Carus, Carinus und Numerianus

Ornament

Übersetzung

Carus

1 [747] Daß den römischen Staat das Schicksal beherrscht und daß derselbe bald zum höchsten Gipfel erhoben, bald wieder in den Abgrund geschleudert werde, hat der Tod des Probus zur Genüge bewiesen. Denn nachdem er in der Folge der Zeiten durch verschiedene Umwandlungen sich bald gehoben bald bedrängt gesehen und bald stürmische, bald glückliche Veränderungen erlitten hatte, kurz beinahe alles über sich hatte ergehen lassen müssen, was der einzelne sterbliche Mensch über sich ergehen lassen muß, so schien er nach so vielen verschiedenen Umfällen bereits einer bleibenden Ruhe und eines dauernden Glückes sich erfreuen zu dürfen, als nach Aurelians strenger Regierung Probus nach dem Wunsche des Senats und Volks das Ruder und die Leitung des Staats übernahm. Doch ein ungeheurer Umsturz, einer Sturmfluth oder Feuersbrunst gleich hereinbrechend, verwandelte, [748] als von den durch eine Art von Verhängniß in Wuth gesetzten Soldaten dieser große Kaiser ermordet worden war, die Hoffnungen des Staats in eine solche Verzweiflung, daß Jedermann wieder Domitiane, Vitellier und Neronen befürchtete. Denn man besorgt von dem noch unbekannten Charakter eines Fürsten mehr als man hofft, besonders dieß in einem Staate, der, noch an frischen Wunden blutend, die Gefangenschaft des Valerianus und die Schwelgerei des Gallienus und von nahe zu dreißig einheimischen Thronanmaßern, von denen jeder die zerstückelten Glieder des Staats an sich zu reißen suchte, erduldet und betrauert hatte.

2 Wenn wir nämlich von Anbeginn der Stadt an die mancherlei Veränderungen betrachten, welche mit dem römischen Staate vorgegangen sind, so werden wir finden, daß kein anderer Staat weder einer solchen Glücksblüthe sich zu erfreuen gehabt, noch so viel Unglück erlebt hat. Und um von Romulus, dem wahren Vater und Pfleger des Staats, anzufangen – wie groß war sein Glück? Er hat den Staat gegründet, aufgerichtet und gekräftigt und ist unter allen Städtegründern der einzige, der sein Werk vollendet hinterlassen hat. Was soll ich sodann von Numa sprechen, der dem kriegereichen und von Triumphen gleichsam schwangern Staate durch religiöse Einrichtungen Festigkeit verliehen hat? Es blühte nun unser Staat bis auf die Zeiten des Tarquinius des Uebermüthigen, wo er durch die Sitten der Könige einen Sturm über sich ergehen lassen mußte, sich aber auch, wiewohl nicht ohne große Unfälle, rächte. Sodann erstarkte er immer mehr bis auf die Zeiten des gallischen Kriegs, in denen er, wie in einem Schiffbruch, in Trümmer gieng, die Stadt außer der Burg erobert wurde, und fast mehr Unglück erleiden mußte als er Glück genossen hatte. Hierauf erholte er sich wieder vollständig, die punischen Kriege aber und die Schrecken des Pyrrhus lasteten so [749] schwer auf ihm, daß er in der innern Angst das Unglück menschlicher Hinfälligkeit empfand.

3 Sodann schwang er sich nach Karthago’s Besiegung höher empor und breitete über die Meere hinüber seine Herrschaft aus; allein durch die Bundesgenossenkriege zerfleischt, des Gefühls seines Glückes fast beraubt und durch Bürgerkriege entkräftet alterte er bis auf Augustus dahin. Durch diesen erhob er sich wieder, wenn nach dem Verluste der Freiheit noch von einer Erhebung die Rede sein kann. Dennoch zeigte er sich, so traurig es auch in seinem Innern aussah, fremden Völkern gegenüber so viel möglich in Macht und Blüthe. Nachdem er sodann so viele Nerone sich hatte gefallen lassen müssen, erhob er das Haupt durch Vespasian, wurde aber, ohne des Glückes unter Titus ganz genießen zu können, durch Domitians Unmenschlichkeit wieder zerfleischt. Indeß durch Nerva und Trajan bis auf Marcus in einem bessern Zustande als gewöhnlich versetzt, erlitt er durch des Commodus Wahnsinn und Grausamkeit schwere Wunden und erfreute sich, außer der thätigen Regierung des Severus, bis auf Alexander, den Sohn der Mammäa, keines Glücks. Das Folgende alles zusammen zu fassen würde zu weit führen. Denn der Kaiser Valerian war für den Staat verloren und den Gallienus mußte er sich 15 Jahre lang gefallen lassen. Dem Claudius verweigerte das fast allezeit veränderungsliebende und mit der Gerechtigkeit nie befreundete Glück eine längere Regierung. Denn so wurde Aurelian getödtet, so fand Tacitus seinen Tod, wo wurde Probus erschlagen, so daß man deutlich sieht, daß dem Glücke nichts lieber ist als die Schicksale des Staats in einem immerwährenden Wechsel zu erhalten.

4 Doch wozu lassen wir uns durch solche Klagen und durch die Abwechslungen in der Geschichte hinhalten? Gehen wir vielmehr auf Carinus über, einen, um mich so auszudrücken, in der Mitte [750] stehenden, doch mehr den guten als den schlechten Kaisern beizuzählenenden Mann und der für den Staat noch weit ersprießlicher gewesen wäre, wenn er nicht einen Carinus zum Erben hinterlassen hätte. Ueber das Vaterland des Carus schwanken die meisten Nachrichten so sehr, daß ich mir nichts Entscheidendes darüber zu sagen getraue. Denn Onesimus, der das Leben des Probus mit vielem Fleiße beschrieben hat, sagt er sei zu Rom geboren und gebildet worden, aber der Sohn illyrischer Aeltern gewesen. Dagegen läßt ihn Fabius Cerilianus, der die Regierung des Carus, Carinus und Numerianus mit vieler Einsicht beschrieben hat, nicht zu Rom, sondern in Illyricum geboren, und auch seine Aeltern nicht Pannonier, sondern Punier sein. Ich erinnere mich, in einem Tagebuche gelesen zu haben, Carus sei aus Mediolanum gebürtig gewesen, habe aber durch seinen Großvater das Bürgerrecht von Aquileja gehabt. Er selbst will unleugbar für einen Römer angesehen werden, wie ein Brief von ihm, den er als Proconsul an seinen Legaten schrieb, worin er diesen zu einer guten Amtsführung auffordert, beweist. Der Brief ist folgender. „Manlius Aurelianus,1 Proconsul von Cilicien, an seinen Legaten Junius. Unsere Vorfahren, jene alten Römer, haben bei der Wahl ihrer Legaten immer den Grundsatz festgehalten, daß sie den Beweis ihre Charakters durch diejenigen führten, denen sie Staatsgeschäfte übertrugen. Und wäre dieß auch nicht der Fall gewesen, so würde ich doch nicht anders gehandelt haben. Ich bin so verfahren; ich werde mich, wenn du darum besorgt bist, nicht täuschen.2 Sorge daher, daß wir hierin unsern Vorfahren, den alten Römern, gleichen.“ [751] Man sieht, daß er den ganzen Brief hindurch unter seinen Vorfahren Römer verstanden wissen will.

5 Von jenem Vorzug seiner Abstammung zeugt auch ein Schreiben von ihm an den Senat. Er schrieb nämlich nach seiner Erwählung zum Kaiser an denselben unter Anderem Folgendes: „Man muß sich daher freuen, versammelte Väter, daß einer aus eurem Stande und, wie ihr, ein geborner Römer, Kaiser geworden ist. Wir werden uns daher bestreben, daß die Ausländer nicht besser zu sein scheinen als Männer, die euch angehören.“ Auch diese Stelle beweist zur Genüge, daß er sich als einen Römer, d. h. als einen, der aus Rom seinen Ursprung herleite, betrachtet wissen wollte. Nachdem Carus, wie die Aufschriften an seinen Bildsäulen beweisen, alle Stufen im Civil- und Militärsache durchlaufen hatte, wurde er von Probus zum prätorischen Präfekten ernannt und wußte sich als solcher bei den Soldaten so beliebt zu machen, daß er nach dem Tode des Probus, dieses großen Kaisers, allein als der des Thrones Würdigste erschien.

6 Ich weiß zwar wohl, daß Mehrere vermuthet und es auch aufgezeichnet haben, daß die Ermordung des Probus durch die Umtriebe des Carus herbeigeführt worden sei: allein weder die Verdienste des Probus um Carus, noch der Charakter des Letztern berechtigen zu einer solchen Annahme. Ueberdieß bestrafte Carus den Tod des Probus mit großer Strenge und Festigkeit. Welche vortheilhafte Meinung Probus von Carus hatte, beweist ein Schreiben dieses Kaisers an den Senat wegen der dem Carus zuzuerkennenden Ehren. „Der Kaiser Probus entbietet seinen ihm ganz ergebenen Senat seinen Gruß. Unser Staat“ – heißt es darin unter Anderem – „wäre glücklich, wenn ich noch mehrere solche Männer, wie Carus ist und der größte Theil von euch, in Diensten hätte. Ich schlage daher [752] vor, diesem Manne von altrömischen Charakter ein Standbild zuzuerkennen, wenn es euch gefällig ist, nebst einem ihm auf öffentliche Kosten zu erbauenenden Palaste, wozu ich den Marmor hergeben werde. Denn es ziemt sich für uns, daß wir die Rechtschaffenheit eines solchen Mannes belohnen etc.“

7 Um aber nicht die unbedeutendsten Kleinigkeiten und Dinge anzuführen, die bei Andern zu finden sind, so bemerke ich, daß Carus, sobald er Kaiser geworden, nach dem einstimmigen Wunsche des Heers den von Probus vorgehabten Zug gegen die Perser unternahm. Zuvor ernannte er noch seine Söhne zu Cäsarn und zwar so, daß er den Carinus mit den auserlesensten Männern zum Schutze Galliens abschickte, den Numerianus aber, einen eben so vortrefflichen als beredten Jüngling, mit sich nahm. Indeß soll es Carus oft bedauert haben, daß er den Carinus als Cäsar nach Gallien geschickt und Numerianus noch nicht das gehörige Alter habe, um ihm die Regierung über Gallien, die hauptsächlich einen festen Regenten fordert, übertragen zu können. Doch davon an einem andern Orte. Es ist nämlich ein Schreiben des Carus an seinen prätorischen Präfekten vorhanden, worin er sich über die Aufführung des Carinus beklagt, so daß man deutlich sieht, die Nachricht bei Onesimus habe Grund, daß Carus Willens gewesen sei, den Carinus der Cäsarenwürde für verlustig zu erklären. Doch davon will ich, wie schon bemerkt, an einem andern Orte, nämlich in dem Leben des Carinus selbst, sprechen. Ich komme jetzt wieder auf meinen Hauptgegenstand zurück.

8 Nachdem Carus den sarmatischen Krieg großentheils glücklich geendigt hatte, trat er mit den ungeheuern Rüstungen und der gesammten Heeresmacht des Probus den Zug gegen die Perser an, eroberte, ohne daß sich ihm Jemand entgegen gestellt hätte, weil die Perser mit innerlichen Kriegen beschäftigt waren, Mesopotamien [753] und gelangte bis Ktesiphon und erhielt von dem Heere die Titel Imperator und Besieger der Perser. Allein als er voll Ruhmdurst, hauptsächlich auf das dringende Zureden seines Präfekten, der, selbst nach dem Purpur lüstern, des Carus und seines Sohnes Untergang wünschte, weiter vordrang, fand er seinen Tod, nach Einigen, durch eine Krankheit, nach Mehreren aber durch einen Blitz. Es kann nicht geleugnet werden, daß zur Zeit seines Todes plötzlich ein solches Donnerwetter entstand, daß Viele schon von dem bloßen Schrecken getödtet worden sein sollen. Während er nun krank in seinem Zelte lag und ein heftiges, von schrecklichen Blitzen und noch schrecklichern Donnerschlägen begleitetes Gewitter sich entlud, gab er den Geist auf. Junius Calpurnius, sein Geheimschreiber, gibt in einem Schreiben an den Stadtpräfekten folgende Nachricht von dem Tode des Carus: „Als Carus, der uns wahrhaft theure (carus) Fürst“ heißt es darin unter Anderem –„krank lag, brach plötzlich ein so stürmisches Gewitter aus, daß alles verfinstert wurde und kein Mensch den andern erkennen konnte. Sodann benahm uns allen das unaufhörliche Zücken der den Sonnenstrahlen gleich leuchtenden Blitze und das unausgesetzte Rollen des Donners jegliche Kenntniß von dem was vorgieng. Denn plötzlich erscholl das Geschrei, der Kaiser sei gestorben, und zwar nach einem Donnerschlage, der alles in Schrecken gesetzt hatte. Dazu kam noch, daß seine Hofleute in einem Anfall von Schmerz sein Zelt in Brand stekckten. Dieß gab Anlaß zu dem Gerüchte, der Kaiser sei vom Blitz getödtet worden, während er doch, so viel wir der Wahrheit haben nachspüren können, sicherlich an der Krankheit gestorben ist.“

9 Ich habe dieses Schreiben deshalb hier beigebracht, weil Mehrere behaupten, es sei gleichsam Schluß des Schicksals, daß kein römischer Kaiser über Ktesiphon hinaus vordringen könne, und Carus [754] sei deswegen vom Blitze getroffen worden, weil er die vom Schicksal gesteckten Grenzen habe überschreiten wollen. Doch weg mit diesen Kunstgriffen der Feigheit, die der Tapferkeit unterliegen muß! Es ist und wird unserem so erhabenen Cäsar Maximianus vergönnt sein, die Perser zu besiegen und über jene Grenzen hinaus vorzudringen und ich glaube auch, daß es geschehen wird, wenn nicht die Unsrigen sich des versprochenen Beistandes der Götter unwürdig erzeigen. Daß Carus ein guter Kaiser gewesen, dafür sprechen sowohl viele andere Thatsachen, als auch namentlich der Umstand, daß er unmittelbar nach seiner Gelangung zum Reiche die Sarmaten, die der Tod des Probus so frech gemacht hatte, daß sie mit einem Einfalle nicht blos in Illyricum, sondern auch in Thrakien und Italien selbst drohten, durch sein Ausharren im Kriege dergestalt besiegte, daß er in nur wenigen Tagen Pannonien die Ruhe wieder schenkte, 16,000 Sarmaten erschlug und 20,000 verschiedenen Geschlechts zu Gefangenen machte.

10 Dieß wird, wie ich glaube, von Carus genug sein. Gehen wir nun auf Numerianus über, dessen Geschichte sich an die seines Vaters genau anschließt und der sein Schwiegervater ein noch größeres Interesse verleiht. Und wiewohl Carinus den Jahren nach der ältere war und auch früher zum Cäsar ernannt wurde, so muß ich doch zuerst von Numerianus sprechen, der seinem Vater im Tode folgte und nachher erst von Carinus, den der um den Staat so hochverdiente Kaiser Diocletianus nach mehreren Schlachten tödtete.

Numerianus

11 Numerianus, des Carus Sohn, war ein trefflich gearteter, des Reichs wahrhaft würdiger Jüngling, zugleich aber auch ein so ausgezeichneter Redner, daß er öffentlich deklamirte und daß seine, [755] jedoch weniger dem ciceronianischen als dem deklamatorischen Stile sich nähernden Aufsätze noch jetzt geschätzt werden. Im Dichten soll er aber eine solche Fertigkeit gehabt haben, daß er alle Dichter seiner Zeit übertraf. Denn er wetteiferte nicht nur mit dem Dichter Olympius Nemesianus,3 dem Verfasser von Gedichten über den Fischfang, die Jagd und die Schifffahrt, der in allen Colonien eines großen Ruhmes sich erfreute, sondern überstrahlte auch den Jambendichter Aurelius Apollinaris, der des Carus Leben beschrieb, durch die Herausgabe seiner Vorlesungen, wie die Sonne und übrigen Gestirne. Eine an den Senat geschickte Rede Numerians war, wie man sagt, mit einer solchen Kunst und Würde abgefaßt, daß der Senat ihm nicht als Cäsar, sondern als Redner eine Bildsäule zuerkannte, welche in der Ulpischen Bibliothek aufgestellt werden sollte mit der Aufschrift: Dem Cäsar Numerianus, dem gewaltigsten Redner seiner Zeit.

12 Numerianus begleitete seinen Vater auf dem Heereszuge gegen die Perser. Da er aber nach dessen Tode durch zu vieles Weinen eine Augenkrankheit sich zuzog, ein Uebel, dem er bei seinem durch vieles Nachtwachen geschwächten Gesichte häufig unterworfen war,4 so ließ er sich in einer Sänfte tragen und wurde so meuchelmörderisch von seinem eigenen, nach dem Throne lüsternen Schwiegervater Aper umgebracht. Als die Soldaten viele Tage lang nach dem Befinden ihres Kaisers sich erkundigten, so erklärte Aper vor dem [756] versammelten Heere, Numerianus könne deswegen nicht öffentlich sich sehen lassen, weil er seine kranken Augen gegen Wind und Sonne geschützt haben müsse. Allein der Leichengeruch verrieth die Sache. Nun stürzten die Soldaten insgesammt auf Aper los, dessen Verbrechen nun nicht mehr länger verborgen bleiben konnte, und schleppten ihn auf den Fahnenplatz im Lager. Hierauf wurde eine große Kriegsgemeinde veranstaltet und ein Tribunal errichtet.

13 Als hier nun die Frage entstand, wer Numeriaus würdigster Rächer sein und wer dem Staate als guter Regent gegeben werden könnte, so riefen alle wie auf göttliche Eingebung den Diocletianus zum Kaiser aus, der schon viele Vorzeichen des Reiches gehabt hatte und damals Befehlshaber der Haustruppen war, einen ausgezeichneten, feinen, dem Staate und den Seinigen zugethanen und für alles, was die Umstände erforderten, vorbereiteten Mann, der immer einen unergründlichen, doch zuweilen verwegenen, allein dabei überlegenden, durch außerordentliche Beharrlichkeit die Wallungen eines unruhigen Herzens niederkämpfenden Geist besaß. Wie nun Diocletian zum Kaiser ausgerufen war und das Tribunal bestieg und man fragte, wie Numerian getödtet worden sei, zog Diocletian sein Schwert, wies damit auf den prätorischen Präfekten Aper hin und durchbohrte ihn mit den Worten: dieser ist der Mörder Numerians. So entehrte Aper sich selbst und fand, während er mit schändlichen Planen umgieng, ein seines Charakters würdiges Lebensende. Mein Großvater erzählte mir, er habe der Heerversammlung angewobnt, worin Aper durch die Hand Diocletians gefallen sei und dieser habe bei dem Stoße ausgerufen: Sei stolz, Aper, du fällst durch des großen Aeneas Rechte! Ich muß mich wundern, daß dieser Worte ein bloßer Kriegsmann sich bediente, wiewohl ich weiß, daß noch mehrere, nicht bloße Krieger dergleichen Stellen aus komischen und andern ähnlichen [757] Dichtern griechisch oder lateinisch anführen. Ja, die Komiker selbst legen öfters ihren auftretenden Kriegern alte Sprüchwörter in den Mund. So ist das Sprüchwort: „du bist selbst ein Hase und suchest Wildbrät“ von Livius Andronikus, und noch viele andere, die bei Plautus und Cäcilius vorkommen.

Ich halte es nicht für überflüssig, eine hieher gehörige, nicht sehr bekannte Geschichte vom Kaiser Diocletian, die ihm ein Vorzeichen zum Reiche wurde, hier beizubringen. Mein Großvater versicherte mir sie aus Diocletians eigenem Munde gehört zu haben. Als Diocletian noch eine der geringern Militärbedienungen bekleidete, hielt er sich einst im Tungerlande in Gallien in einer Schenke auf. Wie er nun mit seiner Wirthin, einer Druidin, wegen des täglichen Kostgeldes rechnete, und diese zu ihm sagte: Diocletian, du bist gar zu geizig, gar zu karg, soll Diocletian im Scherze, nicht im Ernste, entgegnet haben: Wenn ich Kaiser bin, will ich freigebiger sein. Auf dieß erwiderte die Druidin: Diocletian, scherze nicht, du wirst es sein, wenn du einen Eber (Aper) erlegt hast.

14 Von diesem Zeitpunkte an trug Diocletian immer ein heftiges Verlangen nach dem Reiche in seiner Brust, was Maximinianus und mein Großvater, denen er die Worte der Druidin selbst mitgetheilt hatte, wohl wußten: indeß Diocletian, wie er denn unergründlich war, lachte und schwieg. Doch versäumte er auf keiner Jagd eine Gelegenheit, einen Eber eigenhändig zu tödten. Als aber Aurelian, Probus, Tacitus und zuletzt selbst Carus nacheinander Kaiser wurden, sagte er: ich tödte allezeit Eber, aber ein Anderer genießt immer ihr Fleisch. Dieß ist bekannt und allgemein verbreitet, daß er nach der Ermordung des prätorischen Präfekten Aper gesagt haben soll: Nun habe ich endlich den vom Schicksal bezeichneten Eber getödtet. Weiterhin erzählte mein Großvater, Diocletian selbst habe [758] ihm gesagt, daß er den Aper aus keiner andern Ursache eigenhändig getödtet habe, als um die Voraussagung der Druidin zu erfüllen und seinen Thron zu befestigen. Denn er würde, namentlich in den ersten Tagen seiner Regierung, nicht gewünscht haben, als grausam zu erscheinen, wenn ihn nicht die Nothwendigkeit zu diesem schauerlichen Morde getrieben hätte. Nach den Lebensbeschreibungen des Carus und Numerianus ist nun noch Carinus übrig.

Carinus

15 Carinus war der allerschändlichste Mensch, ein Ehebrecher und ein berüchtigter Knabenschänder (die Nachrichten des Onesimus hierüber mitzutheilen schäme ich mich) der sich auch selbst Andern Preis gab. Als ihn sein Vater in den ihm zuerkannten Provinzen Gallien, Italien, Illyricum, Britannien und Africa als Cäsar zurückließ, ihm aber die Gewalt eines Augustus übertrug, so befleckte er sich mit grenzenlosen Lastern und ungeheuern Abscheulichkeiten. Seine besten Freunde entfernte er, dagegen erwählte er sich zu solchen die schlechtesten Menschen und behielt sie bei. Einen von seinen Thürstehern machte er zum Stadtpräfekten, eine Schändlichkeit, wie sie nicht größer gedacht oder gesagt werden kann. Seinen bisherigen prätorischen Präfekten ließ er tödten und gab ihm zum Nachfolger den Matronianus, einen ehemaligen Hurenkuppler. Einen von seinen Schreibern, den Vertrauten und Gehülfen seiner Unzucht und Wollust, machte er gegen den Willen seines Vaters zum Consul. Seine Schreiben an den Senat waren in einem übermüthigen Tone abgefaßt. Roms Pöbel, als machte derselbe das römische Volk aus, versprach er die Güter des Senats. Er heirathete und verstieß nacheinander neun Frauen, von denen die meisten schwanger waren. Seinen Palast füllte er mit Mimen, Buhldirnen, Pantomimen, Sängern und [759] Kupplern an. Vor dem Unterschreiben seines Namens ekelte ihm so sehr, daß er einen seiner Lustknaben, mit welchem er sich um die Mittagszeit zu unterhalten pflegte, dazu gebrauchte, den er aber auch häufig schalt, daß er seine Hand so geschickt nachmachen konnte.

16 An seinen Schuhen trug Carinus Edelsteine, so wie auch seine Agraffen, häufig auch sein Wehrgehenke, damit besetzt waren. Die meisten nannten ihn daher König von Illyricum. Den Präfekten oder Consuln gieng er nie entgegen. Schamlose Menschen galten sehr viel bei ihm und er lud sie immer zu seiner Tafel ein. Oefters ließ er auf dieselbe 100 Pfund Vögel, eben so viele Pfunde Fische und 1000 Pfund verschiedene Arten Fleisches auftragen. Auch an Wein war dabei Ueberfluß. Er badete sich unter Baumfrüchten und Melonen. Seine Speise- und Schlafzimmer ließ er mit Rosen von Mediolanum bestreuen. Sein gewöhnliches Bad war laulicht; nahm er aber ein kaltes, so mußte Schnee dazu kommen. Als er einst im Winter an einen Ort kam, wo, wie dieß um diese Jahreszeit gewöhnlich der Fall ist, das Wasser sehr laulicht strömte und er daselbst ein Bad genommen hatte, soll er zu den Badeknechten gesagt haben: Ihr habt mir ein wahres Weiberbad zubereitet. Und dieß gilt für sein berühmtestes Witzwort. Sein Vater erfuhr seine ganze Aufführung und rief dabei oft aus: er ist nicht mein Sohn. Ja, er hatte im Sinne, den Constantius, der in der Folge Cäsar wurde, damals aber Landvogt von Dalmatien war, an des Carinus Stelle zu wählen, weil es damals keinen trefflichern Mann zu geben schien, den Carinus selbst aber, wie Onesimus berichtet, tödten zu lassen. Es würde zu weit führen, wenn ich mehr von seiner Schwelgerei erzählen wollte: wer alle Einzelnheiten davon wissen will, den verweise ich auf den Fulvius Asprianus, der alle seine Handlungen bis zum Ekel berichtet.

17 [760] Als Carinus erfuhr, daß sein Vater vom Blitze erschlagen, sein Bruder von seinem Schwiegervater ermordet und Diocletian zum Kaiser ausgerufen worden sei, begieng er, jetzt durch den Tod der Seinigen gleichsam von aller und jeder Rücksicht gegen die Glieder seiner Familie entfesselt, noch größere Frevel und Verbrechen. Indessen fehlte es ihm doch zur Behauptung der Herrschaft keineswegs an thatkräftigem Muth. Er lieferte dem Diocletian mehrere Schlachten, bis er in der letzten Schlacht bei Margus5 geschlagen wurde und seinen Tod fand. Dieß war das Ende der drei Kaiser Carus, Numerianus und Carinus, nach welchen die Götter den Diocletian und Maximian der Welt zu Regenten schenkten und diesen großen Männern den Galerius und Constantius beigesellten, von denen der eine vom Schicksal bestimmt war, die durch Valerians Gefangenschaft erlittene Schmach abzuwaschen, der andere aber, Gallien Roms Gesetzen zurückzugeben. Diese vier Beherrscher der Welt sind tapfer, weise, gütig und ungemein freigebig, in ihren Wünschen für den Staat einig, voll Achtung gegen den Senat, gemäßigt, Freunde des Volks, würdevoll im Besitze der Macht und von Ehrfurcht gegen die Götter erfüllt6, kurz, sie sind Regenten wie wir sie von jeher gewünscht haben. Das Leben eines jeden derselben hat Claudius Eusthenius, Diocletians ehemaliger Geheimschreiber, je in einem Buche beschrieben, was ich aus dem Grunde hier bemerke, damit Niemand eine so schwierige [761] Aufgabe von mir erwarte, besonders da man die Geschichte noch lebender Regenten nicht ohne sich dem Tadel auszusetzen darstellen kann.

18 Die Regierung des Carinus und Numerianus ist hauptsächlich dadurch merkwürdig, daß sie dem römischen Volke Spiele mit neuen Arten von Schaugepränge gaben, wovon wir eine Abbildung im Palaste bei den Gallerien des Marstalles gesehen haben. Es erschien nämlich ein Seiltänzer, der mit einem Kothurn gleichsam in der Luft schwebte; ein Tichobat,7 der einem von ihm geneckten Bären durch die Mauer hindurch entrann und Mimen vorstellende Bären. Hundert Trompeter bliesen auf einmal, eben so viele Kamptaulen,8 eben so viele Chorflötisten, auch 100 Pithaulen9, und dann traten noch 1000 Pantomimen und gymnische Kämpfer auf. Außerdem erschien ein Pegma, dessen Scene durch Feuer verzehrt, das aber in der Folge von Diocletian prächtiger wieder hergestellt wurde. Außerdem ließ Carinus überall her Mimen kommen. Auch gab er ein [762] sarmatisches Schauspiel, das Reizendste was man sich denken kann, und einen Kyklops. Die griechischen Künstler, gymnischen Kämpfer, Schauspieler und Musiker wurden mit Gold und Silber, so wie mit seidenen Kleidern beschenkt.

19 Wie viel Vergnügen alle dergleichen Dinge dem Volke verschaffen, will ich nicht bestimmen; allein ein würdiger Fürst wird wenigstens keinen Werth darauf legen. Man erzählt sich in dieser Hinsicht eine Aeußerung Diocletians. Wie ihm nämlich sein Kassenverwalter diese Schauspiele des Carus rühmte und bemerkte, diese Fürsten seien beim Volke sehr beliebt gewesen wegen der Spiele im Theater und im Circus, entgegnete Diocletian: Also ist Carus während seiner Regierung recht ausgelacht worden. Als endlich Diocletianus Spiele gab, wozu jedermänniglich eingeladen war, setzte er seiner Freigebigkeit Schranken mit der Bemerkung, die Spiele müßten mit größerem Anstande gefeiert werden, wenn ein Censor zusehe. Möchte diese Stelle Junius Messalla lesen, den ich hier frei und offen zu tadeln wage. Denn er entzog sein Vermögen seinen rechtmäßigen Erben und verschwendete es an die Schauspieler. Das Unterkleid seiner Mutter gab er einer Mimin und den Mantel seines Vaters einem Mimen, und hätte daran Recht gethan, wenn ein tragischer Schauspieler den goldgestickten und purpurgestreiften Mantel seiner Großmutter als Schleppkleid gebrauchen würde10. Auf dem veilchenblauen Purpurmantel eines Chorflötisten, auf den dieser stolz wie auf eine dem Adel abgenommene Beute ist, kann man noch jetzt den Namen des Messalla und seiner Frau lesen. Was soll ich noch von der feinen ägyptischen Leinwand sprechen? was von den feinen und durchsichtigen, wegen ihrer kunstvollen flaumfederähnlichen Stickerei so berühmten [763] tyrischen und sidonischen Purpurstoffen? Man beschenkte die Schauspieler mit atrebatischen und canusinischen Regenmänteln und auf dem Theater zeigte sich Africa’s vorher noch nie gesehene Pracht.

20 Dieses alles führe ich deswegen hier an, um in denjenigen, welche in Zukunft Spiele geben werden, das Schamgefühl rege zu machen, daß sie nicht mit Uebergehung der rechtmäßigen Erben ihr Vermögen an Schauspieler und Possenreißer verschleudern. Nimm nun, theuerster Freund, mein Geschenk an, das ich, wie ich schon mehrmals erklärt habe, nicht um mit Wohlredenbeit zu prahlen, sondern um die Wißbegierde zu befriedigen, dem Publikum übergebe. Mein Hauptzweck dabei war, einem etwaigen künftigen Bearbeiter der Kaisergeschichte, der die Gabe eines schönen Vortrags besitzt, die Aufsuchung von Materialien zu ersparen und ihm durch mein Buch bei seiner Darstellung die Arbeit zu erleichtern. Dich aber ersuche ich, damit zufrieden und versichert zu sein, daß es uns nicht sowohl an gutem Willen, als an der Fähigkeit gefehlt hat, vorliegende Geschichte besser abzufassen.

Anmerkungen

1 Diese Namen sind verderbt. Auf den Münzen und Inschriften ist der Name des Carus: Marcus Aurelius Carus.

2 Anstatt: feci aliter, si te juvante non fallar lese ich mit Obrecht: feci taliter: te juvante non fallar.

3 Ein Dichter aus Karthago gegen das Ende des dritten Jahrhunderts. Wir haben von ihm noch ein Gedicht über die Jagd, Kynegetica betitelt, und vier Hirtengedichte.

4 Ich lese hier mit Obrecht: Cum oculos dolere coepisset, quod illud aegritudinis genus, vigilia utpote confecto, familiarissimum fuit, ac lectica portaretur, factione Apri etc.

5 Jetzt Kastoletz in Servien, etwas unterhalb Belgrad und Semendria.

6 Anstatt: unum in republica sentientes: praeterea senatus romani moderati, populo amici, potestate graves, religiosi lese ich mit Salmasius: unum in republica sentientes, reverentes romani senatus, moderati, populo amici, sancti, graves, religiosi.

7 Hirt in seiner Geschichte der Baukunst der Alten bemerkt über unsere Stelle Folgendes: Nach dieser Stelle scheint man in der Wand des Podium, d. h der senkrechten Mauer, die sich um die Arena erhob, auch Drehthüren, sogenannte Drillen, angebracht zu haben, durch welche der Jäger entweichend den ihn verfolgenden Bären täuschte. Ein solcher Jäger oder Bekämpfer gegen den Bären hieß tichobates, gleichsam der Mauerdurchläufer.

8 Ist die Leseart richtig, so wäre camptaules einer der auf einem krummen Clarinett bläst: allein Salmasius schlägt cerataules – Hornbläser – zu lesen vor.

9 Faßpfeifer oder Leute, die auf einem faßähnlichen Instrumente aufspielen. Es ist aber ohne Zweifel pythaulas zu lesen. Pythaules ist derjenige, der in der Komödie den Einzelgesang mit dem Clarinett begleitet oder die Lobgesänge auf die Götter auf dem Clarinett vorträgt.

10 Salmasius glaubt, daß an dieser Stelle eine Lücke im Texte sei.