Geta
Übersetzung
1 (1) [297] Ich weiß wohl, daß viele Personen, sowie auch deine Majestät1, Constantinus Augustus, die Frage aufwerfen können, warum ich auch das Leben des Geta Antoninus beschreibe. Doch ehe ich von dessen Leben oder gewaltsamem Tod spreche, will ich erzählen, warum auch er von seinem Vater Severus den Namen Antoninus erhalten hat. (2) Denn es ist keineswegs viel von demselben in seinem Leben zu [298] erzählen, da er, bevor er gemeinschaftlich mit seinem Bruder regierte2, seinen Tod fand. (3) Septimius Severus hatte einst die Zukunft erforscht, mit der Bitte, es möchte ihm kund gethan werden, wer nach seinem Tode sein Nachfolger sein würde. Er erfuhr im Traume, daß ein Antoninus ihm nachfolgen werde. (4) Sogleich trat er vor das versammelte Heer und gab seinem ältern Sohne Bassianus den Namen Marcus Aurelius Antoninus. (5) Doch später, sei es nun aus väterlichen Rücksichten oder, wie Einige wollen, in Folge der Vorstellungen der Julia, die um jenen Traum wußte, daß er selbst dadurch seinem jüngeren Sohne den Weg zum Throne verschlossen habe, ließ er auch seinen jüngern Sohn Geta Antoninus nennen (6) und nannte selbst ihn immer so in seinen vertrauten Briefen, indem er, wenn er von seiner Familie abwesend war, schrieb: (7) Grüßet meine Söhne und Nachfolger, die Antonine. Indeß die väterliche oder mütterliche Vorsicht fruchtete nichts; denn nur der folgte dem Severus auf dem Throne, der zuerst den Namen Antoninus erhalten hatte. So viel von diesem Namen.
2 (1) Geta wurde er aber entweder von seinem Oheim oder seinem väterlichen Großvater her genannt. Von seinem Leben und von seinem Charakter hat Marius Maximus in dem ersten Siebend seines Werkes, im Leben des Kaisers Severus, umständlich gesprochen. (2) Antoninus wurde aber Geta auch noch deßhalb genannt, weil Severus wünschte, daß alle Kaiser, so wie bisher Auguste, so in der Folge auch Antonine genannt werden möchten, und zwar aus Liebe zu Marcus, den er sogar seinen Bruder3 nannte und den er sich in der Philosophie [299] und in andern Zweigen der Wissenschaft zum Vorbilde nahm. (3) Indeß wollen Mehrere wissen, daß dieß nicht zu Ehren des Marcus geschehen sei, da ja dieser selbst den Namen Antoninus erst durch Adoption erhalten habe, sondern zu Ehren des Pius, des Nachfolgers Hadrians, (4) und zwar aus dem Grunde, weil ihn dieser4 aus einem gewöhnlichen Advokaten zum Anwalt des Fiscus gemacht und dadurch den ersten Grund zu seiner künftigen Größe gelegt hatte. (5) Ueberdieß schien ihm zu Verleihung eines Namens keiner glückweissagender als der des Pius, der nun schon auf eine Reihe von vier Kaisern nacheinander übergegangen war. (6) Ueber Geta soll sich Severus, der, wie die meisten Africaner, sich sehr gut auf die Sterndeuterei verstand und Geta’s Nativität wohl kannte, gegen seinen prätorischen Präfecten Juvenalis folgendermaßen ausgesprochen haben: (7) „Es kommt mir wunderbar vor, mein bester Juvenalis, daß unser Geta einst vergöttert werden soll, da sein Horoskop nichts Kaiserliches zeigt.“ Uebrigens täuschte sich Severus nicht. (8) Als nämlich Bassianus nach Geta’s Tode wegen seines Brudermords als Tyrann gebrandmarkt zu werden fürchtete und man ihm sagte, daß die übeln Eindrücke wegen dieser That durch Vergötterung seines Bruders geschwächt werden könnten, soll er entgegnet haben, (9) er sei immerhin ein Gott, wenn er nur todt ist, worauf er ihn unter die Götter versetzte und dadurch, so gut er konnte, sich mit der öffentlichen Meinung wieder aussöhnte.
3 (1) Geta wurde zu Mediolanum (Andere nennen einen andern [300] Ort) unter dem Consulate des Severus und Vitellius5, den 26. Mai, von der Julia geboren, welche Severus deßwegen zur Gemahlin genommen hatte, weil sie, wie er erfahren, eine zum Thron bestimmte Nativität hatte. Er war zwar damals noch nicht Kaiser, bekleidete aber bereits eines der höchsten Staatsämter. (2) Gleich bei Geta’s Geburt kam die Nachricht, eine Henne habe ein purpurrothes Ei im Hofe gelegt. (3) Da man dasselbe brachte, so nahm es sein Bruder Bassianus und warf es, wie es die kleinen Kinder machen, zur Erde, daß es zerbrach, worauf Julia im Scherze gesagt haben soll: Verdammter Brudermörder, deinen Bruder hast du getödtet! (4) Waren diese Worte auch nur im Scherze gesagt, so faßte sie doch Severus tiefer auf als irgend einer der Anwesenden, die erst später einsahen, daß sie der Julia gleichsam auf göttliche Eingebung entfallen seien. (5) Es ereignete sich aber auch noch ein anderes Vorzeichen. Es wurde nämlich an demselben Tage und zu derselben Stunde, wo Geta geboren wurde, auf dem Landgute eines gewissen gemeinen Mannes, Namens Antoninus, ein Lamm geworfen, das auf der Stirne rothe Wolle hatte. Der darüber befragte Zeichendeuter erklärte, nach Severus werde ein Antoninus regieren. Jener hielt sich selbst für diesen Antoninus. (6) Da er aber doch die Kundwerdung eines solchen Schicksalsschlusses6 fürchtete, so schlachtete er das Lamm, was denn ebenfalls andeutete, daß, wie später der Erfolg zur Genüge Bewies, Geta von Antoninus werde getödtet werden. (7) Folgendes war aber auch noch, wie der Ausgang [301] zeigte, ein höchst deutliches Vorzeichen von dem Greuel, der später geschah. (8) Der Opferer nämlich, der das Opfer, wodurch Severus seinen neugeborenen Sohn den Göttern empfehlen wollte, schlachtete, hieß Antoninus, (9) wornach damals freilich Niemand fragte, noch darauf achtete, was man aber später einsah.
4 (1) Geta war ein Jüngling von einem rauhen, aber keineswegs gefühllosen Charakter, hatte ein schönes Aeußeres, war eigensinnig7, leckerhaft und ein Liebhaber des Essens und von auf mancherlei Art eingemachten Weinen. (2) Aus seinen Knabenjahren erzählt man sich folgenden charakteristischen Zug von ihm. Severus hatte beschlossen, eine Anzahl Personen von der Gegenpartei zu tödten und bei dieser Gelegenheit im Kreise seiner Familie geäußert, ich will euch von euren Feinden befreien. Bassianus war damit so weit einverstanden, daß er sagte, auch deren Kinder müßten getödtet werden, wenn er es gut mit ihnen meine. Geta dagegen erkundigte sich, wie man sagt, nach der Zahl der zu Tödtenden, (3) fragte seinen Vater nach erhaltener Auskunft darüber, ob diese Leute Kinder und Verwandte hätten, und entgegnete auf die Antwort, daß Mehrere solche hätten, so werden denn weit Mehrere im Staate sein, die sich über unsern Sieg betrüben als darüber freuen! (4) Und Geta’s Meinung wäre durchgedrungen, wären nicht der Präfect Plautianus oder Juvenalis, in der Hoffnung auf Aechtungen, die sie bereicherten, auf der entgegengesetzten bestanden. Hiezu kam noch des Bassianus höchst grausamer Charakter. (5) Wie dieser halb im Ernste, halb im Scherze behauptete, sämmtliche von der Gegenpartei müßten mit ihren Kindern getödtet werden, soll ihm Geta erwidert haben: „Du, der du Niemandes schonst, könntest wohl gar auch deinen Bruder tödten“, Worte, die zwar [302] damals nicht beachtet, in der Folge aber als Vorahnung angesehen wurden.
5 (1) Bei seinen Studien war er ein großer Freund der alten Schriftsteller und bemerkte sich auch sorgfältig die Aussprüche seines Vaters. Sein Bruder konnte ihn nie leiden, dagegen besaß er die Liebe seiner Mutter in einem höheren Grade als dieser. Seine Sprache war wohlklingend, jedoch etwas stammelnd. (2) Auf eine zierliche Kleidung hielt er so viel, daß er seinem Vater dadurch Verdruß machte. Wenn er Geschenke von den Statthaltern erhielt, so verwandte er selbige auf seinen Putz, ohne Jemandem etwas davon mitzutheilen. (3) Als sein Vater nach Beendigung des parthischen Krieges in hohem Kriegsruhm strahlte und den Bassianus zu seinem Reichsgenossen ernannte, erhielt einigen Nachrichten zufolge auch Geta die Namen Cäsar und Antoninus. (4) Geta befragte gerne die Grammatiker um die eigentlichen Bezeichnungen der verschiedenen Stimmen der Thiere, z. B. (5) die Schafe blöcken (balant), die Schweine grunzen (grunniunt), die Ringeltauben girren (minurriunt), die Bären brummen (saeviunt), die Löwen brüllen (rugiunt), die Leoparden schreien (rictant), die Elephanten schnurren (barriunt), die Frösche quacken (coaxant), die Pferde wiehern (hinniunt), die Esel jachen (rudunt), die Stiere brüllen (rugiunt), und ließ sich dieselben aus den alten Schriftstellern beweisen. (6) Mit den Werken des Serenus Sammonicus, welche dieser dem Antoninus gewidmet hatte, beschäftigte er sich sehr viel. (7) Er hatte auch die Gewohnheit, daß er die Mahlzeiten, namentlich aber die Mittagstafel, bei seinen darüber schon unterrichteten Dienern nach den Anfangsbuchstaben der Speisen bestellte, (8) z. B. ein Mittagessen mit dem Buchstaben A bestand aus anser (Gans), aprugna (Schwarzwildbrät), und anas (Ente); eines mit dem Buchstaben P aus pullus (junge Hühner), perdix (Rebhuhn), parus (Pfauen), [303] porcellus (Spanferkel), piscis (Fische), perna (Schinken) und anderen mit diesem Buchstaben anfangenden Speisen; so auch fasianus (Fasan), farta (Würste), ficus (Feigen). Diese Dinge setzten ihn auch in seiner Jugend in den Ruf eines heiteren, launigen Menschen8.
6 (1) Nach seiner Ermordung äußerten diejenigen Truppen, die nicht bestochen worden waren, eine außerordentliche Unzufriedenheit über diesen Brudermord. Sie haben, erklärten sie sämmtlich, beiden Söhnen des Severus Treue gelobt, beiden müßten sie solche halten. Sie schloßen die Thore und verweigerten dem Kaiser längere Zeit den Eintritt. (2) Kurz, Bassianus konnte nicht früher nach Rom zurückkehren als bis er, nach manchen Klagen über Geta, durch Austheilung reichlicher Geschenke die Gemüther der Soldaten beschwichtigt hatte. (3) Sodann wurden Papinianus und viele andere Männer, welche entweder zur Eintracht gerathen hatten oder Geta’s Freunde gewesen waren, getödtet. Dieß gieng so weit, daß man Männer aus dem Senatoren- und Ritterstande theils im Bade, theils während der Mahlzeit9, theils auf der öffentlichen Straße tödtete. Papinianus selbst wurde mit dem Beile enthauptet, wobei Bassianus seine Unzufriedenheit bezeugte, daß dieß nicht mit dem Schwerte geschehen sei. (4) Endlich kam es unter den in der Stadt liegenden Soldaten zu einem Aufstande, welchen Bassianus mit großer Strenge dämpfte. Einer ihrer Tribunen wurde einigen Nachrichten zufolge hingerichtet, nach Andern [304] aber verwiesen. (5) Doch war Bassianus selbst so sehr in Furcht, daß er mit einem Panzer unter der Senatorenkleidung in die Curie kam und so sich wegen seiner That und der Ermordung des Geta verantwortete. (6) Damals soll es gewesen sein, daß Helvius Pertinax, der in der Folge auf Bassians Befehl getödtet wurde, als der Prätor Faustinus etwas verlas, bei dessen Worten: „unser allergrößter Sarmatiker und unser allergrößter Parthiker“ gesagt haben soll: „sag’ auch, unser allergrößter Getiker“, als hätte er Gothiker sagen wollen. (7) Diese Worte prägten sich dem Gemüthe des Bassianus tief ein, wie in der Folge der Tod des Pertinax bewies. Doch nicht allein dieser fand denselben, sondern auch noch, wie oben erzählt worden ist, Andere, aller Orten und ohne Billigkeit und Recht. (8) Den Helvius hatte er noch überdieß im Verdacht als strebe er nach dem Reiche, weil er die allgemeine Liebe besaß und des Kaisers Pertinax Sohn war, was nicht leicht einem Privatmanne die nöthige Sicherheit gewährt.
7 (1) Das Leichenbegängniß Geta’s soll mit größerer Pracht gehalten worden sein als man bei einem von seinem Bruder Ermordeten hätte erwarten sollen. (2) Er wurde in der Gruft seiner Vorfahren, d. h. des Severus, beigesetzt, welche dieser noch bei seinen Lebzeiten nach dem Model des Septizoniums sich hatte erbauen lassen und das sich an der appischen Straße am Thore rechter Hand befindet. (3) Bassianus wollte auch seine Stiefmutter, aber Geta’s rechte Mutter, weil sie seinen Bruder betrauerte, so wie die Frauen, die er nach seiner Rückkunft aus der Curie weinend getroffen hatte, tödten lassen. (4) Außerdem gieng seine Unmenschlichkeit so weit, daß er hauptsächlich gegen diejenigen, deren Tod er beschlossen hatte, freundlich sich bezeugte, so daß man weniger seinen Zorn als seine Freundlichkeit fürchtete. (5) Insonderheit war es für Jedermann eine auffallende Erscheinung, daß er, so oft Geta’s Name in Erwähnung [305] kam, oder so oft er dessen Bildniß oder Statue sah, über seinen Tod Thränen vergoß. (6) Ueberhaupt war Antoninus Bassianus so veränderlich, oder vielmehr sein Blutburst so groß, daß er bald die Anhänger Geta’s, bald dessen Feinde, so wie es ihm einfiel, hinrichten ließ, ein Umstand, der denn den Geta immer mehr vermissen ließ.
Anmerkungen
1 Clementia tua. Aehnliche Wörter, in den Anreden an die spätern römischen Kaiser gebraucht, sind pietas, serenitas, mansuetudo etc. Mit der sich verschlimmernden Sprache und dem steigenden Despotismus stiegen auch die Titulaturen bei den Kaisern sowohl als bei den Staatsbeamten, wie dieß überall der Fall ist.
2 Spartianus irrt hier. Nach den gleichzeitigen Geschichtschreibern Dio und Herodianus war Geta einige Zeit Mitregent Bassians, und wenn auch nur dem Namen nach.
3 Nach Dio nannte er sich einen Sohn des Marcus, und nach eben demselben Geschichtschreiber und nach Aurelius Victor (Kaisergeschichte Kap. 20) einen Bruder des Commodus, weßwegen Salmasius statt fratrem hier filium suum lesen will.
4 Nach der eben angeführten Stelle Victors war es Marcus, der ihm die Anwaltschaft des Fiscus übertrug.
5 189 n. Ch. Uebrigens waren die Genannten Ersatzconsuln. Die eigentlichen Consuln dieses Jahres waren Junius Silanus und Q. Servilius Silanus.
6 Ich lese mit Casaubonus: talis fati.
7 Anstatt tractator folge ich der Lesart des Salmasius retractator.
8 Comis. Irmisch will dafür in einer Anmerkung zu Herodian 4, 3 §. 4 cocus lesen, so daß demnach Geta für einen Koch gegolten hätte.
9 Ich übersetze hier nach der Interpunktion des Salmasius: in balneo coenantes.