2. Buch

Ornament

Übersetzung

1 [39] Als nun die Verschwornen den Commodus aus der Welt geschafft hatten, wie im ersten Buche dieser Geschichte erzählt worden ist, wickelten sie den Körper, um das Vorgefallene zu verheimlichen und die Aufmerksamkeit der in der Kaiserburg Wache haltenden Garden zu täuschen, in irgend einen alten unscheinbaren Teppich, schnürten ihn darin fest, luden ihn auf die Schultern von zwei ihnen ergebenen Sklaven, und lassen ihn so, wie wenn es irgend ein überflüssiges Geräth des kaiserlichen Zimmers wäre, hinaustragen. Die Sklaven tragen ihn mitten durch die Leibwächter, von denen die einen betrunken, die wachenden aber gleichfalls von Schläfrigkeit halb übermannt waren, und mit den Speeren in den Händen, sich stützend auf dieselben, einnickten, während die übrigen endlich sich nicht darum kümmerten, was das sein möchte, was da aus dem Zimmer getragen wurde, da es sie ja nicht interessirte, es zu wissen. Der Leichnam des Kaisers wurde also heimlich aus dem Thore der Hofburg gebracht, worauf man ihn Nachts auf einen Wagen lud und auf einen Landsitz außerhalb der Stadt1 abführte. [40] Lätus und Eklektus berathschlagten jetzt mit der Marcia, was zu thun sei. Sie beschlossen, über seinen Tod das Gerücht auszusprengen, er sei plötzlich an einem Schlaganfalle gestorben. Dieses Gerücht würde, wie sie meinten, hinreichenden Glauben finden, da sein unersättliches und übermäßiges Tafeln längst verrufen war. Dann beschlossen sie vor allen Dingen, irgend einen bejahrten und einsichtsvollen Mann für die Nachfolge in der Regierung auszuwählen, um einerseits das Schicksal ihrer eigenen Personen zu sichern und andrerseits nach der so herben und ungezügelten Tyrannei alle Welt wieder frei aufathmen zu lassen. Als sie das nun so bei sich überlegten, fanden sie keinen, der dazu so tauglich gewesen wäre, wie Pertinax. Dieser Pertinax war ein Italiker von Abkunft, hatte sich als Krieger und Staatsmann vielfach mit Ruhm bethätigt, hatte über die Germanen und die Völker des Ostens viele Siegeszeichen aufgerichtet, und war der einzige, welcher aus der Zahl der ehrwürdigen Freunde von Commodus’ Vater noch übrig geblieben war. Commodus hatte ihn nicht getödtet, obwohl er unter den Freunden und Feldherrn des Markus als der geehrteste dastand, sei es, weil er gegen seinen ehrwürdigen Charakter einen Rest von Achtung empfand, oder weil er in ihm einen armen Mann sah. Denn auch das gehörte zu den ruhmwürdigen Verdiensten des Mannes, daß er, der mehr als Alle unter seinen Händen gehabt hatte, weniger als Alle an Vermögen besaß. Zu diesem Pertinax begaben sich nun also in tiefer Nacht, während Alles in den Armen des Schlafes lag, Lätus und Eklektus im Gefolge einiger wenigen von den Mitverschwornen. Da sie die Thüren seines Hauses verschlossen fanden, wecken sie den Thürhüter aus dem Schlafe. Als derselbe geöffnet und die vor der Thür stehenden Soldaten, sowie den Lätus erblickt hatte, von dem er wußte, daß [41] derselbe Befehlshaber der Garde sei, entsetzte er sich und macht voll Schrecken seinem Herrn Meldung. Der aber heißt sie eintreten, indem er sagt: jetzt werde wohl die lange vorausgesehene letzte Schreckensstunde kommen. Jedenfalls bewahrte er, wie man sagt, eine so große Seelenruhe, daß er nicht einmal von seinem Ruhebette aufsprang, sondern in seiner Lage verharrte, und den mit dem Lätus eingetretenen Eklektus, obschon er glaubte, daß sie kämen, um ihn zu ermorden, begrüßte, und mit ruhigem Angesicht und ohne die Farbe zu wechseln sprach: „Schon längst und jede Nacht erwartete ich ein solches Ende des Lebens, und allein noch unter den Freunden seines Vaters übrig gelassen, wunderte ich mich fortwährend, daß Commodus so lange zögerte, mich an die Reihe kommen zu lassen. Was zaudert Ihr also? Ihr werdet thun, was Euch befohlen worden ist, und ich werde von einer schlimmen Aussicht und beständigen Furcht befreit werden.“ Darauf erwiederte Lätus: „Höre endlich auf, Dinge zu reden, die deiner und deines früheren Lebens unwürdig find! Nicht dein Verderben ist der Endzweck unseres gegenwärtigen Kommens, sondern unsere eigne und des Römerreiches Rettung. Der Tyrann liegt am Boden, er hat die Strafe erhalten, die ihm zukam, und was er selbst uns anzuthun gedachte, von uns erlitten. Wir aber kommen, um die Kaiserwürde dir in die Hand zu legen, von dem wir wissen, daß er in der Körperschaft des Senats an Würdigkeit der Lebensführung, Größe des Ansehens und Ehrwürdigkeit des Alters obenansteht, und ein Gegenstand der Liebe und Ehrerbietung bei dem Volke ist. Darum glauben wir, wird, was wir jetzt thun, jenen erwünscht und für uns ein Mittel zu unserer Rettung sein.“ Dagegen versezte Pertinax: „Wollt Ihr nicht endlich aufhören, einen alten Mann zum Besten zu haben und ihm eine solche Schwäche zuzutrauen, daß Ihr mich erst berücken, und dann tödten wollt?“ „Nun wahrlich,“ sprach Lätus, „da du unsern Worten bisher keinen Glauben geschenkt hast, so nimm diese Schreibtafel hier – Du kennst ja des Commodus Hand, da du gewohnt bist, sie zu lesen2 – und lies! Dann wirst du sehen, [42] welcher Gefahr wir entgangen sind, und daß es nicht Täuschung, sondern Wahrheit ist, was wir gesagt haben.“ Nachdem also Pertinax das Geschriebene durchgelesen und sich überzeugt hatte, daß er den ihm ja auch sonst früher befreundeten Männern Glauben schenken könne, ließ er sich den ganzen Hergang der Dinge erzählen, und fügte sich ihrem Wunsche.

2 Zunächst beschließt man nun, sich zum Lager3 zu begeben und die Stimmung der Soldaten zu versuchen. Lätus nahm es über sich, dieselben zu gewinnen, da sie denn doch vor ihm, als ihrem Oberbefehlshaber, einen gewissen Respekt hatten. Man nahm also auch die übrigen Anwesenden mit, und begab sich eilig zum Lager. Auch war bereits der größte Theil der Nacht schon verstrichen, und da das Fest bevorstand, wurde Alles vor Tagesanbruch abzumachen versucht. So schicken sie denn einige zuverlässige Leute aus, welche die Nachricht herumbringen mußten, daß Commodus gestorben und Pertinax auf dem Wege in’s Lager sei, um sich zum Kaiser ausrufen zu lassen. Als sich diese Kunde verbreitet hatte, überließ sich das gesammte Volk, wie vom Enthusiasmus ergriffen, dem ausgelassensten Jubel; jeder meldete die Nachricht hoch erfreut seinen Angehörigen und zumal den Angesehenen und Reichen, denn auf diese wußte man, daß es Commodus vorzugsweise abgesehen hatte. Desgleichen lief man zu den Heiligthümern und Altären und brachte den Göttern Dankgebete dar. Verschieden waren die Ausrufungen, welche man vernahm. Die Einen schrieen: „der Tyrann“, Andere „der Fechter“ liege am Boden, Andere schimpften, stießen noch schmählichere Schandworte [43] aus; und alle die Reden, welche zuvor die Furcht zurückgehalten hatte, sprudelten jetzt, da Gefahrlosigkeit und Freiheit eingetreten war, ungehemmt hervor. Natürlich lief die größte Volksmasse dem Zuge in’s Lager nach. Die Ursache dieses Zudrangs war, daß sie fürchteten, die Soldaten möchten nicht besondere Lust haben, sich die Herrschaft des Pertinax gefallen zu lassen; denn es war leicht vorauszusehen, daß dieselbe als eine voraussichtlich weise den Soldaten nicht sonderlich zusagen werde, die sich gewöhnt hatten, Schergen der Tyrannei zu sein und auf Raub und Gewaltthätigkeit einexerzirt waren. Um dieselben also zu zwingen sich zu fügen, schaarte sich das Volk in hellen Haufen zusammen. Als man nun beim Lager angelangt war, führten Lätus und Eklektus den Pertinax hinein. Lätus ließ die Soldaten zusammentreten und hielt folgende Rede: „Commodus, unser Kaiser, ist am Schlage gestorben. Schuld an diesem Tode ist Niemand anders als er selbst. Denn er hörte nicht auf uns, die wir ihm stets zu seinem Heile und Besten riethen, lebte vielmehr, wie Euch nicht unbekannt ist, und ward so durch Ueberladung des Magens ein Opfer seiner Unmäßigkeit. Ihn also hat das Lebensende hinweggenommen, das ihm bestimmt war; denn nicht eine und dieselbe Todesursache ist für alle Menschen, aber bei aller Verschiedenheit führen sie doch alle zu einem Endziel des Lebens4. Statt seiner führen nun wir und das Volk von Rom Euch einen Mann zu, dessen Alter ehrfurchtgebietend, dessen Leben tadelfrei, dessen Tüchtigkeit durch Thaten bewährt ist. Was die letzteren betrifft, so haben die Aelteren unter Euch Gelegenheit gehabt, seine kriegerischen Thaten kennen zu lernen, während alle übrigen ihn bereits viele Jahre lang stets in seiner Stellung als Gouverneur der Stadt5 geehrt und bewundert haben. So gibt uns denn in ihm die Glücksgöttin nicht nur einen Kaiser, sondern auch einen gütigen [44] Vater, und sein Regierunsantritt wird nicht nur Euch, die Ihr hier die Leibwache seid, mit Freude erfüllen, sondern auch die, welche an den Ufern der Ströme und an den Gränzen des Römerreiches ihre Standlager haben, und die in ihrem Gedächtniß das Andenken an die mit ihm vollbrachten Thaten bewahren. Und die Barbarenvölker werden wir von jetzt nicht mehr mit Geldgeschenken beschwichtigen, sondern sie werden sich in Erinnerung dessen, was sie von ihm, als er den Krieg gegen sie führte, erlitten haben, aus Furcht botmäßig erweisen.“ Als Lätus also sprach, hielt sich das Volk nicht länger, und während die Soldaten noch unschlüssig zauderten, ruft es ihn als „Augustus“6 aus, nennt ihn Vater, und feiert ihn mit allen möglichen glückwünschenden Zurufen. Da stimmten denn auch die Soldaten, freilich nicht mit gleichem Eifer, sondern durch die Anwesenheit der zahlreichen Volksmenge genöthigt (sie waren nämlich auf allen Seiten vom Volke umringt, gering an Zahl, und des nahen Neujahrfestes wegen ohne Waffen), in den Ruf mit ein, und begrüßten den Pertinax als Augustus. Sie leisteten den hergebrachten Schwur auf seinen Namen, man opferte, und mit Lorbeerzweigen in den Händen geleiteten ihn das ganze Volk und das Militär, da nun auch das Frühroth hereinbrach, in die kaiserliche Hofburg7.

3 [45] Als Pertinax solchergestalt sich in der kaiserlichen Wohnung installirt sah, zu der ihn, wie vorher erzählt worden, Soldaten und Volk bei nächtlicher Weile hinaufgeleitet hatten, fand er sein Gemüth von schweren Sorgen bestürmt. Und obschon er für einen Mann von starkem und auf Alles gefaßten Herzen galt, so beunruhigte ihn doch die gegenwärtige Lage, nicht so sehr aus Sorge für seine eigne Sicherheit (denn er war ein Mann, der oft größere Gefahren verachtet hatte), als vielmehr durch die Erwägung des schnellen Sturzes der Herrschaft des Tyrannen und des alten Adels einiger Mitglieder des Senats, die seiner Meinung nach es sich nicht gefallen lassen würden, daß nach einem Kaiser von so hocherlauchter Abkunft der Thron einem Manne zufalle, der von einem geringen und unberühmten Geschlechte dazu gelange. Denn wenn auch sein Lebenswandel wegen seiner Rechtschaffenheit beliebt war, und sein Name durch seine Thaten als Kriegsmann einen guten Klang hatte, so stand er doch, was den Adel der Geburt anbetraf, den edlen Patriziern weit nach. So schritt er denn, als es Tag geworden war, in die Kurie des Senats hinab, ohne sich das Feuer vorantragen8, oder sonst eins der Symbole kaiserlicher Würde9 vor sich erheben zu lassen, bevor er sich über die Stimmung des Senats vergewissert hatte. Als ihn nun gleich bei seinem Erscheinen alle einstimmig mit Glückwunschrufen empfingen und ihn mit den Namen Augustus und Kaiser begrüßten, versuchte er doch anfangs die Herrscherwürde, die man ihm beneiden würde, von sich abzulehnen, bat, sein Alter vorschützend, man möge ihm die Ablehnung gestatten, und fügte hinzu: es seien viele Patrizier da, für welche die Kaiserwürde besser passen werde. Endlich nahm er den Glabrio bei der Hand, zog ihn von seinem Sitze, und hieß ihn auf dem kaiserlichen Throne Platz nehmen. Es war dies der erlauchteste aller Patrizier – er leitete sein Geschlecht bis auf Aeneas, den Sohn Aphrodite’s [46] und des Anchises, zurück – und hatte eben erst zum zweitenmale das Konsulat verwaltet. Der aber sprach: „Nun wohl! ich selbst, den du für den Würdigsten von uns allen hältst, trete vor dir und deinen Ansprüchen auf den Thron zurück, und ich und wir Alle beschließen, dir die unumschränkte Gewalt zu übertragen.“ Da erst, als Alle mit Vorstellungen und Bitten ihn bedrängten und bestürmten, bestieg er zaudernd und wider Willen den kaiserlichen Thron und hielt folgende Rede: „Eure für mich so ehrenvolle Bereitwilligkeit und das Uebermaß der Beeiferung, womit Ihr mir vor so vielen erlauchten Personen unter Euch den Vorzug gabt, möchte vielleicht, da hier kein Verdacht der Schmeichelei, sondern ein Beweis und eine Bürgschaft Eures Wohlwollens vorliegt, einem Andern Muth und Zuversicht einflößen, bereitwillig das Gebotene anzunehmen, und ihm zugleich die Hoffnung auf eine leichte Aufgabe vormalen, daß es ihm keine Schwierigkeit sein werde, umgeben von so wohlgesinnten Unterthanen, die Regierung durchzuführen. Mich aber erschrecken diese Beweise großer Hingebung, deren Ehre ich tief empfinde, und flößen mir nicht geringe Besorgniß und Bewegung ein. Denn wo große empfangene Wohlthaten vorliegen, da ist es schwer, die entsprechende Wiedervergeltung zu ermöglichen. Ja es steht bei diesem Austausch von Wohlthat und Dank die Sache vielmehr so, daß zwar in Fällen, wo Einer kleine empfangene Wohlthaten mit ungleich größerer Gegenleistung vergilt, die Menschen nicht sowohl auf die Leichtigkeit solcher Vergeltung, als vielmehr auf die bewiesene Dankbarkeit mit ihrem Urtheil Rücksicht nehmen; in Fällen dagegen, wo derjenige, der uns zuerst eine Wohlthat erwiesen, uns damit einen Dienst geleistet hat, der nicht übertroffen werden kann, da bringt man bei der unzulänglichen Gegenleistung nicht sowohl die Schwierigkeit der Aufgabe in Anschlag, als man vielmehr gleich mit den Ausdrücken „gefühllos“ und „undankbar“ bei der Hand ist. Darum sehe ich denn auch keine gewöhnliche Aufgabe vor mir, wenn ich mich der mir von Euch angethanen Ehre würdig erweisen soll. Denn nicht in dem Sitze besteht der Vorsitz, sondern in den Thaten, wenn man demselben keine Schande macht. Je größer der Haß gegen die nichtswürdige Vergangenheit ist, um so größer ist die Hoffnung auf eine glänzende Zukunft. Und schwere [47] Unthaten bleiben stets im Gedächtniß (denn das, was uns Schaden zugefügt hat, verwischt sich nicht so leicht), das Gute aber zehrt mit dem Genusse auch die Erinnerung daran auf; denn die Lust, welche die Freiheit gewährt, ist nicht so groß, als der Schmerz, welchen die Knechtschaft erzeugt, und wer sein Eigenthum in sorgloser Ruhe genießt, weiß das Keinem Dank, sondern glaubt nur zu genießen, was ihm zukommt; wer aber sein Hab und Gut verliert, der gedenkt ewig dessen, der ihn darum gebracht hat. Auch wenn im Staatsleben eine Veränderung geschieht, die dem Gemeinwohl zu Gute kommt, so glaubt Niemand, daß er persönlich davon einen besondern Vortheil habe; denn um das Gemeinnützige und das Interesse des gemeinen Wesens kümmern sich die Einzelnen wenig. Wenn es dagegen mit seinen Privatinteressen nicht nach Wunsche vorwärts geht, so glaubt jeder10 nicht eben viel gewonnen zu haben. Diejenigen, welche sich gewöhnt haben, von den unverständigen und verschwenderischen Freigiebigkeiten der Tyrannei üppig zu leben, nennen die Umwandlung in ein maßvolleres und gemesseneres, auf die erschöpften Finanzen Rücksicht nehmendes Regiment nicht eine weise, angemessene und überlegte Verwaltung, sondern schimpfen sie Kleinkrämerei und jämmerliches Leben, ohne zu bedenken, daß das viel und auf’s Gerathewohl Losschenken nicht möglich wäre, wenn nicht Raub und Gewalt die Mittel dazu lieferten, und daß die Maxime: alle Gunstbeweise mit Verstand, und nach dem jedesmaligen Verdienste zu ertheilen, ohne etwas Gewaltsames zu thun, da sie nicht auf ungerechte Art den Schatz füllt, weise Sparsamkeit lehrt in der Verwendung des rechtlich Erworbenen. Diese Ueberzeugungen also müßt Ihr mit mir theilen und mich unterstützen, und indem Ihr die Regierung des Reichs als unsere gemeinsame Aufgabe und Euch als Mitglieder einer Herrschaft der besten, aber nicht als Unterthanen einer absoluten Regierung betrachtet11, selbst guter Zuversicht sein, und dieselbe bei allen Unterthanen zu erwecken suchen.“ [48] Durch solche Worte erhob Pertinax das Selbstgefühl des Senats, und begrüßt von dem Jubelrufe Aller, und mit allen erdenklichen Beweisen ihrer Hochachtung und Verehrung überhäuft, wurde er zum Jupiterstempel und von da zu den übrigen Gotteshäusern geleitet, und kehrte, nach Vollziehung der bei dem Regierungsantritt des Kaisers üblichen Opfer, in die Hofburg zurück.

4 Als sich nun die Kunde von dem, was er zum Senate gesprochen, und von seinen schriftlichen Erlassen an das Volk verbreitete, freuten sich Alle über die Maßen, weil sie erfahren hatten, daß sie an ihm einen ehrwürdigen und milden Regenten und Vater, nicht einen Kaiser haben würden. Denn er befahl den Soldaten, sich allen Uebermuths gegen die Civilisten zu enthalten, keine Streitäxte in den Händen zu tragen, keinen Vorübergehenden zu schlagen, kurz er versuchte alles Mögliche, um Ordnung und Mannszucht zurückzuführen. Wenn er im Publikum oder bei den Gerichtsverhandlungen erschien, zeigte er sich stets von mildem und leutseligem Wesen. Durch sein eifriges Bestreben mit dem Regiment des Markus zu wetteifern und es nachzuahmen, erfreute er die Aelteren, die ihre Jugenderinnerungen neu erweckt sahen, und gewann sich von allen Andern, die sich aus einer brutalen und frechen Tyrannei in einen vernünftigen und gesicherten Lebenszustand versetzt sahen, gar bald allgemeine Zuneigung. Und als die Freude von seinem milden Regiment sich rasch zu allen auswärtigen Völkern und zu allen Heereslagern, zu allem, was den Römern unterthänig oder ihnen befreundet war, verbreitete, zwang sie alles zur Bewunderung seiner Regierung. Ja selbst diejenigen Barbarenvölker, welche bisher sich gegen die römischen Zügel gesträubt und in Aufständen versucht hatten, unterwarfen sich, in fürchtender Erinnerung an seine in früheren Feldzügen erprobte Tapferkeit, sowie im Vertrauen auf seinen Charakter, daß er ungereizt nie Jemandem zu nahe treten werde, jeden nach seinem Verdienst behandle, ebenso fern von unschicklicher Gunstbezeugung als von brutaler Vergewaltigung, freiwillig seiner Herrschaft; und Gesandtschaften von aller [49] Welt Enden her kamen an zum Zeichen, daß alle Welt sich darüber freue, daß Pertinax das römische Reich regiere12. Alle Menschen hatten solchergestalt öffentlich und privatim an der wohlgeordneten und milden Regierung ihre Freude. Was aber alle Welt erfreute, das ärgerte allein die in Rom stehenden Soldaten, welche die Leibwache der Kaiser bilden. Gehindert an Raub und Gewaltthätigkeit und zu Ordnung und Mannszucht aufgefordert, sahen sie in dem sanften und milden Regimente einen übermüthigen Angriff auf ihre eigene Ehre und einen Eingriff in ihre privilegirte Zügellosigkeit, und mochten daher das wohlgeordnete neue Regiment nicht ertragen, sondern sie begannen zunächst damit, sich allmälig widerwillig und ungehorsam gegen das, was ihnen befohlen wurde, zu bezeigen, zuletzt aber, als noch nicht zwei volle Monate seiner Herrschaft verflossen waren, und er bereits in dieser kurzen Zeit viele weise und vortreffliche Regierungshandlungen gethan, und die besten Hoffnungen auf die Zukunft bei den Unterthanen erregt hatte, warf das Schicksal voll argen Neides alles wieder über den Haufen, und verhinderte die Vollendung so herrlicher und für die Unterthanen des Kaisers so hochersprießlicher Unternehmungen. Zuvörderst nämlich gestattete er, daß in ganz Italien und den übrigen Provinzen alles unbebaut und völlig brach liegende Ackerland jedweder soviel er davon wolle und könne, selbst wenn es kaiserliches Eigenthum sei, in Besitz nehmen dürfe, und verordnete, daß dasselbe dem, der es urbar gemacht und bestellt habe, als Eigenthum gehören solle. Ferner gab er solchen Neubauern völlige Steuerfreiheit auf zehn Jahre, und den ungekränkten Besitz auf alle Zeit. Die kaiserlichen Domänen verbot er auf seinen Namen zu registriren, indem er sagte: sie seien nicht Privateigenthum des jedesmaligen Kaisers, sondern allgemeines Eigenthum des römischen Staats13. Sämmtliche [50] Zölle, die früher unter Commodus’ Tyrannei, um Geld flüssig zu machen14, ausgedacht, und an den Flußufern, Stadthäfen und auf den Landstraßen eingefordert worden waren, hob er auf und stellte den alten freien Zustand wieder her. Auch würde er sicherlich, wie er wenigstens aus seinen Plänen und Absichten schließen ließ, noch mehr Wohlthaten seinen Unterthanen erzeigt haben, da er bereits dabei gewesen war, die Sykophanten aus der Stadt zu verbannen und sie überall zur Strafe zu ziehen verordnete, indem er dahin strebte, daß Niemand verleumderischen Angriffen und fälschlichen Anklagen preisgegeben sein solle. So war denn vornämlich der Senat, aber auch alle übrigen voll Hoffnung, fortan in Sicherheit und Glück ihr Leben hinzubringen. Denn so schlicht und einfach civil15 war sein Wesen, daß er zum Beispiel seinen Sohn, der bereits ein ziemlich erwachsener Jüngling war, nicht mit sich hinauf in den kaiserlichen Palast ziehen, sondern ihn in dem väterlichen Privathause bleiben und die gewöhnlichen Unterrichts- und Turnanstalten, als wäre er bürgerlichen Standes, wie die übrigen Schüler besuchen und daselbst alle Uebungen durchmachen ließ, ohne daß jemals von kaiserlichem Dünkel oder Hoffarth die Rede sein durfte16.

5 Während nun solchergestalt Zucht und Ordnung sich als die Regel des Lebens erwiesen, waren es allein die Prätorianer, die, [51] unzufrieden mit den gegenwärtigen Zuständen, und sich zurücksehnend nach den Räubereien und Gewaltthätigkeiten, deren sie sich neben dem üppigen und schlemmerischen Leben unter der vorigen Tyrannenregierung zu erfreuen hatten, den Entschluß faßten, sich des Pertinax, der ihnen lästig und verhaßt war, zu entledigen und sich einen Kaiser auszusuchen, der ihnen ihre rand- und bandlose Freiheit wieder geben würde. Urplötzlich also, während kein Mensch etwas davon abnte, sondern Alles in Ruhe lebte, stürmen sie mit Wuth und unsinniger Leidenschaft aus dem Lager vor, und rücken mit gefällten Speeren und gezogenen Schwertern gegen den Kaiserpalast an. Von dem Unerwarteten und Ueberraschenden dieses Angriffs in Schrecken gesetzt hielten die kaiserlichen Hofdiener, da sie zumal nur Wenige gegen Viele und unbewaffnet gegen Bewaffnete waren, nicht Stand, sondern jeder verließ den ihm theils beim Vorhofsthore, theils bei den andern Eingängen anvertrauten Posten und nahmen die Flucht. Nur einige wenige Getreue meldeten dem Pertinax das Heranziehen (der Meuterer) und redeten ihm zu, sich fortzumachen und sich dem Schutze des Volkes anzuvertrauen. Aber obschon ihr Rath unter den gegenwärtigen Umständen heilsam war, so gab er ihnen doch kein Gehör, sondern hielt ihn für unehrenhaft und unanständig, und weder seiner Kaiserwürde noch seinem früheren Leben und Handeln entsprechend, und konnte sich nicht entschließen zu fliehen oder sich zu verstecken. Vielmehr bot er der Gefahr die Stirn und schritt hinaus, um zu ihnen zu sprechen, in der Hoffnung, sie zu überreden und von ihrem unsinnigen augenblicklichen Vorhaben abzubringen. So trat er denn aus seinem Kabinette hervor ihnen entgegen, suchte die Ursachen ihrer Wuth zu erfahren, und versuchte sie zu bewegen, nicht in unsinniger Leidenschaft zu handeln, wobei er auch in solchem Augenblicke noch seine besonnene und ehrfurchtgebietende Haltung behielt, die Würde des Kaisers behauptete und in keinerlei Art die Haltung eines Erschreckten, Muthverlassenen und Bittenden zeigte. „Für mich, sprach er, ist der Tod von Euren Händen nichts Großes oder Schweres, da ich ein alter Mann bin, der seine Laufbahn bis in sein hohes Alter mit Ehren vollendet hat. Denn jedem Menschenleben muß nothwendig ein Ziel gesetzt werden. Wenn aber Ihr, die Ihr Garden und Leibwächter des Kaisers sein wollt, denen [52] es obliegt, die von Außen her an ihn kommenden Gefahren abzuwenden, selbst seine Mörder werdet, und Gure Hände nicht nur mit dem Blute eines Mitbürgers, sondern sogar Eures Kaisers befleckt, so sehet wohl zu, daß Euch diese That außer dem Frevel des Augensblicks nicht auch künftig gefährlich werde. Ich bin mir nicht bewußt, Euch irgend etwas zu Leide gettan zu haben, und wenn Ihr wegen Commodus’ Tod ergrimmt seid, so ist doch nichts Wunderbares darin, daß ihn, da er ein Mensch war, der Tod erreicht hat. Meint Ihr aber, dieser Tod sei Folge einer Verschwörung gewesen, so habe ich wenigstens an derselben keine Schuld. Denn Ihr wißt, daß ich außer allem Verdachte stehe, und über die damaligen Vorfälle ganz ebenso in Unwissenheit war, wie Ihr, so daß Ihr, wenn Ihr irgend Verdacht habt, ihn gegen Andre richten müßt. Aber obschon jener nicht mehr ist, soll es Euch doch an nichts mangeln, was Ihr mit Anstand und nach Verdienst und ohne Anwendung von Raub und Zwang gegen mich fordert.“ Durch solche Vorstellungen war er nahe daran, auf Einige von ihnen Eindruck zu machen, ja nicht Wenige begannen bereits sich unvermerkt davon zu machen, da das ehrwürdige Alter des Kaisers sie mit Achtung erfüllte. Allein während der Greis noch fortsprach, stürzten andere auf ihn zu17, und ermorden ihn. Nachdem sie diese gräßliche That vollbracht, erschracken sie über das, was sie gewagt, und in der Absicht, dem Angriffe des Volks zuvorzukommen, und zugleich überzeugt, daß das Volk ihre That sehr übel aufnehmen werde, eilten sie im Laufschritt wieder in ihr Lager zurück, verrammelten alle Thore und Eingänge, hielten sich innerhalb der Mauer und stellten Posten auf die Thürme, um einen etwaigen Angriff des Volkes gegen die Mauer abzuwehren. Solch ein Ende nahm Pertinax18 nach einem Leben und einer Sinnesart, wie sie zuvor geschildert worden.

6 [53] Als sich nun aber die Kunde von der Ermordung des Kaisers im Volke verbreitete, ergriff Bestürzung und Trauer alle Welt, und Alles rannte wie besessen umher. Es war aber eine planlose Aufregung, welche das Volk ergriff, man suchte nach den Thätern und vermochte doch weder sie zu finden noch zu bestrafen. Am allerschwersten aber empfanden und für ein allgemeines Unglück hielten das Geschehene die Mitglieder des Senats, die einen gütigen Vater und einen trefflichen Vorstand verloren hatten. Und auf’s Neue erhob sich die Furcht vor Tyrannei, da man vermuthete, daß eine solche der Wunsch der Soldaten sei. Als nun so der eine und der zweite Tag hingegangen war, zog sich das Volk, das zu fürchten anfing, jeder auf seine Hand zurück, und die Hochgestellten eilten davon auf ihre von der Stadt entlegensten Landgüter, um nicht durch ihre Anwesenheit in Folge des bevorstehenden neuen Regiments in Gefahr zu gerathen. Die Soldaten dagegen, als sie merkten, daß das Volk sich ruhig verhielt und Keiner wagte, sich gegen sie wegen des vergossenen kaiserlichen Bluts zu erheben, hielten sich zwar fortwährend innerhalb ihres Lagers verschlossen, ließen aber diejenigen ihrer Kameraden, welche die stärksten Stimmen hatten, auf die Mauer steigen und boten durch Heroldsruf die Kaiserwürde aus, indem sie versprachen, dem Meistbietenden das Regiment zu übergeben und ihn unter dem Schutze ihrer Waffen sicher in die kaiserliche Hofburg einzuführen19. Als diese Bekanntmachung sich verbreitete, näherte sich nun zwar Niemand von den angeseheneren und tüchtigeren Senatsmitgliedern, sowie keiner von den Hochgebornen und Reichen, welche die Tyrannei des Commodus noch übrig gelassen hatte, dem Lager, oder bezeigte Lust, auf so unwürdige und schmachvolle Art durch Geld den Thron zu erkaufen. Dagegen kam an einen gewissen Julianus, der bereits [54] die Konsulwürde bekleidet hatte und für sehr reich galt, die Nachricht von dem Ausgebote der Soldaten, während derselbe gerade spät Abends ein Gastgebot hielt und trunken und schlemmend bei Tafel saß; er war nämlich einer von denen, welche durch ihr wüstes Leben verrufen waren. Diesen also bereden seine Frau und seine Tochter, sowie seine zahlreichen Schmarotzer, vom Ruhebette aufzuspringen, zum Lager hinzueilen und zu erfahren, was es gebe. Den ganzen Weg über reden sie ihm zu, die hingeworfene Krone aufzunehmen, und reich, wie er ja sei, alle mit Geld zu überbieten, falls wirklich Einige ihm dieselbe streitig machen möchten. Als er also zu der Mauer (des Lagers) gekommen war, rief er überlaut: er verspreche ihnen zu geben, soviel sie verlangten, und fügte hinzu, daß er Geld die Fülle und Schatzbehälter voll von Gold und Silber im Hause habe. Um dieselbe Zeit kam auch Sulpicianus, ein Mann, der ebenfalls bereits Konsul gewesen und Präfekt der Hauptstadt20 geworden war – er war der Vater der Frau des Pertinax – herbei, um den Thron zu erstehen. Allein diesen ließen die Soldaten nicht zu, weil sie seine Verwandtschaft mit Pertinax fürchteten, und besorgten, es möchte das eine List sein, um jenes Mord zu rächen, vielmehr ließen sie eine Leiter herab und brachten so den Julianus auf die Mauer herauf. Denn die Thore wollten sie nicht eher öffnen, ehe sie sich über das Wieviel dessen, was sie erhalten sollten, vergewissert hätten21. Als er zu ihnen hinaufgekommen war, versprach er ihnen, das Andenken des Commodus und die demselben gebührenden Ehren, sowie die Standbilder desselben, welche der Senat hatte fortschaffen lassen, wieder zu erneuern, und ihnen alle Freiheit, welche sie unter seiner Regierung genossen, wiederzugeben, und jedem Soldaten eine solche Summe Geldes zu zahlen, wie sie weder zu fordern noch zu verlangen gedacht hatten22. Und zwar sollte die Zahlung keinen [55] Aufschub leiden, sondern das Geld sofort aus seinem Hause gesendet werden. Durch diese Versprechungen bewogen und durch solche Aussichten angezogen rufen sie den Julianus zum Kaiser aus und bestimmen, daß er zu seinem eigenen Geschlechtsnamen noch Commodus heißen solle. Darauf erhoben sie ihre Feldzeichen, auf denen sie die Bildnisse des zuletzt genannten wieder herstellen23, und schickten sich an, ihn (zur Kaiserburg) zu geleiten. Julianus verrichtete im Lager zunächst die üblichen Kaiseropfer, und trat dann, von einer ungewöhnlich großen Schaar Leibwächter begleitet, seinen Zug an. Denn da er wider Willen und ohne Zustimmung des Volks schmählicher und schimpflicherweise die Herrschaft erkauft hatte, hatte er allen Grund, den Widerstand des Volkes zu befürchten. Darum thaten die Leibwächter ihre vollständige Rüstung an, schaarten sich dicht in Phalanxordnung zusammen, um im Falle der Noth schlagfertig zu sein, nahmen ihren selbstgemachten Kaiser in die Mitte, indem sie die Schilde und Spieße über seinen Kopf hielten, damit ihn nicht etwa ein Steinwurf von den Häusern herab auf dem Zuge treffe, und führten ihn so in den Kaiserpalast, ohne daß jemand aus dem Volke sich dagegensetzte, aber auch ohne daß einer einen Lebehochruf hören ließ, womit man sonst die Kaiser zu begleiten pflegt. Im Gegentheil stand Alles fernab und schimpfte und schmähte auf ihn, daß er für Geld den Thron erhandelt habe. Damals zuerst begann denn auch die Sittenverderbniß der Soldaten, und lernten sie die unersättliche und niederträchtige Begier nach Geld, sowie die Verleugnung jeder Achtung vor den Herrschern. Denn der Umstand, daß gegen Menschen, die ein so grausames Verbrechen mit ihrem Kaisermorde begangen hatten, keiner sich erhob, und daß Niemand sich fand, der sich dem so schmählich für Geld Ausbieten und Verkaufen der Herrschaft widersetzt hätte, das war der Uranfang und die Ursache ihres schmählichen und ungehorsamen Betragens auch für die Folgezeit, indem ihre Geldgier und die Verachtung [56] der Regenten, die sogar deren Blut zu vergießen nicht anstand, immer höher stieg24.

7 Sobald Julianus den Thron bestiegen hatte, füllte er seine Zeit mit sinnlichen Genüssen und Schwelgereien, und während ihn die Sorge für das öffentliche Wohl unbekümmert ließ, gab er sich ganz einer erniedrigenden Ueppigkeit hin. Auch fand es sich, daß er die Soldaten belogen und betrogen hatte, indem er nicht im Stande war, die ihnen gegebenen Versprechungen zu erfüllen. Denn sein Privatvermögen war lange nicht so groß, wie er geprahlt hatte, und in den öffentlichen Kassen war vollends gar nichts, sondern alle waren ausgeleert worden durch Commodus’ Ueppigkeit und durch seine schonungslosen und unsinnigen Verschwendungen. Ob jener Frechheit und unverschämten Aufschneiderei25 waren die in ihren Hoffnungen getäuschten Soldaten sehr unwillig, und das Volk, das die Stimmung der Soldaten merkte, behandelte ihn mit Verachtung, so daß es auf ihn schimpfte, wenn er sich öffentlich zeigte, und ihn wegen seiner schimpflichen und zweideutigen Lüste verhöhnte. Sogar bis in den Hippodrom26, [57] wo sich hauptsächlich das Volk in Masse versammelt, verfolgten sie den Julian mit ihren Schmähungen. Sie riefen laut den Niger als Retter des römischen Reichs und als würdigen Vertreter des Kaiserthums herbei, und wünschten, daß er ihnen, den schmählich Gemißhandelten, möglichst bald zu Hülfe eilen möchte. Es war aber dieser Niger ein alter Konsular27, der zur Zeit, als diese Vorgänge in Rom sich ereigneten, ganz Syrien verwaltete. Das war damals eine sehr bevölkerte und umfangreiche Statthalterschaft, indem das ganze zum Phönizierstamme gehörende Volk und das Land bis zum Euphrat unter Niger’s Botmäßigkeit war. Er selbst war schon ein Mann in ziemlich vorgeschrittenem Alter, der sich durch viele bedeutende Thaten Ruhm erworben hatte. Es ging von ihm der Ruf eines billigen und gescheidten Mannes, und es hieß, daß er dem Leben des Pertinax nacheifere. Das waren Hauptgründe für die Römer, ihm anzuhangen, und so riefen sie denn auch seinen Namen fortwährend bei den Volkszusammenkünften, und während sie auf den anwesenden Julianus schimpften, grüßten sie jenen, der fern von Rom war, mit kaiserlichen Glückszurufen. Als Niger die Nachricht erhielt von der Stimmung des römischen Volks und von dem unaufhörlichen Rufen nach ihm in den Volkszusammenkünften, machte dieselbe natürlich auf ihn einen großen Eindruck, und er glaubte, daß ihm die Herrschaft gar leicht zufallen werde, zumal da Julian von seinen eignen Soldaten vernachlässigt werde, weil er ihnen die gemachten Geldversprechungen nicht erfüllen konnte, und da er zugleich vom Volke verachtet werde als ein Mensch, der des Thrones, den er erkauft, unwürdig sei. So gibt er sich denn der Hoffnung auf die Kaiserwürde hin. Und zwar besprach er sich zunächst mit einzelnen Obersten28 und Tribunen, sowie mit den ausgezeichnetsten unter den Soldaten niedern Ranges, die er zu sich [58] berief und für sich gewann, indem er ihnen die aus Rom ihm zugekommenen Berichte mittheilte, damit die Kunde davon sich schnell verbreiten und das Vorgefallene unter den Soldaten und den übrigen Bewohnern des Orients ruchbar und bekannt machen möchte. Denn so, hoffte er, würden ihm Alle am leichtesten zufallen, wenn sie erführen, daß er nicht aus eigenem Antriebe als heimlicher Verschwörer nach der Herrschaft trachte, sondern daß er bei seinem Zuge nach Italien der Aufforderung und dem Hülferufe der Römer folge. In der That wurden Alle freudig bewegt und traten unverzüglich auf seine Seite, und lagen ihm auch ihrerseits mit Bitten an, das Regiment zu ergreifen. Das Syrervolk ist nämlich von Natur leichtbeweglich und zur Neuerung des Bestehenden geneigt. Allein es war in ihnen auch eine gewisse Zuneigung für Niger, der im Allgemeinen ein mildes Regiment führte und gern ihre Volksfeste mitfeierte. Neigung zu Festlichkeiten aber liegt im Naturell der Syrer, und zumal die Einwohner der großen und reichen Stadt Antiochia29 feiern fast das ganze Jahr hindurch Feste, theils in der Stadt, theils in den Vorstädten. Da ihnen Niger nun fortwährend Schauspiele gab, für die sie eine außerordentliche Vorliebe haben, und ihnen erlaubte, nach Herzenslust Feste zu feiern und sich zu erlustigen, so stand er natürlich, weil er that, was ihnen wohlgefiel, bei ihnen in Ehren.

8 Im Vertrauen hierauf berief Niger seine Truppen von überall her auf einen bestimmten Tag zu einer Versammlung, bei welcher sich auch die übrige Volksmenge einfand, bestieg die für ihn hergerichtete Rednerbühne, und sprach also: „Mein Charakter und seine Sanftmuth und seine vorsichtige Abneigung gegen große und gewagte Unternehmungen ist, denk ich, Euch seit lange her bekannt. Und in der That würde ich auch jetzt nicht mit dieser Rede vor Euch hingetreten sein, wenn ich allein durch [59] meine eigne Ansicht, oder durch eine unbegründete Aussicht, oder durch eine Leidenschaft, die größer wäre als meine Aussicht, bestimmt worden wäre. Nun rufen mich aber vielmehr die Römer und bestürmen mich unaufhörlich, ihnen die rettende Hand zu reichen, und unsern von den Vorfahren her so glorreichen und ruhmvoll ausgezeichneten Kaiserthron nicht so schmählich in den Staub treten zu lassen. Sowie nun das Unternehmen eines solchen Wagstücks ohne hinlänglichen Grund leichtsinnig und tolldreist ist, so trifft doch auch den, der in unserm Falle solchen Aufforderungen und Bitten gegenüber sich zaudern ablehnend verhält, der Vorwurf der Feigheit und des Verraths. Darum bin ich vor Euch hingetreten, um zu erfahren, wie Ihr über die Sache denkt, und was Ihr glaubt, daß geschehen müsse; denn Ihr sollt meine Rathgeber und Genossen bei dem Vorhaben abgeben, da ja auch die Sache, wenn sie glücklich abläuft, Euch und mir gemeinschaftlich zu Gute kommt. Es rufen mich aber nicht schlechte und nicht windige Aussichten, sondern das Römervolk, dem die Götter die Herrschaft und das Kaiserregiment über die ganze Welt verliehen haben, und der schwankende Thron, den bisher noch keiner wieder festzustellen vermocht hat. Daher wird denn auch unser Unternehmen gefahrlos sein, da wir die Stimmung derer für uns haben, die uns rufen, und keiner da ist, der sich uns entgegenstellen oder Widerstand leisten könnte. Sagen doch die von dort abgeschickten Boten, daß sogar nicht einmal die Soldaten, die ihm für Geld den Thron verkauft haben, zuverlässige Beschirmer und Diener seien, da ja auch er nicht erfüllt habe, was er ihnen versprochen. Was also habt Ihr für eine Ansicht? gebt sie kund!“ Als Niger etwa in dieser Weise gesprochen hatte, rief ihn sogleich das gesammte Militär, sowie die mitversammelte Volksmenge zum Kaiser aus, und begrüßte ihn mit dem Namen Augustus. Sie warfen ihm den kaiserlichen Purpur um, brachten die übrigen Insignien der kaiserlichen Würde, so gut es aus dem Stegreife sich thun ließ, zusammen, trugen ihm das Feuer vorauf, und geleiten ihn so zu den Tempeln von Antiochia und setzen ihn dann in seine eigene Wohnung ein, die sie jetzt nicht mehr als ein Privathaus, sondern als kaiserliche Hofburg betrachteten, und demgemäß äußerlich mit allen Symbolen der kaiserlichen Majestät ausstatteten. [60] Natürlich war Niger über das Alles von Herzen erfreut, und glaubte, daß sein Thron hinlänglich gefestigt sei sowohl durch die Stimme des römischen Volks, als auch durch die eifervolle Anhänglichkeit der ihn umgebenden Menschen. Denn als die Kunde mit Flügelschnelle sich über alle Völker verbreitete, welche das Festland gegenüber von Europa bewohnen, da war keiner, der nicht willig sich beeilte, ihm zu huldigen, und es wurden Gesandtschaften von jenen Völkern nach Antiochia wie zu einem allgemein anerkannten Kaiser abgesendet. Auch die Satrapen und Könige von jenseits des Tigris und Euphrat schickten zu ihm, um ihm Glück zu wünschen, und versprachen, wenn es noth thue, Hülfsleistungen. Er seinerseits erwiederte dies Alles durch freigebige Geschenke, sprach ihnen für ihren Eifer und ihre Anerbietungen seine Erkenntlichkeit aus, ließ ihnen aber sagen, daß er keiner Bundesgenossen bedürfe. Denn sein Thron sei bereits festbegründet, und er werde ohne Blutvergießen Kaiser werden. Durch solche Hoffnungen gehoben vernachlässigte er in träger Ruhe die Sorge für die weitere thätige Ausführung, gab sich ganz dem Wohlleben hin und überließ sich, indem er mit den Antiochenern jubelte, seiner Lust an Festgelagen und Schauspielen. Den Marsch gegen Rom, den er am meisten hätte beeilen sollen, schob er auf die lange Bank; und während es dringend nothwendig war, daß er sich so schnell als möglich zu den in Illyrien stehenden Legionen begeben und sich dieselben gewonnen hätte, ehe ihm ein anderer zuvorkam, machte er ihnen von dem Vorgegangenen nicht einmal die Anzeige, indem er hoffte: die dortigen Truppen würden, wenn sie die Sache früher oder später erführen, sich dem Wunsche der Römer und der Stimmung der im Oriente befindlichen Truppen anschließen.

9 Während er sich nun dies vorspiegelte und sich auf seinen windigen und unklaren Hoffnungen wiegte, kam die Kunde von dem Vorgefallenen nach dem Päoner- und Illyrierlande und zu dem gesammten dortigen Heere, das an den Ufern des Ister und des Rheins [61] zur Abwehr der Barbaren stationirt, das römische Reich bewacht. Es kommandirte aber die gesammten Päonischen Truppen, denn sie gehörten zu einem Kommando, Severus, ein Libyer von Abkunft, als Gouverneur ein eben so tüchtiger als energischer Mann, an harte und rauhe Lebensart gewöhnt, alle Strapatzen mit Leichtigkeit durchhaltend, rasch in seinen Plänen und schnell in der Ausführung dessen, was er geplant hatte. Als dieser nun also die Kunde erhielt, daß der römische Kaiserthron in der Luft schwebe, daß er eine Beute jedes Zugreifenden sei, nahm er im Hinblick auf den Leichtsinn des Einen und auf die Fahrlässigkeit des Andern seinen Entschluß. Es bestimmten ihn aber zu demselben Träume, welche ihm eine solche Aussicht im Voraus angedeutet hatten, und Orakelsprüche und was sonst zu den Vorzeichen für die Kenntniß der Zukunft gehört, die insgesammt als untrüglich und wahrhaft dann Glauben finden, wenn der Zufall es gewollt hat, daß ihnen ein glücklicher Ausgang entsprach. Die meisten dieser Vorzeichen hat er selbst in seiner Autobiographie30 erzählt und in öffentlichen Weibebildern darstellen lassen31. Das letzte aber und zugleich bedeutendste Traumbild, welches ihm zugleich seine Aussichten in vollständiger Klarheit vorstellte, dürfen auch wir nicht übergehen. Um die Zeit, als er die Botschaft erhielt, daß Pertinax die Regierung angetreten, war Severus, nachdem er in offener Versammlung geopfert und die Eidesleistung für Pertinax vollzogen hatte, in seine Wohnung zurückgekehrt und hatte sich bei Einbruch der Nacht kaum zum Schlafe niedergelegt, als er plötzlich ein gewaltiges, mit kaiserlichem Reitzeuge geschmücktes edles Roß zu erblicken glaubte, das auf seinem Rücken den Pertinax trug, der mitten durch die heilige Straße zu Rom daher ritt. Als derselbe aber an den Anfang des Forums gelangte, wo zur Zeit der Demokratie ehemals [62] das Volk seine Versammlungen zu halten pflegte32, da glaubte er zu sehen, wie das Roß den Pertinax abschüttele und zu Boden schleudere, und dann vor ihm, der zufällig dastand, zum Aufsitzen lassen sich ausstrecke, und nachdem er aufgesessen, ihn auf seinem Rücken ohne Anstoß weiter forttrage, bis es mitten auf dem Forum mit dem hoch auf ihm erhobenen Severus fest stehen blieb, so daß er von Allen gesehen und mit kaiserlichen Ehrenbezeugungen begrüßt wurde. Auch befindet sich noch heutigen Tages an jener Stelle eine kolossale in Erz gebildete Darstellung dieses Traumes. Hierdurch wurde der Muth des Severus erhoben, und voll Vertrauen, daß er durch die göttliche Vorsehung auf den Thron berufen worden, machte er sich daran, die Stimmung der Soldaten zu erforschen. Anfangs vertraute er sich nur einzelnen Legionskommandeuren, Tribunen und sonstigen in den Heerlagern angeschenen Individuen an, indem er sich mit ihnen über die Lage des römischen Regiments besprach, wie dasselbe so ganz und gar darniederliege, weil keiner da sei, der es kräftig und würdig verwalte. Dazu verklagte er die in Rom stehenden Soldaten als Verräther, die sich mit dem Blute ihres Kaisers und ihrer Mitbürger befleckt hätten, und sprach es aus, daß man sie dafür zur Verantwortung ziehe und den an Pertinax begangenen Mord rächen müsse. Er wußte nämlich sehr wohl, daß bei allen in Illyrien stehenden Soldaten die Zeit, wo Pertinax ihr Anführer war, noch in gutem Andenken stand; denn derselbe hatte unter des Kaiser Markus Regierung mit ihnen vereint viele Siege über die Germanen erfochten, und zum Feldherrn und Kommandeur der Illyrischen Armeen und Provinzen ernannt, seine Tapferkeit in allen Schlachten gegen die Feinde bewährt und gegen seine Untergebenen stets Wohlwollen und Güte, vereint mit einer vernünftigen und billigen Läßlichkeit, bewiesen. Darum ehrten sie sein Andenken, und waren gegen die, welche sich gegen ihn so grausam vergewaltigt hatten, aufgebracht. Indem also Severus an diesen Vorwand anknüpfte, stimmte er sie [63] leicht für seine Pläne, da er ihnen vorspiegelte: es sei ihm nicht so sehr um den Thron und um die Erlangung der Gewalt für sich zu thun, als vielmehr nur um den Wunsch, das Blut eines so trefflichen Kaisers zu rächen. Wie nun aber körperlich die Menschen dort überaus kräftig und eben so geschickt zum Kampfe, als sehr bereit zum Dreinschlagen sind, so sind sie in gleichem Verhältniß auch geistig dickköpfig, und begreifen nicht leicht, ob etwas mit Schlauheit oder List gesagt und gethan wird. So glaubten sie denn auch dem Severus seine Vorspiegelungen, daß er nur seinem Zorn genugthun und den Mord des Pertinax rächen wolle, und gaben sich ihm ganz zu eigen, so daß sie ihn zum Kaiser erwählten und ihm das Regiment übergaben. Als er sich nun der Päoner versichert hatte, beschickte er auch die benachbarten Völker und alle Statthalter der nach Norden unter der römischen Botmäßigkeit stehenden Völkerschaften, und brachte sie sämmtlich durch große Versprechungen und Aussichten leichtlich dahin, sich ihm anzuschließen. In der That aber verstand er vor allen Menschen die Kunst, sich zu verstellen und Andere zu überzeugen, schonte dabei auch einen Eid nicht, wenn er sich im Falle befand, denselben zu brechen, noch eine Lüge, wenn es auf seinen Vortheil ankam, und was seine Zunge sprach, davon pflegte sein Herz nichts zu wissen.

10 Als er nun solchergestalt durch seine Briefe alle Truppen Illyriens sammt den Statthaltern auf seine Seite gelockt hatte, zog er aus allen Standlagern die Soldaten zusammen, nahm den Namen Severus Pertinax an, was, wie er wußte, nicht bloß den Illyriern, sondern auch dem Volke von Rom wegen der Erinnerung an jenen angenehm sein würde, berief sodann die Truppen auf eine Ebene, bestieg die für ihn errichtete Bühne und sprach folgendermaßen: „Eure Treue und Ehrfurcht gegen die Götter, bei denen Ihr schwört, und Eure Ehrerbietung gegen die Kaiser, welche Ihr verehrt, habt Ihr bewiesen durch Euren Zorn gegen die That, deren sich die zu Rom stehenden Soldaten, deren Dienst mehr in Paraden [64] als in tapfern Thaten besteht, erfrecht haben. Und was mich betrifft, so beseelt mich, dem nie zuvor sonst ein Gedanke an solche Aussicht gekommen ist (denn Ihr wißt, wie geborsam ich stets gegen die Inhaber des Thrones gewesen bin), der Wunsch: jetzt das zu Ende zu führen und zu vollbringen, was der Gegenstand Eurer Wünsche ist, und das römische Regiment nicht in den Staub ziehen zu lassen, das früher bis vor Kurzem würdig verwaltet, als ein Gegenstand der Verehrung in der Welt erschien. Und als es auf Commodus überging, wenn von demselben auch wegen seiner jugendlichen Unerfahrenheit manche Fehler begangen wurden, nun so wurden dieselben doch durch seine erlauchte Abkunft und durch das Andenken an seinen Vater in etwas verdeckt, und es war bei uns das Mitleid über seine Fehler stärker, als der Haß gegen dieselben, da wir das Meiste, was geschah, nicht auf ihn zurückführten, sondern auf die Schmeichler, die ihn umgaben, und die zu seinen unwürdigen Handlungen zugleich die Rathgeber und die Helfershelfer machten. Als aber das Regiment an einen ehrwürdigen Greis überging, von dessen Tapferkeit und Redlichkeit die Erinnerung noch in unsern Herzen wohnt, da ertrugen ihn jene Elenden nicht, sondern räumten einen so herrlichen Mann durch Mord aus dem Wege. Das Individuum aber, das den Thron dieses über Land und Meer gebietenden großen Reiches schimpflich durch Kauf erhandelt hat, wird, wie Ihr mit eigenen Ohren vernehmt, von dem römischen Volke gehaßt, während er auf die dortigen Soldaten, die er belogen hat, nicht mehr rechnen kann. Allein selbst wenn dieselben ihm wohlgesinnt und für ihn einzutreten bereit wären, so seid Ihr ihnen doch sowohl an Zahl in der Masse, als jedem Einzelnen durch Tapferkeit überlegen, seid durch stete Kriegsübung, indem Ihr Euch unaufhörlich mit den Barbaren zu messen hattet, vollendet geschulte Soldaten, geübt, alle Strapatzen der Kriegsmärsche zu ertragen, Hitze und Kälte gering zu achten, über fest gefrorne Flüsse zu schreiten, gewohnt Gruben- statt Brunnenwasser zu trinken, und habt Euch geübt, die wilden Thiere zu jagen. Mit einem Worte, in Euch sind alle zur Tapferkeit nothwendigen Erfordernisse vorhanden, so daß Euch Niemand, selbst wenn er den Muth dazu hätte, zu widerstehen vermöchte. Die Bewährung aber des Soldaten sind Strapatzen und nicht die Ueppigkeit, in welcher [65] jene auferzogen und versunken nicht einmal Euern Schlachtruf, geschweige denn den Kampf mit Euch selbst auszuhalten im Stande sein dürften. Sollten aber Manche besorglich auf die Vorgänge in Syrien blicken, so können sie, wie schwach es dort steht und wie schlecht dort die Aussichten sind, daraus abnehmen, daß die Leute dort nicht einmal den Muth, aus dem Lande vorzurücken, oder die Courage gehabt haben, den Plan zum Marsch gegen Rom zu fassen, sondern ruhig dort sitzen bleiben und das lustige Leben von einem Tage zum andern sich als Gewinn des noch nicht einmal festgestellten Regiments genügen lassen. Denn zu witzigen und geistreichen Spottreden sind die Syrer freilich die geeigneten Leute, zumal die Bewohner von Antiochia, die, wie es heißt, so von Eifer für den Niger sind, – denn die übrigen Provinzen und die andern Städte halten es mit ihm offenbar nur scheinbar und äußerlich, weil sich bis jetzt Keiner fand, der als des Thrones würdig gelten konnte, und weil es an einem Thronprätendenten mangelte, der Aussicht gäbe, das Regiment mit Tapferkeit und einsichtsvoller Verwaltung zu führen. Wenn sie aber erfahren, daß die Illyrische Streitmacht einstimmig gewählt hat und zugleich Unsern Namen hören werden, der bei ihnen keineswegs unbekannt und unberühmt ist von der Zeit her, wo Wir dort als Statthalter die Verwaltung geführt haben, denn seid sicher, daß sie bei mir weder an Leichtsinn noch an Unthätigkeit denken, noch sich unterfangen werden, Eurer Tapferkeit und Eurem wuchtigen Andringen in den Schlachten die Spitze zu bieten, sie, die an Leibesgröße und Strapatzengewohnheit, sowie in dem Kampfe Mann gegen Mann so weit hinter Euch zurückstehen. Eilen wir daher, ihnen zuvorzukommen, indem wir uns Roms bemächtigen, wo der geheiligte Sitz des Kaisers ist. Von da aus aufbrechend werden Wir dann das Uebrige im Vertrauen auf göttliche Prophezeihungen und auf Eurer Waffen Tapferkeit leicht in Ordnung bringen.“

11 Als Severus also gesprochen, jubelten ihm die Soldaten zu, nannten ihn Augustus und Pertinax, und zeigten allen möglichen [66] Eifer und guten Willen. Severus aber, ohne Zeit zu verlieren, befahl ihnen, sich mit möglichst wenigem Gepäcke zum Aufbruch zu rüsten, und verkündete, daß es nach Rom gehe. Er ließ Lebensmittel und Weggelder austheilen, und marschirte vorwärts. Mit Anspannung aller Kräfte und unter den größten Anstrengungen beschleunigte er den Marsch, indem er sich nirgends aufhielt, keinen Rasttag verstattete, außer höchstens um seine Soldaten nur ein wenig zu Athem kommen und dann wieder vorwärts marschiren zu lassen. Er selbst theilte alle ihre Mühseligkeiten, schlief in einem ganz geringen Zelte und ließ sich an Speise und Trank nichts anderes reichen, als was, wie er wußte, Alle zu sich nahmen. Nirgends entfaltete er kaiserliche Pracht, daher er denn auch die Zuneigung seiner Kriegskameraden33 in verstärktem Maße gewann. Denn die Soldaten, die mit bewundernder Verehrung ihn nicht nur alle ihre Strapatzen theilen, sondern in der Ertragung von Mühseligkeiten immer voran gehen sahen, thaten Alles mit größter Bereitwilligkeit. Nachdem er so in Eilmärschen Päonien durchzogen, stand er an Italiens Gränzen, ehe selbst das Gerücht dorthin gelangt war, und bevor man noch mit Ohren gehört hatte, daß der Kaiser kommen werde, stand er schon vor den Augen der Einwohner. Eine große Bestürzung ergriff die Italischen Städte bei der Kunde von dem Anmarsch eines so gewaltigen Heeres. Denn die Bewohner von Italien, der Waffen und des Krieges längst entwöhnt, lebten in Frieden dem Ackerbau. So lange freilich der römische Staat demokratisch verwaltet wurde und der Senat zu jedem Feldzuge die Heerführer aussandte, waren die Italioten sämmtlich unter Waffen und eroberten in den Kriegen gegen Hellenen und Barbaren Land und Meer, ja es gab keinen Theil der Erde und keinen Himmelsstrich, wohin die Römer nicht ihre Herrschaft ausbreiteten. Seit aber Augustus die Alleinherrschaft in die Hände bekam, befreite er die Italioten vom Dienst, und nahm ihnen die Waffen, dagegen umgab er das Reich zum Schutz [67] mit Festungen und Heerlagern, und machte Miethlinge, die er auf feste Löhnung als Soldaten anwarb zur Mauer des Römerreichs, während er zugleich durch große Ströme, durch Gräben oder Benützung von Gebirgen, sowie dadurch, daß er ein ödes und schwer passirbares Grenzgebiet herstellte, die Sicherheit des Reichs zu befestigen trachtete. Als sie daher erfuhren, daß Severus jetzt mit einem so großen Heere vorrücke, geriethen sie ganz natürlich in Bestürzung, weil ihnen die Sache etwas Ungewohntes war. Auch dachten sie nicht daran, sich ihm zu widersetzen und ihn zurückzuhalten, sondern empfingen ihn vielmehr mit Lorbeerzweigen in den Händen und weitgeöffneten Thoren. Severus aber hielt sich nur soviel Zeit auf, als er brauchte, um die Opfer zu vollziehen und die Bevölkerungen anzureden, und drang unaufhaltsam gegen Rom vorwärts. Als Julianus dies erfuhr, gerieth er in die äußerste Verzweiflung, und während er von der Streitkraft und Größe des Illyrischen Heeres hören mußte, konnte ihm weder das Volk, bei dem er verhaßt war, Vertrauen, noch das Militär, das er belogen hatte, Muth einflößen. So raffte er denn, was sich an eignen und seiner Freunde Geldmitteln, sowie Alles, was sich noch in öffentlichen Kassen oder an heiligen Stätten vorfand, zusammen, und begann es unter die Soldaten zu vertheilen, um sich ihre Zuneigung zu erwerben. Diese aber, so große Summen sie auch erhielten, wußten es ihm keinen Dank; denn sie vermeinten, daß er ihnen bloß eine Schuld abzahle, aber kein Geschenk mache. Obschon ihm nun seine Freunde riethen, mit seinen Streitkräften in’s Feld zu rücken, und die Engpässe der Alpen zu besetzen, – es liegen diese gewaltigen Gebirge, wie sie in solcher Größe nicht weiter in unserem Lande vorkommen, so zu sagen als eine Schutzmauer schirmend vor Italien, und es ist dies eins der günstigen Bedingnisse, welche die Natur den Italioten verliehen hat, daß ein undurchbrechliches Bollwerk vor ihrem Lande aufgeworfen ist34, das [68] sich vom nördlichen Meere in einem Zuge bis zum südlichen hinstreckt35. Aber Julian wagte nicht einmal aus der Stadt auszurücken, und schickte nur zu den Soldaten, die er bitten ließ, sich zu rüsten und einzuüben, und vor der Stadt Verschanzungen aufzuwerfen. Ja er bereitete sich vor, als ob er dem Severus die Schlacht in der Stadt liefern wollte, ließ die Elephanten, die den Römern bei Festaufzügen dienen, abrichten Thürme und Soldaten auf dem Rücken zu tragen, indem er vermeinte, durch den Anblick der ungeheuren nie zuvor von ihnen gesehenen Bestien die Illyrier zu erschrecken und ihre Reiterei in Verwirrung zu bringen. So verfertigte denn die ganze Stadt Waffen und rüstete sich zum Kriege.

12 Während die Truppen Julians noch in ihren zaudernden Kriegsrüstungen begriffen waren, kommt schon die Kunde, daß Severus bereits im Anmarsch sei. Dieser detaschirt eine starke Abtheilung seines Heeres mit dem Befehle, sich vereinzelt in die Stadt einzuschleichen. Dieselben vertheilten sich nach den verschiedenen Landstraßen, und zogen in großer Anzahl unter dem Schutze der Nacht in bürgerlicher Verkleidung und mit versteckten Waffen in Rom ein; und so waren die Feinde bereits innerhalb der Mauern, während Julianus noch müssig da saß und nicht wußte, was passirte. Als das Volk aber davon Kunde bekam, gerieth Alles in die größte Bestürzung, und aus Furcht vor der Macht des Severus thaten sie, als hielten sie es mit seiner Sache, während sie den Julian wegen seiner Feigheit und den Niger wegen seiner zaudernden Nachlässigkeit aufgaben, und den Severus, der, wie sie hörten, bereits vor ihren Thoren stand, bewunderten. Julianus, der vollständig den Kopf verloren hatte, und nicht wußte, was er beginnen solle, berief den Senat zur Versammlung, und erläßt von der Hofburg herab ein Schreiben, in [69] welchem er sich jetzt mit dem Severus zu unterhandeln bereit erklärte, und ihn zum Imperator und Mitregenten ernannte. Der Senat gab freilich dazu seine Genehmigung, da aber die Senatsmitglieder sahen, daß Julianus feig an seiner Sache verzweifelte, neigten sie sich bereits alle auf die Seite des Severus. Nach Verlauf von etwa zwei oder drei Tagen aber, als man hörte, daß Severus sich bereits zum Angriff auf die Stadt selbst anschicke, traten sie, ohne auf Julianus Rücksicht zu nehmen, auf Berufung der Konsuln, welche in Rom das Ruder zu ergreifen pflegen, sobald der Thron wankt, zu einer Versammlung in der Kurie zusammen. Hier berathen sie über die zu ergreifenden Maßregeln, während Julianus noch in der kaiserlichen Hofburg saß, sein Jammergeschick beklagte und flehentlich um die Erlaubniß bat, seine Regierung niederlegen und die ganze Herrschaft dem Severus abtreten zu dürfen. Als nun der Senat erfuhr, daß Julianus in solchen Todesängsten sei, und daß die wachhabenden Garden seiner Leibwache ihn aus Furcht vor Severus verlassen hätten, da beschließt er seine Hinrichtung und zugleich die Ernennung des Severus zum alleinigen Kaiser. Sofort schicken sie an den letzteren eine Gesandtschaft, bestehend aus den ersten Magistraten und den vornehmsten Senatsmitgliedern, um ihm alle kaiserlichen Ehrenhuldigungen zu überbringen. Zum Julianus aber wird einer der Legionstribunen hinaufgeschickt, um den unmännlichen und jammervollen alten Mann zu tödten, der sich mit seinen eignen Schätzen ein so schreckliches Ende erkauft hatte. Man fand ihn einsam und von Allen verlassen, und unter jämmerlichem Webklagen empfing er von dem Mörder den Todesstreich.

13 Als dem Severus die Beschlüsse des Senats und die Ermordung des Julianus kund gethan wurde, erhob er sich zu dem Vertrauen auf größere Erfolge, und wandte eine List an, um die Mörder des Pertinax gefangen in seine Hände zu bekommen. Er schreibt nämlich ganz besonders und heimlich an die Tribunen und Centurionen36, [70] und macht ihnen große Versprechungen, wenn sie die in Rom stehenden Soldaten dazu bewögen, sich gehorsam den Befehlen des Severus zu unterwerfen. Zugleich erläßt er ein allgemeines Schreiben an das gesammte Prätorianercorps, in welchem er ihnen befiehlt, mit Zurücklassung ihres sämmtlichen Gepäcks und ihrer Waffenrüstung im friedlichen Aufzuge, wie sie, wenn der Kaiser ein Opfer oder einen Festzug hält, demselben voraufzuziehen pflegen, aus ihrem Lager auszurücken, um dem Severus den Huldigungseid zu leisten. Sie sollten getrost kommen, weil sie fortan bei dem Severus als Leibgarde dienen würden. Die Soldaten, denen ihre Tribunen zuredeten, vertrauten dieser Botschaft; sie ließen ihre Waffen sämmtlich zurück und zogen, nur mit ihren Festkleidern angethan und mit Lorbeerzweigen in den Händen, eiligst hinaus. Wie sie sich aber dem Lager des Severus genähert hatten und ihre Ankunft auf dem Blachfelde gemeldet wurde, befahl ihnen Severus sofort sich zusammenzuschließen, als ob er sie willkommen heißen und anreden wolle. Wie sie sich nun, nachdem er die Rednerbühne bestiegen, um dieselbe herandrängten und ihn einstimmig mit Jubelruf begrüßten, werden sie insgesammt auf ein einziges Zeichen gefangen genommen. Es war nämlich das Heer des Severus im Voraus angewiesen worden, sobald jene Posto gefaßt und Augen und Aufmerksamkeit nach dem Kaiser hinauf gewendet haben würden, sie plötzlich nach Kriegsweise zu umzingeln, und zwar keinen mit Stoß und Hieb anzugreifen, wohl aber sie zusammenzuhalten und im Kreise mit den Waffen einzuschließen, und die Wurfspieße37 und Speere gegen sie zu fällen, so daß sie aus Furcht verwundet zu werden, unbewaffnet gegen vollständig Gerüstete und Wenige gegen Viele sich nicht auf einen Kampf einlassen möchten. Als er sie nun so gleichsam im Fangnetze in der Mitte seiner bewaffneten Schaaren als Kriegsgefangene hatte, da sprach er mit starker Stimme und zorniger Bewegung folgendermaßen: „Daß wir Euch an Klugheit wie an Streitkraft und Zahl des Heeres überlegen sind, davon habt Ihr jetzt den thatsächlichen Beweis [71] vor Augen. Man ist ohne Mühe Eurer Herr und Ihr seid ohne Kampf Gefangene geworden. Es steht bei mir, was ich mit Euch machen will, und Ihr liegt jetzt als Opfer unsrer Macht zu unsern Füßen. Wenn Ihr Euch auf eine Euren Freveln entsprechenden Züchtigung besinnt, so ist es unmöglich, eine Strafe ausfindig zu machen, die Eurer Thaten würdig wäre. Einen ehrwürdigen Greis und trefflichen Kaiser, den zu erhalten und zu schirmen Eure Pflicht erheischte, habt Ihr ermordet. Den römischen Kaiserthron, der stets geehrt war, und den unsre Vorgänger entweder durch weidliche Tapferkeit erworben oder nach dem Rechte ihrer erlauchten Geburt ererbten, den habt Ihr schimpflich und schmählich wie ein Stück gewöhnlichen Hausraths für Geld verhandelt. Allein selbst nicht einmal den Mann, den Ihr auf solche Weise Euch zum Herrscher erkoren, seid Ihr im Stande gewesen zu beschirmen und zu erhalten, sondern habt ihn feigherzig verrathen. Für so große Vergehen und Frevel seid Ihr, wenn man Euch die verdiente Züchtigung angedeihen lassen wollte, tausend Tode werth. Was Euch also widerfahren sollte, wißt Ihr. Ich aber will Eurer schonen und Euch nicht tödten, und das Beispiel Eurer Hände nicht nachahmen. Da aber weder göttliches noch menschliches Recht gestattet, daß Ihr fürderhin noch einem Kaiser als Leibwache dient, die Ihr Euren Eid frevelhaft gebrochen, Eure Hände mit Bürger- und Kaiserblut besudelt und Treue und Pflicht einer Leibwache verrathen habt, so sollt Ihr zwar Leib und Leben von meiner Gnade als Geschenk erhalten, dagegen befehle ich jetzt den Euch umstellt haltenden Soldaten, daß sie Euch die Gürtel und alles, was Ihr von Kriegskleidung an Euch tragt, ausziehen und Euch so nackt und blos fortschicken. Zugleich befehle ich, daß Ihr Euch so weit als möglich von Rom entfernt, und thue dabei den heiligen Schwur, daß jeder von Euch am Leben gestraft werden soll, der sich innerhalb des hundertsten Meilensteines von Rom erblicken läßt.“ Auf diese seine Worte stürzen die Illyrischen Soldaten auf sie zu, reißen ihnen die mit Gold und Silber verzierten Paradedegen von der Seite, raubten ihnen die Gürtel und die Kleider und alles, was sie Soldatisches an sich trugen, und jagten sie nackt fort. Sie aber, verrathen und überlistet, wie sie waren, mußten sich fügen; denn was konnten sie thun, waffenlos gegen Bewaffnete, und Wenige gegen [72] Viele? So gingen sie wehklagend davon, zufrieden zwar, daß sie mit dem Leben davon gekommen, aber voll Aerger darüber, daß sie unbewaffnet ausgerückt waren und sich so schmählich und spöttisch hatten fangen lassen. Severus hatte indessen auch noch eine andere List in Anwendung gebracht. In der Besorgniß nämlich, daß sie vielleicht nach dem Akte des Ausziehens in Verzweiflung gerathen, zu ihrem Lager eilen und die Waffen ergreifen möchten, hatte er ausgewählte Abtheilungen seiner tüchtigsten Mannschaft auf Um- und Schleichwegen abgeschickt, um heimlich in das von Mannschaften leere Lager zu dringen, sich dort der Waffen zu bemächtigen und die Prätorianer, falls sie zurückkommen sollten, auszusperren. So also erhielten die Mörder des Pertinax ihre Strafe.

14 Severus aber, der mit seinem ganzen übrigen bewaffneten Heere jetzt in Rom einzog, versetzte durch seinen Anblick die Römer in Staunen und Schrecken durch die so kühn unternommenen und so glücklich ausgeführten Wagnisse. Volk und Senat empfingen ihn mit Lorbeerzweigen in den Händen, den ersten Menschen und Kaiser, der ohne Blutvergießen und Kampf so Großes vollbracht hatte. Denn obschon man Alles an ihm bewunderte, so doch am meisten seinen durchdringenden Verstand, seine Energie in Ertragung von Mühseligkeiten und die frohe Zuversicht seines Muths bei allen seinen Wagnissen. Nachdem ihn nun also das Volk mit Jubelrufen empfangen, der Senat ihn an den Stadtthoren bewillkommt hatte, zog er hinauf zum Jupiterstempel, verrichtete dort das Opfer, that darauf auch in den übrigen Heiligthümern den religiösen Pflichten Genüge, und begab sich sodann in die kaiserliche Hofburg. Am nächstfolgenden Tage erschien er im Senate und richtete sehr gütige Worte voll bester Aussichten an Alle; er begrüßte die Gesammtheit wie die Einzelnen, und sagte: „er sei gekommen als Rächer des am Pertinax verübten Mordes, und seine Regierung werde im aristokratischen Geiste stattfinden und der Anfang einer Aristokratie sein. Niemand werde künftig ohne Urteil und Recht sein Leben oder sein Vermögen verlieren, keine Angeber werde er dulden, wohl aber seine [73] Unterthanen dauerhaft glücklich zu machen streben, und in seinem ganzen Thun der Regierungsweise des Markus nacheifern, und von Pertinax nicht bloß den Namen, sondern auch die Gesinnung sich anzueignen bestreben.“ Durch solche Reden gewann er bei den Meisten Wohlwollen und Vertrauen auf seine Versprechungen. Es gab aber einige der Aelteren, die seinen Charakter kannten, welche heimlich prophezeihten: er sei ein Mann, vielgewandt wie Odysseus38, der mit größter Kunst sich in allen Verhältnissen zu bewegen und alle Rollen zu spielen und alle Masken vorzunehmen verstebe, und dadurch zu erreichen verstehe, was ihm nützlich und vortheilhaft sei, was denn auch die Erfahrung ausgewiesen hat. Nachdem sich Severus nun kurze Zeit in Rom aufgehalten, die üblichen Spenden unter das Volk vertheilt und Schauspiele ausgerichtet39, die Soldaten reichlich beschenkt, und die kräftigften aus ihnen zur Bildung einer neuen kaiserlichen Leibgarde an die Stelle der weggejagten erlesen hatte, eilte er dem Oriente zu. Während nämlich Niger noch zaudernd still lag und in seinem Antiochia schwelgte, gedachte er ihn unerwartet zu überfallen, um ihn unvorbereitet zu treffen. Er hieß also seine Krieger sich zum Ausmarsche fertig zu machen, und verstärkte sein Heer von allen Seiten, indem er aus den Italischen Städten die jungen Leute kommen ließ und sie einexerzirte, und was er noch an Truppen in Illyrien stehen hatte, nach Thrazien zu ihn zu stoßen beorderte. Auch eine Flotte rüstete er aus, und ließ sämmtliche Dreiruderer Italiens mit Hopliten40 gefüllt in See gehen. So brachte er eine gewaltige Streitmacht aller Waffengattungen in großer Schnelligkeit zusammen. Denn er wußte, daß er keiner geringen Streitmacht bedürfen werde gegen den ganzen Europa gegenüber liegenden Erdtheil, der auf Seiten Nigers stand, und so traf er denn mit aller Kraft seine kriegerischen Maßregeln.

15 [74] Da er aber ein voraussichtiger und besonnener Mann war, so flößte ihm der Umstand Besorgniß ein, daß ein sehr großes und starkes Heer der tüchtigsten Soldaten in Britannien stand. Dasselbe befehligte in seiner Gesammtheit Albinus, ein Mann, der von Geburt dem alten senatorischen Adel angehörte, und in anererbtem Reichthum und Wohlleben erwachsen war. Diesen also wünschte Severus klüglich für sich einzunehmen und sich geneigt zu machen, damit derselbe nicht bei so vielen Antrieben nach der Kaiserwürde zu verlangen, im Vertrauen auf seinen Reichthum und seine edle Abkunft, auf die Stärke seines Heeres und seinen Ruf bei den Römern sich zum Thronbewerber machen und Rom, das nicht allzuweit entfernte, während jener (Severus) im Orient beschäftigt sei, in seine Gewalt bringen möchte. So ködert er denn mit erheuchelter Verehrung den Mann, der überhaupt von Charakter eitel und leichtgläubig, in diesem Falle auch dem Severus, der ihm in seinen Briefen alle möglichen Versprechungen zuschwor, Glauben schenkte. Er ernannte ihn zum Cäsar, und kam so seiner Hoffnung und seinem Wunsche durch Gewährung eines Antheils an der höchsten Gewalt zuvor. Er schreibt ihm die allerfreundschaftlichsten Briefe, und beschwört ihn, sich der Sorge für die Regierung anzunehmen; denn er bedürfe eines Mannes von hoher Geburt und vollkräftigem Alter, da er selbst schon bejahrt und von der Gicht beschwert sei, während seine Söhne noch fast Kinder seien. Albinus schenkte diesen Versicherungen Glauben, und nahm die ihm gebotene Ehrenstellung mit Freuden an, hochzufrieden, ohne Kampf und Gefahr zu erhalten, wonach sein Herz begehrte. Severus aber stellte auch an den Senat dieselben Anträge, und um jenen noch vertrauender zu machen, erlaubte er Münzen mit Albinus’ Bildnisse zu prägen, und bekräftigte die ihm erwiesene Gunst durch Aufstellung seiner Standbilder und durch die Erweisung aller sonstigen Ehrenbezeugungen. Als er sich so des Albinus klüglich versichert und von Britannien nichts mehr zu fürchten, auch das Illyrische Heer ganz um sich versammelt hatte, glaubte er alle nothwendigen Sicherheitsmaßregeln für seine Regierung getroffen zu haben, und eilte gegen Niger vorwärts. [75] Die Ruhepunkte seines Marsches, seine Reden in jeder einzelnen Stadt, die Wahrzeichen, in welchen man Vorbedeutungen der göttlichen Vorsehung sah, die Lokalitäten der einzelnen Treffen und die Zahl der auf beiden Seiten gefallenen Soldaten haben viele Geschichtschreiber, sowie auch Dichter in metrischer Darstellung des Breiteren zusammengestellt, die sich zu ihrer alleinigen Aufgabe das Leben des Severus erwählt haben. Ich dagegen habe mir zum Ziele gesetzt: die Zusammenstellung derjenigen Thaten vieler Kaiser im Laufe von siebzig41 Jahren zu schreiben, von denen ich selbst Kenntniß habe. Nur das Hauptsächlichste und was entscheidende Erfolge bewirkte von den einzelnen Thaten des Severus werde ich im Folgenden erzählen, ohne aus Gunst etwas über Gebühr zu erheben, wie diejenigen gethan, die unter ihm geschrieben haben, noch etwas zu übergehen, was würdig ist, erzählt und aufbehalten zu werden.

Anmerkungen

1 Im Texte steht „auf das Aristēum“ (εἰς τὸ ἀριστεῖον), was eine verderbte Lesart scheint. Man hat vorgeschlagen, Adrianeum (Ἀδριανεῖον), d. h. Grabmal Hadrians, zu lesen, aber dazu berechtigt nichts. Auch konnte es den Verschwornen, deren allererste Schritte nach dem Morde hier der Schriftsteller erzählt, zunächst nur darum zu thun sein, den Leichnam über die Seite zu bringen und ihn vor allem den Augen der Prätorianer zu entziehen, die dem Lebenden allein noch angehangen hatten. Das konnte nur geschehen, indem man die Leiche aus der Stadt schaffte, wozu irgend eine Villa der Verschwornen Gelegenheit bot. Dort wird man ihn in aller Stille verbrannt und bestattet haben; denn als am Tage darauf der Senat in ohnmächtiger Rachsucht beschloß, den Leichnam des Tyrannen zu beschimpfen, fand sich, daß treue Diener dies unmöglich gemacht hatten.

2 Als erster Senator im Range hatte Pertinax die kaiserlichen Handschreiben und Kabinetsbefehle im Senate vorzulesen.

3 Es ist das Lager der Kaisergarden gemeint. Tiberius war es bekannt lich, der die Prätorianer , von denen sonst nur eine geringe Anzahl in Rom selbst stand , während die Mehrzahl dieser Truppe in den Städten und Ort: schaften rings um Rom in Garnison lag, in einem eigens dazu erbauten Standlager in der Hauptstadt kasernirte , das hier schlechtweg „ das Lager“ von Herodian genannt wird. Vergl. meine Bemerkung zu Suetons Tiber. Kap. 37. Reste dieser ersten „ Gardekaserne“ sind noch in der Bigne der Jesuiten zwischen dem Biminalischen und Tiburtinischen Thore vorhanden. S. Ein Jahr in Italien v . Ad . Stahr. Bd . 3. S. 49-50.

4 In dieser Rede läßt Herodian den kaiserlichen Gardechef fast mit der weitschweifigen Tautologie und Salbung eines salbadernden Kanzelredners spre chen , und den einfachen Gedanken breit treten , daß eben alle Menschen ster ben müssen.“

5 Der Präfekt, oder wie Herodian sagt, der Eparch der Stadt war eine Würde und Stellung, die als eine regelmäßige erst Kaiser Augustus eingeführt, und die mit den alten römischen „Stadtpräfekten“ nichts als den Namen gemein hatte. (S. Sueton. Octavian Kap. 33.) Er stand an Rang zwar den Konsuln nach, aber an Macht weit über ihnen. Er war so zu sagen der Civilgouverneur der Hauptstadt, und Justiz- und Polizeiminister für dieselbe, hatte die Marktpolizei, die Aufsicht über die öffentlichen Bauten, über die Versorgung der ungeheuren Stadt mit Lebensmitteln, über alle Zünfte und Vereine, und seine Strafgewalt ging bis zu Todesstrafen. Vgl. Realencyklop. VI, 1. S. 14–16.

6 Der Titel heißt griechisch „Sebastos“ und ist eine Uebersetzung des lateinischen Augustus, über dessen Bedeutung man Sueton im Leben des Augustus Kap. 7 vergleichen kann.

7 Sie lag bekanntlich auf dem Palatinischen Hügel und hat ihren Namen (Palatium) allen späteren Herrscherburgen Europa’s gegeben. Die beiden Haupttheile derselben waren „das Haus Augusts“ und „das Haus Tibers“. Nero erweiterte bei seinem Neubau den Kaiserpalast (sein „goldnes Haus“) bis in’s Ungeheure (Sueton Nero 31.). Vespasian beschränkte den Kaiserpalast auf den alten Umfang und wohnte selbst nicht in demselben. Bis in’s Mittelalter erhielt diese offizielle Residenz aller römischen Kaiser ihre Würde, obschon die spätern Kaiser von dem weniger gesunden Palatinischen Berge in die Parks des Esquilinus übersiedelten.

8 S. oben Erstes Buch Kap. 8.

9 Diese waren außer dem Purpurgewande und Diadem, die lorbeerumwundenen „Fasces“, die zuletzt sogar vergoldet waren.

10 Durch die Staatsveränderung, die ein gutes und gerechtes statt eines schlechten und tyrannischen Regiments an’s Ruder bringt.

11 Ganz eben so hatte Trajan, wie sein Panegyriker Plinius berichtet (Panegyris. Kap. 66.), beim Antritte seiner Regierung im Senate gesprochen.

12 Da Pertinax nur kurze Zeit, nach den zuverlässigsten Angaben nicht volle drei Monate regierte (vom 1. Januar bis 28. März des Jahres 193 n. Chr.), so ist diese Stelle ein Beweis, wie schnell sich damals Nachrichten durch das römische Reich, ja über dasselbe hinaus verbreiteten, und wie schnell man reiste.

13 Pertinax’ Finanzreformen waren dringend nöthig, da Commodus’ wahnsinnige Verschwendung bei seinem Tode in demselben Staatsschatze, der bei Pius’ Tode über 150 Millionen Thaler betragen hatte, kaum 50–60,000 Thaler zurückgelassen hatte. Seine Regierungs- und Finanzreformen werden von allen Schriftstellern gleichmäßig bewundert. Gibbon R. G. I, S. 157. Sporschill. Pertinax’ Ansicht von den Domänen ist interessant für gegentheilige Ansichten, die sich noch in unserer Zeit geltend machten.

14 Man könnte auch übersetzen: „der Plusmacherei wegen“, wie Friedrich der Große sich auszudrücken pflegte.

15 Ich weiß für das griechische ἰσότιμος kein besseres Wort als das bei gleicher Veranlassung von Sueton gebrauchte und von mir in der Uebersetzung beibehaltene Wort civilis. S. meine Anmerkung zu Sueton. Leben Tibers Kap. 26 Note 1.

16 Selbst den Titel „Cäsar“ (d. i. kaiserlicher Kronprinz) verbot der Vater dem Sohne zu geben. „Er soll ihn erst verdienen lernen“, sagte der brave Kaiser. Aehnlich Tiberius in der Erzählung bei Tacit. Ann. IV, 17.

17 Den ersten Streich führte ein Soldat von batavischer Abkunft (siehe Gibbon a. a. O. S. 177) mit Namen Tanusius, ein Reiter, der seinen Speer dem unglücklichen Kaiser durch die Brust stieß. Capitolin.

18 Im Jahre 193 nach Chr. Geb. den 28. März. Der einzige Tadel, den Dio Cassius gegen ihn ausspricht, ist der: daß er zuviel auf einmal unternahm und nicht vorsichtig genug zu Werke ging.

19 Daß nach Pertinax’ Ermordung die Prätorianer den Thron verkauften, sagen alle alten Schriftsteller; daß sie ihn aber öffentlich durch Heroldsruf ausboten, sagt Herodian allein.

20 S. oben die Bemerkung zu Kap. 2.

21 Das Lager der römischen Prätorianer war seit Tiberius stark befestigt mit Mauer, Wall und Graben, und wurde in dem Bürgerkriege zwischen Vitellius und Vespasian mit allen Maschinen angegriffen und vertheidigt, wie wir sie bei stark befestigten Städten angewendet finden. S. Tacit. Hist. III, 84. Gibbon a. a. O. I, S. 180.

22 Er versprach jedem Soldaten etwa 1400 Thaler unseres Geldes, wie Gibbon bemerkt.

23 Die Legionsfeldzeichen mit dem Adler und dem darüber angebrachten Bildnisse des jedesmaligen Imperators befanden sich im Prätorium des Lagers.

24 Gibbon beginnt bei dieser Gelegenheit das fünfte Kapitel des ersten Buchs seiner Röm. Geschichte mit der berühmten Betrachtung über den von dem Grade seiner positiven Stärke bedingten Einfluß des Heeres auf den übrigen Theil der Staatsbürger, die folgerichtig zu der von Macaulay ausgesprochenen Wahrheit führt, daß bürgerliche Freiheitsentwicklung in einem größeren Staate mit der Existenz starker, organisirter, stehender Heere unverträglich ist. Die vielbewunderte Betrachtung Herodians über die Folgen dieser That der römischen Prätorianer ist übrigens sehr kümmerlich. Das Verderben der Prätorianer begann nicht erst damals. Sie hatten es schon mit Galba nicht besser gemacht. Und unbestraft blieb ihre That auch nicht, vielmehr erzählt Herodian selbst, wie energisch Kaiser Severus wenige Monate später die verrätherischen Garden züchtigte. S. unten II, Kap. 13.

25 Ich übersetze nach der Vermuthung von Lange, der da meint, daß das Wort αἰτίας im Texte aus ἀναιδείας durch nachlässige Abschreiber entstanden sei. Schon Sylbury wollte ἀλαζονείας gelesen wissen.

26 Der einzige Circus, dessen Struktur sich noch fast vollständig erhalten hat, ist der sogenannte Circus des Caracalla vor der Porta di San Sebastiano in Rom.

27 D. h. einer, der vor langer Zeit schon diese höchste Würde bekleidet hatte.

28 Es sind die Legionskommandeurs gemeint.

29 Vergl. Ad. Stahr’s „Torso“, Kunst, Künstler und Kunstwerke der Alten, Th. II. 56–58.

30 Daß Kaiser Severus sein öffentliches wie sein Privatleben in einer Autobiographie sehr treu schilderte, erzählt auch Spartianus Kap. 3 und Kap. 18.

31 Eine auch früher im Alterthum mehrfach vorkommende Sitte. So ließ Kaiser Augustus den Eseltreiber und den Esel, deren Namen ihm am Tage vor der Schlacht von Actium Sieg vorbedeutet hatten, in Erz als Weihebild aufstellen. S. Torso Th. 2. S. 241.

32 Dies ist eine von den Stellen, aus welchen man sehen kann, für welche Leser Herodian schrieb. Jedenfalls nicht für Römer Italiens, denen denn doch diese Notiz allbekannt und ihre Erwähnung von einem Geschichtschreiber fast lächerlich sein mußte.

33 Dieser Ausdruck, eine Uebersetzung des lateinischen commilitones, ist bezeichnend für die spätere soldatenschmeichelnde Kaiserzeit. Kaiser Augustus wußte, was er that, als er diese Bezeichnung abschaffte, und auch den Prinzen des Kaiserhauses verbot, sich derselben zu bedienen. Vergl. Sueton. Leben Augusts Kap. 25.

34 Wir lesen nach Osianders Vorgange mit Benützung der Lesart aus Imm. Bekkers Venetianischer Handschrift, in welcher τῆς statt τɛ καὶ steht; ἄῤῥηκτον τῆς χώρας.

35 D. h. vom nordöstlichen Adriatischen zum südwestlichen Tyrrhenischen Meere. Polybius nennt die Alpenkette die schützende Akropole von ganz Italien. Der Name Alpen ist gallischen Ursprungs und soll, wie alte Etymologen meinen, Höhe, Gebirg, oder wie Andere wollten, so viel wie das römische claustra bedeuten.

36 Der Prätorianergarde.

37 Herodian sagt διβολίας, d. i. eine Wurfwaffe mit zwei Widerhaken, ähnlich den Hellebarden. Es war dies keine ursprünglich römische, sondern eine Waffe der nördlichen Barbaren, und soviel ich weiß wird sie zuerst bei den Cimbern von Plutarch (Leben des Marius Kap. 25.) erwähnt.

38 Herodian sagt nur, er sei ein ἀνήρπολύτροπόςτις, d. h. „so eine Art Allerweltsmann“. Da er aber damit offenbar auf Odysseus anspielt, glaubte ich, mir in der Uebersetzung den Zusatz erlauben zu dürfen.

39 Nach Bekkers Ausgabe.

40 D. i. schwerbewaffnetes Fußvolk.

41 Alle Handschriften haben hier siebzig, und es bleibt kaum etwas anders übrig, als mit F. A. Wolf hier einen Schreibfehler anzunehmen, da diese Zahl in Widerstreit ist mit Herodians früherer ausdrücklicher Angabe, daß sein Werk sechzig Jahre umfassen soll. Mir scheint indessen auch die Erklärung möglich, daß hier Herodian sein eignes Alter angibt, und die Kaiser meint, die er „im Laufe von siebzig Jahren“ erlebt habe. Rechnet man von diesen siebzig Jahren die ersten zehn Jahre der Kindheit ab, so stimmt Alles.