Lucius Verus

Ornament

Übersetzung

1 (1) [125] Die meisten Geschichtschreiber haben zwar, wie ich wohl weiß, in ihren Lebensbeschreibungen des Marcus und Verus den Letzteren zuerst dem Leser vorgeführt, geleitet hiebei durch die Rücksicht, nicht auf die Länge ihrer Regierung, sondern ihre Lebensdauer; (2) allein ich habe es für nothwendig gehalten, zuerst das Leben des Marcus, weil dieser früher die Regierung angetreten hat, und sodann erst das des Verus, welcher noch bei Lebzeiten des Marcus gestorben ist, zu beschreiben. (3) Lucius Cejonius Aelius Commodus Antoninus Verus, welcher nach dem Wunsche Hadrians den Namen Aelius, in Folge seiner Verbindung mit Antoninus aber die Namen Verus und Antoninus annahm, kann weder den guten noch den schlechten Regenten beigezählt werden, (4) da er, wie allgemein bekannt ist, sich ebensowenig durch Laster furchtbar machte, als er eine Fülle von Tugenden entfaltete, überdieß auch keineswegs im unbeschränkten Besitze der Gewalt sich befand, sondern die Majestät und Macht des Throns mit [126] Marcus theilen mußte. (5) Auch bildete die Zügellosigkeit und schrankenlose Ungebundenheit des Verus, dessen Charakter offen und jeder Verstellung unfähig war, einen scharfen Gegensatz mit der philosophischen Handlungsweise des Letztern. (6) Sein leiblicher Vater war Lucius Aelius Verus, welcher von Hadrian angekindet und zuerst Cäsar genannt wurde und im Besitze dieser Würde starb. (7) Seine Väter und Großväter, sowie eine große Anzahl seiner Vorfahren hatten das Consulat bekleidet. (8) Lucius wurde zu Rom während der Prätur seines Vaters am 15. Dezember, der auch der Geburtstag des Kaisers Nero ist, geboren. (9) Von väterlicher Seite stammte seine Familie größtentheils aus Etrurien, von mütterlicher aus Faventia1.

2 (1) Von solchen Vorfahren entsprossen, kam Verus in Folge der Ankindung seines Vaters durch Hadrian in die älische Familie, in welcher er auch nach dem Tode dieses Cäsars verblieb. (2) Später ließ Hadrian, in sorgendem Hinblick auf die Nachwelt, ihn von Aurelius sich ankinden, nachdem er selbst den Pius zu seinem Sohn, den Marcus zu seinem Enkel angenommen hatte, (3) und zwar unter der Bedingung, daß sich Verus mit der Tochter des Pius verheirathen sollte, welche aber in der Folge Marcus zur Gemahlin erhielt, weil, wie wir in des Marcus Leben bemerkt haben, Verus noch zu jung war. (4) Dagegen vermählte sich dieser mit des Marcus Tochter Lucilla. Seine Erziehung erhielt Verus im tiberianischen Palaste. (5) Seine Lehrer waren – in der lateinischen Sprache der Grammatiker Scaurus, der Sohn des Scaurus, des vormaligen Lehrers Hadrians in der Grammatik2, im Griechischen Telephus, Hephästio und Harpokration. In [127] der Redekunst unterwiesen ihn Apollonius, Celer Caninius, Herodes Atticus und der römische Redner Cornelius Fronto; in der Philosophie Apollonius und Sextus. (6) Allen diesen seinen Lehrern war Verus mit außerordentlicher Liebe zugethan, sowie er auch hinwiederum von ihnen geliebt wurde. Indessen zeigte Verus wenig Fähigkeiten für die Wissenschaften. (7) Als Knabe verfertigte er gerne Verse, in seinen späteren Jahren aber Reden, und zwar soll er ein besserer Redner als Dichter gewesen sein oder, um mich richtiger auszudrücken, ein schlechterer Dichter als Redner. (8) Auch behaupten Mehrere, er habe sich bei seinen Arbeiten der Talente seiner Freunde bedient, und dieselben, welchen Werth sie auch haben mögen, seien sämmtlich das Werk Anderer. Denn er soll stets eine große Anzahl beredter und gelehrter Männer um sich gehabt haben. Zum Erzieher hatte er den Nikomedes. (9) Verus war genußsüchtig, überaus lebhaft, und für Vergnügungen jeder Art, für Spiel und Scherz ganz gemacht. (10) Nach zurückgelegtem siebentem Jahre wurde er in die aurelische Familie gepflanzt und nach dem Beispiele und den Vorschriften des Marcus gebildet. Er liebte die Jagd, das Ringen, kurz alle jugendlichen Leibesübungen, (11) und lebte vor seiner Gelangung zum Reiche 23 Jahre im kaiserlichen Palaste.

3 (1) An dem nämlichen Tage, an welchem Verus die männliche Toga anlegte, weihte Antoninus Pius seinem Vater einen Tempel und erwies sich bei dieser Gelegenheit sehr freigebig gegen das Volk. (2) Wie Verus in seiner Quästur dem Volke Spiele gab, hatte er seinen Platz zwischen Pius und Marcus. (3) Unmittelbar nach derselben wurde er mit Sextus Lateranus Consul und einige Jahre darauf zum zweiten [128] Male mit Marcus. (4) Lange aber lebte er als Privatmann, ohne der Auszeichnungen zu genießen, womit Marcus geehrt wurde. (5) Denn vor seiner Quästur hatte er keinen Sitz im Senate, auch saß er auf Reisen nicht bei seinem Vater, sondern bei dem prätorischen Präfecten im Wagen, und erhielt keinen andern Ehrennamen als den eines Sohnes des Augustus. (6) Verus war ein sehr großer Liebhaber der Circus-, sowie der Fechterspiele. Indessen scheint ihn bei seinen ausschweifenden Verirrungen in Genüssen aller Art und in der Schwelgerei Antoninus nur aus dem Grunde in der kaiserlichen Familie beibehalten zu haben, weil ihn Hadrian von Pius als seinen eigenen Enkel hatte adoptiren lassen, so daß ihn also, wie man vermuthen darf, weniger Zuneigung als Pflicht dazu bestimmte. (7) Doch liebte ihn Pius seiner Offenheit und Reinlichkeit wegen, empfahl ihm aber auch seinen Bruder als Vorbild. (8) Nach dem Tode des Pius ließ ihm Marcus alle Ehrenbezeugungen zukommen, ihn Theil an der kaiserlichen Macht nehmen, und ernannte ihn zu seinem Mitregenten, ungeachtet der Senat ihm allein die Obergewalt übertragen hatte.

4 (1) Außer dieser Regierungsgemeinschaft ertheilte ihm Marcus die tribunicische Gewalt, die Ehren des Proconsulats und ließ ihn statt des bisherigen Namens Commodus seinen eigenen annehmen. (2) Indessen bezeugte sich auch Lucius dankbar gegen Marcus und begegnete ihm mit der Achtung eines Legaten gegen den Proconsul oder eines Statthalters gegen den Kaiser. (3) Marcus hielt sogleich bei dem Antritt ihrer Regierung eine Anrede an die Truppen und dankte ihnen für ihre Zustimmung zu ihrer gemeinschaftlichen Regierung; Verus dagegen suchte sich ernstlich nach seinem Beispiele zu bilden3. (4) [129] Allein nach seiner Abreise nach Syrien schändete er seinen Ruf nicht blos durch zügellose Ausschweifungen, sondern auch durch Ehebruch und Knabenliebe. (5) Seine Schwelgerei soll so groß gewesen sein, daß er nach seiner Rückkehr aus Syrien sogar in seinem Palaste eine Garküche anlegte, wo er, wenn er von des Marcus Tafel kam, einkehrte und sich von den verdorbensten Menschen jeder Art bedienen ließ. (6) Auch soll er ganze Nächte hindurch Würfel gespielt haben, eine Leidenschaft, die sich seiner in Syrien bemächtigt hatte, und ein so eifriger Nachahmer der Ausschweifungen eines Cajus4, Nero und Vitellius gewesen sein, daß er Nachts, den Kopf mit einer gewöhnlichen Reisekapuze bedeckt, in den Schenken und Hurenhäusern unherzog, sich daselbst unter die ärgsten Lotterbuben mischte und Händel anfing ohne sich zu erkennen zu geben. Oft sei er mit blauen Flecken im Gesichte nach Hause gekommen, nicht selten auch, so sehr er sich zu verbergen suchte, in den Schenken erkannt worden. (7) Er hatte auch die Gewohnheit, große Münzen in die Schenken zu werfen, um damit die Kelche zu zerbrechen. (8) Er liebte die Wettfahrer und erklärte sich für die Lauchgrünen5. (9) Oefters gab er Gladiatorengefechte bei seinen Gastmählern. Seine Tafel dauerte bis in die Nacht hinein, und war er auf [130] dem Speisepfühle eingeschlafen, so trug man ihn, so wie er da lag, auf einem Teppiche in sein Schlafgemach. (10) Sein Schlaf war von sehr kurzer Dauer und seine Verdauung ging außerordentlich leicht von Statten. (11) Indeß Marcus nahm, wie wenn er um alles Dieses Nichts wüßte, keine Kenntniß davon, aus Scham, seinem Bruder Vorwürfe machen zu müssen.

5 (1) Sehr viel erzählt man sich von folgendem außerordentlichen Gastmahle, das Verus gab. Diesem sollen vor allem Andern zwölf Gäste beigewohnt haben, während doch in Betreff der Zahl der Gäste das bekannte Sprüchwort gilt: Sieben machen ein Gastmahl, neun aber ein Schandmahl. (2) Sodann bekam jeder Gast den schönen Knaben, der ihm aufwartete und den Tafeldecker nebst den Schüsseln zum Geschenke, außerdem von jeder Art zahmer und wilder Thiere und Vögel, die auf die Tafel gekommen waren, lebendige Exemplare; (3) ferner, so oft getrunken ward, Becher aus Murrha und alexandrinischem Krystall, sowie goldene, silberne und mit Edelsteinen besetzte Pokale, ja auch Kränze mit Bändern aus Goldblech durchschlungen und aus Blumen einer andern Jahreszeit und Gefässe mit Salben, zwar von der Gestalt der gewöhnlichen, aber von Gold; (4) endlich zur Rückkehr nach Hause einen Wagen sammt Kutscher und Maulthieren mit silbernem Geschirr. Nach der Tafel wurde noch bis zum lichten Tage Würfel gespielt. (5) Die Kosten des ganzen Gastmahles beliefen sich, wie man sagt, auf 6 Millionen Seftertien6. (6) Marcus soll, wie er davon hörte, geseufzt und das Schicksal des Staates beklagt haben. (8) Dieß geschah indeß nach dem parthischen Kriege. Den Verus zur Führung dieses abzuschicken, sollen den Marcus mehrere Gründe bewogen haben: theils wollte er nämlich seine Ausschweifungen den Blicken der Römer entziehen, theils sollte Verus in der Entfernung von Rom haushälterischer werden, theils durch die Gefahren des Kriegs gebesserter zurückkehren, theils zum Bewußtsein kommen, daß er Kaiser sei. (9) Allein in wieweit Marcus seine Absicht erreichte, zeigt sowohl das ganze übrige Leben des Verus, als namentlich auch das soeben erzählte Gastmahl.

6 (1) [131] Für die Circusspiele interessirte er sich so sehr, daß er häufig Briefe über diesen Gegenstand an die Provincialen schrieb und solche von ihnen empfing. (2) In Rom selbst, dem Marcus zur Seite, mußte er sich viele Beschimpfungen von Seite der Blauen gefallen lassen, weil er eine höchst parteiische Vorliebe für ihre Gegner an den Tag legte. (3) Denn er hatte sich unter Anderem von einem, den Lauchgrünen angehörigen Pferde, Volucer (der Vogel) genannt, ein goldenes Abbild machen lassen, das er immer bei sich trug, (4) ließ demselben statt der Gerste Rosinen und Mandeln in die Krippe schütten, dasselbe mit Purpurdecken geschmückt zu sich in den tiberianischen Palast führen und nach dessen Tode ihm ein Grabmal auf dem Vatican errichten. (5) Dieses Pferd gab die erste Veranlassung, daß man für die Rennpferde Goldstücke oder Kampfpreise forderte. (6) Es stand aber in einer solchen Gunst, daß man von Seiten der Grünen oft einen Scheffel Goldstücke für dasselbe verlangte. (7) Als Verus sich in den parthischen Krieg begab, begleitete ihn Marcus bis nach Capua. Da er aber bei Fortsetzung seiner Reise auf allen Landgütern der Völlerei fröhnte, so erkrankte er zu Canusium, wohin sein Bruder sich auf einen Besuch bei ihm begab. (8) Ueberhaupt finden sich in dem Leben des Verus viele Spuren von Unthätigkeit und Gemeinheit, selbst während des Kriegs. (9) Denn als nach dem Tode des Legaten und der Niedermetzelung der Legionen Syrien auf Abfall sann und der Orient verheert wurde, beschäftigte sich Verus in Apulien7 mit der Jagd und fuhr bei Korinth und Athen unter Musik und Gesang auf dem Meere spazieren, und verweilte in jeder ansehnlichen Seestadt Asiens, Pamphyliens und Kilikiens8.

7 (1) Nachdem Verus zu Antiochien angekommen war, überließ er sich für seine Person der Schwelgerei, seine Feldherrn aber, Statius Priscus, Avidius Cassius und Martius Verus, führten den Krieg mit den Parthern binnen vier Jahren zu Ende. Sie drangen in demselben sogar bis Babylon und Medien vor und gewannen Armenien zurück. (2) Verus erhielt daher die Beinamen Armenicus, Parthicus [132] und Medicus, welche sodann auch dem zu Rom zurückgebliebenen Marcus übertragen wurden. (3) Verus brachte diese vier Jahre den Winter zu Laodicea9, den Sommer zu Daphne10, und die übrigen Jahreszeiten zu Antiochia zu. (4) Für die Syrer war er allgemein ein Gegenstand des Spottes, und es sind noch viele Witzworte vorhanden, welche sie im Theater gegen ihn fallen ließen. (5) An den Saturnalien und andern Festtagen durften seine Haussclaven immer Theil an seiner Tafel nehmen. (6) Doch vermochten die Vorstellungen seiner Freunde wenigstens so viel über ihn, daß er einen zweiten Zug an den Euphrat unternahm. (7) Auch ging er seiner, von ihrem Vater Marcus abgeschickten Gemahlin Lucilla bis Ephesus entgegen, um sie daselbst zu empfangen, und zwar hauptsächlich aus Besorgniß, Marcus möchte mit ihr nach Syrien kommen und Kenntnis von seinem Schandenleben erhalten. Marcus hatte nämlich im Senate geäußert, er werde seine Tochter nach Syrien begleiten. (8) Nach Beendigung des Krieges ertheilte er an Könige Königreiche und unter seine Begleiter Provinzen. (9) Hierauf kehrte er nach Rom zum Triumphe zurück, wiewohl nur ungerne, weil er Syrien als sein eigenthümliches Reich betrachtete. Er triumphirte in Gesellschaft seines Bruders und erhielt die ihm vom Heere zuerkannten Ehrennamen vom Senate bestätigt. (10) In Syrien soll er einer gemeinen Buhldirne zu Gefallen seinen Bart abgelegt haben, was den Syrern Stoff zu vielen Spöttereien gab.

8 (1) Es war ein über ihm waltendes eigenes Verhängniß, daß er in alle Provinzen, durch welche er nach Rom zurückkehrte, bis in diese Stadt, die Pest in seinem Gefolge zu bringen schien. (2) Sie soll zuerst in Babylon11 ausgebrochen sein, wo in einem Tempel Apollo’s aus einem goldenem Kästchen, das ein Soldat zufälliger [133] Weise geöffnet hatte, ein giftiger Hauch drang und sich von Babylonien aus über Parthien und das römische Reich verbreitet habe. (3) Indeß die Schuld davon ruht nicht auf Verus, sondern auf Cassius, der, seinem gegebenen Worte zuwider, Seleucia12, welches unsere Soldaten als Freunde aufgenommen hatte, als eine eroberte Stadt behandelte. (4) Doch sucht unter Andern auch Quadratus13, der den Krieg mit den Parthern beschrieben, das Verfahren des Cassius dadurch zu entschuldigen, daß er die Einwohner Seleucia’s zuerst des Wortbruches beschuldigt. (5) Verus hegte so viele Achtung gegen Marcus, daß er die ihm vom Heere zuerkannten Ehrennamen am Tage des von ihnen gemeinschaftlich gefeierten Triumphes mit seinem Bruder theilte. (6) Indeß seit seiner Rückkehr aus dem parthischen Kriege nahm er nicht mehr so viele Rücksicht auf denselben, sondern ließ sich auf eine wenig ehrenvolle Weise von seinen Freigelassenen leiten und unternahm Manches ohne Rücksprache mit Marcus. (7) Dazu kam noch, daß er Schauspieler, unter denen sich besonders ein gewisser Maximinus, von ihm Paris genannt, auszeichnete, gerade so, wie wenn er Könige zum Triumphe brächte, mit sich aus Syrien brachte. (8) Ueberdieß erbaute er an der clodischen Straße eine sehr berüchtigte Villa, [134] worin er viele Tage lang mit seinen Freigelassenen und gleichgesinnten Freunden die ausgelassensten Orgien feierte, ohne daß er sich vor ihrer Gegenwart gescheut hätte. (9) Dahin lud er auch den Marcus ein. Dieser erschien, um seinem Bruder die ehr- und nachahmungswürdige Reinheit seiner Sitten zu zeigen; allein indem Marcus während eines fünftägigen Aufenthaltes daselbst ununterbrochen mit gerichtlichen Untersuchungen sich beschäftigte, hielt Verus entweder Gastereien oder traf Anstalten zu solchen. (10) Er hatte einen Schauspieler, Agrippa, mit dem Beinamen Memphis, bei sich, den er wie eine den Parthern abgewonnene Trophäe aus Syrien mit sich gebracht und Apolaustus genannt hatte. (11) Außerdem hatte er noch Saiten- und Flötenspieler, Schauspieler, Mimen, Gaukler, und eine Menge von solchen Sclaven mitgebracht, welche das Vergnügen der Syrer und Alexandriner ausmachen, so daß es völlig das Ansehen hatte, als habe Verus nicht den parthischen, sondern einen Schauspielerkrieg zu Ende gebracht.

9 (1) Wenn es auch nicht laut ausgesprochene Wahrheit war, daß dieser Gegensatz ihrer Lebensweise und noch viele andere Umstände mehr Zerwürfnisse zwischen beiden Kaisern hervorriefen, so raunte man es sich doch insgeheim in das Ohr. (2) Dieß stellte sich besonders bei folgendem Vorfalle heraus. Marcus hatte einen gewissen Libo, seines Vaters Bruderssohn, als Legaten nach Syrien geschickt. Da dieser sich daselbst mehr herausnahm als es die Bescheidenheit eines Senators erlaubte, und äußerte, er werde an seinen Bruder schreiben, wenn er Anstand in Etwas finden sollte, so fühlte sich der gerade anwesende Verus dadurch gekränkt, und Libo starb eines jähen Todes, nicht ohne verdächtige Anzeichen einer Vergiftung. Nicht Wenige, jedoch keineswegs Marcus, betrachteten diesen Mord als ein Werk der Hinterlist des Verus, und dieser Umstand verstärkte noch das Gerücht von unter ihnen obwaltenden Zerwürfnissen. (3) Die Freigelassenen Geminas und Agaklytus übten, wie ich in dem Leben des Marcus bemerkt habe, einen großen Einfluß auf Verus aus. An den Letzteren verheirathete er sogar wider des Marcus Willen die Frau des Libo, (4) daher Marcus bei der von Verus veranstalteten Hochzeit sich nicht beim Festmahle einfand. (5) Uebrigens hatte Verus auch noch andere nichtswürdige Freigelassene, z. B. den Codes, Eclectus, und noch mehrere andere, (6) welche Marcus insgesammt nach dem Tode des Verus [135] unter ehrenvollem Scheine von Hofe entfernte, mit einziger Ausnahme des Eclectus, der in der Folge der Mörder seines Sohnes Commodus wurde. (7) Die Heerfahrt gegen die Germanen unternahmen beide Kaiser gemeinschaftlich, weil Marcus weder den Verus allein in den Krieg schicken, noch seiner Ausschweifungen wegen zu Rom zu zurücklassen wollte. Sie kamen nach Aquileja und gingen von hier aus über die Alpen, zum großen Verdrusse des Verus, (8) der, während Marcus zu Aquileja alle nöthigen Maßregeln traf, seine Zeit mit Fahren und Schmausen zugebracht hatte. (9) Indeß die Begebenheiten dieses Kriegs, wie die Barbaren durch Gesandte um Frieden gebeten, was für Thaten unsere Feldherrn verrichtet haben, dieses alles ist in dem Leben des Marcus auf das Ausführlichste erzählt. (10) Nach Beendigung des Krieges in Pannonien, da Lucius auf die Rückkehr nach Aquileja drang, weil er sich nach den Genüssen Roms sehnte, ward beschlossen, er solle nach dieser Stadt aufbrechen; (11) unweit Altinum14 aber wurde Lucius ganz unvermuthet in seinem Wagen vom Schlage getroffen. Man hob ihn heraus, öffnete ihm eine Ader und brachte ihn nach Altinum, wo er nach drei Tagen, während deren er ganz sprachlog da lag, starb.

10 (1) Es ging auch die Rede, Verus habe mit seiner Schwiegermutter Faustina einen blutschänderischen Umgang gehabt, und weil er ihrer Tochter diesen vertrauten Umgang mit der Mutter verrathen habe, so sei er durch die Hinterlist dieser durch vergiftete Austern aus der Welt geschafft worden. (2) Jene Sage aber, deren wir in des Marcus Leben erwähnt haben, läßt sich im Geringsten nicht mit dem Charakter dieses großen Mannes vereinigen. (3) Viele geben auch seinen Tod seiner Gemahlin Schuld, weil Verus der Fabia zu viel erlaubt habe und die Gemahlin des Lucius15 auf deren Einfluß eifersüchtig gewesen sei. (4) Es fand wenigstens eine solche Vertraulichkeit zwischen Verus und seiner Schwester Fabia statt, daß das Gerücht auch zu behaupten wagte, sie haben einen Plan zur Ermordung des Marcus gefaßt. (5) Dieß habe der Freigelassene Agaklytus dem Marcus entdeckt [136] und Faustina sei dem Lucius auf der Reise durch Vergiftung zuvorgekommen. (6) Lucius hatte eine schöne Gestalt, einnehmende Gesichtszüge, trug einen langen Bart, fast wie die Barbaren, war hoch gewachsen, und seine zusammenlaufenden Augenbrauen gaben seiner Stirne etwas Majestätisches. (7) Auf seine blonden Haare soll er eine so große Sorgfalt verwandt haben, daß er sie mit Goldstaub bestreute, um ihren Glanz zu erhöhen. (8) Seine Sprache war nicht sehr geläufig. Er war ein leidenschaftlicher Würfelspieler, überließ sich ganz der Schwelgerei und glich, die Grausamkeit und Tollheiten ausgenommen, in den meisten Stücken dem Nero. (9) Er besaß unter andern Geräthschaften seiner Schwelgerei einen Pokal aus Krystall, den kein Mensch austrinken konnte und den er mit dem Namen seines Lieblingspferdes Volucer zu benennen pflegte.

11 (1) Verus brachte sein Leben auf 42 Jahre; seine Regierung in Gemeinschaft mit seinem Bruder dauerte eilf Jahre. Sein Leichnam wurde in der Gruft Hadrians beigesetzt, worin auch sein leiblicher Vater, der Cäsar, liegt. (2) Bekannt ist das mit dem Charakter des Marcus ganz unvereinbare Märchen, daß dieser den Theil einer Bärmutter, der mit einem auf der einen Seite mit Gift bestrichenen Messer abgeschnitten worden sei, seinem Bruder Verus vorgelegt habe. (3) Allein etwas der Art von Marcus glauben ist Frevel, so sehr es auch die Denk- und Handlungsweise des Verus verdient hätte. (4) Wir lassen diese Sache nicht dahingestellt, sondern widersprechen ihr vielmehr und weisen sie auf das Bestimmteste zurück, da außer dir, gnädigster Kaiser Diocletianus, seit Marcus bis jetzt noch kein Kaiser den Thron inne gehabt hat, den selbst die Schmeichelei mit Marcus zu vergleichen im Stande gewesen wäre.

Anmerkungen

1 Eine Stadt in Italien, jetzt Faënza.

2 Unter dieser Wissenschaft verstanden die Alten nicht blos die Grammatik im gewöhnlichen Sinne, sondern sie zogen auch in ihren Bereich die Interpretation der Schriftsteller, Kritik im weitesten Umfange, Literatur und Aesthetik, Geschichte, Antiquitäten und Mythologie.

3 Diese Stelle scheint nicht blos verdorben, sondern auch lückenhaft. Ich suchte den wahrscheinlichen Sinn derselben in der Uebersetzung auszudrücken.

4 Hierunter ist der Kaiser Caligula verstanden.

5 Es waren im Circus vier Gattungen von Wettrennern, die sich durch ihre Kleidung unterschieden, weiß, roth, blau und lauchgrün. Die beiden Letztern standen in hauptsächlichem Ansehen und für oder gegen die Einen oder die Andern derselben nahm nicht nur das römische Volk, sondern selbst Kaiser, wie Caligula, Nero, Domitian u. A., Partei. Da die Sache als höchst ernsthaft betrachtet wurde, so suchte jeder seine Lieblinge mit der leidenschaftlichsten Hitze zu vertheidigen, was nicht selten die getümmelvollsten Auftritte herbeiführte.

6 Gegen 300,000 Thaler.

7 Eine Landschaft in Unteritalien.

8 Zwei Landschaften im Süden Kleinasiens, die erstere der Insel Cypern gegenüber.

9 Es gab im Alterthume mehrere Städte dieses Namens. Hier ist wohl Laodicea mit dem Beinamen ad mare, jetzt Ladikia in Syrien, gemeint.

10 Vgl. oben S. 96, Anmerkung 1.

11 Eine Landschaft in Asien zwischen dem Euphrat und Tigris, jetzt Irak Arabi.

12 Diese Stadt wurde nicht weit von Babylon an dem Ort, wo der Euphrat sich mit dem Tigris vereinigt, und zwar westwärts, gegründet und erhob sich schnell zu einer der größten und volkreichsten Städte der Erde. Nach Plinius hatte sie 600,000 Einwohner. Die syrischen Könige verloren sie an die Parther, welche hier eine prächtige Burg erbauten. Nachdem schon Trajan sie auf seinem Zuge gegen die Parther geplündert und angezündet hatte, wurden die Ueberreste vollends auf dem hier erwähnten Zuge der Römer vernichtet, so daß Kaiser Julian nur noch Ruinen sah. Jetzt ist Seleucia ein unbedeutendes Dorf, eine Tagreise von Bagdad, das von seiner alten Herrlichkeit nur noch ansehnliche Trümmer des parthischen Königspalastes aufweisen kann.

13 Asinius Quadratus lebte zu den Zeiten des Kaisers Philipp und schrieb außer seiner parthischen Geschichte 15 Bücher römischer Geschichte im ionischen Dialekt.

14 Eine Küstenstadt in Oberitalien unweit Venedig, j. Altino.

15 Ich lasse mit dem cod. palat. die Worte vel Marci weg.