Avidius Cassius

Ornament

Übersetzung

1 [141] Avidius Cassius soll, wie Einige wollen, ein Sprößling der Cassischen Familie sein, jedoch von Seiten seiner Mutter. Sein Vater war Avidius Severus, ein Emporkömmling1, der Centurio gewesen war, sich aber in der Folge zu den höchsten Staatswürden emporgeschwungen hatte. Es erwähnt desselben Quadratus in seiner Geschichte, und zwar auf eine ehrenvolle Weise. Er nennt ihn nämlich einen großen, um den Staat wohlverdienten und bei Marcus, unter dessen Regierung er gestorben sein soll, vielgeltenden Mann. Unser Cassius nun, der, wie gesagt, aus der Familie der Cassier2, [142] welche gegen Cajus Julius sich verschworen hatten, abstammte, haßte insgeheim die Alleinherrschaft, und das Wort Kaiser war ihm unleidlich. Nichts sei – äußerte er – schlimmer als der kaiserliche Name, da man ihn nicht anders als wieder durch einen Kaiser aus dem Staate verbannen könne. Schon in seinen jüngeren Jahren soll er den Pius von dem Throne zu stoßen versucht haben, indessen dieser Empörungsversuch von seinem Vater, einem rechtschaffenen, ehrwürdigen Manne, in der Stille unterdrückt worden sein; doch sei er immer von den Feldherrn mit mißtrauischen Augen betrachtet worden. Daß er aber dem Verus nachgestellt hat, beweist ein eigener Brief dieses Kaisers, wovon ich einen Theil hier einrücken will. „Avidius Cassius strebt nach dem Reiche, und dieß ist nicht blos eine Vermuthung von mir, sondern war schon bei Lebzeiten deines Vaters, meines Großvaters, offenkundig. Ich wünschte daher, du ließest ihn beobachten. Alles, was wir thun mißfällt ihm; er sammelt sich ansehnliche Schätze, lacht über unsere wissenschaftlichen Beschäftigungen, und nennt dich ein philosophirendes altes Mütterchen, mich aber einen schwelgerischen Narren. Ueberlege nun, was zu thun ist. Ich für meine Person hasse den Mann nicht, aber sieh dich vor, daß er keine gefährliche Anschläge wider dich und deine Kinder faßt, da du unter deinem Heere Männer hast, wie sie die Soldaten gerne hören und sehen.“

2 Marcus antwortete darauf in Betreff des Cassius Folgendes: „Ich habe dein Schreiben, das mehr Besorgniß als kaiserliche Würde verräth und nicht dem Geiste unserer Zeiten angemessen ist, gelesen. Denn ist ihm von den Göttern der Thron bestimmt, so [143] können wir ihn nicht tödten, auch wenn wir wollten, da – wie dein Großvater, wie du weißt, zu sagen pflegte – noch keiner seinen Nachfolger getödtet hat: wo aber nicht, so wird er von selbst, ohne eine Gewaltthat von unserer Seite, in die ihn vom Schicksale gelegten Schlingen fallen. Ueberdies bedenke, daß wir den nicht vor Gericht fordern können, welchen Niemand anklagt und der, wie du selbst sagst, von den Soldaten geliebt wird. Zudem hat das Verbrechen des Hochverraths das Eigenthümliche, daß selbst denjenigen, die desselben überwiesen sind, Gewalt zu geschehen scheint. Denn du weißt selbst, was dein Großvater Hadrian gesagt hat: Trauriges Loos der Kaiser, denen man erst dann glauben kann, daß man sie zu stürzen suchte, wenn sie ermordet sind! Ich wollte dir indessen lieber deinen Großvater anführen, als den Domitian3, der sich dieser Worte zuerst bedient haben soll, da selbst treffende Urtheile eines Tyrannen nicht den Eindruck machen, den sie sollten. Möge also Cassius nach seiner Art fortleben, besonders da er ein guter, strenger, tapferer und um den Staat wohlverdienter Heerführer ist. Denn was deinen Rath betrifft, durch die Hinrichtung dieses Mannes für meine Kinder zu sorgen, so mögen dieselben allweg untergehen, wenn Avidius größere Liebe als sie verdienen, oder wenn dem Staate das Leben des Cassius mehr als das der Kinder des Marcus frommen wird.“

3 So urtheilte Verus, so Marcus über Cassius. Nun wollen wir aber den Charakter und die Sitten dieses Mannes in der Kürze schildern. Denn ausführlichere Nachrichten von Solchen, deren Lebensgeschichte aus Furcht vor ihren Unterdrückern Niemand im gehörigen Lichte darzustellen wagt, mitzutheilen, ist unmöglich. Mit [144] dieser Schilderung wollen wir die Erzählung verknüpfen von der Art und Weise, wie er sich der Herrschaft zu bemächtigen gesucht hat, wie er getödtet und wo er besiegt worden ist. Es ist nämlich, durchlauchtigster Diocletianus, mein Plan, eine Geschichte aller derjenigen, welche den Kaisertitel mit Recht oder Unrecht geführt haben, zu liefern, damit du mit allen mit dem Purpur bekleideten Kaisern bekannt werdest. Cassius war in Betreff seines Charakters zuweilen rauh und hart, bald sanft und gelinde, oft voll Achtung gegen die Religion, ein ander Mal ihr Verächter; bald in Genusse des Weins unmäßig, bald enthaltsam; ebenso sehr eßgierig als zu hungern im Stande, und nicht minder für das andere Geschlecht entbrannt als ein Freund der Keuschheit. Daher4 nannten ihn einige Catilina, und er selbst hörte es sehr gerne wenn man ihn so nannte und sagte dabei, er werde ein Sergius5 sein, wenn er den philosophischen Schwäger würde getödtet haben. Mit dem letztern Ausdrucke meinte er den Antoninus, der so ausgezeichnete Kenntnisse in der Philosophie besaß, daß er, im Begriffe die Heerfahrt gegen die Markomannen anzutreten, weil Jedermann [145] befürchtete, es könnte ihm etwas Menschliches begegnen, gebeten wurde, und zwar nicht aus Schmeichelei, sondern im vollen Ernste, er möchte die Grundsätze seiner Philosophie mittheilen, welcher Bitte zu willfahren Marcus so wenig Anstand nahm, daß er vielmehr drei Tage hinter einander die Tugendlehren der Weisheit in einem zusammenhängenden Lehrvortrage entwickelte. Ueberdieß hielt Avidius Cassius sehr strenge auf Mannszucht und wollte für einen zweiten Marius angesehen werden.

4 Von seiner Strenge – da wir nun doch einmal deren erwähnt haben – oder vielmehr von seiner Grausamkeit, erzählt man sich viele Beispiele. So war er der Erste, der die Soldaten, welche den Provinzialen etwas mit Gewalt genommen hatten, an dem Ort ihres Vergehens an’s Kreuz schlagen ließ. Er war auch der Erste, der als eine neue Todesstrafe erdachte, daß man einen 80 bis 100 Fuß hohen Stamm aufrichtete, die Verurtheilten von unten an bis oben hinauf daran band und unten ein Feuer anmachte, so daß die Einen die Flamme, die Andern der Rauch und die Obersten die Angst tödtete. Auch ließ er zuweilen Verbrecher, je zehn und zehn zusammengebunden, in einen Fluß oder ins Meer werfen. Vielen Ausreißern ließ er die Hände äbhauen, Andern die Sehnen an den Beinen und Kniekehlen zerschneiden, weil, wie er sagte, der Anblick eines jämmerlich sein Leben dahin schleppenden Verbrechers einen viel abschreckenderen Eindruck mache als seine Hinrichtung. Einstens, während er den Heerbefehl führte, tödtete, ohne von ihm beordert zu sein, eine Hülfsschaar, von ihren Centurionen angeführt, 3000 Sarmaten, die sich einer völligen Sorglosigkeit überlassen hatten, an den Ufern der Donau und kehrte mit unermeßlicher Beute beladen zu ihm zurück. Wie nun die Centurionen eine Belohnung dafür erwarteten, daß sie während der Unthätigkeit und Sorglosigkeit der Tribunen mit einer [146] Handvoll Leute so viele Feinde getödtet hätten, ließ sie Cassius greifen und auf eine bisher ganz unerhörte Weise, Sclaven gleich, an’s Kreuz6 schlagen, weil es hätte sein können, daß es ein Hinterhalt gewesen wäre und dadurch die Majestät des Reichs hätte blosgestellt werden können. Als darüber ein heftiger Aufstand im Heere ausbrach, erschien Cassius nackt, nur mit einem Kampfschurz bedeckt, und rief den Soldaten zu: wohlan, tödtet mich, wenn ihr Muth genug habt und gesellt der geschändeten Kriegezucht ein Verbrechen bei! Diesen Worten folgte eine allgemeine Ruhe, und Cassius verdiente gefürchtet zu werden, weil er sich nicht fürchtete. Dieser Vorfall gab der römischen Kriegszucht eine neue Stärke und flößte den Barbaren, als welche gesehen hatten, daß durch einen Spruch des römischen Feldherrn sogar diejenigen verurtheilt worden, die unerlaubter Weise gesiegt, einen solchen Schrecken ein, daß sie den Marcus in dessen Abwesenheit um einen hundertjährigen Frieden angiengen.

5 Aemilius Parthenianus, der eine Geschichte der Thronanmaßer von den ältesten Zeiten her verfaßt hat, erzählt viele Beispiele seiner Strenge gegen die Zügellosigkeit der Soldaten. Denn er ließ diejenigen, welche es verdient hatten, öffentlich geißeln und mitten im Lager mit dem Beile enthaupten, Vielen auch die Hände abhauen. Kein Soldat durfte außer Speck, Zwieback und Weinessig7 sonst [147] noch Lebensmittel auf dem Marsche bei sich haben; fand sich etwas Weiteres bei ihm vor, so wurde seine Schwelgerei strenge bestraft. Man hat noch in Betreff dieses Gegenstandes ein Schreiben des göttlichen Marcus an seinen Präfecten: „Ich habe“ – heißt es darin – „dem Avidius Cassius den Oberbefehl über die in Ueppigkeit versunkenen und nach daphnischen Sitten lebenden syrischen Legionen anvertraut, welche Cäsonius Vectilianus, wie er mir schreibt, alle in den warmen Bädern angetroffen hat. Und ich glaube keinen Mißgriff bei dieser Wahl gethan zu haben. Denn du kennst ja den Cassius, diesen Mann von ächt cassianischer Strenge und Disciplin. Denn die Soldaten können nur durch die alte Mannszucht im Zaum gehalten werden, wie du dieß schon aus dem allbekannten Vers eines trefflichen Dichters8 wissen wirst:
Roma’s Staat erhalten die biederen Sitten und Männer.
Du sorge nur dafür, daß hinlänglicher Mundvorrath für die Legionen vorhanden ist, welcher, wenn ich den Cassius recht kenne, nicht verloren sein wird.“ Hierauf antwortete der Präfect: „Du hast sehr weislich daran gethan, mein Gebieter, daß du dem Cassius den Oberbefehl über die syrischen Legionen ertheilt hast. Denn Niemand schickt sich besser für diese griechischer Ueppigkeit ergebenen Truppen als ein Mann von Strenge. Cassius wird ihnen gewiß alle warme Bäder, sowie die Blumen an Kopf, Hals und Brust vertreiben. Der Mundvorrath für die Soldaten ist vollständig da, und unter einem guten Heerführer wird nie Mangel eintreten, da ein solcher weder viel fordert noch aufwendet.“

6 Und wirklich täuschte Cassius die von ihm gehegte Erwartung [148] nicht. Denn er ließ sogleich bei den Feldzeichen und durch Anschlag bekannt machen, daß wenn ein Soldat in Daphne sich betreten lasse, er alsbald mit Schimpf aus dem Heere sollte gestoßen werden. Je den siebenten Tag besichtigte er die Waffen, wie auch die Kleidung, die Schuhe und die Beinschienen der Soldaten. Alle Gegenstande der Ueppigkeit wurden aus dem Lager verbannt, und Cassius drohte den Truppen, daß, wenn sie ihre Sitten nicht ändern würden, sie den Winter unter Zelten zubringen müßten, was geschehen wäre, wenn sie sich nicht gebessert hätten. Alle sieben Tage fanden allgemeine Waffenübungen Statt, wobei die Soldaten Pfeile schießen und Schild und Schwert handhaben mußten. Denn – pflegte er zu sagen – es sei doch betrübt, daß, während Athleten, Jäger und Gladiatoren sich übten, bei den Soldaten dieß nicht der Fall sei, da doch die Anstrengung, wenn sie sich daran gewöhnt hätten, für dieselben leichter sein würde. Nachdem Cassius die Kriegszucht also wiederhergestellt hatte, kämpfte er mit Glück in Armenien, Arabien und Aegypten, und erwarb sich die Liebe aller Orientalen, namentlich der Antiochener, welche auch, wie Marius Maximus im Leben des göttlichen Marcus berichtet, seine Thronbesteigung begünstigten. Denn die Bukolen, welche in Aegypten weit und breit große Verwüstungen anrichteten, waren von ihm zurückgeschlagen worden, wie der oben angeführte Geschichtschreiber im zweiten Buche seines Lebens des Marcus Antoninus meldet.

7 Cassius warf sich im Orient zum Kaiser auf, und zwar, wie Einige behaupten, von Faustina selbst dazu aufgefordert, welche bereits Besorgnisse wegen des Lebens des Marcus hegte und befürchtete, sie allein möchte ihre unerwachsenen Kinder nicht zu schützen vermögen und es möchte Jemand auftreten, der sich des Thrones bemächtigen und ihre Kinder aus dem Wege räumen würde. Andere dagegen [149] wollen wissen, Cassius habe gegen die Truppen und Provincialen, um von ihrer Liebe zu Marcus keinen Widerstand zu erfahren und ihre Zustimmung zu seiner Thronbesteigung zu erhalten, den Kunstgriff gebraucht, daß er die Nachricht von dem Tode des Marcus verbreitete und, um den Schmerz über seinen Verlust zu lindern, ihm göttliche Verehrung zuerkannt. Sobald Cassius als Kaiser sich zeigte, ernannte er denjenigen, der ihm den kaiserlichen Schmuck angelegt hatte, zum prätorischen Präfecten, der übrigens auch, wider den Willen des Antoninus, von dem Heere getödtet wurde, sowie auch Mäcenianus, Befehlshaber zu Alexandrien, der in der Hoffnung auf Mitregentschaft sich für Cassius erklärt hatte, wider Wissen und Willen des Antoninus durch die Hand der Soldaten den Tod fand. Indeß Antoninus wurde durch die Nachricht von dieser Empörung nicht sehr aufgebracht, noch nahm er Rache an des Cassius Kindern und Anvermandten. Der Senat aber erklärte ihn für einen Feind des Staates und zog sein Vermögen ein, das, da es Antoninus nicht seinem Privatschatze einverleiben wollte, auf Befehl des Senats dem Staatsschatze anheimfiel. Auch zu Rom fehlte es nicht an Furcht und Schrecken. Es hatten nämlich Einige das Gerücht verbreitet, Cassius werde, da Antoninus, der die Liebe Aller, nur nicht der Schwelger, besaß, abwesend sei, nach Rom kommen und die Stadt ohne Schonung der Plünderung Preis geben, hauptsächlich des Senates wegen, der ihn geächtet und sein Vermögen eingezogen hatte. Nun aber zeigte sich die Liebe zu Marcus im hellsten Glanze. Denn Cassius wurde zur allgemeinen Freude, wovon jedoch die Antiochener auszunehmen sind, getödtet, was aber Marcus nicht befohlen, sondern nur zugelassen hatte, und es war die Ueberzeugung Aller, daß Marcus, wenn es in seiner Macht gestanden hätte, seiner geschont haben würde.

8 Als der Kopf des Cassius dem Antoninus überbracht [150] wurde, äußerte dieser keine ausgelassene, ungemäßigte Freude, sondern bedauerte sogar, daß ihm die Gelegenheit zur Milde genommen worden sei und sagte, er habe gewünscht, den Cassius lebendig in seine Gewalt zu bekommen, um ihm seine Undankbarkeit vorhalten und dann verzeihen zu können. Ja, Antoninus soll, wie Jemand bemerkte, er sei zu tadeln, weil er so gelinde gegen seine Feinde, dessen Kinder und Verwandte und überhaupt gegen alle Theilnehmer der Verschwörung sei, und noch die Frage beifügte: wie aber, wenn Cassius wäre Sieger geblieben? entgegnet haben: die Art und Weise, wie wir die Götter verehrt haben und wie wir leben, ist nicht von der Art, daß uns jener hätte besiegen können. Sodann zählte Antoninus alle Kaiser, die ermordet worden waren, der Reihe nach her und sagte, sie alle hätten mit gutem Grunde ihren Tod verdient; nicht leicht sei ein guter Kaiser von einem Thronanmaßer besiegt oder getödtet worden, und fuhr sodann fort: Nero habe seinen Tod verdient, der des Caligula habe erfolgen müssen, und Otho und Vitellius haben nicht einmal Kaiser sein wollen. Ebenso urtheilte er über Pertinax9 und Galba, wenn er sagte, an einem Kaiser sei der Geiz das ärgste Laster. Kurz, nicht August, nicht Trajan, noch Hadrian oder sein Vater Pius hätten von Empörern besiegt werden können, wiewohl deren eine beträchtliche Anzahl gewesen sei, sondern diese seien im Gegentheil wider deren Wissen oder Willen getödtet worden. Antoninus bat den Senat, er möchte keine harte Strafe gegen die Theilnehmer der Empörung verhängen, und dieß zu derselben Zeit, wo er den Antrag [151] machte, es solle kein Senator unter seiner Regierung mit dem Tode bestraft werden, was ihm denn aller Herzen gewann. Nur einige wenige Centurionen wurden bestraft, alle Uebrigen aber ließ er aus ihren Verbannungsörtern zurückrufen.

9 Den Antiochenern, welche sich für Cassius erklärt, aber auch anderen Städten, die eher diesen unterstützt hatten, verzieh er. Anfänglich war er über die Ersteren sehr aufgebracht und hatte ihnen ihre Schauspiele und viele andere Vorzüge entzogen, allein in der Folge gab er ihnen dieselben zurück. Den Kindern des Avidius Cassius ließ Marcus Antoninus die Hälfte ihres väterlichen Vermögens zukommen und beschenkte dessen Töchter mit Gold, Silber und Edelsteinen. Auch gab er einer derselben, Namens Alexandra, und dem Druentianus, des Cassius Tochtermanne, die unbeschränkte Erlaubniß zur Wahl eines jeden beliebigen Aufenthaltsortes, und sie lebten nicht als Verwandte eines Empörers, sondern als Personen aus dem Senatorenstande in der ungestörtesten Ruhe. Ja, Antoninus verbot ihnen in Rechtshändeln das Geschick ihrer Familie vorzuwerfen, ließ Einige, die ihre Schadenfreude gegen sie geäußert, wegen Verunglimpfung bestrafen, und empfahl sie noch dem Gemahle seiner Tante. Wer indessen den ganzen Verlauf dieser Geschichte kennen lernen will, den Verweise ich auf des Marius Maximus zweites Buch von dem Leben des Marcus, worin dieser die Begebenheiten unter der alleinigen Regierung des Marcus nach dem Tode des Verus beschreibt. Denn daß die Empörung des Cassius erst in diese Zeit gefallen, beweist ein Brief des Marcus an Faustina, worin es heißt: „Verus hatte mir von Cassius die Wahrheit geschrieben, daß er nach dem Throne strebe. Denn es wird dir, wie ich glaube, schon bekannt sein was des Verus Eilboten10 von ihm gemeldet haben. [152] Komm also auf das Albanum11, wo wir mit Hülfe der Götter alle nöthigen Maßregeln verabreden wollen, doch sei ohne Furcht“. Man sieht hier deutlich, daß Faustina um die Sache nichts gewußt habe, obgleich Marius, um sie zu verunglimpfen, berichtet, Cassius habe mit ihrem Wissen den Purpur genommen. Denn es ist noch ein Brief von ihr an Marcus vorhanden, worin sie ihm die strenge Bestrafung des Cassius dringend an’s Herz legt. „Ich werde“ – schreibt sie – „morgen bei guter Zeit deinem Befehle gemäß auf dem Albanum mich einfinden; doch bitte ich dich schon zum Voraus, wofern du deine Kinder liebst, gegen jene Empörer auf’s Strengste zu verfahren. Denn ein schlimmer Geist beseelt die Führer, wie die Soldaten, und werden sie nicht niedergehalten, so werden sie uns unterdrücken“.

10 In einem andern Schreiben derselben Faustina an Marcus heißt es: „Meine Mutter Faustina hat deinen Vater, ihren Gemahl, bei der Empörung des Celsus gebeten, zuerst auf die Seinigen die gebürende Rücksicht zu nehmen, dann erst auf Fremde. Denn der Kaiser verdient den Namen Pius nicht, der nicht an seine Gemahlin und seine Kinder denkt. In welchem Alter unser Commodus steht weißt du; Pompejanus, unser Schwiegersohn, ist alt und ein Fremder. [153] Bedenke also wohl, was du in Betreff des Cassius und seiner Mitschuldigen thun willst. Schone doch solcher Menschen nicht, welche deiner nicht geschont haben und welche weder meiner noch unserer Kinder schonen würden, wenn sie Sieger blieben. Ich werde bald nachkommen. Weil unsere Fadilla krank war, konnte ich nicht auf das Formianum kommen. Sollte ich dich nicht mehr zu Formiä12 treffen, so werde ich nach Capua gehen, woselbst der Aufenthalt für meine und unserer Kinder angegriffene Gesundheit sehr zuträglich sein wird. Schicke doch, ich bitte dich, den Arzt Soteridas nach dem Formianum; zu Pisitheus, der die Krankheit unserer jungen Tochter gar nicht zu behandeln versteht, habe ich kein Vertrauen. Calpurnius hat mir dein versiegeltes Schreiben übergeben. Ich werde dir, wenn sich meine Abreise verzögern sollte, durch den alten Eunuchen Cäcilius, einen, wie dir bekannt ist, treuen Menschen, darauf antworten, und zugleich dir durch ihn mündlich melden lassen, wie sich des Cassius Frau, Kinder und Tochtermann über dich äußern sollen“.

11 Aus diesem Sdreiben erhellt, daß Faustina keine Mitwissenschaft von der Empörung des Cassius gehabt, sondern daß sie im Gegentheil auf seine Bestrafung mit Nachdruck gedrungen hat, indem sie dem Antoninus, der kaltblütig geblieben und für gelinde Maßregeln gestimmt war, die Nothwendigkeit einer strengen Strafe vorstellte. Die Antwort Antonins auf obigen Brief enthält folgendes Schreiben: „Du bist, meine liebe Faustina, äußerst beforgt für deinen Gemahl und unsere Kinder. Denn ich habe den Brief, worin [154] du mir die Bestrafung der Mitschuldigen des Avidius ans Herz legst, auf unserem Formianum mit Bedacht durchgelesen. Allein ich werde seiner Kinder, seines Tochtermanns und seiner Frau schonen, und an den Senat schreiben, weder bei der Einziehung seines Vermögens mit zu großer Strenge, noch bei Bestrafung der Schuldigen mit zu großer Härte zu verfahren. Denn es gibt Nichts, Was einem römischen Kaiser die Herzen der Völker mehr gewinnen könnte, als Milde. Milde hat den Cäsar zu einem Gotte gemacht, wegen Milde ist Augustus vergöttert worden, und Milde war es, was deinen Vater ausschließlich mit dem Namen Pius geschmückt hat. Und wenn der Erfolg des Kriegs in meiner Macht gestanden hätte, so wäre selbst Cassius nicht getödtet worden. Sei also unbesorgt: ‚die Götter schützen mich, den Göttern ist meine Milde genehm‘ [Hor. Od. I, 17, 13 f.]. Unsern Pompejanus habe ich für das kommende Jahr zum Consul ernannt“. Dieß war die Antwort Antonins an seine Gemahlin.

12 Da es indessen nicht uninteressant sein dürfte, auch den Inhalt eines Schreibens von ihm an den Senat zu erfahren, so folgt hier Einiges daraus: „Empfanget, versammelte Väter, als Dank für euern Glückwunsch wegen des Sieges meinen Eidam Pompejanus als Consul, dessen Alter längst diese Würde verdient hätte, wenn nicht tapfere Männer zu berücksichtigen gewesen wären, gegen die der Staat seiner Verbindlichkeit sich entledigen mußte. In Betreff der Empörung des Cassius bitte und beschwöre ich euch, versammelte Väter, ihr möchtet, statt eurer Strenge Gehör zu geben, meine oder vielmehr eure Menschenliebe und Milde obwalten und Niemanden tödten lassen. Kein Senator werde bestraft, kein edles Blut vergossen! Die Verbannten mögen zurückkehren und die Geächteten [155] wieder ihr Vermögen in Besitz nehmen. Ja, ich wünschte, wenn es möglich wäre, selbst die Bestraften13 wieder von den Todten aufzuerwecken! Denn nie findet bei einem Kaiser die Bestrafung persönlicher Beleidigungen Billigung, sondern sie erscheint immer, mag sie auch noch so gerecht sein, zu strenge. Ihr werdet deßhalb die Kinder, den Eidam und die Frau des Avidius Cassius begnadigen. Doch was sage ich begnadigen? Sie haben ja gar nichts verschuldet! Sie mögen also ungestört leben, sie sollen wissen, daß sie unter Marcus leben. Sie mögen leben im Besitze ihres älterlichen Vermögens, das ich ihnen zum Theil zurückgebe, im Besitze ihres Goldes, ihres Silbers und ihrer Kleidung, sie seien reich, sicher, frei und in Hinsicht ihres Aufenthalts ungebunden und überall bei allen Völkern ein sprechender Beweis von meiner und eurer Milde. Indessen ist es, versammelte Väter, noch keine sehr große Milde, den Kindern und Frauen der Geächteten Gnade angedeihen zu lassen. Ich bitte euch deßhalb, alle dem Senatoren- und Ritterstande angehörigen Mitschuldige gegen Hinrichtung, Aechtung, Furcht, Beschimpfung, Injurien, und überhaupt gegen jegliche Unbill sicher zu stellen und meiner Regierung den Ruhm zu lassen, daß nur diejenigen bei dieser Empörung ihr Leben verloren haben, welche in der ersten Hitze des Kriegs gefallen sind“14.

13 Diese Ausdrücke seiner Milde erwiderte der Senat mit folgenden Zurufen15: „Menschenfreundlicher Antoninus, die Götter [156] mögen dich erhalten! Milder Antoninus, die Götter mögen dich erhalten! Milder Antoninus, die Götter mögen dich erhalten! Du hast verschmäht zu thun, was dir erlaubt war. Wir haben gethan, was sich gebührte. Wir bitten für Commodus um die Ertheilung der vollen Herrschermacht. Kräftige deinen Sohn! Sorge, daß unsere Kinder sicher seien. Eine gute Regierung vermag keine Gewalt zu erschüttern. Wir bitten für Antoninus Commodus um die tribunicische Gewalt, wir bitten um deine Gegenwart. Heil deiner Weisheit, deiner Nachsicht, deiner Gelehrsamkeit, deinem Ruhme, deiner Tugend! Du besiegst deine Widersacher, überwältigst deine Feinde, die Götter sind mit dir u. s. w.“. So lebten nun die Kinder des Avidius Cassius in ruhiger Sicherheit und wurden zu Ehrenstellen zugelassen. Allein Commodus Antoninus ließ sie nach dem Tode seines göttlichen Vaters insgesammt lebendig verbrennen, weil sie an einer Verschwörung Theil genommen haben sollten. Dieß sind die Nachrichten, die von Avidius Cassius zu meiner Kenntniß gelangt sind. Seinem Charakter nach war er, [157] wie wir oben bemerkt haben, ungleich und veränderlich, doch mehr zur Strenge und Grausamkeit geneigt. Hätte er sich auf dem Throne behauptet, so wäre er nicht blos ein milder und guter16, sondern auch dem Staate ersprießlicher und ausgezeichneter Kaiser gewesen.

14 Dieß beweist ein noch vorhandener Brief von ihm, den er schon als Kaiser an seinen Schwiegersohn schrieb: „Zu beklagen“ – sagt er darin – „ja wahrhaft zu beklagen ist der Staat, der jene Geldgierigen und Reichen tragen muß. Marcus ist allerdings ein sehr guter Mann. Denn um den Namen eines gütigen Regenten zu erhalten, läßt er diejenigen am Leben, deren Leben er selbst nicht billigt. Wo ist jener Lucius Cassius, dessen Namen wir vergeblich führen? Wo jener Marcus Cato, der Censor? Wo überhaupt die ganze strenge Zucht unserer Vorfahren? Schon längst ist sie verschwunden, nun aber vermißt man sie nicht einmal mehr. Marcus Antoninus philosophirt und stellt Untersuchungen über die Gnade, über die Seele, über das Sittlichgute und die Gerechtigkeit an, für den Staat aber hat er kein Gefühl. Du siehst, daß es vieler Schwerter, vieler Hinrichtungen bedarf, um die alte Staatsverfassung wieder herzustellen. Jenen Statthaltern der Provinzen möchte ich aber – doch was nenne ich diese Leute Proconsuln und Statthalter, die deswegen vom Senate und von Antoninus die Provinzen erhalten zu haben wähnen, um schwelgen, um reich werden zu können! Du weißst, daß der prätorische Präfect unseres Philosophen noch drei Tage vor seiner Ernennung zu diesem Posten in der tiefsten Armuth geschmachtet hat, auf einmal aber reich geworden ist. Und dieß von was Anderem, ums Himmels willen! [158] als von dem Marke des Staats und dem Vermögen der Provinzen? Mögen sie immerhin reich, mögen sie immerhin begütert sein: nur mögen sie die Schatzkammer wieder füllen. Mögen nur die Götter die gerechte Sache unterstützen! Die Enkel des Cassius werden der Republik wieder die Zügel der Regierung zurückgeben17“. Dieses Schreiben des Cassius beweist, wie strenge und hart derselbe als Kaiser gewesen sein würde.

Anmerkungen

1 Ich lese mit Salmasius: ex Cassiorum familia fuisse dicitur, per matrem tamen novo genitus Avidio Severo etc. Dio nennt zwar 71,22 seinen Vater Heliodorus, indessen konnte Gallicanus andere Quellen vor sich haben, oder war sein vollständiger Name Avidius Severus Heliodorus.

2 Es befanden sich zwei Cassius unter Cäsars Mördern, nämlichs Cajus, das Haupt der Verschworenen, und Lucius, von Cicero in den Briefen an Atticus 14,11 erwähnt.

3 Man vgl. Sueton im Leben Domitians Kap. 21.

4 Nämlich, weil er gleich dem Catilina so viele entgegengesetzte Eigenschaften in sich vereinigte. Unserem Biographen schwebte bei dieser Schilderung des Charakters des Cassius ohne Zweifel Sallust’s Schilderung Catilina’s vor (Sall. Cat. c. 5).

5 Die Ausleger fragen, wer dieser Sergius sei, und glauben ihn in dem Sergius zu erkennen, welcher in der dem Cicero zugeschriebenen Rede pro domo als Catilina’s Satellit geschildert wird. Allein es scheint hier eher einer von Catilina’s Vorfahren, M. Sergius Catilina, der wegen seiner fast übermenschlichen Tapferkeit berühmt war (man sehe unten die Anmerkung zu Albius Leben Kap. 13) gemeint zu sein und der Sinn: jetzt bin ich euch Catilina mit all’ seinen Eigenschaften, später aber werde ich ein Held wie Sergius sein.

6 Die Kreuzigung war bei den Römern nur eine Strafe der Sclaven und Fremden. Die Soldaten wurden gewöhnlich enthauptet, theils mit dem Beile, theils mit dem Schwerte. Das Letztere galt für ehrenvoller. Nur Ueberläufer mußten den Kreuzestod sterben.

7 Acetum. Darunter ist der gewöhnliche Trank der römischen Soldaten, die Posca, d. i. mit Weinessig vermischtes Wasser, zu verstehen.

8 Nämlich des Ennius.

9 Ein starker Gedächtnißfehler des Vulcatius Gallicanus, da Pertinax erst 13 Jahre nach Antonins Tod zur Regierung gelangte! Oder ist es nur eine vom Schriftsteller selbst aus dieser allgemeinen Sentenz Antonins abgeleitete Schlußfolgerung auf Pertinax?

10 Im Texte steht aeruscatores, Landbettler, was hier unpassend ist. Salmasius emendirt: Veri statores, und nach dieser Emendation wurde übersetzt. Dieser Verus, nicht zu verwechseln mit dem im Anfange des Briefs genannten Verus, des Marcus Mitregenten, war nach Dio 71,23 Statthalter von Cappadocien und hatte dem Antoninus die erste Nachricht von des Cassius Empörung gegeben.

11 Das albanische Landgut lag am Fuße des albanischen Berges und war schon von alten Zeiten her ein Lieblingsaufenthalt der römischen Kaiser.

12 Eine Seestadt in Campanien in einer höchst reizenden Gegend.

13 Ich lese mit Obrecht: multatos.

14 Ich lese: qui cecidit, in tumultu probetur occisus.

15 Der Gebrauch der Zurufungen war vom Theater auf das Forum und endlich auch in den Senat übergegangen. Unter Trajan fing man an, die Acclamationen des Senats in die Reichsakten einzutragen (Plin. Paneg. c. 75), aus denen sie daher von dieser Zeit an in den Geschichtschreibern häufig angeführt werden. Die Formeln derselben recitirte ein Senator einzeln und hierauf wiederholte sie die ganze Versammlung mit einer Art von Gesang. (Denn es wurde ein gewisser Rythmus dabei beobachtet.) Die nämliche Formel wurde sehr oft wiederholt und in den Akten angemerkt, wie oft es geschehen sei. Sie waren nicht nur in den eigentlichen Rathsversammlungen, sondern auch bei andern Gelegenheiten, wo der Senat zusammenkam, üblich und zeigten nach der Beschaffenheit des regierenden Kaisers die wirkliche Bewunderung oder die sclavische Furcht und Angst der Mitglieder.

16 Ich lese mit Boxhorn: clemens et bonus.

17 Ich lese mit Casaubonus: reddent.