am Kampfe nicht persönlich zu betheiligen; (11) sowie jedoch das Signal mit der Trompete erscholl, rief er als ein Mann von entschlossener Kühnheit seinen Leibwächtern zu, ihm zu folgen, und drang zuerst den Felsen hinan. Da nun verharrte kein Macedonier ruhig, sondern ihre Stellungen verlassend folgten sie freiwillig dem Könige nach. (12) Viele stürzten jämmerlich hinab, und abgeglitten von dem steilen Felsen wurden sie von dem vorüberfließenden Strome verschlungen: ein trauriges Schauspiel selbst für nicht an der Gefahr Betheiligte; da sie nun vollends durch den fremden Untergang an das gemahnt wurden, was sie selbst zu fürchten hatten, so verwandelte sich ihre Theilnahme in Furcht, und sie beklagten weniger die Todten als sich selbst. (13) Und schon war man soweit gelangt, daß man von da nur als Sieger ohne Verderben zurückkehren konnte, indem die Barbaren ungeheure Steine auf die sich nähernden herniederwälzten, von denen getroffen sie bei ihrer unsichern und schlüpfrigen Stellung jählings zurückstürzten. (14) Dem waren jedoch Charus und Alexander entgangen, die der König mit den 30 Außerlesenen vorausgeschickt hatte, und bereits waren sie handgemein geworden; da indeß die Barbaren von oben her ihre Geschosse auf sie schleuderten, so wurden sie häufiger getroffen, als sie ihrerseits verwundeten. (15) So kam es, daß Alexander, indem er, eingedenk seines Namens und Versprechens, mehr muthig als vorsichtig kämpfte, durchbohrt und von allen Seiten überschüttet wurde. (16) Und als ihn Charus hingesunken sah, stürzte er, an nichts weiter denkend, als ihn zu rächen, auf den Feind los, tödtete Viele mit dem Speere, Einige auch mit dem Schwerte, sank aber, da sich [305] gegen den Einen so viele Arme kehrten, entseelt über dem Leichname des Freundes nieder. (17) Durch den Tod dieser entschlossenen Jünglinge und der andern Soldaten, wie natürlich, sehr bekümmert, gab der König das Zeichen zum Rückzuge. (18) Es war ihr Glück, daß sie allmälig und ohne in Furcht zu gerathen sich zurückzogen; die Barbaren aber, zufrieden den Feind heruntergetrieben zu haben, bedrängten die Weichenden nicht. (19) Obwohl nun Alexander entschlossen war von seinem Beginnen abzustehen, da sich ja keine Hoffnung auf Eroberung der Felsburg darbot, so gab er sich dennoch den Anschein, als beharre er bei der Belagerung. Denn er ließ die Wege besetzt halten, Belagerungsthürme heranrücken und die ermatteten Truppen durch andere ersetzen. (20) Wie also die Inder seine Hartnäckigkeit wahrnahmen, so feierten sie zwar zwei Tage und Nächte lang, voll scheinbaren Prahlens nicht nur mit ihrer Zuversicht, sondern auch auf ihren Sieg, Festgelage, wobei sie nach ihrer Sitte die Trommeln rührten: (21) in der dritten Nacht aber hatte der Lärm mit den Trommeln aufgehört, dagegen erglänzten auf dem ganzen Felsen Fackeln, die die Barbaren zur Sicherung ihrer Flucht angezündet hatten, wenn sie in dunkler Nacht über die weglosen Felsen steigen müßten. (22) Durch Balacrus, den er als Späher vorausgesendet, erfuhr der König, daß die Felsburg von den fliehenden Indern verlassen sei. Da ließ er auf ein gegebenes Zeichen das ganze Heer ein Geschrei erheben, und schreckte dadurch die ohne Ordnung Fliehenden, (23) so daß viele, als ob der Feind da wäre, über die schlüpfrigen Felsen und weglosen Klippen herabstürzten und umkamen, noch mehrere, an diesem oder jenem Körpertheile verstümmelt, von den Unversehrten im Stiche gelassen wurden. (24) Obwohl also mehr ein Bezwinger des Ortes als der Feinde, gab doch der König seinem Siege durch Opfer und Verehrung der Götter ein Ansehen von Wichtigkeit. Der Minerva und Victoria wurden auf der Felsburg Altäre errichtet. (25) Den Führern des Weges, auf dem er die Leichtbewaffneten hinangeschickt hatte, wurde, wiewohl sie weniger, als versprochen war, geleistet hatten, ihr Lohn getreulich ausbezahlt. Die Bewachung der Felsburg und ihrer Umgebung erhielt Sisocostus anvertraut.

12 (1) Da rückte er nach Ecbolima vor; und da er erfahren, daß ein gewisser Erix die Engpässe mit 20,[^000] Bewaffneten besetzt halte, so [306] übergab er den schwerbewaffneten Theil des Heeres dem Cönus, um ihn in mäßigen Tagemärschen nachzuführen; (2) er selbst zog voraus, verjagte mit Hülfe der Schleuderer und Bogenschützen die, welche das Gebirg besetzt hielten, und öffnete so den nachfolgenden Truppen den Weg. (3) Die Inder, sei es aus Unwillen gegen ihren Führer, oder um sich die Gunst des Siegers zu erwerben, überfielen den Erix auf der Flucht, tödteten ihn und brachten sein Haupt und seine Waffen zu Alexander. Dieser ließ zwar ihrer That Straflosigkeit angedeihen, verweigerte aber, da sie als Beispiel hätte dienen können, ein Ehrengeschenk. (4) Hierauf gelangte er in sechzehn Tagemärschen an den Indus37, und fand Alles, wie er befohlen, von Hephästion zum Uebergange über den Fluß vorbereitet38. (5) In jener Gegend39 herrschte Omphis, der schon seinem Vater gerathen hatte sein Reich an Alexander zu übergeben. Nun nach dem Tode seines Vaters hatte er Gesandte an Alexander geschickt, um ihn zu fragen, ob er unterdeß fortregieren, oder als Privatmann jenes Ankunft erwarten solle; (6) und als ihm erlaubt worden war fortzuregieren, so wagte er dennoch nicht von dem ihm verliehenen Rechte Gebrauch zu machen. Den Hephästion hatte er zwar freundlich aufgenommen und seinen Truppen ohne Bezahlung Getreide zumessen lassen, war jedoch nicht persönlich mit ihm zusammengetroffen, um sich einzig und allein nur des Königs Schutze anzuvertrauen. (7) Als daher dieser kam, so zog er mit einem bewaffneten Heere aus ihm entgegen, und da dem Heereszuge in mäßigen Zwischenräumen auch Elephanten beigemischt waren, so hatte dies von weitem [307] das Aussehn wie Castelle. (8) Anfangs glaubte Alexander, nicht ein Bundesgenosse, sondern ein Feind nahe sich, und schon hatte er, zum Kampfe bereit, Befehl gegeben, die Soldaten sollten die Waffen ergreifen und die Reiterei sich auf die Flügel vertheilen. Als jedoch der Inder den Irrthum der Macedonier merkte, ließ er die Uebrigen Halt machen, während er selbst das Roß, worauf er ritt, vorwärtsspornte; und Gleiches that auch Alexander, indem er sich, mochte ihm nun ein Feind oder Freund begegnen, entweder auf seine persönliche Tapferkeit, oder auf jenes Treue verließ. (9) Ihr Zusammentreffen war, soweit sich aus ihren Mienen abnehmen ließ, ein freundschaftliches, doch konnte ohne einen Dolmetscher ein Gespräch nicht angeknüpft werden. Als daher ein solcher herbeigeholt war, erklärte der Barbar, er sei ihm mit einem Heere entgegengekommen, um ihm sogleich die ganze Macht seines Reiches zu übergeben, und habe nicht warten wollen, bis ihm durch Botschafter Schutz versprochen würde. (10) Leben und Reich lege er in seine Hand, von dem er wisse, daß er für den Ruhm streite und nichts mehr fürchte als den Ruf der Treulosigkeit. Erfreut über die Treuherzigkeit des Barbaren, reichte ihm der König als Pfand seines Schutzes die Rechte und stellte ihm sein Reich wieder zu. (11) Er übergab an Alexander 56 Elephanten, eine Menge Vieh von ausnehmender Größe und gegen 3000 Stiere, in jener Gegend ein kostbares und von den Fürsten werthgehaltenes Thier. (12) Auf die Frage jenes, ob er mehr Bauern oder Soldaten habe, erwiderte er, da er mit zwei Königen Krieg führe, so bedürfe er einer größern Anzahl von Soldaten als von Bauern. (13) Er meinte den Abisares und Porus, doch war Porus der bedeutendere. Beide herrschten jenseits des Flusses Hydaspes40 und waren entschlossen das Kriegsglück zu versuchen, wer sie auch immer angriffe. (14) Omphis nahm mit Erlaubniß Alexanders die königlichen Abzeichen an, sowie nach Sitte seines Volkes den Namen, welchen sein Vater getragen hatte. Er hieß nun bei seinem Volke Taxilus, da dieser Name zugleich mit der Herrschaft auf den jedesmaligen Nachfolger überging. (15) Drei Tage also bewirthete er den Alexander gastfreundlich, am vierten zeigte er ihm, wieviel Getreide er den Truppen, die den Hephästion begleitet hatten, gegeben [308] habe, und beschenkte ihn selbst und alle seine Freunde mit goldenen Kränzen, und außerdem noch mit 80 Talenten geprägten Silbers. (16) Ueber diese seine Freundlichkeit außerordentlich erfreut, sandte ihm Alexander nicht nur seine Geschenke zurück, sondern fügte auch aus der Beute, die er mit sich führte, tausend Talente hinzu, ferner viele goldene und silberne Tafelgefäße, eine große Menge persischer Gewänder und dreißig von seinen Rossen, mit denselben Abzeichen, die sie zu tragen pflegten, wenn sie ihn selbst fuhren. (17) Doch, hatte diese Freigebigkeit einerseits die Barbaren für ihn gewonnen, so erregte sie andrerseits bei seinen Freunden heftigen Anstoß. Unter andern sagte Meleager, als er bei Tafel ziemlich viel Wein genossen hatte, er gratulire Alexander, daß er wenigstens in Indien Einen gefunden, der tausend Talente verdiene. (18) Der König jedoch, der nicht vergessen hatte, wie sehr es ihn geschmerzt, daß er den Clitus wegen unbesonnener Rede getödtet hatte, hielt den Zorn an sich und versetzte nur, Neidische seien nichts weiter als eine Qual für sich selbst.

13 (1) Am folgenden Tage kamen zum Könige Gesandte des Abisares, welche ihrem Auftrage gemäß Alles in seine Gewalt legten, und nachdem man sich gegenseitig Versicherungen der Treue gegeben, wurden sie zu ihrem Könige zurückgeschickt. (2) Da Alexander auch von Porus hoffte, daß ihn der Ruhm seines Namens veranlassen dürfte sich zu ergeben, so schickte er den Cleochares an ihn, um ihm anzukündigen, er solle Tribut zahlen und ihm gleich an der Grenze seines Gebietes entgegenkommen. Doch Porus antwortete, dies zweite solle geschehen, daß er nämlich, wenn jener sein Reich beträte, zur Stelle wäre, aber gewaffnet. (3) Schon hatte Alexander beschlossen über den Hydaspes zu gehen, als jener Barzaentes41, der den Aufstand der Arachosier veranlaßt hatte, gefesselt zu ihm gebracht wurde, sowie dreißig zugleich gefangene Elephanten, eine willkommene Hülfe gegen die Inder, da deren Hoffnung und Kraft mehr auf diesen Ungeheuern als auf ihrem Heere beruhte. (4) Auch der König eines kleinen indischen Gebietes Namens Samaxus, der Barzaentes’ Bundesgenosse gewesen war, wurde gefesselt zu ihm geführt. (5)Er ließ daher den Ueberläufer und den Fürsten ins Gefängniß bringen, übergab die Elephanten dem [309] Taxiles und gelangte dann selbst an den Hydaspes, auf dessen jenseitigem Ufer sich Porus gelagert hatte, um dem Feinde den Uebergang zu wehren. (6) Die von diesem aufgestellte Streitmacht bestand aus 85 Elephanten von ungemeiner Körperkraft, außerdem 300 Wagen und gegen 30,[^000] Mann zu Fuß, worunter Bogenschützen, deren Geschosse, wie oben bemerkt, zu schwer waren, als daß sie geschickt abgeschossen werden konnten. (7) Er selbst ritt auf einem Elephanten, der die übrigen Ungeheuer noch überragte: gold- und silberverzierte Waffen schmückten seinen Körper, der von seltener Größe war, und der Körperkraft kam sein Muth gleich und seine Weisheit, soweit davon unter so ungebildeten Völkern die Rede sein konnte. (8) Die Macedonier schreckte nicht nur der Anblick der Feinde, sondern auch die Größe des Flusses, der zu überschreiten war. Zu einer Breite von vier Stadien ergossen und mit einem tiefen, nirgends eine Furt bietenden Flußbette hatte er das Ansehen eines weiten Meeres42. (9) Auch minderte er seine Heftigkeit nicht der Ausdehnung seiner weit ausgetretenen Gewässer gemäß, sondern schoß, als ob sich seine Ufer eng zusammendrängten, wie ein Gießbach fortgeschnellt dahin; und die an mehreren Stellen zurückbrandenden Wogen zeigten das Vorhandensein verborgener Felsen. (10) Noch furchtbarer war der Anblick des Ufers, das von Rossen und Männern angefüllt war. Da standen die ungeheuern Colosse ungeschlachter Leiber und ermüdeten, absichtlich gereizt, mit ihrem gräßlichen Geschrei die Ohren. (11) Hier war es der Fluß, dort der Feind, was die sonst guter Hoffnung leicht geöffneten Herzen, wie oft sie sich auch schon erprobt, dennoch mit unerwarteter Furcht durchzuckte. Denn die unsichern Flöße, fürchtete man, würden weder ans Ufer gelenkt, noch dort sicher befestigt werden können. (12) Mitten im Fluß befanden sich zahlreiche Inseln, nach welchen sowohl Inder als Macedonier schwimmend, die Waffen über den Kopf gehalten, hinüberzusetzen pflegten. Dort wurden leichte Treffen geliefert, und die Könige erprobten durch die Entscheidung von geringem Belang [310] den Ausgang der Hauptsache. (13) Nun waren im macedonischen Heere zwei vornehme Jünglinge Namens Symmachus und Nicanor, durch Unbesonnenheit und Tollkühnheit bemerklich und durch das ununterbrochene Glück der diesseitigen Waffen zur Verachtung jeglicher Gefahr angefeuert. (14) Unter ihrer Führung schwammen die entschlossensten Jünglinge nur mit Lanzen bewehrt nach einer vom Feinde stark besetzten Insel hinüber, und tödteten, mehr durch ihre Kühnheit als andere Waffen unterstützt, eine Menge Inder. (15) Jetzt konnten sie ruhmvoll zurückkehren, wenn Tollkühnheit je so glücklich wäre ein Maß zu finden: statt dessen erwarteten sie voll Verachtung und Uebermuth noch die Neuhinzukommenden, wurden von solchen, die heimlich hinübergeschwommen waren, umringt und aus der Ferne unter einem Hagel von Geschossen begraben. (16) Die dem Feinde entkommen waren, wurden entweder durch die heftige Strömmung fortgerissen oder von Wirbeln verschlungen. Dieser Kampf erhöhte um Vieles die Zuversicht des Porus, der Alles vom Ufer aus ansah. (17) Alexander aber, der keinen Rath wußte, spann endlich den Feind zu täuschen folgende List an. Es war eine Insel im Flusse, umfangreicher als die übrigen und zugleich bewaldet, und darum geeignet zur Deckung einer Hinterlist zu dienen. Auch befand sich nicht weit von dem von ihm besetzten Ufer ein sehr tiefer Graben, der nicht nur Fußvolk, sondern auch Reiter sammt den Rossen verstecken konnte. (18) Um also die Augen der Feinde von Beobachtung dieser günstigen Gelegenheit abzulenken, ließ er den Ptolemäus mit allen Reitergeschwadern in weiter Entfernung von der Insel gegen den Fluß reiten und von Zeit zu Zeit die Inder durch Geschrei erschrecken, als ob er über den Fluß schwimmen wollte. (19) Dies that Ptolemäus mehrere Tage hintereinander, und zwang durch diese List auch den Porus sein Heer der Stelle zuzuwenden, auf welche er sich den Anschein gab es abgesehen zu haben, (20) so daß bereits die Insel außerhalb des feindlichen Gesichtskreises lag. Ferner gebot Alexander, daß sein Zelt auf einer (von der Insel) entfernten Uferstelle aufgeschlagen würde, daß die ihn gewöhnlich begleitende Leibwache sich vor diesem Zelte aufstellte, und daß man allen Glanz der königlichen Herrlichkeit absichtlich vor den Augen der Feinde zur Schau legen sollte. (21) Auch legte er dem Attalus, der mit ihm von gleichem Alter und ihm an [311] Gesicht und Körpergestalt, allerdings von weitem gesehen, nicht unähnlich war, ein königliches Gewand an, damit es den Anschein hätte, als commandire der König selbst auf jenem Theile des Ufers und denke nicht an den Uebergang. (22) Die Ausführung seines Planes wurde erst durch ein Unwetter verzögert, bald aber dadurch unterstützt, indem das Glück auch das Ungünstige zu einem günstigen Erfolge hinlenkte. (23) Er schickte sich an mit seinen übrigen Truppen in der Richtung der vorerwähnten Insel43 über den Fluß zu setzen, während sich der Feind gegen die gewendet hatte, welche mit Ptolemäus das Ufer unterhalb besetzt hielten: als ein Sturm eine kaum unter Dach und Fach abzuhaltende Regenfluth herabschüttete, so daß die davon überströmten Soldaten wieder an das Land flohen und Schiffe und Flöße im Stich ließen. Doch konnte ihr Geschrei bei dieser Verwirrung vor dem Toben des Windes vom Feinde nicht gehört werden. (24) Dann als der Regen augenblicklich aufhörte, zogen sich so dichte Wolken über den Himmel, daß sie alles Tageslicht verbargen, und Miteinandersprechende kaum einer des andern Gesicht erkennen konnten. (25) Einen Andern hätte die über den Himmel verbreitete nächtliche Finsterniß erschreckt, da man einen unbekannten Strom beschiffen sollte, wo vielleicht der Feind gerade den Theil des Ufers besetzt hielt, auf welchen sie blind und unvorsichtig und nach dem Ruhme eines so gefahrvollen Unternehmens begierig lossteuerten. (26) Er aber betrachtete das Dunkel, das die Andern schreckte, gerade als die für ihn passendste Gelegenheit und gab das Zeichen, daß sich Alle lautlos einschifften, während er mit dem Fahrzeug, worauf er selbst fuhr, zuerst abzustoßen befahl. (27) Das Ufer, worauf man losfuhr, war leer von Feinden, da Porus’ Aufmerksamkeit noch allein auf Ptolemäus gerichtet war. Und so [312] kamen, mit Ausnahme eines einzigen Schiffes, das von den Wellen auf einen Felsen getrieben, sitzen blieb, alle übrigen glücklich durch. Drauf ließ er die Soldaten die Waffen ergreifen und sich in Reih und Glied stellen.

14 (1) Und bereits rückte er selbst mit seinem in zwei Flügel getheilten Heere vorwärts, als dem Porus gemeldet wurde, das Ufer sei mit bewaffneten Männern angefüllt, und die Entscheidung des Kampfes sei da. Anfangs gab sich dieser, der Schwäche des menschlichen Charakters gemäß, noch der Hoffnung und dem Glauben hin, sein Bundesgenosse Abisares rücke, wie es ausgemacht worden war, heran. (2) Bald jedoch ließ das hellere Tageslicht den Feind erkennen, und er warf dem herannahenden Heereszuge hundert Streitwägen und 4000 Reiter entgegen. Anführer dieser vorausgesandten Truppen war sein eigner Bruder Sages, ihre größte Stärke bestand in den Wägen. (3) Jeder derselben führte sechs Männer, zwei mit Schilden bewaffnete und zwei Bogenschützen, die auf beiden Seiten vertheilt waren; die beiden übrigen waren die Wagenlenker, die jedoch keineswegs waffenlos waren, sondern, sobald es aus der Nähe zu kämpfen galt, die Zügel fahren ließen und eine Menge Geschosse auf den Feind schleuderten. (4) Doch gewährte diese Waffe an jenem Tage kaum irgend einen Nutzen; denn, wie oben bemerkt, hatte der heftiger als gewöhnlich ergossene Regen die Gefilde schlüpfrig und unfahrbar gemacht, und schwer und nahezu unbeweglich blieben die Wägen im Kothe und in Löchern stecken. (5) Alexander brach mit seinem kampffertigen und leichtbeweglichen Heere ungesäumt auf sie ein. Zuerst unter Allen griffen die Scythen und Daher die Inder an, hierauf entsandte er den Perdiccas mit seinen Reitern gegen den rechten feindlichen Flügel. (6) Bereits war überall der Kampf entbrannt, als diejenigen, welche die Wagen führten, dies für die letzte Hülfe der Ihrigen erachtend, sich mit verhängten Zügeln mitten in das Gefecht zu stürzen begannen. (7) Dies wurde für beide Theile gefährlich: denn einerseits wurde das macedonische Fußvolk beim ersten Angriff niedergerannt, andrerseits warfen die über schlüpfrige und weglose Stellen getriebenen Wägen ihre Lenker ab, (8) andere wurden von den scheuen Rossen nicht nur in Löcher und Tümpel, sondern sogar in den Fluß gestürzt, nur wenige gelangten, durch [313] die Geschosse der Feinde verjagt, wieder zu Porus zurück, der aufs eifrigste den Kampf entflammte. (9) Wie dieser seine Wagen auf dem gangen Schlachtfelde zerstreut führerlos umherirren sah, vertheilte er an die nächsten seiner Freunde die Elephanten. (10) Hinter diesen hatte er das Fußvolk und die Bogenschützen sowie die Paukenschläger aufgestellt. Denn die Pauken dienten den Indern statt des Blasens mit der Trompete, auch wurden die Elephanten durch ihr Getöse nicht scheu, da ihre Ohren längst den bekannten Schall zu ertragen gewöhnt waren. (11) Dem Fußvolk wurde das Bild des Hercules vorangetragen, das den Kämpfern zur kräftigsten Anfeuerung dient, und es galt als Vergehen gegen die militärische Ehre, die Träger desselben im Stiche zu lassen. (12) Ja es war die Todesstrafe für die festgesetzt, die es nicht aus der Schlacht zurückbrachten, so daß die Furcht, die sie einstmals vor jenem Feinde empfunden hatten, jetzt sogar in heilige Verehrung verwandelt war. Die Macedonier machte der Anblick nicht allein der Ungeheuer, sondern auch des Königs selbst einen Augenblick stutzen. (13) Die zwischen den Bewaffneten vertheilten Thiere hatten von weitem das Ansehen von Thürmen. Porus selbst war beinahe über das Maß menschlicher Größe hinausgewachsen, und seine Größe schien noch durch das Thier erhöht, worauf er ritt, und das unter den übrigen ebenso hervorragte, wie er selbst sich vor den Andern auszeichnete. (14) Alexander rief daher, nachdem er den König und das indische Heer betrachtet hatte: „Endlich sehe ich eine Gefahr, die meinem Muthe gleichkommt. Es gilt einen Kampf zugleich mit Bestien und ausgezeichneten Männern.“ (15) Dann sagte er zu Cönos gewendet: „Wenn ich von Ptolemäus44, Perdiccas und Hephästion begleitet den Angriff auf den linken feindlichen Flügel gemacht habe, und du mich mitten im heißen Kampfe siehst, so wirf du selbst ihren rechten Flügel und stürze dich auf die in Verwirrung Gerathenen. Ihr, Antigenes, Leonnatus und Tauron, stürmt auf das Mitteltreffen ein und bedrängt es von vorn. (16) Unsre ungeheuer langen und starken Speere werden uns, wie sonst nirgends, gegen diese Ungethüme und ihre Treiber von Nutzen sein können: [314] stoßt, die droben sitzen, herunter und durchbohrt die Thiere selbst. Es ist eine zweifelhafte Art Hülfsmittel, das heftiger gegen die eigene Partei wüthet. Denn gegen den Feind treibt sie der Befehl, gegen die Ihrigen die eigene Furcht.“ (17) Nach diesen Worten spornte er sein Roß den Andern voran; und bereits war er, der Bestimmung gemäß, in die Reihen der Feinde eingedrungen, als auch Cönos mit unwiderstehlicher Gewalt auf den rechten Flügel einstürmte, (18) während zugleich die Phalanx das Mitteltreffen der Inder in einem einzigen Anlaufe durchbrach. Porus dagegen gebot die Elephanten dahin zu treiben, wo er die Reiter hatte einstürmen sehen: allein die langsamen und fast unbeweglichen Thiere konnten es der Flinkheit der Rosse nicht gleichthun. Nicht einmal von ihren Pfeilen konnten die Barbaren irgend welchen Gebrauch machen. (19) Denn bei ihrer Länge und großen Schwere lassen sie sich nicht genau und bequem auflegen, wenn man nicht zuvor den Bogen auf die Erde stemmt; jetzt aber hinderte die Schlüpfrigkeit des Bodens die Anstrengung des Spannens, so daß ihnen, wenn sie zu schießen versuchten, die Schnelligkeit der Feinde zuvorkam. (20) So blieb des Königs Befehl unbeachtet, wie es meist geschieht, wenn den in Verwirrung Gerathenen nachdrücklicher ihre Furcht als ihr Feldherr zu gebieten beginnt, und es gab ebensoviele Befehlshaber, als Abtheilungen umherirrten. (21) Einer rief: schließt die Glieder! ein Anderer: theilt euch! hier hieß es: stehen geblieben! dort: dem Feinde in den Rücken geschwenkt! Nicht ein einziger gemeinsamer Entschluß wurde gefaßt. (22) Porus jedoch mit einigen Wenigen, über die das Ehrgefühl mehr vermocht hatte als die Furcht, ließ nicht ab die Zerstreuten zu sammeln und sich gegen den Feind zu wenden, indem er gebot, die Elephanten seinem Zuge voranzutreiben. (23) Die Bestien jagten großen Schrecken ein, und ihr ungewohntes Trompeten hatte bald nicht nur die Rosse, die so leicht vor Allem scheuen, sondern selbst die Männer und ihre Reihen in Verwirrung gebracht. (24) Bereits sahen sich die kurz zuvor siegreichen nach einer Gelegenheit zur Flucht um, als Alexander die Agrianer und leichtbewaffneten Thraker, die sich besser zum wiederholten Angriff als zum Handgemenge eigneten, gegen die Thiere ausschickte. (25) Diese schütteten eine Wolke von Geschossen über die Elephanten und ihre Lenker aus, und auch die Phalanx begann [315] nun nachdrücklich auf die Erschreckten einzudringen. (26) Manche jedoch, welche die Thiere zu eifrig verfolgten, reizten durch Verwundungen ihren Zorn gegen sich: sie wurden daher von ihren Füßen zerstampft und dienten den Uebrigen zur Warnung, vorsichtiger auf sie einzudringen. (27) Ein schrecklicher Anblick namentlich war es, wenn sie mit ihrem Rüssel Waffen und Männer erfaßten und sie über sich ihren Lenkern zulangten. (28) Während man also ohne sichere Entscheidung die Elephanten bald verfolgte, bald vor ihnen floh, zog sich der wechselnde Kampf einen großen Theil des Tages hin, bis man begann mittelst Beilen, womit man sich zu diesem Zwecke im voraus versehen hatte, ihnen die Füße durchzuhauen. (29) Auch hatte man eine Art leicht gekrümmter, sichelähnlicher Schwerter, Copis genannt, mit denen man nach den Rüsseln hieb. Und die Furcht ließ nichts unversucht, nicht nur sie zu tödten, sondern selbst im Tode sie auf neue Art zu verstümmeln. (30) Endlich durch Wunden erschöpft, stürzten sich die Elephanten auf ihre eigene Partei und rannten sie nieder, während sie ihre bisherigen Lenker zu Boden warfen und zerstampften. So wurden sie wie eine Heerde Vieh, mehr zur Flucht als zum Angriff geneigt, über die Schlachtlinie hinausgejagt. (31) Da begann Porus, von der Mehrzahl verlassen, die längst bereitgehaltenen Geschosse von seinem Elephanten herab auf die ihn umdrängenden Feinde zu schleudern, und verwundete zwar Viele weithin, war aber selbst den Würfen ausgesetzt, die von allen Seiten auf ihn zielten. (32) Schon neun Wunden hatte er theils im Rücken theils auf der Brust erhalten, und den von vielem Blutverluste ermatteten Händen entfielen mehr die Geschosse, als daß er sie noch geschleudert hätte. (33) Nicht weniger heftig jedoch rannte sein in Wuth gerathenes Thier, das noch unverwundet war, auf die feindlichen Reihen los: bis dessen Lenker wahrnahm, wie der König, die Glieder schlaff herabhängend, die Waffen hatte sinken lassen und kaum noch der Besinnung mächtig war. (34) Jetzt trieb er das Thier zur Flucht an, während Alexander nacheilte; doch sein von vielen Wunden durchbohrtes Roß sank erschöpft zu Boden, wobei es den König mehr niederließ als abwarf. Daher wurde, indem er das Pferd wechselte, seine Verfolgung verzögert. (35) Unterdeß jedoch suchte der von Alexander vorausgeschickte Bruder des Inderkönigs Taxiles den Porus zu überreden, er solle es nicht hartnäckig zum Aeußersten [316] kommen lassen, sondern sich dem Sieger ergeben. (36) Allein dieser, wie erschöpft auch seine Kraft, und wie groß sein Blutverlust war, raffte sich dennoch bei den bekannten Lauten auf. „Ich höre,“ rief er, „den Bruder des Taxiles, des Verräthers an seinem Throne und Reiche!“ und schleuderte den einzigen Speer, der ihm zufällig nicht entglitten war, so gegen ihn, daß er mitten durch die Brust bis in den Rücken fuhr. (37) Nach diesem letzten Beweise seiner Tapferkeit, setzte er seine Flucht um so eifriger fort. Doch auch seinen Elephanten, den viele Geschosse getroffen hatten, verließ die Kraft. Er ließ daher ab zu fliehen, und warf die ihn begleitenden Fußgänger dem Feinde entgegen. (38) Bereits hatte ihn Alexander erreicht und gebot, von Porus’ Hartnäckigkeit unterrichtet, keinen, der Widerstand leiste, zu schonen. Darum wurden von allen Seiten sowohl auf die Soldaten als auf Porus selbst Geschosse geschleudert, und bedeckt damit, begann er endlich vom Thiere zu sinken. (39) Der Inder, welcher dieses lenkte, wähnte, er wolle herabsteigen, und befahl dem Elephanten sich nach gewohnter Weise auf die Knie niederzulassen: sobald er aber dies that, ließen sich auch die übrigen Elephanten, denn so hatte man sie gewöhnt, mit dem Körper zu Boden. Dieser Umstand gab sowohl den Porus als die Uebrigen in die Hände der Sieger. (40) In der Meinung, daß Porus getödtet sei, befahl der König seinen Leichnam zu berauben, und hieß welche hinlaufen, ihm Panzer und Gewand abzuziehen: da hub der Elephant an, seinen Herrn zu vertheidigen und die Plünderer anzugreifen, und versuchte den Körper aufzuheben und wieder auf seinen Rücken zu setzen. Aber von allen Seiten wurde er mit Geschossen überschüttet, und als er ganz durchbohrt war, Porus auf einen Wagen gelegt. (41) Wie ihn nun der König die Augen aufschlagen sah, sprach er, nicht Haß, sondern Mitleid im Herzen: „Welch unheilvolle Thorheit hat dich getrieben, obwohl dir der Ruhm meiner Thaten bekannt war, das Kriegsglück zu versuchen, da du doch an Taxiles ein so nahes Beispiel von meiner Gnade gegen die hattest, welche sich mir ergeben?“ (42) Doch jener erwiderte: „Weil du mich fragst, so will ich dir mit derselben Freimüthigkeit antworten, die du mir beim Fragen gezeigt hast. Ich meinte, Niemand sei tapferer als ich; denn meine Kraft kannte ich, die deinige hatte ich noch nicht erprobt. Nun hat mich der Ausgang des Krieges [317] belehrt, daß du tapferer bist. Aber auch so bin ich nicht allzu unglücklich, da ich von dir besiegt bin.“ (43) Auf die neue Frage, was er selbst glaube, daß der Sieger über ihn beschließen müsse, versetzte er: „Was dir dieser Tag anräth, an dem du erfahren hast, wie hinfällig das Glück ist.“ (44) Durch diese Mahnung richtete er mehr aus, als wenn er gebeten hätte. Denn Alexander hielt seine unerschrockene, selbst nicht durch das Unglück gebrochene Geistesgröße für würdig, nicht nur Mitleid zu finden, sondern auch geehrt zu werden. (45) So lange er krank war, ließ er ihn nicht anders pflegen, als ob er für ihn selbst gekämpft hätte; nach seiner Herstellung nahm er ihn gegen Aller Erwartung unter die Zahl seiner Freunde auf, und bald beschenkte er ihn mit einer ausgedehnteren Herrschaft, als er besessen hatte. (46) Und in der That war in seinem Charakter nichts fester und beständiger, als die Bewunderung wahren Lobes und Ruhmes; mit mehr Aufrichtigkeit jedoch schätzte er die Berühmtheit am Feinde, als am eigenen Bürger. Denn durch die Seinigen, meinte er, könne seine eigene Größe Einbuße erleiden, dagegen werde sie um so herrlicher strahlen, je größer die gewesen, die er selbst besiegt habe45.

Anmerkungen

1 S. 7, 26 Anm. 27.

2 Jedenfalls in der Nähe von Samarkand, sonst aber unbekannt.

3 Justinus 15,3 erzählt, Lysimachus habe aus Mitleid mit dem grausam verstümmelten und gefangen gehaltenen Callisthenes, demselben Gift beigebracht, um seine Qual abzukürzen; sei aber deshalb von dem heftig erzürnten Alexander einem äußerst wilden Löwen vorgeworfen worden. Als dieser nun auf ihn losstürzte, habe er ihm seine mit dem Mantel umwickelte Rechte in den Rachen gestoßen, die Zunge erfaßt und ihn so erwürgt. Und diese muthige That habe Alexander wieder ganz mit ihm versöhnt.

4 Die Mysterien der Kabiren auf der Insel Samothrake an der thracischen Küste galten für nicht minder heilig als die eleusinischen. Philipp hatte sich in dieselben einweihen lassen.

5 Aus der Andromache V. 684 ff.:
Weh, daß so schlechter Brauch in Hellas herrscht!
Stellt wo ein siegreich Heer Tropäen auf,
Gilt’s für ein Werk nicht derer, die’s vollbracht.
Nein, nur der Feldherr trägt den Preis davon,
Der seinen Speer schwang, Einer unter Tausend,
Nicht mehr als einer that, doch größern Ruhm hat.

6 Alexander von Epirus, Bruder der Olympias, zog i. J. 332 den Tarentinern gegen die Bruttier und Lucaner zu Hülfe.

7 In welcher Gegend Sogdiana’s Xenippa, sowie das weiter unten genannte Nautaca lag, ist ungewiß. Letzteres wird für das heutige Karschi gehalten.

8 Ins Lager, wo die Phalanx zurückgeblieben war, in der Landschaft Nautaca. Eben dort hielt er seine Winterquartiere von 328 auf 327. Vgl. Cap. 14.

9 Dieser Name scheint verderbt. Der Marsch ging wahrscheinlich in die östlich von Nautaca gelegene Gebirgslandschaft Parätacene.

10 Vielleicht die 7,38 erwähnten Sacer. Man müßte dann annehmen, daß sie wieder abgefallen seien.

11 Daher der Name Argyraspiden, d. i. Silberbeschildete.

12 Dieser zu Alexanders Zeit lebende übelberufene Dichter ist weder mit dem alten Tragiker Chörilus aus Athen, noch mit dem Epiker Chörilus aus Samos zu verwechseln.

13 Callisthenes aus Olynth, Philosoph und Geschichtschreiber, war mit Alexander zugleich von Aristoteles unterrichtet worden und begleitete den König auf seinem Zuge. Von großer Begabung und sittlich reinem Charakter, zog er sich durch zu unvorsichtige Frelmüthigkeit den Haß das Königs zu und führte so sein tragisches Ende herbei.

14 S. 5,26.

15 Nach griechischem Gelde ungefähr 500 Goldstücke à 5 Th.

16 Curtius hat sich in seiner Schilderung des Herganges übereilt, indem er oben das Gelag bis in die zweite Stunde nach Tagesanbruch fortdauern, die Anzeige dagegen noch im Dunkel der Morgendämmerung erfolgen läßt.

17 Vgl. 6,42.

18 Nur geborene Macedonier hatten das Recht, von ihres Gleichen gerichtet zu werden; die Entscheidung über Callisthenes durfte also der König allein fassen.

19 Ueber Callisthenes’ Ende berichten die Geschichtschreiber Verschiedenes. Nach Einigen soll er nach siebenmonatlicher Haft im Gefängniß an einer Krankheit gestorben, nach Andern verbrannt worden sein. Die hier berichtete Verschwörung der Pagen ereignete sich zu Bactra im Frühjahre 327.

20 Das jetzige Dekan, die gebirgige Halbinsel Vorderindiens. Mit dem Caucasus ist hier der Himalaya gemeint. Zwischen diesem Gebirge und dem Dekan dehnt sich die große indische Ebene aus.

21 S. 3,4 Anm. 17. Nach dieser Stelle würde also der Name des rothen Meeres auch auf den bengalischen Meerbusen ausgedehnt.

22 Die Schilderung von der stürmischen Vereinigung des Acesines und Indus ist unrichtig, da der Indus hier in Wirklichkeit ein sehr sanftes Gefälle hat; dagegen paßt sie auf die Vereinigung des Acesines mit dem Hydaspes. Dieselbe Verwechselung kehrt 9,15 wieder.

23 Welche Flüsse Indiens durch die Namen Dyardanes und Ethimantus bezeichnet sind, ist ungewiß.

24 Durch den Nordwind (aquilo) bezeichnet C. hier den vom Mai bis zum September in jenen Gegenden herrschenden Südwest-Monsun, der eine Sturm- und Regenzeit mit sich bringt. Er nennt ihn einen Nordwind, weil der in den griechischen Meeren zu bestimmten Zeiten herrschende Passat ein Nordwind ist.

25 Der griechische Name dieses Meeres war Ἐρυθρὴ θάλασσα, das Adj. ἐρυθρός aber bedeutet „roth“.

26 Es sind Papageien gemeint.

27 „Wahrscheinlich ist damit auch der Palanquin gemeint, der auf den Rücken des Elephanten gesetzt ward, und in dem sich der Fürst befand.“ Mützell.

28 Es wurde also vom ersten bis zum letzten Viertel, und wieder vom Letzten bis zum ersten Viertel gerechnet. Noch heute theilen die Inder jeden ihrer 12 Monate in zwei Hälften.

29 „Curtius übergeht hier die Angabe des Marsches aus Bactra nach der großen Straße, die durch das Cabulthal nach Indien führte.“ Mütz.

30 Meros bedeutet im Griechischen (μηρός) den Oberschenkel. Dieser heilige Götterberg der Inder, altind. Meru, ist nach Kiepert „zu suchen, wo der Himalaya an seinem Nordwestende mit der von Osten nach Westen streichenden Kette deß Paropamisus sich kreuzt und zu den höchsten Schneegipfeln erhebt.“

31 S. 9,42.

32 Der Choaspes scheint ein und derselbe Fluß mit dem Choes bei Arrian (4,23,2), wahrscheinlich der heutige Alingar, ein nördlicher Nebenfluß des Cabul.

33 Bei Andern führt das Volk den Namen Assacaner. Es stimmen nämlich bei den indischen Völkerschaften öfter die Volks- oder Städtenamen mit den Königsnamen überein. So heißt die Hauptstadt des Cap. 42 genannten Taxilus auch Taxila. Vgl. auch 9,31.

34 Die den Thurm fortstoßenden Soldaten befanden sich theils im Innern desselben, theils auf seiner hinteren Seite.

35 Aornis (ἄορνις) ist ein griechischer Name und bedeutet „ohne Vögel, für Vögel unzugänglich“.

36 Dieser Bericht des Curtius ist aus Arr. 4,29 zu ergänzen. Der alte Inder führte eine Abtheilung leichter Truppen, als deren Anführer bei Arr. Ptolemäus genannt wird, auf einen der Felsburg zunächst liegenden Gipfel. Nach hartem Kampfe gelang es Alexander, sich hier mit Ptolemäus zu vereinigen; und nun ging man daran die breite Schlucht, welche diesen Gipfel von der Felsburg schied, durch einen Damm auszufüllen.

37 Die sechzehn Tagemärsche sind von Ecbolima, oder wie es Arr. nennt, Embolima aus zu rechnen. Das Heer hatte sich also nicht unmittelbar am Indus hinabbewegt.

38 Curtius erwähnt nicht besonders, daß hier der Uebergang über den Indus wirklich erfolgte. Er geschah theils auf einer Schiffbrücke, theils auf Kähnen. Die Stelle ist wahrscheinlich unmittelbar nördlich vom Einflusse des Cabul in den Indus zu suchen, in der Nähe des heutigen Attock.

39 Also bereits jenseits des Indus. Nach einer Nachricht bei Strabo (15,691) erfolgte der Einmarsch in das Reich des Taxiles mit Beginn des Frühjahres 326, so daß anzunehmen ist, die Winterquartiere seien irgendwo in der Nähe des Indus gehalten worden.

40 Jetzt Behat oder Dschêlam.

41 S. 6,24.

42 Im Herbst und Winter konnte der Fluß leichter überschritten werden, Alexander langte aber gegen Ende April oder Anfang Mai daselbst an, wo die Gewässer theils durch Regen, theils durch das Schmelzen des Schnees schon gestiegen waren.

43 Dies ist nicht so zu verstehen, als ob man auf die Insel selbst zugefahren wäre, um daselbst zu landen, sondern man hielt sich dicht an deren nördlichem Ufer, um möglichst lange durch sie gedeckt zu bleiben. Die Schilderung des Ueberganges giebt genauer Arr. 5,11 ff. Jene waldige Insel lag 150 Stadien (=3½ Meilen) auswärts von dem ursprünglichen Lagerplatze. Die Truppen, welche des Porus Aufmerksamkeit beschäftigen sollten, führte nicht Ptolemäus, sondern Craterus. Der Uebergang sollte erst nachts erfolgen, wurde aber durch das Unwetter bis zum Morgen verzögert.

44 Dies widerspricht dem Cap. 46 Erzählten. Siehe jedoch die dortige Bemerkung.

45 Nach Arr. 5,19,3 fiel die Schlacht gegen Porus in den Monat Munichion von Ol. 113, 2, der dem 18. April bis 18. Mai des Jahres 326 v. Chr. entspricht.