Der vergöttlichte Claudius

Ornament

Übersetzung

1 [617] Ich komme nun auf den Kaiser Claudius zu sprechen, dessen Leben ich in Anbetracht des Cäsars Constantius mit Genauigkeit darstellen muß. Die Abfassung seiner Geschichte konnte ich schon aus dem Grunde nicht ablehnen, weil ich das Leben anderer schnell auftauchender und wieder verschwindender Kaiser und Regenten in meinem Buche von den 30 Thronanmaßern, worin sogar das Leben einer Fürstin aus dem Stamme der Kleopatra und Victorina enthalten ist1, beschrieben habe. Denn da es schon so weit gekommen war, daß der Contrast mit Gallienus zur Lebensbeschreibung sogar von Weibern nöthigte, so wäre es höchst gewissenlos gewesen, einen Regenten mit Stillschweigen zu übergehen, der eine so glorreiche Nachkommenschaft [618] hinterlassen, der den Krieg mit den Gothen durch seine Tapferkeit zu Ende geführt, durch seine Siege die Wunden des Staats geheilt, und der dem Gallienus, diesem Ungeheuer von einem Fürsten, obgleich nicht aus eigenem Antriebe, sondern weil er nach dem Willen des Schicksals zum Heile des Menschengeschlechts Kaiser sein sollte, die Zügel der Regierung entrissen hat, und der, hätte er länger in unserem Staate gelebt, durch seine Verdienste, seine Tugenden, seine Einsichten und seine Vorsicht ein treues Abbild der Scipionen, Camillen und aller jener hochberühmten Männer des Alterthums abgegeben haben würde.

2 Seine Regierung war zwar kurz, aber kurz wäre sie gewesen, auch wenn ein so großer Mann ein ganzes Menschenalter hindurch hätte regieren können. Denn was ist an ihm nicht bewunderungswürdig, was nicht ausgezeichnet, was von ihm verdient nicht den Triumphen der ältesten Helden vorgezogen zu werden? Er besaß Trajans Tapferkeit, Antonins Güte, Augusts Mäßigung und alle Vorzüge der größten Fürsten, und zwar auf eine Art, daß er nicht dieselben zu seinem Vorbilde zu wählen nöthig hatte, sondern daß er, hätten sie auch nie gelebt, andern ein Vorbild in seiner Person hätte hinterlassen können. Die geschicktesten Astrologen setzen als Grenze des menschlichen Lebens 120 Jahre, die zu überschreiten Niemanden vergönnt sei, und bemerken dabei, Moses allein, nach den Schriften der Juden ein vertrauter Freund der Gottheit, habe 125 Jahre gelebt und als er sich darüber beklagt, daß er noch in voller Manneskraft sterben müsse, von einem unbekannten höhern Wesen zur Antwort erhalten, Niemand werde länger leben. Wenn nun also auch Claudius 125 Jahre gelebt hätte, so würde sein merkwürdiges, außerordentliches Leben doch, wie Cicero in seiner Rede für Milo über Scipio sich ausdrückt, jederzeit haben wünschen lassen, [619] daß sein obgleich unvermeidlicher Tod nie sich wirklich ereignen möchte. Denn wo zeigte er sich nicht in Krieg und Frieden als einen großen Mann? Er liebte seine Aeltern: doch dieß ist nichts Außerordentliches. Er liebte auch seine Geschwister: dieß kann schon unsere Verwunderung erregen. Er liebte seine Anverwandten: dieß ist zu unsern Zeiten einem Wunder ähnlich. Er beneidete Niemanden, er verfolgte die Bösewichter und verurtheilte die ungetreuen Beamten offen und vor Aller Augen. Mit Thoren hatte er Nachsicht als mit ihm gleichgültigen Menschen. Er gab die trefflichsten Gesetze, kurz, der Geist seiner Regierung war von der Art, daß die größten Kaiser seine Nachkommen zum Throne beriefen, der bessere Theil des Senates es wünschte.

3 Man könnte glauben, ich spräche dem Cäsar Constantius zu Gefallen: allein dein eigenes Bewußtsein, so wie mein Leben werden mir das Zeugniß geben, daß keiner meiner Gedanken, keines meiner Worte, keine meiner Handlungen auf Gunsterwerbung abgezielt hat. Ich spreche vom Kaiser Claudius, dessen Leben, Rechtschaffenheit und große Verdienste um den Staat ihm einen so hohen Ruf bei der Nachwelt erwarben, daß ihm nach seinem Tode Senat und Volk außerordentliche Ehrenbezeugungen zuerkannten. Ihm zu Ehren wurde ein goldener Clypeus oder, wie die Grammatiker lieber sagen, ein goldenes Clypeum2 nach dem einstimmigen Schlusse des Senats in der Curie aufgestellt, der noch jetzt zu sehen ist und sein Brustbild zeigt. Ihm zu Ehren errichtete, was bis dahin ohne Beispiel war, [620] das römische Volk auf eigene Kosten auf dem Capitol, vor dem Tempel des größten besten Jupiters, ein 10 Fuß hohes Standbild aus Gold. Ihm zu Ehren wurde auf den Wunsch des ganzen Reichs bei der Rednerbühne eine 1500 Pfund schwere Säule aus Silber errichtet, worauf seine mit Palmen gezierte Statue steht. Claudius war es, der, gleichsam mit einem Blick in die Zukunft, die flavische Familie, die einen Vespasian und Titus – denn einen Domitian mag ich nicht nennen – hervorgebracht hatte, fortpflanzte; er war es, der den Krieg mit den Gothen in kurzer Zeit zu Ende führte. Ein Schmeichler war also der Senat, das ganze Volk, Schmeichler waren alle Provinzen und fremde Nationen, da alle Stände, jegliches Alter und jede Stadt, den trefflichen Kaiser durch Standbilder, Fahnen, Kronen, Kapellen, Triumphbögen, Altäre und Tempel ehrten.

4 Es ist für diejenigen, welche große Regenten sich zu Vorbildern nehmen, so wie überhaupt für Jedermann von Wichtigkeit, zu erfahren, welche Senatsbeschlüsse in Betreff des Claudius gemacht worden sind, damit Jedermann den Ausdruck der öffentlichen Meinung über ihn kennen lernen kann. Als nämlich am 24sten März im Tempel der Mutter, gerade am Bluttage, die Nachricht von der Thronbesteigung des Claudius eintraf, der religiösen Feierlichkeit wegen aber keine Senatsversammlung gehalten werden konnte, so begab man sich blos in den Togen in den Tempel des Apollo, wo nach Verlesung des Schreibens des Kaisers Claudius ihm zu Ehren folgende Zurufe erschallten: „Kaiser Claudius, die Götter wollen dich uns erhalten! (Diese Worte wurden 60 mal wiederholt); Kaiser Claudius, dich oder einen Fürsten wie du haben wir jederzeit zum Staatsobershaupte gewünscht (40 mal wiederholt); Kaiser Claudius, der Staat sehnte sich nach dir (40 mal); Kaiser Claudius, du bist unser Bruder, unser Vater, unser Freund, ein guter Senator, ein ächtes Oberhaupt [621] des Staats (80 mal); Kaiser Claudius, befreie uns von Aureolus! (5 mal); Kaiser Claudius, befreie uns von den Palmyrenern! (5 mal); Kaiser Claudius, befreie uns von der Zenobia und Victoria! (7 mal); Kaiser Claudius, Tetricus hat Nichts verschuldet (7 mal).“

5 Sobald Claudius zum Kaiser ausgerufen war, so lieferte er dem Aureolus, der wegen seines innigen Vernehmens mit Gallienus dem Staate gefährlich gewesen war, eine Schlacht, entthronte ihn und erklärte ihn in einem Edikte an das Volk, so wie in einem Schreiben an den Senat für einen Thronanmaßer. Ja, der entschlossene und strenge Kaiser schenkte den Vorschlägen des Flehenden und um ein Bündniß Bittenden kein Gehör, sondern wies sie zurück mit den Worten: Mit solchen Vorschlägen hätte er sich an Gallienus wenden sollen, der ihm an Sitten gleich und leicht in Furcht zu setzen gewesen sei. Endlich fand Aureolus auf das Verlangen der Soldaten bei Mediolanum ein Lebensende, wie es sein Charakter verdient hatte, wiewohl einige Geschichtschreiber ihn zu loben wagten, und zwar auf eine lächerliche Weise. So beginnt Gallus Antipater, der kriechendste Schmeichler und Schandfleck der Geschichtschreibung, seine Lebensgeschichte des Aureolus mit den Worten: Wir gehen jetzt auf einen Kaiser über, der seinen Namen mit vollem Rechte führt: Als wäre die Führung eines vom Golde [aurum] abgeleiteten Namens ein großes Verdienst! Haben doch, wie ich weiß, unter den Gladiatoren gute Fechter häufig diesen Namen bekommen, und erst noch neulich stand in dem Verzeichnisse der Gladiatoren, die in den von dir gegebenen Spielen auftraten, dieser Name. Doch wenden wir uns wieder zu Claudius!

6 Jene Gothen, die, wie wir oben erzählt haben, zu der Zeit als Macrianus sie verfolgte entkommen waren, und welche [622] Claudius, um das was nacher wirklich geschah zu verhindern, einzuschließen versucht hatte, reizten alle ihre Stämme zu Plünderung des römischen Gebietes auf. So fielen denn verschiedene skythische Völker, die Peuciner, Trutungen, Austrogothen, Virtinguer, Sigipeden, auch Kelten und Heruler, aus Raubgierde in das römische Gebiet und in das Reich ein und verheerten einen beträchtlichen Theil desselben, während Claudius mit andern Angelegenheiten beschäftigt war und sich zu dem später von ihm geendeten Krieg wie ein Feldherr rüstete, so daß die Entscheidung des Schicksals des Reichs durch die anderweitigen Belästigungen dieses trefflichen Fürsten verzögert zu sein schien, im Grunde aber blos, wie ich glaube, damit der Ruhm des Claudius sich erhöhe und der Glanz seiner Siege sich um so herrlicher über die ganze Erde verbreite. Der damals unter den Waffen stehenden Feinde waren 320,000 Mann. Nun trete der auf, der mich der Schmeichelei beschuldigt und wage es, die Verdienste des Claudius anzutasten. 320,000 Bewaffnete! Wo ist der Xerxes, der eine solche Waffenmacht gehabt hätte? Welches Märchen hat je ein solches Heer erdichtet? Welche dichterische Phantasie ein solches geschaffen? 320,000 Krieger waren es! Dazu rechne man noch ihre Sclaven, ihre Familien, ihre Wagenburg und bedenke die ausgetrunkenen Flüsse und die verbrauchten Wälder! Ja, ich glaube, daß der Landstrich selbst, über den sich eine solche Barbarenmasse ergoß, unter ihrer Last seufzte.

7 Man hat noch folgendes an den Senat gerichtete, aber zum Vorlesen vor dem Volke bestimmte Schreiben, das Claudius selbst dictirt haben soll (daher ich um die Worte seines Geheimschreibers unbekümmert bin), worin die Stärke des Feindes angegeben ist. „“An den Senat und an das römische Volk der Kaiser Claudius. [623] Höret was die Wahrheit ist und staunet3! 320,000 Barbaren haben mit den Waffen in der Hand den Reichsboden betreten. Sollte ich sie besiegen, so wird eure Erkenntlichkeit mein Verdienst anerkennen. Sollte ich unglücklich sein, so bedenket, daß ich nach einem Gallienus kämpfe. Der ganze Staat ist entkräftet und erschöpft. Wir sollen nach einem Valerianus, Ingenuus, Regillianus, Lollianus, Postumus, Celsus und nach 1000 Andern, die aus Verachtung gegen Gallienus vom gemeinen Wesen abgefallen sind, kämpfen. Es fehlt selbst an Schilden, Schwertern und Wurfspießen. Die Stärke des Reichs, Gallien und Hispanien, hat Tetricus inne, und alle Bogenschützen – ich schäme mich es zu sagen – dienen unter Zenobia. Was wir auch ausrichten werden – immerhin wird es groß genug sein.“ Diese Alle besiegte Claudius vermöge der ihm eigenen Tapferkeit, rieb sie in kurzer Zeit auf und erlaubte kaum einigen Wenigen in ihr Vaterland zurückzukehren. Ich frage nun, was für eine Belohnung für einen so glänzenden Sieg ist jener goldene Schild in der Curie? Was für eine ein einziges Standbild aus Gold? Ennius sagt von Scipio: Welche Statue, welche Säule wird das römische Volk dir errichten, um deine Thaten zu erzählen? Wir aber können sagen, daß dem Claudius, diesem in seiner Art einzigen Kaiser, nicht durch Säulen, nicht durch Standbilder, sondern durch die Allgewalt des Rufs die Unsterblichkeit verbürgt werde.

8 Ueberdieß hatten die Feinde 2000 Schiffe4, also doppelt so viel als womit das gesammte Griechenland und ganz Thessalien [624] vereinigt Asiens Städte erobern wollte5. Allein die Zahl der letztern hat die Phantasie des Dichters geschaffen, die der erstern aber ist durch die Geschichte beglaubigt. Wir Schriftsteller schmeicheln also dem Claudius, der 2000 barbarische Schiffe und 320,000 bewaffnete Feinde vertilgt, vernichtet, aufgerieben, der eine Wagenburg, wie sie zu einem so zahlreichen Heere im Verhältniß stand, durch Feuer zerstört und die Feinde sammt all ihren Familien in die römische Sclaverei gebracht hat. Den Beweis davon enthält folgendes Schreiben des Claudius an den mit Illyricums Vertheidigung beauftragten Junius Brocchus: „Wir haben 320,000 Gothen vertilgt und 2000 Schiffe versenkt. Mit ihren Schilden sind die Flüsse, mit ihren Schwertern und Lanzen alle Ufer bedeckt. Vor lauter Gebeinen sieht man die Felder nicht, alle Heerstraßen sind verunreinigt; ihre ungeheure Wagenburg steht verlassen. So viele Weiber sind in unsere Gefangenschaft gerathen, daß der siegreiche Soldat sich zwei bis drei zulegen kann.“

9 Und hätte nur unser Staat keinen Gallienus gehabt, hätte er nur nicht den Druck unzähliger Tyrannen erdulden müssen! Wären die Soldaten noch am Leben gewesen, welche verschiedene Schlachten hinweggerafft haben, hätte man die Legionen noch gehabt, welche der übermüthige Sieger Gallienus niederhauen ließ, welch’ einen Zuwachs hätte der Staat bekommen! Jetzt sucht unser Fleiß nach Worten, um den verheerenden Sturm, der über die Feinde ergieng, zu Ehre und Ruhm des römischen Staats auszudrücken. Denn man schlug sich in Mösien und viele Kämpfe fielen bei Marcianopolis6 [625] vor; eine große Anzahl gieng durch Schiffbruch zu Grunde; mehrere Könige, so wie viele edle Frauen verschiedener Völker geriethen in Gefangenschaft, und die römischen Provinzen wurden mit barbarischen Sclaven und bejahrten7 Bebauern angefüllt. Die Barbaren wurden Soldaten und aus Gothen Pflanzer, und es gab keine Gegend, welche nicht Gothen als Zeugen unseres Triumphes zu Sclaven gehabt hätte. Was haben damals unsere Vorfahren nicht für Ochsen gesehen? was nicht für Schaafe? Was für Stuten von dem so berühmten keltischen Schlage? Alles dieß gehört dem Ruhme des Claudius an, der dem Staate Sicherheit und den größten Ueberfluß geschenkt hat. Ueberdieß wurde bei Byzant gekämpft, dessen noch übrig gebliebene Einwohner tapfern Widerstand leisteten, und bei Thessalonika, das die Barbaren während der Abwesenheit des Claudius belagert hatten, so wie noch in verschiedenen andern Gegenden. Allenthalben wurden die Gothen unter den Auspizien des Claudius dergestalt geschlagen, daß es fast das Ansehen hatte, als hätte Claudius schon damals für seinen künftigen Enkel, den Cäsar Constantius, den Staat in einen ruhigen Zustand versetzen wollen.

10 Es kommt mir zu rechter Zeit in den Sinn, daß ich die Weissagungen hier anführen muß, die Claudius erhalten haben soll, und dieß um so mehr, damit Jedermänniglich bekannt werde, daß die Gottheit selbst das Geschlecht des Claudius zur Beglückung des Staates bestimmt hat. Wie er nämlich nach seiner Gelangung zum [626] Reiche das Orakel über die Dauer seiner Regierung befragte, wurde ihm der Ausspruch:
Der du jetzund das Vaterland regierst,
Und den Erdenrund lenkst, des Götterrathes
Du Vollzieher, du wirst in deinen Enkeln
Vor’ge Herrscher dereinst besiegen: denn es
Werden Könige deine Enkel werden
Und zu Königen ihre Enkel machen.
Als er zu Aponum8 in Betreff seiner das Orakel befragte, erhielt er zur Antwort:
Bis der dritte Sommer ihn sah in Latium herrschen9.
Und in Ansehung seiner Nachkommen:
Diesen setz’ ich weder ein Ziel noch Zeiten der Herrschaft10.
Und wie er sodann weiter wegen seines Bruders Quintillus, den er zum Mitregenten annehmen wollte, fragte, so wurde ihm geantwortet:
Zeigen nur der Erd’ wird ihn das Verhängniß11.
Ich habe dieß in der Absicht hier angeführt, um Jedermann zu überzeugen, daß der erhabene Cäsar Constantius sowohl selbst von göttlicher Herkunft und von einer kaiserlichen Familie sei, als auch daß er, unbeschadet der beglückten Regierung der beiden Auguste Diocletianus und Maximianus und seines Bruders Galerius, dem Staate viele Kaiser aus seiner Nachkommenschaft schenken werde.

11 [627] Während der göttliche Claudius diese Großthaten vollbrachte, bekriegten die Palmyrener unter der Anführung des Sabas und Timogenes die Aegypter, wurden aber von diesen mit einer ächt ägyptischen Hartnäckigkeit und durch unermüdete Fortsetzung des Kampfes besiegt. Doch wurde Probatus, der Anführer der Aegypter, durch die Hinterlist des Timogenes getödtet. Sämmtliche Aegypter aber unterwarfen sich dem römischen Kaiser und huldigten dem abwesenden Claudius. Unter dem Consulate des Atticanus und Orphitus12 begünstigte die Huld der Götter die Regierung des Claudius. Wie nämlich eine große Anzahl der übrig gebliebenen barbarischen Völker sich nach Hämimontum13 geflüchtet hatte, so wurden sie von Hunger und Seuchen dergestalt heimgesucht, daß Claudius es sogar verschmähte, nur noch zu siegen. So wurde denn endlich dieser so harte Krieg beendigt und die Schrecken des Römersreichs zurückgewiesen. Die Gewissenhaftigkeit zwingt uns, die Wahrheit zu sagen, zugleich aber auch – und dieß sollen diejenigen wissen, die uns so gerne als Schmeichler angesehen wissen möchten – diejenigen Umstände, deren Anführung die Geschichte gebieterisch fordert, nicht zu verschweigen. Gerade zu der Zeit, wo Claudius seinen vollständigen Sieg erfocht, ließ sich eine große Anzahl seiner Soldaten, durch das Glück, das selbst den Herzen der Vernünftigen zu schaffen macht, so sehr aufblasen, daß sie sich der Beute zuwandten, ohne zu bedenken, daß, wenn sie mit Leib und Seele nur mit Fortbringung der Beute beschäftigt wären, ihnen auch eine geringe Anzahl eine [628] Niederlage beibringen könne. So wurden denn mitten im Siege bei 2000 Römer von wenigen Barbaren, und zwar noch von solchen, die auf der Flucht waren, erschlagen. Wie Claudius diesen Unfall erfuhr, sammelte er sein Heer, holte die Barbaren, die die Erneuerung des Kampfes gewagt hatten, ein, machte sie zu Gefangenen und schickte sie in Fesseln nach Rom, um daselbst bei den öffentlichen Spielen gebraucht zu werden. Auf diese Weise wurde das, was das Glück oder die Soldaten verschuldet hatten, durch die Tapferkeit dieses trefflichen Kaisers wieder gut gemacht, und nicht nur ein Sieg über den Feind gewonnen, sondern auch noch Rache an ihm genommen. In diesem gothischen Kriege zeichneten sich namentlich die dalmatischen Reiter durch glänzende Waffenthaten aus, weil man glaubte, daß Claudius aus Dalmatien stamme, wiewohl ihn Andere für einen Dardaner hielten und vom trojanischen Könige Ilus und von Dardanus selbst abstammen ließen.

12 Damals erschienen die Skythen auch bei Kreta und versuchten Kypern zu verheeren, wurden aber überall, da ihr Heer die Pest in ihrem Gefolge hatte, geschlagen. Aber erst nach Beendigung des gothischen Krieges zeigte sich dieselbe in ihrer ganzen Wuth. Damals wurde auch Claudius von ihr ergriffen und schied aus der Welt und gieng in den Himmel ein, dem er durch seine großen Eigenschaften angehörte. Nachdem Claudius zu den Göttern und den Gestirnen sich erhoben hatte, übernahm sein Bruder Quintillus, ein tugendhafter Mann und ich möchte in Wahrheit sagen, der Bruder seines Bruders, die ihm durch die allgemeine Stimme übertragene kaiserliche Würde, aber nicht als eine Erbschaft, sondern als Belohnung seiner Verdienste. Denn er hätte dieselbe erhalten, auch wenn er nicht der Bruder des Kaisers Claudius gewesen wäre. Unter [629] ihm verwüsteten die noch übrigen Barbaren Anchialus14 und suchten sich auch der Stadt Nikopolis15 zu bemächtigen, wurden aber durch die Tapferkeit der Provinzialen aufgerieben. Quintillus konnte wegen der Kürze seiner Regierung keine eines Kaisers würdige That vollbringen. Denn er verlor am 17. Tage derselben, weil er gegen die Soldaten ernst und strenge sich bewies und ein wahrer Kaiser zu werden versprach, auf dieselbe Weise wie Galba und Pertinax sein Leben. Dexippus berichtet zwar, Quintillus sei nur gestorben, aber nicht ermordet worden, allein er setzt nicht hinzu, ob sein Tod Folge einer Krankheit war, so daß er selbst im Zweifel zu sein scheint.

13 Nachdem ich nun von den Kriegsthaten des Claudius gesprochen habe, so muß ich auch noch wenigstens einiges Wenige über seine Herkunft und Familie sagen, um nichts Wissenswürdiges zu übergehen. Claudius, Quintillus und Crispus waren Brüder. Eine Tochter des Crispus war Claudia, deren und des Eutropius, eines der edelsten Dardaner, Sohn der Cäsar Constantius ist. Sie hatte auch noch Schwestern, von denen eine, Namens Constantia, an einen Tribun der Assyrer vermählt war, aber noch sehr jung starb. Von den Vorfahren des Claudius ist uns bei der Verschiedenheit der Nachrichten wenig bekannt. Claudius zeichnete sich durch ein würdevolles Benehmen, durch Rechtschaffenheit in seinem ganzen Betragen, und eine seltene Keuschheit aus. Er trank wenig Wein, aß aber ziemlich viel. Er hatte einen hohen Wuchs, blitzende Augen und ein breites volles Gesicht, und besaß eine solche Kraft in seinen Fingern, daß er Pferden und Maulthieren öfters mit Einem Faustschlag die [630] Zähne ausschlug. Er hatte dieß schon in seiner Jugend erprobt. Wie er nämlich in einem kriegerischen Lustkampfe auf dem Exerzierplatze mit den stärksten Kämpfern rang, ergriff ihn einer derselben statt an dem Gürtel fest an den Schamtheilen, worüber Claudius so sehr in Zorn gerieth, daß er ihm alle Zähne mit einem Faustschlage einschlug. Doch hatte diese durch die Schamhaftigkeit hervorgerufene Rache keine Strafe für ihn zur Folge: sondern der Kaiser Decius, vor dessen Augen der Vorgang Statt gefunden hatte, lobte noch öffentlich die Tapferkeit und Züchtigkeit des Claudius und beschenkte ihn mit Arm- und Halsspangen, hieß ihn aber vom Kampfplatze sich entfernen, um ernsthafteren Auftritten, als sie auf den Ringplatz gehören, vorzubeugen. Claudius selbst hatte keine Kinder, dagegen hinterließ sein Bruder Quintillus zwei, und Crispus, wie schon gemeldet, eine Tochter.

14 Nun will ich die Urtheile der verschiedenen Kaiser über Claudius anführen, und zwar in der Art, daß die künftige Thronbesteigung des Claudius daraus ersichtlich ist. Schreiben des Kaisers Valerianus an Zosimio den Procurator in Syrien. „“Wir haben den Claudius, einen Illyrier von Geburt, einen Mann, der an Vaterlandsliebe und Tapferkeit alle Helden des Alterthums hinter sich zurückläßt, zum Tribunen der tapfern fünften martischen Legion ernannt. Du wirst ihm seinen Gehalt aus unserer Privatkasse geben, nämlich jährlich 3000 Scheffel Getreide; 6000 Scheffel Gerste; 2000 Pfund Speck; 3500 Sextarien alten Wein; 150 Sextarien gutes Oel; 600 Sextarien Oel von der zweiten Sorte; 20 Scheffel Salz; 150 Pfund Wachs; und Heu, Stroh, Weinessig, Hülsenfrüchte und Gemüse so viel er braucht. Sodann 30 Zehent Leder zu Zelten, jährlich 6 Maulesel, 3 Pferde, 10 Kameele, und 9 Mauleselinnen; ferner jährlich 50 Pfund verarbeitetes Silber, [631] 150 Philipiker von unserem Gepräge, und zum Neujahrsgeschenke 47 nebst 160 Drittelsstücken. Außerdem zu Flaschen und Bechern 11 Pfund und 11 andere Pfund ebenfalls zu Flaschen, Trink- und Kochgefässen. Jährlich 2 lichtrothe Soldatentuniken, ebenso viele Kriegsmäntel, 2 vergoldete Agraffen aus Silber und desgleichen eine goldene mit einem Dorn von kyprischem Kupfer; Ein vergoldetes Wehrgehenk aus Silber, einen zweilöthigen Ring mit 2 Edelsteinen, eine Armkette von 14 Lothen. Eine pfündige Halskette, einen vergoldeten Helm. Zwei goldeingelegte Schilde und meinen Panzer, den er aber zurückgeben muß. Zwei herkulische Lanzen, 2 Wurfkeulen, 2 Sicheln und 4 Sensen. Einen Koch und einen Maulthiertreiber, die beide zurückgegeben werden, zwei schöne Mädchen von den Gefangenen. Ein halbseidenes mit succubitanischem Purpur verbrämtes Kleid; ein mit maurischem Purpur verbrämtes Staatskleid. Einen Schreiber und einen Tafeldecker, die beide zurückgegeben werden. Zwei Paar kyprische Tischlagerdecken; zwei unbesetzte Untergewänder; zwei Mannesbeinbinden; meine Toga, so wie eine breit gestreifte Tunika, welche zurückgegeben werden. Zwei Jäger zu seiner Verfügung; einen Wagner; einen Hausmeister; einen Waffenträger; einen Fischer; einen Zuckerbäcker. Täglich 1000 Pfund Holz, wenn dasselbe wohl zu haben ist; im entngegengesetzten Falle aber wie viel und wo solches zu haben ist. Rauchfreies16 Holz, 4 Feuerpfannen voll. Einen Bader und Holz zum Heitzen des Bades; ist aber dieses zu selten, so mag er sich des öffentlichen Bads bedienen. Alles Uebrige, das ich hier wegen der Geringfügigkeit nicht namentlich anführen kann, wirst du ihm je nach Umständen geben, aber nicht in Geld, und wo etwas fehlen sollte, [632] solches auch nicht nach Geld anschlagen oder in andern Artikeln vergüten lassen. Dieß alles gestehe ich aus besondern Rücksichten dem Claudius nicht als einem Tribunen, sondern wie wenn er Feldhauptmann wäre, zu, weil er ein Mann ist, der noch Größeres verdient.“

15 In einem andern Schreiben an den prätorischen Präfekten Ablavius Murena äußert sich Valerian unter Anderem folgendermaßen über Claudius: „Klage nun nicht länger, daß Claudius noch Tribun und noch mit seinem Heerbefehl betraut ist, worüber sich, wie du mir sagst, Senat und Volk beklagen. Er ist jetzt Befehlshaber, und zwar von ganz Illyricum: unter ihm stehen die Heere in Thrakien, Mösien, Dalmatien, Pannonien und Dakien. Jener auch in unsern Augen so große Mann kann auf das Consulat rechnen, wenn er Lust dazu hat, und Prätor oder Präfekt werden, wenn er es wünscht. Wisse ferner, daß ich ihm einen eben so großen Gehalt ausgesetzt habe, wie dem Statthalter von Aegypten, nebst so vielen Kleidungsstücken als der Proconsul von Afrika hat; daß er so viel Silber als der Curator von Illyricum Metatius erhält und so viele Diener als wir uns selbst in jeglicher Stadt bestimmt haben, auf daß jedermänniglich wisse, welche hohe Meinung wir von diesem Manne haben.“

16 Ueber eben diesen Claudius drückt sich ein Schreiben des Kaisers Decius an Messala, Statthalter von Achaja, so aus: „Dem Tribunen Claudius, diesem trefflichen jungen Mann, diesem tapfern Krieger, diesem standhaften Bürger, der für Heer, Senat und Staat gleich unentbehrlich ist, haben wir den Befehl ertheilt, sich in die Thermopylen zu verfügen, so wie ich ihm auch den Schutz des Peloponneses anvertraut habe, wohl wissend, daß er von allen Andern unsern Befehlen am besten nachkommen wird. Du wirst ihm also 200 Soldaten aus Dardanien, 100 Gepanzerte, 160 Reiter und 60 [633] kretische Bogenschützen nebst 1000 wohlbewaffneten Rekruten geben. Denn ihm kann man jene neuen Truppen wohl anvertrauen, und Niemand besitzt mehr Diensteifer, Tapferkeit und Aufmerksamkeit auf Kriegszucht.“

17 Gallienus, als er durch seine Späher erfahren hatte, daß Claudius wegen seiner zu weichlichen Lebensart zürnte, äußerte sich über denselben also: „Nichts hat mich so sehr angegriffen, als die in deinem Berichte enthaltene Nachricht, daß Claudius, unser Vetter und Freund, durch einige grundlose Einflüsterungen sehr ungehalten ist. Ich bitte dich daher, mein lieber Venustus, wenn du anders treu gegen mich gesinnt bist, sorge, daß Gratus und Herennianus ihn wieder besänftigen, doch ohne daß die dakischen Truppen es merken, welche ohnehin schon murren und schwierig werden möchten. Ich übermache ihm hier einige Geschenke; sorge, daß sie eine günstige Aufnahme bei ihm finden. Zudem aber darf man ihn im Geringsten nicht merken lassen, daß ich um seine Stimmung weiß, damit er nicht glaube, ich zürne ihm, und aus Noth einen verzweifelten Schritt thue. Die Geschenke bestehen in 2 dreipfündigen, mit Edelsteinen besetzten Schalen; 2 dreipfündigen, mit Edelsteinen besetzten Bechern; einer mit Epheutrauben gezierten zwanzigpfündigen silbernen Platte; einer Rankenhabenden dreißigpfündigen silbernen Schüssel; einer epheuverzierten dreiundzwanzigpfündigen silbernen Schüssel; einem zwanzigpfündigen silbernen Fischgeschirr; zwei mit Gold eingefaßten silbernen Krügen von 6 Pfund und andern kleinen silbernen Tischgeräthen von 20 Pfund; in 10 ägyptischen Pokalen von verschiedener Arbeit; in 2 verbrämten Kriegsröcken von ächtem Purpur; in 16 verschiedenen andern Kleidern; einem halbseidenen weißen Gewande; einem 3 Unzen schweren Bortenkleide; drei Paaren von unsern parthischen Schuhen; 10 dalmatischen [634] Singilionen; einer dardanischen mantelartigen Chlamys, einer illyrischen Pänula; einem gallischen Oberkleid mit einer Kappe; 2 zottigen Filzröcken, 4 Sarabdenischen Sacktüchern und 150 goldenen Valerianen nebst 300 saloninischen Drittelsstücken.“

18 Auch der Senat hatte, bevor Claudius zum Reiche gelangte, eine äußerst vortheilhafte Meinung von ihm. Wie nämlich die Nachricht eintraf, er habe in Verbindung mit Macrianus tapfer wider die Barbaren gekämpft, erscholl im Senate der Zuruf: „Gesegnet seist du, tapferer Feldherr Claudius! Heil deinen Verdiensten, und deiner Vaterlandsliebe! Einstimmig weihen wir dem Claudius ein Standbild. Einstimmig wünschen wir den Claudius zum Consul. So, wie er, handelt wer den Staat liebt, so wie er, wer die Fürsten liebt. So wie er, handelten die Krieger der Vorzeit. Glücklich du, Claudius, im Urtheile unserer Fürsten! Glücklich du durch deine Verdienste, unser Consul, unser Präfekt! Langes Leben dir, Valerius; lange werde Claudius geliebt von seinem Kaiser!“ Es würde viel zu weitläufig sein, alle ihm gewordenen Lobsprüche hier anzuführen: doch dieß eine darf ich nicht unbemerkt lassen, daß ihn Senat und Volk sowohl vor, als während und nach seiner Regierung so sehr liebten, daß sicherlich weder ein Trajan, noch Antonin, noch sonst irgend ein anderer Kaiser so geliebt worden ist.

Anmerkungen

1 Statt der gewöhnlichen Lesart: qui Cleopatranam etiam stirpem et Victorinam et quae nunc est detinet lese ich mit Salmasius: qui Cleopatranam etiam stirpem Victorinamque nunc detinet.

2 Eigentlich der runde aus Erz bereitete Schild der römischen Soldaten. Es hieß aber auch so ein aus einer schildförmigen Fläche als Gemälde oder in halberhobener Arbeit an die Brust dargestelltes Bild von Göttern oder ausgezeichneten Menschen, Brustbild, Relief en médaillon.

3 Anstatt: militantes audite lese ich mit Obrecht: mirantes audite.

4 Die griechischen Geschichtschreiber Zosimus und Zonaras sprechen sogar von 6000 Schiffen, welche die Gothen gehabt haben sollen.

5 Dieß zielt auf den Zug der Griechen gegen Troja. Beiläufig bemerke ich, daß die Zahl ihrer Schiffe bei Homer auf 1086 angegeben ist.

6 Die Hauptstadt Nieder-Mösiens, von Trajan seiner Schwester Marciana zu Ehren erbaut. Jetzt Prebislaw oder früher Pristlawa, bei den Türken Eski Stambul.

7 Anstatt des unpassenden senibus möchte ich lieber scythicis lesen.

8 Eine berühmte warme Quelle, nahe bei Patavium (Padua), mit ausgezeichneten Kräften, wo man auch über die Zukunft Rath holen konnte.

9 Virgils Aeneis Ges. 1, V. 269.

10 Virgils Aeneis Ges. 1, V. 282.

11 Virgils Aeneis Ges. 6, V. 669.

12 J. Chr. 270.

13 Eine Provinz Thrakiens, worin das Hämusgebirge oder der Balkan.

14 Eine Stadt in Thrakien am schwarzen Meere, jetzt Ankelo.

15 Unter den vielen Städten dieses Namens ist hier wohl Nicopolis am Hämus in Thrakien gemeint.

16 Man sehe darüber die Anmerkung zu Pertinax Cap. 3.