Marcus Aurelius

Ornament

Übersetzung

1 [83] Marcus Antoninus, der in allen Verhältnissen seines Lebens den Grundsätzen der Philosophie treu blieb und durch Sittenreinheit hoch über allen andern Kaisern steht, hatte zum Vater den Annius Verus, der als Prätor starb. Sein Großvater, welcher Consul und Stadtpräfekt gewesen und von den Kaisern Vespasianus und Titus, als sie Censoren waren1, unter die Patricier aufgenommen worden [84] war, hieß ebenfalls2 Annius Verus. Sein Oheim war der Consul Annius Libo, seine Tante Galeria Faustina Augusta, und seine Mutter Domitilla Calvilla, eine Tochter des zweimaligen Consuls Calvisius Tullus. Zu Urgroßvätern hatte Marcus von väterlicher Seite den gewesenen Prätor Annius Verus, der aus der Municipalstadt Succubo3 in Hispanien gebürtig war und römischer Senator wurde, von mütterlicher aber den zweimaligen Consul und Stadtpräfekten Catilius Severus. Seine väterliche Großmutter war Rupilia Faustina, eine Tochter des gewesenen Consuls Rupilius Bonus. Marcus wurde zu Rom unter dem zweiten Consulate seines Großvaters und dem ersten des Augur4, am 26. April, in den Gärten auf dem Berge Cölius geboren. Seine Familie soll nach einer Nachricht des Marius Maximus ihrem ersten Ursprunge nach von Numa abstammen, sowie von dem salentinischen5 Könige Malennius, dem Sohne des Dasummus und Erbauer von Lopiä6. Seine Erziehung erhielt Marcus an dem Orte seiner Geburt, in dem Hause seines Großvaters Verus neben dem lateranischen Palaste7. Er hatte auch eine jüngere [85] Schwester, Namens Annia Cornificia. Seine Gemahlin war Annia Faustina, seine Geschwisterskindbase. Marcus Antoninus führte anfänglich den Namen seines mütterlichen Urgroßvaters Catilius Severus8; nach dem Tode seines Vaters aber nannte ihn Hadrian Annius Verissimus, und nach angelegter männlicher Toga9 Annius Verus. Nach dem Tode seines Vaters wurde er von seinem väterlichen Großvater angekindet und erzogen.

2 Antoninus war schon von seiner Kindheit an sehr ernsthaft. Wie er der weiblichen Aufsicht entwachsen war, bekam er sogleich ausgezeichnete Lehrer und machte sich mit den Grundsätzen der Philosophie bekannt. Seine Lehrer in den Anfangsgründen der Wissenschaft waren der Sprachmeister Euphorion und der Komiker Geminus; in der Musik und Geometrie aber Andron, welchen allen er als Männern, die den ersten Grund zu seiner wissenschaftlichen Bildung gelegt, die größte Achtung erwies. Außer diesen hatte er die Grammatiker Alexander, Trosius Aper, Pollio und den Eutychius Proculus aus Sicca10 zu Lehrern, den ersten im Griechischen, die andern aber zum täglichen Unterricht im Lateinischen. In der Redekunst, und zwar in der [86] griechischen, wurde er von Aninius Macer, Caninius Celer und Herodes Atticus11, in der lateinischen von Fronto Cornelius12 unterrichtet. Dem Letztern erwies er eine hohe Achtung und bat den Senat um eine Bildsäule für ihn; den Proculus aber beförderte er zum Proconsulate und nahm die Kosten desselben auf sich. Auf die Philosophie legte sich Marcus mit dem größten Eifer, und zwar schon als Knabe. Er nahm schon in seinem zwölften Jahre die Philosophenkleidung und sodann ihre strenge Lebensweise an. Er beschäftigte sich nämlich im Mantel mit den Wissenschaften und schlief auf dem blosen Boden, und kaum waren die Bitten seiner Mutter vermögend, ihn dahin zu bewegen, daß er auf einer mit Fellen bedeckten Lagerstätte schlief. Auch Commodus, dessen Tochter ihm bestimmt war, hatte Theil an seiner Ausbildung. Außerdem war auch der stoische Philosoph Apollonius aus Chalkedon sein Lehrer.

3 Er glühte aber von einer solchen Liebe zur Philosophie, daß er auch dann noch, als er bereits Mittheilhaber der kaiserlichen Würde geworden, zu Apollonius in seine Wohnung kam, um seine Kenntnisse zu erweitern. Er hörte auch den Sextus von Chäronea13 [87], einen Enkel des Plutarchus, sowie den Junius Rusticus, Claudius Maximus und Cinna Catulus, lauter Stoiker. Um mit der peripathetischen Philosophie bekannt zu werden, nahm er Unterricht bei Claudius Severus. Vorzüglich eifrig aber hörte Marcus den Junius Rusticus, einen mit dem stoischen System völlig vertrauten und der Künste des Friedens und des Krieges gleichkundigen Mann, dem er die größte Achtung und Anhänglichkeit bewies. Er zog ihn in allen öffentlichen und Privatangelegenheiten zu Rathe, küßte ihn jederzeit vor den prätorischen Präfekten, ernannte ihn zweimal zum Consul und erbat sich für ihn nach seinem Tode Standbilder von dem Senate. Die Achtung, die Marcus gegen seine Lehrer hegte, ging so weit, daß er ihre goldenen Bildnisse in seiner Hauskapelle hatte und ihre Gräber durch Besuch, Opfer und Blumen allezeit ehrte. Er befleißigte sich auch der Rechtswissenschaft; sein Lehrer darin war Lucius Volusius Mäcianus. Uebrigens legte sich Marcus mit einem so angestrengten Eifer auf die Wissenschaften, daß seine Gesundheit dadurch litt, und dieß ist auch das Einzige in seiner Jugend, was man hätte tadeln können. Er besuchte auch die zu Redeübungen bestimmten öffentlichen Schulen. Unter seinen Mitschülern liebte er vornehmlich den Sejus Fuscianus und Aufidius Victorinus aus dem Senatorenstande, und aus dem Ritterstande den Bäbius Longus und Calenus. Gegen diese Alle erwies sich Antoninus höchst freigebig, und wen er persönlicher Verhältnisse wegen nicht zu hohen Staatswürden erheben konnte, den beschenkte er wenigstens mit Reichthümern.

4 Antoninus wurde so zu sagen im Schooße Hadrians erzogen, [88] der ihn, wie ich oben bemerkt habe, Verissimus nannte, ihm als sechsjährigem Kinde die Ritterwürde ertheilte14 und ihn in seinem achten Jahre in das Collegium der Salier15 aufnahm. Während er in demselben sich befand, wurde ihm ein Vorzeichen seiner künftigen Gelangung zum Reiche. Als nämlich nach dem Herkommen alle Salier Kränze auf den Pfühl des Mars warfen, blieben dieselben bald da bald dort hängen, der des Marcus aber blieb auf dem Kopfe des Gottes wie mit der Hand darauf gesetzt. Während dieses seines Priesterthums war er Vortänzer, Vorsänger und Oberpriester und weihte Viele ein und aus, ohne daß ihm Jemand die dabei gebräuchlichen Gesänge16 zuvor vorzusagen gehabt hätte, da er sie sämmtlich auswendig wußte. In seinem fünfzehnten Jahre legte er die männliche Toga an, und unmittelbar darauf verlobte er sich dem Willen Hadrians gemäß mit der Tochter des Lucius Cejonius Commodus. Nicht lange nachher war er der latinischen Ferien17 wegen Stadtpräfekt, [89] auf welchem Ehrenposten er sich als Stellvertreter der Magistratspersonen auch bei den Gastmählern Hadrians auf’s Trefflichste benahm. Sodann überließ er sein ganzes väterliches Vermögen seiner Schwester und sagte zu seiner Mutter, wie sie ihn zur Theilung einlud: er begnüge sich mit dem Vermögen seines Großvaters, und auch sie möchte, wenn sie es für gut fände, daß ihrige seiner Schwester vermachen, damit deren Gemahl nicht reicher als diese wäre. Antoninus hatte so viel Gefälliges in seinem Charakter, daß er sich zuweilen Zwang anthat, die Thiergefechte zu besuchen, sich in das Theater zu begeben oder den öffentlichen Spielen anzuwohnen18. Auch beschäftigte er sich mit der Malerei unter der Leitung Diognets. Er liebte den Faustkampf, das Ringen, den Lauf und den Vogelfang und verstand sich vortrefflich auf das Ballspiel und die Jagd. Allein von allen diesen Beschäftigungen zog ihn die Liebe zur Philosophie ab und machte ihn ernst und gesetzt, jedoch seiner Freundlichkeit hauptsächlich gegen seine nachmaligen Freunde19 und auch weniger Bekannte unbeschadet. [90] Denn er war rechtschaffen ohne Eigensinn, sanft ohne Schwäche, und ernsthaft ohne Finsterkeit.

5 Wie nun Hadrian nach dem Tode des Lucius Cäsar nach einem andern Thronfolger sich umsah, so erschien ihm Marcus, als erst achtzehnjährig, noch nicht tüchtig, dagegen kindete er sich den Gemahl einer Tante des Marcus, den Antoninus Pius, unter der Bedingung an, daß Pius den Marcus, dieser aber hinwiederum den Commodus adoptiren sollte. Dem Verus20 träumte am Tage seiner Ankindung, er habe elfenbeinerne Schultern, die ihm bei dem Versuche, eine Last mit ihnen zu tragen, ungewöhnlich stark vorkamen. Wie er indessen seine Ankindung in Hadrians Familie erfuhr, empfand er nicht sowohl Freude als Schrecken darüber und trennte sich, da ihm der Befehl wurde, den Palast, welchen Hadrian vor seiner Kaiserwerbung bewohnt hatte, zu beziehen, nur ungern von den Gärten seiner Mutter. Als ihn seine Freunde um die Ursache seiner Niedergeschlagenheit über die kaiserliche Adoption befragten, setzte er weitläufig die mit dem Thronbesitze verbundenen Unannehmlichkeiten auseinander. Von dieser Zeit an führte er erst den Namen Aurelius statt Annius, weil er durch seine Ankindung in die aurelische, d. h. antoninische Familie verpflanzt worden war. Nachdem also seine Adoption in seinem achtzehnten Jahre stattgefunden hatte, wurde er im zweiten Consulate seines nunmehrigen Vaters Antoninus auf Hadrians Vorschlag vor der gesetzmäßigen Zeit zum Quästor ernannt. Obwohl aber nunmehr in die kaiserliche Familie angekindet, erwies Marcus dennoch allen seinen Verwandten die gleiche Ehrerbietung wie im Privatstande, und war auch mit seinem Vermögen ebenso sparsam und wirthschaftlich [91] wie zuvor. In seinen Handlungen, Reden und Gesinnungen suchte er sich völlig nach den Wünschen seines Vaters zu richten.

6 Als nach Hadrians zu Bajä erfolgtem Tode Pius dahin abging, um seine irdischen Reste nach Rom zu holen, blieb Marcus in dieser Stadt zurück, besorgte die Leichenfeierlichkeiten seines Großvaters und gab wie ein gewöhnlicher Quästor ein Fechterspiel. Unmittelbar21 nach Hadrians Tode ließ Pius durch seine Gemahlin die Gesinnungen des Marcus erforschen, ob er nicht sein Eheverlöbniß aufgelöst haben und mit seiner eigenen Tochter, welche Hadrian mit L. Cejonius Commodus, der aber noch zu jung war, verlobt wissen wollte, sich vermählen wolle. Marcus gab nach einigem Besinnen eine bejahende Erklärung. Hierauf ernannte ihn Pius noch während seiner Quästur zu seinem Amtsgenossen im Consulate, beehrte ihn mit dem Cäsartitel, machte ihn, den bereits zum Consul Ernannten, zum Sevir22 und nahm bei den von Marcus und seinen Amtsgenossen veranstalteten Seviralischen Spielen neben Marcus Platz. Auch wies er ihm den tiberianischen Palast zu seiner Wohnung an, umgab ihn trotz seines Widerstrebens mit allem Glanze kaiserlicher Majestät, nahm ihn auf den Vorschlag des Senats in die verschiedenen Priestercollegien auf, und ernannte ihn beim Antritt seines eigenen vierten [92] Consulats zum zweiten Male zum Consul. Marcus setzte indessen, obgleich er mit so vielen Ehren überhäuft, und um sich zum künftigen Regenten zu bilden, zu allen Staatsgeschäften seines Vaters mitzugezogen wurde, seine Beschäftigung mit den Wissenschaften auf’s Eifrigste fort. Hierauf vermählte er sich mit der Faustina, die ihm eine Tochter gebar, worauf er mit der Tribunengewalt und der Proconsularwürde außerhalb Rom bekleidet wurde und noch dazu das Recht erhielt, fünf Vorträge im Senate zu thun23. Sein Einfluß auf Pius aber war so groß, daß dieser nicht leicht Jemanden, ohne des Marcus Gutachten gehört zu haben, zu einer Ehrenstelle beförderte. Dieser leistete dagegen auch seinem Vater die willigste Folge, wiewohl es nicht an Leuten fehlte, die den Kaiser durch Zuflüsterungen gegen ihn einzunehmen suchten. Unter diese gehörte vor allen Andern Valerius Omulus. Wie dieser einst die Lucilla, des Marcus Mutter, in dem Lustgarten vor dem Bilde Apollo’s in Andacht versunken sah, flüsterte er dem Pius zu: Diese bittet jetzt um den Schluß deiner Tage, damit ihr Sohn herrschen kann. Allein diese Worte vermochten nicht den geringsten Eindruck auf Pius zu machen. So groß war des Marcus Tugend und seine Anspruchslosigkeit auf dem Gipfel kaiserlicher Höhe.

7 [93] Um seine Ehre war er so besorgt, daß er schon als Knabe seine Procuratoren vor einem gewaltthätigen Verfahren immer warnte und ihm übertragene Erbschaften öfters nicht annahm, sondern den nächsten Verwandten zurückgab. Ueberhaupt war sein Betragen innerhalb der 23 Jahre, während welcher er in dem Palaste seines Vaters lebte, von der Art, daß dessen Liebe zu ihm immer höher stieg. Auch entfernte er sich innerhalb einer so langen Reihe von Jahren nur zwei Nächte von ihm, und auch diese nicht hinter einander. Deßwegen empfahl und bestätigte ihn Antoninus, wie er sein Ende herannahen fühlte, im Beisein seiner herbeigerufenen Freunde und Präfekten, als seinen Thronfolger und ließ auch alsbald, nachdem er das Wort Gleichmuth dem Tribunen zur Losung gegeben, die goldene Glücksgöttin, die gewöhnlich in seinem Schlafgemache stand, in das des Marcus bringen. Einen Theil seiner mütterlichen Erbschaft überließ Marcus dem Mummius Quadratus, seiner Schwester Sohn, weil diese selbst schon gestorben war. Als er nach dem Hinscheiden des göttlichen Pius sich zur Uebernahme der Regierung vom Senate genöthigt sah, ernannte er seinen Bruder zum Reichsgenossen, gab ihm die Namen Lucius Aurelius Verus Commodus und verlieh ihm die Titel Cäsar und Augustus. Von diesem Zeitpunkte an begannen sie gemeinschaftlich zu regieren. Dieß ist das erste Mal, daß das römische Reich zwei Auguste sah. Denn vor Marcus hatte noch kein Kaiser die Regierung mit einem andern getheilt24. Bald darauf nahm Marcus den Namen Antoninus an, nannte den Lucius Commodus, gleich als wäre dieser sein Sohn, Verus, mit dem Beisatze [94] Antoninus, und verlobte seinem Bruder seine Tochter Lucilla. Wegen dieser Verbindung ließen beide Kaiser neuerdings eine Anzahl Knaben und Mädchen auf ihre Kosten erziehen. Nachdem sie das Erforderliche im Senate besorgt hatten, begaben sie sich miteinander in das Lager der Prätorianer, wo sie wegen der Reichsgenossenschaft einem jeden Soldaten 20,000 Sestertien, den Befehlshabern aber eine verhältnißmäßig größere Summe versprachen. Die Leiche ihres Vaters ließen sie mit großem Gepränge in Hadrians Grabmal beisetzen, sodann Gerichtsstillstand25 eintreten und die öffentliche Leichenfeier nach dem gewöhnlichen Gebrauch vor sich gehen. Beide Kaiser hielten ihrem Vater eine Leichenrede auf der Rednerbühne und wählten ihm aus ihren Anverwandten einen Eigenpriester und aus ihren vertrautesten Freunden eine Brüderschaft der Aurelianer.

8 Beide Kaiser betrugen sich nach ihrer Gelangung zum Reiche so herablassend, daß des Pius sanften Charakter Niemand vermißte, wie sie denn der damals lebende Mimendichter26 Marullus ungestraft bespötteln und durchziehen durfte. Ihrem Vater hielten [95] sie Leichenspiele. Marcus überließ sich ganz seiner Neigung zur Philosophie und strebte nach der Liebe seiner Bürger. Allein diese glückliche Ruhe des Kaisers unterbrach zuerst eine furchtbare Ueberschwemmung des Tiber. Zahlreiche Gebäude in der Stadt erlitten dadurch Schaden, sehr viele Thiere kamen dabei um, und als Folge derselben ereignete sich eine schreckliche Hungersnoth. Alle diese Unfälle linderten Marcus und Verus durch ihre thätige Sorge und Gegenwart. Damals brach auch der parthische Krieg aus, zudem sich Vologesus schon unter Pius gerüstet hatte, den er aber erst unter diesen Kaisern ankündigte, nachdem er den damaligen Statthalter in Syrien, Atidius Cornelianus, geschlagen hatte. Ueberdieß drohte auch in Britannien ein Krieg, und die Catten27 hatten einen Einfall in Germanien28 und Rhätien29 gemacht. Gegen die Britannier wurde Calpurnius Agricola abgeschickt, gegen die Catten Aufidius Victorinus. Die Heerfahrt gegen die Parther aber übernahm mit Einwilligung des Senats der Bruder des Marcus, Verus. Marcus selbst blieb zu Rom zurück, weil die dasigen Verhältnisse seine Gegenwart forderten. Indeß begleitete er ihn bis Capua, wo er ihm ein Gefolge von Freunden aus dem Senate und noch die Vorsteher der Hofdienerschaft beigab. Allein kaum war Marcus nach Rom zurückgekommen, als er die Nachricht erhielt, daß Verus zu Canusium30 krank liege. Er eilte dahin, um ihn zu besuchen, nachdem er im Senate Gelübde für seine Wiedergenesung [96] hatte anstellen lassen, welche er auch nach seiner Rückkehr nach Rom auf die Nachricht von der Ueberfahrt des Verus sogleich bezahlte. Nachdem Verus in Syrien angekommen war, lebte er zu Antiochien und Daphne31 in allen Wollüsten, übte sich mit Gladiatorswaffen und auf Jagden, und nahm den Imperatorstitel32 an, während seine Legaten den Krieg mit den Parthern führten und Marcus jede Stunde den Staatsgeschäften widmete und in Betreff der Ausschweifungen seines Bruders eine Nachsicht äußerte, die nahezu an Gleichgültigkeit zu grenzen schien. Ueberhaupt aber war es Marcus zu Rom, der alle zu diesem Kriege erforderliche Maßregeln und Anordnungen traf.

9 In Armenien waren die römischen Waffen unter Statius Priscus, welcher Artaxata33 eroberte, glücklich. Deßhalb erhielten [97] beide Kaiser den Beinamen Armeniacus. Marcus schlug zwar denselben anfänglich aus Bescheidenheit aus, nahm ihn aber doch in der Folge an. Nachdem der parthische Krieg fast zu Ende gebracht war, ertheilte man Beiden den Beinamen Parthicus, aber auch diesen lehnte er ab und nahm ihn erst später an. Die Annahme des ihm während der Abwesenheit seines Bruders angetragenen Namens Vater des Vaterlandes verschob er bis zu dessen Ankunft. Mitten im parthischen Kriege schickte er den Civica, des Verus Oheim, und seine eigene Tochter, unter Aufsicht seiner Schwester, auf’s Reichlichste ausgestattet an Verus und begleitete sie bis Brundusium34, kehrte aber von da sogleich nach Rom zurück, bestimmt dazu durch das Gerede Mancher, welche sagten, Marcus wolle den Ruhm der Beendigung des Krieges an sich selbst reißen, deßhalb reise er nach Syrien. Den Proconsuln schrieb er, es dürfe Niemand seiner Tochter auf ihrer Reise zum Empfange entgegengehen. Mittlerweile suchte er die gerichtlichen Umtersuchungen wegen freier oder unfreier Geburt zu sichern. Er befahl daher, der Erste35, daß jeder römische Bürger seine freigeborenen Kinder innerhalb 30 Tagen nach ihrer Namenserhaltung bei den Vorstehern der Schatzkammer des Saturnus36 anzeigen sollte. In den [98] Provinzen führte er Registratoren ein, bei welchen in Betreff der Geburt dasselbe geschehen mußte, was zu Rom bei den Vorstehern der Schatzkammer, damit jeder in den Provinzen Geborene, falls er wegen seines freien Standes in Anspruch genommen würde, von daher Rechtfertigungszeugnisse erhalten könnte. Und auf diese Weise sicherte er alle den freien Stand einer Person betreffende Untersuchungen. Außerdem erließ er auch Verordnungen in Hinsicht der Geldwechsler und Versteigerungen.

10 Den Senat stellte Marcus in vielen, namentlich in den vor ihn gehörenden Rechtssachen zum Richter auf. Ueber den Stand der Verstorbenen mußten innerhalb 5 Jahren Untersuchungen angestellt werden. Kein Kaiser hat je dem Senate eine größere Achtung erwiesen. Um denselben zu ehren, übertrug er die Entscheidung von Rechtshändeln vielen gewesenen Prätoren und Consuln, damit bei der Ausübung der Rechtspflege das Ansehen der Senatoren um so höher steigen möchte. Viele von seinen Freunden nahm er mit dem Charakter von Prätoren und Aedilen in den Senat auf. Manchem ohne sein Verschulden armen Senatoren ertheilte er die Würde des Tribunats und der Aedilität, nahm aber Niemanden, den er nicht genau kannte, in den Senat auf. Er hatte auch die Rücksicht gegen die Senatoren, daß, so oft ein solcher eines peinlichen Verbrechens wegen angeklagt war, er die Sache zuerst im Geheimen untersuchte und dann erst öffentlich bekannt37 machte. Auch sollte solchen Untersuchungen kein römischer Ritter beiwohnen dürfen. Wenn Marcus sich zu Rom befand, so war er stets, so oft es ihm möglich war, bei den Senatssitzungen, auch wenn er keinen Vortrag zu thun hatte; war aber dieß der Fall, so fand er selbst aus Campanien sich ein. Ueberdieß war [99] er auch häufig bis in die Nacht bei den öffentlichen Gerichtsverhandlungen gegenwärtig. Die Curie verließ er nie früher als bis der Consul die Worte gesprochen: Wir halten euch nicht länger auf, versammelte Väter38. Wenn von den Consuln appellirt wurde, so stand dem Senate das Entscheidungsrecht zu. Dem Gerichtswesen widmete Marcus eine vorzügliche Aufmerksamkeit. Die Anzahl der Gerichtstage vermehrte er dergestalt, daß er 230 Tage des Jahrs zu öffentlichen Verhandlungen und zur Entscheidung von Rechtshändeln bestimmte. Anstatt daß früher Vormünder von den Consuln gesetzt worden waren, setzte er zuerst einen Prätor für die Vormundschaften ein, damit in Betreff der Vormünder eine größere Sorgfalt angewendet werden könnte. Vorhin hatte ein Curatel nur nach dem lätorischen Gesetze oder bei Verschwendern oder bei Wahnsinnigen Statt gefunden39. Antoninus verordnete, daß alle Erwachsene, die sich nicht selbst vorstehen könnten, auch ohne daß sie die Nothwendigkeit vorstellten, Curatoren erhalten sollten.

11 Antoninus schränkte die öffentlichen Ausgaben ein und that den falschen Anklagen der Quadruplatoren40 dadurch Einhalt, [100] daß er sie der öffentlichen Schande aussetzte. Anklagen, die den Fiscus bereichern konnten, ließ er unberücksichtigt. In Betreff der an das Volk auszutheilenden Lebensmittel traf er viele kluge Maßregeln. Vielen Städten gab er Vorsteher aus der Mitte des Senates, um die Würde der Senatoren desto mehr zu heben. Die Städte Italiens versorgte er während einer Hungersnoth von Rom aus unentgeltlich mit Getraide, sowie er überhaupt große Sorge für das Getraidewesen trug. Die Fechterspiele schränkte er in jeder Beziehung ein. Auch in den bisher den Schauspielern gegebenen Belohnungen traf er Ermäßigungen; ein jeder Schauspieler nämlich sollte fünf Goldstücke erhalten und der, der das Schauspiel veranstaltete, zehn, aber nicht weiter geben können. Auf die Unterhaltung der Straßen Roms und der Heerstraßen richtete er ein scharfes Augenmerk. Für das Getraidewesen sorgte er auf das Ernstlichste. Für Italien traf er die wohlthätige Einrichtung, daß er nach Hadrians Beispiel, der die Rechtspflege darin Consularen übertragen hatte, Gerichtshalter aufstellte. Dem durch Truppenstellung erschöpften Hispanien verschaffte er dadurch Erleichterung, daß er, gegen Trajans Vorschrift, Italien zu Ergänzung des Heeres herbeizog. Marcus erließ auch Gesetze über den Zwanzigsten der Erbschaften41, über die Vormundschaft der Freigelassenen, über den Antritt der mütterlichen Verlassenschaft von Seiten der Söhne, und verordnete daß die Senatoren aus den Provinzen mit dem vierten Theil ihres Vermögens in Italien ansäßig sein sollten. Zudem gab er den Aufsehern der Quartiere und der Straßen die Vollmacht, alle diejenigen, welche von Jemanden sonst noch etwas, als die gesetzmäßigen Abgaben fordern würden, entweder selbst zu bestrafen [101] oder dem Stadtpräfekten zur Bestrafung auszuliefern. Uebrigens war es dem Marcus mehr um die Wiederherstellung des alten, als um Einführung eines neuen Rechtsstandes zu thun. Er hatte jederzeit Präfekten zur Seite, nach deren Gutachten und auf deren Verantwortung hin er entschied. Vornehmlich bediente er sich hiebei des Rechtsgelehrten Scävola.

12 Das Volk genoß unter ihm einer eben so großen Freiheit als zu den Zeiten der Republik. Marcus beobachtete in jeder Beziehung eine außerordentliche Mäßigung, um die Menschen vom Bösen abzuschrecken, zum Guten zu ermuntern, sie reichlich zu belohnen und mit Nachsicht bei der Strenge der Gesetze zu behandeln. Dadurch bewirkte er, daß die Schlechten sich besserten, die Guten aber noch tugendhafter wurden. Er blieb selbst bei Sticheleien gelassen. So konnte ihm ein gewisser Vetrasinus, der, ein Mensch von dem schlechtesten Rufe, um eine Ehrenstelle bei ihm anhielt, auf seine Ermahnung, erst die öffentliche Meinung günstiger für sich zu stimmen, ohne seinen Unwillen zu reizen, entgegnen, er sehe Viele als Prätoren, die neben ihm im Stadium gekämpft hätten. Da Marcus nur ungern strafte, so entsetzte er einst einen Prätor, der einige Geschäfte höchst schlecht abgemacht hatte, nicht seines Amtes, sondern übertrug nur die Rechtspflege seinem Amtsgenossen. In Streitigkeiten über das Eigenthum entschied dieser Kaiser nie zu Gunsten des Fiscus. Wiewohl er beharrlich war, so wußte er doch auch billige Rücksichten zu nehmen. Nachdem sein Bruder Verus, während dessen Abwesenheit Marcus die größte Mäßigung gegen den Senat und überhaupt gegen Jedermann bewiesen hatte, aus Syrien siegreich zurückgekehrt war, wurde Beiden der Name Vater des Vaterlandes zuerkannt und ihnen überdieß eine Bürgerkrone42 überreicht. Lucius wünschte, daß [102] Marcus mit ihm triumphiren, sowie daß dessen Söhne Cäsaren genannt werden möchten. Allein Marcus war so anspruchslos, daß er, ungeachtet er mit seinem Bruder triumphirt hatte, dennoch nach des Lucius Tod sich mit dem Beinamen Germanicus begnügte, den er sich in dem von ihm selbst geführten Kriege erworben hatte. Bei dem Triumphe selbst fuhren auch des Marcus Kinder beiderlei Geschlechts mit, und zwar saßen seine jungen, noch unverheiratheten Töchter mit in dem Triumphwagen. Auch sahen sie die wegen des Triumphs veranstalteten Spiele in Triumphkleidern mit an. Unter andern Beweisen der Menschenliebe des Marcus verdient auch die menschenfreundliche Verordnung angeführt zu werden, daß er, als einst ein Knabe vom Seile gefallen war, den Seiltänzern Kissen unterlegen ließ, und aus dieser Ursache wird noch heut zu Tage ein Netz unter dem Seile ausgespannt.

13 Während der Führung des parthischen Krieges entstand entstand der mit den Markomannen43, dessen völligen Ausbruch die Gewandtheit der Grenzbefehlshaber vor der Hand längere Zeit aufgehalten hatte, so daß jetzt nach Beendigung des Krieges im Orient der mit [103] den Markomannen geführt werden konnte. Nachdem Marcus das Volk während einer Hungersnoth von diesem Kriege in Kenntniß gesetzt hatte, so that er im Senate, als sein Bruder nach einer fünfjährigen Abwesenheit zurückgekehrt war, die Nothwendigkeit dar, daß beide Kaiser sich der Führung desselben unterziehen müßten. Dieser Krieg mit den Markomannen aber machte einen so schreckhaften Eindruck, daß Antoninus überall her Priester kommen, ausländische religiöse Ceremonien verrichten und die Stadt auf alle Art reinigen und sühnen ließ, wodurch seine Abreise zum Heere sich verzögerte. Auch veranstaltete er nach römischem Brauche sieben Tage lang Lectisternien44. Damals wüthete die Pest zu Rom mit solcher Heftigkeit, daß die Leichname auf Fuhrwerken und Lastwägen zur Stadt hinausgeschafft werden mußten. Bei dieser Gelegenheit erließen die beiden Kaiser in Betreff der Beerdigung und der Gräber äußerst strenge Verordnungen. Namentlich verboten sie das Wegreißen des Rasens von den Gräbern45 und deren Oeffnung, ein Verbot, das noch heute besteht. Viele Tausende von Menschen, und darunter eine große Anzahl der angesehensten Personen, wurden von dieser Pest hinweggerafft. Den Angesehensten darunter ließ Antoninus Standbilder errichten. Die Herzensgüte des Antoninus zeigte sich dabei in einem so hohen Grade, daß er die Leichname des gemeinen Volks auf öffentliche Kosten beerdigen ließ. Ebenso erwies sie sich in Begnadigung eines Betrügers. Dieser Mensch nämlich, der in Verbindung mit einigen Andern Gelegenheit zur Plünderung der Stadt suchte, versicherte in dieser [104] Absicht auf dem Marsfelde von einem wilden Feigenbaum herab den versammelten Volkshaufen, es werde Feuer vom Himmel fallen und das Ende der Welt erfolgen, wenn er von dem Baume herabfallen und sich in einen Storchen verwandeln würde. Wie er nun zur bestimmten Zeit herabfiel und einen Storchen aus seinem Busen fliegen ließ, wurde er vor Marcus gebracht, von diesem aber, nachdem er die Sache eingestanden, begnadigt.

14 Beide Kaiser reisten nun, mit dem Kriegsmantel angethan, ab, zu einer Zeit, wo die Victovalen46 und Markomannen Alles beunruhigten und auch noch andere Völker, die, von den nördlichen Barbaren vertrieben, auf der Flucht waren, mit Krieg drohten, wofern sie nicht Wohnsitze im Reiche erhielten. Indessen hatte diese Reise einen günstigen Erfolg. Denn wie sie bis Aquileja47 gekommen waren, zogen sich die meisten Könige mit ihren Völkern zurück und tödteten die Anstifter des Kriegs. Die Quaden48 aber, die ihren König verloren hatten, erklärten, sie würden den neugewählten erst nach seiner Anerkennung von Seiten unserer Kaiser auf dem Throne bestätigen. Lucius hatte diese Heerfahrt schon höchst widerwillig angetreten, weil die meisten Völker bei den kaiserlichen Legaten um Verzeihung ihres Abfalls49 baten. Wie nun der prätorische Präfekt [105] Furius Victorinus und ein Theil des Heeres zu Grunde gegangen war, so stimmte er für die Rückkehr nach Rom. Marcus dagegen, der die Flucht der Feinde und alles Andere, was Gleichgültigkeit gegen den Krieg anzeigen sollte, als Verstellung betrachtete, um nicht von dem Gewichte so gewaltiger Kriegsrüstungen zu Boden gedrückt zu werden, war der Meinung, man müsse dem Feind zu Leibe gehen. Sie giengen also über die Alpen, setzten ihren Zug weiter fort und trafen alle zum Schutze Italiens und Illyricums erforderlichen Maßregeln. Da aber Lucius immer heftiger in Marcus drang, so erlaubte ihm dieser, nach Rom zurückzukehren, doch sollte vorher der Senat davon in Kenntniß gesetzt werden. Als sie aber die Reise angetreten hatten, so starb Lucius, vom Schlage getroffen, unterwegs im Wagen an der Seite seines Bruders.

15 Marcus hatte die Gewohnheit, während der Spiele im Circus zu lesen, Gehör zu geben und zu unterschreiben, was Veranlassung zu manchen Spöttereien von Seiten des Volks gegeben haben soll. Die Freigelassenen Agaklytus und Geminas hatten unter beiden Kaisern einen sehr großen Einfluß. Uebrigens hegte Marcus eine so edelmüthige Gesinnung gegen seinen Bruder Verus, daß er die Fehler desselben, wiewohl sie ihm den größten Kummer verursachten, dennoch zu verbergen und zu entschuldigen suchte, ihn nach seinem Tode vergöttern ließ, seine Tanten und Schwestern durch ihnen zuerkannte Ehrenbezeugungen und Jahrgelder ehrte und unterstützte, und sein Andenken durch religiöse Verehrung sehr verherrlichte. Er erkannte ihm nämlich einen Eigenpriester, die Priesterschaft der Antoninianer, und überhaupt alle Göttern gebührende Ehrenerweisungen zu. Indessen blieb Marcus ebenso wenig als je irgend ein Fürst von der Verleumdungssucht verschont. Er sollte nämlich, wie man sich sagte, den Verus mit Gift aus dem Wege geräumt haben, und zwar [106] indem er mit einem auf der einen Seite vergifteten Messer die Bärmutter eines Schweines zerschnitt und den vergifteten Theil seinem Bruder zum Essen vorlegte, für sich aber den unschädlichen behielt. Oder, hieß es auch, sei doch wenigstens durch den Arzt Posidippus sein Tod herbeigeführt worden, der ihm zur Unzeit zur Ader gelassen habe. Nach dem Tode des Verus erklärte sich Cassius für unabhängig.

16 Marcus hegte gegen seine Angehörigen eine so wohlwollende Gesinnung, daß er nicht blos seine sämmtlichen Anverwandten mit Ehren überhäufte, sondern namentlich auch seinem Sohne Commodus, ungeachtet er ein verworfener, schändlicher Mensch war, sehr früh den Cäsarnamen, bald hernach die Priesterwürde und gleich darauf den Imperatorstitel ertheilte. Ueberdieß ernannte er ihn zum Consul und ließ ihn Theil an seinem Triumphe nehmen. Und damals war es, daß der bejahrte Kaiser im Circus neben dem Triumphwagen, worin sein Sohn saß, zu Fuße einherging. Nach dem Tode des Verus war Marcus Antoninus alleiniger Beherrscher des Römer-Reichs, und nun erst vermochte er seine Güte wirksamer hervortreten zu lassen und seine Segnungen in weiteren Kreisen zu verbreiten, indem ihm die erheuchelten Verirrungen einer listig zur Maske genommenen Strenge (ein Fehler, der dem Verus von Natur eigen war), sowie die Gewohnheiten eines verderbten Gemüths oder seine Sitten, welche schon von seiner frühen Jugend an des Antoninus besonderes Mißfallen erregt hatten, nicht weiter im Wege standen. Denn Marcus selbst besaß als ein Anhänger der stoischen Philosophie, deren Grundsätze er nicht nur von den trefflichsten Lehrern gehört, sondern auch überall selbst geschöpft hatte, eine so große Ruhe, daß weder Traurigkeit noch Freude eine Veränderung in seinen Gesichtszügen [107] hervorzubringen im Stande waren. Schon Hadrian würde, wie wir bereits bemerkt haben, diesen Antoninus zu seinem Nachfolger ernannt haben, wenn es sein Alter erlaubt hätte. Dieß erhellt wenigstens aus dem Umstande, daß er ihn dem Pius zum Eidam vorschlug, damit dereinst auf ihn als einen würdigen Mann das römische Reich übergehe.

17 Nach dem Tode des Verus nun regierte Marcus die Provinzen mit ungemeiner Milde und Gelindigkeit. Gegen die Germanen war er glücklich. Er selbst brachte persönlich den Krieg mit den Markomannen, den größten, den die Geschichte kennt, mit ebenso großer Tapferkeit als Glück zu Ende, und zwar zu einer Zeit, wo eine schreckliche Pest viele Tausende von Bürgern und Soldaten dahin gerafft hatte. Pannonien befreite er demnach, durch die Vertilgung50 der Markomannen, Sarmaten, Vandalen51, sowie auch der Quaden, vom Joche der Knechtschaft und hielt sodann mit seinen bereits zum Cäsar ernannten Sohne Commodus seinen Triumphzug in Rom. Weil jedoch für diesen Krieg sein ganzer Schatz erschöpft worden war, er es aber nicht über sich gewinnen konnte, außerordentliche Steuern in den Provinzen auszuschreiben, so stellte er auf dem Forum Trajans eine Versteigerung der Kostbarkeiten des kaiserlichen Palastes an und ließ in derselben goldene, krystallene und murrhinische Becher52, die [108] kaiserlichen Geräthschaften und die seidene und goldgewirkte Kleidung seiner Gemahlin, ja auch die Edelsteine, deren er eine große Menge in Hadrians geheimem Kabinete gefunden hatte, verkaufen. Diese Versteigerung dauerte zwei Monate lang, und der Erlös daraus war so bedeutend, daß er nicht blos den Krieg mit den Markomannen völlig zu Ende führen, sondern auch in der Folge den Käufern zu wissen thun konnte, daß ein Jeder, der das Erkaufte zurückgeben wolle, sein Geld zurückerhalten könne, ohne daß er es jedoch jemanden verargt hätte, ob er das Erkaufte zurückgab oder behielt. Damals ertheilte Marcus den angeseheneren Männern die Erlaubniß, mit derselben Pracht und demselben Tafelgeräthe wie er selbst, Gastmähler zu geben. Bei den öffentlichen Spielen entfaltete Marcus so viel Pracht und Aufwand, daß er einstmals hundert Löwen zugleich losrennen und mit Pfeilen todt schießen ließ.

18 Nachdem Marcus Antoninus, von Allen dergestalt geliebt, daß, je nach Verhältniß des Alters, ihn Einige Bruder, Andere Vater, noch Andere Sohn nannten und ihn auch als solchen liebten, 18 Jahre regiert hatte, so verschied er im 61. Jahre seines Alters. Die Liebe zu ihm strahlte am Tage seines Leichenbegängnisses dadurch im hellsten Lichte, daß Niemand ihn beweinen zu dürfen glaubte, da Alle die feste Ueberzeugung hatten, daß er den Menschen von den Göttern nur geliehen worden und jetzt zu diesen zurückgekehrt sei. Daher nannte ihn denn auch, noch vor seiner Beisetzung, das mit dem Senate an Einem Orte versammelte Volk seinen Schutzgott, ein Fall, der weder früher sich ereignet, noch in der Folge sich wiederholt hat. Dieser so große, so herrliche Mann, der mit den Göttern im Leben [109] wie im Tode vereinigt war, hinterließ einen Sohn, Commodus: hätte er diesen nicht hinterlassen, so wäre er glücklich gewesen. Es war nicht genug, daß Menschen jedes Alters, jedes Geschlechtes, jedes Standes und Ranges ihm göttliche Verehrung zuerkannten: man erklärte sogar Jeden, der seinen Umständen nach seine Büste hätte haben sollen und können, für einen Gottesverächter, wenn er sie nicht in seiner Behausung hatte. Ja noch heut zu Tage sieht man in vielen Häusern die Bildsäulen des Marcus Antoninus unter den Schutzgöttern des Hauses aufgestellt, und es hat nicht an Leuten gefehlt, welche in dem Glauben, er habe ihnen Manches im Traume vorausgesagt, richtig eingetroffene Dinge vorhersagten. Deßhalb erhielt er auch einen Tempel, antoninianische Priester, eine Brüderschaft, Eigenpriester, kurz Alles, was das Alterthum Vergötterten zuerkannt hat.

19 Einige Geschichtschreiber behaupten, und zwar nicht ohne Wahrscheinlichkeit, Commodus Antoninus, des Marcus Sohn und Nachfolger, sei nicht sein wirklicher Sohn, sondern die Frucht eines ehebrecherischen Umgangs, und führen auch folgende, dem Volksgerede entnommene Geschichte an. Faustina, die Tochter des Pius und Gemahlin des Antoninus, sei einstens, als sie die Fechter an sich vorüberziehen sah, von Liebe gegen einen derselben entbrannt und habe, nachdem diese Leidenschaft lange an ihrem Körper und Gemüth gezehrt, endlich dieselbe ihrem Gemahle gestanden. Dieser habe die Chaldäer53 darüber befragt, und deren Bescheid sei dahin ausgefallen, er solle den Fechter tödten lassen und Faustina sich mit dessen Blute die untern Theile des Körpers waschen54 und so sich zu ihrem Manne legen. Als dieß [110] geschehen, sei zwar Faustina von ihrer Leidenschaft befreit, aber auch ein Commodus geboren worden, der nicht sowohl ein Kaiser, als ein Fechter gewesen, da er, wie in seinem Leben erzählt werden wird, während seiner Regierung beinahe tausend Mal öffentlich vor den Augen des Volks als Fechter auftrat. Dieser Erzählung verleiht der Umstand Wahrscheinlichkeit, daß der Sohn dieses so tugendhaften Kaisers sich auf eine Art betrug, wie kein Gladiatorenfechtmeister, kein Schauspieler, kein Gladiator, überhaupt wie kein selbst dem Abschaume der Schande und des Lasters entsprossener Mensch. Viele behaupten aber, daß Commodus wirklich die Frucht einer ehebrecherischen Verbindung sei, indem es von Faustina bekannt ist, daß sie sich bei Cajeta aus den Schiffsleuten und Gladiatoren die zur Befriedigung ihrer schnöden Lüste Tauglichsten herauswählte55. Als man rücksichtlich ihrer dem Antoninus rieth, sie zu verstoßen, wenn er sie nicht tödten lassen wolle, soll er entgegnet haben: wenn wir sie verstoßen, so müssen wir auch ihr Beigebrachtes zurückgeben. Dieses Beigebrachte aber – was war es anders als das Reich, das er von seinem Schwiegervater, der ihn auf Hadrians ausdrücklichen Wunsch angekindet, geerbt hatte? Indeß das Leben, die Sittenreinheit, die Gemüthsruhe und die Menschenliebe dieses trefflichen Fürsten strahlen in einem solchen Lichte, daß die ärgerlichen Laster seiner nächsten Angehörigen den Glanz seines Ruhmes nicht zu trüben vermögen. Es haben ihm, der seinem Charakter jederzeit getreu geblieben ist und der sich nie durch Einflüsterungen anders hat bestimmen lassen, weder sein [111] Sohn, der Fechter, noch seine übelberüchtigte Gemahlin Eintrag gethan, sondern er wird noch heute als ein Gott verehrt, als welcher er dir selbst, erhabenster Kaiser Diocletianus, immerdar erschienen ist und noch erscheint, dem du eine besondere Verehrung unter deinen übrigen Göttern schenkft, und dem an Tugend und Milde gleich zu sein dein oft geäußerter Wunsch ist, wiewohl dieß in Ansehung der Philosophie selbst einem Plato, wenn er auf die Erde zurückkehren könnte, unmöglich sein würde. Indeß hievon in gedrängten Worten nur dieses Wenige.

20 Folgendes sind die Ereignisse, welche unter der Regierung des Marcus nach des Verus Tode vorfielen. Zuvörderst wurde der Leichnam des Letztern nach Rom gebracht und in der Gruft seiner Vorfahren beigesetzt und ihm göttliche Verehrung zuerkannt. Sodann gab Marcus in der Rede, worin er gegen den Senat seinen Dank für die Vergötterung seines Bruders aussprach, durch einen versteckten Wink zu verstehen, daß alle kriegerische Maßregeln, wodurch die Besiegung der Parther herbeigeführt worden, von ihm ausgegangen seien, und ließ auch einige Worte fallen, woraus hervorging, daß er nunmehr nach dem Tode dessen, der zu wenig Thätigkeit bewiesen, seine Regierung erst eigentlich anfangen werde. Der Senat nahm diese Rede so auf, wie er sie gesagt hatte: er glaubte nämlich, Marcus freue sich über des Verus Tod. Marcus überhäufte hierauf alle Schwestern, Verwandte oder Freigelassene des Verus mit allen Arten von Vorrechten, Ehrenbezeugungen und Geschenken. Denn er war höchst besorgt um seinen Ruf, forschte auf’s Genaueste nach, was man von ihm sagte, und benützte jeden gegründeten Tadel. Im Begriffe, gegen die Germanen zu ziehen, gab er noch vor Verfluß der Trauerzeit seine Tochter dem bereits hochbejahrten Sohne eines römischen Ritters, der von Antiochien gebürtig war, aber keiner hinlänglich angesehenen [112] Familie angehörte, da des Marcus Tochter selbst Augusta und Tochter einer Augusta war, und der in der Folge von Marcus zwei Mal zum Consul ernannt wurde. Indessen war diese Verbindung weder der Faustina noch ihrer Tochter angenehm.

21 Gegen die Mauren, welche fast ganz Hispanien verwüsteten, kämpften die Legaten des Marcus mit Glück. Die Bukolen56, welche in Aegypten große Verheerungen angerichtet hatten, wurden von Avidius Cassius, der sich später des Reichs zu bemächtigen suchte, im Zaume gehalten. Im Begriffe, von seinem Sommeraufenthalte zu Praeneste57 aufzubrechen, verlor Marcus daselbst seinen siebenjährigen Sohn, Verus Cäsar, der in Folge des Ausschneidens eines Geschwüres hinter dem Ohre starb, betrauerte ihn jedoch nur 5 Tage, beruhigte die Aerzte, und unterzog sich sodann wiederum den Staatsgeschäften. Weil gerade die Spiele des höchsten Juppiter Statt fanden, so wollte er dieselben nicht durch eine öffentliche Trauer unterbrochen wissen, und er befahl daher, daß man seinem verstorbenen Sohne nur Bildsäulen errichten, seine Büste aus Gold bei den Circusspielen beim Aufzuge mitaufführen und seinen Namen dem saliarischen Liede einverleiben solle. Da die Pest noch inmer fort wüthete, so stellte er den Dienst der Götter auf das Sorgfältigste wieder her und nahın, wie es im punischen Kriege geschehen, Sclaven in das Heer auf, welche er als Nachahmung der Volonen Voluntarier58 nannte. Er bewaffnete auch Gladiatoren, denen er den Namen Obsequentes59 gab. Ueberdieß machte er auch die Räuber Dalmatiens [113] und Dardaniens60 zu Soldaten, bewaffnete die Diokmiten61 und erkaufte germanische Hülfsvölker gegen ihre Landsleute. Außerdem widmete er seine ganze Sorgfalt der Ausrüstung der Legionen für den germanischen und markomannischen Krieg und veranstaltete, wie schon oben erzählt, um nicht die Provinzen drücken zu müssen, eine Versteigerung der kaiserlichen Geräthschaften auf dem Forum des göttlichen Trajanus, worin außer Gewändern, Bechern und goldenen Geschirren, Bildsäulen und Gemälde der größten Meister zum Verkaufe kamen. Er vernichtete hierauf die Markomannen gerade beim Uebergang über die Donau und gab den Einwohnern der Provinz die Beute zurück.

22 Alle Völker von Illyricums Grenze an bis hinein nach Gallien hatten im gemeinsamen Einverständnisse gegen die Römer die Waffen ergriffen, nämlich die Markomannen, Narisker, Hermunduren62, Quaden, Sueven, Sarmaten, Latringer und Burer.63 Diesen hatten sich aber noch mehrere Andere, worunter die Victovalen, Sosiber, Sicoboter64, Noxolanen, Bastarner, Alanen, Peukiner65 [114] und Costoboker66, angeschlossen. Außerdem drohte ein Krieg von Seiten der Parther und in Britannien. Antoninus besiegte mit großer persönlicher Anstrengung diese äußerst kriegerischen Völker, wobei die Soldaten selbst einander anfeuerten und Legaten und die prätorischen Präfecten das Heer führten. Die Markomannen mußten sich an ihn ergeben, und ein großer Theil derselben wurde nach Italien verpflanzt. Antoninus, bevor er etwas unternahm, ging jederzeit nicht nur über Kriegs-, sondern auch innere Angelegenheiten mit den Senatoren zu Rathe. Es ist – dieß war eine oft gehörte Aeußerung von ihm – vernünftiger, daß ich dem Rathe so vieler und so trefflicher Freunde folge, als daß diese so vielen und so trefflichen Freunde meinem alleinigen Willen nachkommen. Weil er seinen philosophischen Grundsätzen nach in den Mühen des Kriegs und überhaupt in allen Lebensverhältnissen sich selbst hart war, so mußte er manchen scharfen Tadel über sich ergehen lassen; indeß antwortete er seinen Tadlern theils schriftlich, theils mündlich. In dem germanischen oder markomannischen, oder vielmehr in dem Völkerkriege waren viele angesehene Männer umgekommen, welchen allen Marcus Standbilder auf dem ulpischen Forum errichten ließ. Dieser Umstand bestimmte aber oftmals seine Freunde, ihm zu rathen, den Kriegsschauplatz zu verlassen [115] und nach Rom zurückzukehren; allein Marcus nahm keine Rücksicht darauf, sondern hielt aus und begab sich nicht früher zurück als bis er alle Kriege geendigt hatte. Von den Provinzen machte er einige aus proconsularischen zu consularischen67 und aus consularischen zu proconsularischen oder prätorischen, je nachdem es die kriegerischen Verhältnisse erforderten. In der Sequanerprovinz68 entstandene Unruhen dämpfte er durch Strenge und sein Ansehen. In Hispanien wurde die Ruhe, welche in Lusitanien69 gestört worden war, wieder hergestellt. Seinen Sohn Commodus ließ er zu sich an die Grenze kommen, legte ihm die männliche Toga an, weßhalb er dem Volke eine Spende gab, und ernannte ihn vor der gesetzmäßigen Zeit zum Consul.

23 Marcus hörte es ungern, wenn Jemand vom Stadtpräfecten70 seiner Güter verlustig erklärt worden war. Mit Geschenken [116] aus der Staatskasse war er sehr sparsam, was ihm mehr zum Lobe als zum Tadel gereicht; indessen war er doch freigebig gegen würdige Männer, unterstützte in Verfall gerathene Städte und erließ, wo es Noth that, Steuern und Abgaben. Für die Belustigungen des römischen Volks trug er während seiner Abwesenheit eine angelegentliche Sorge und ließ daher die öffentlichen Spiele durch die reichsten Männer veranstalten. Denn das Volk schrie, als er die Gladiatoren zum Kriegsdienste ausgehoben hatte, er wolle es dadurch, daß er ihm seine Vergnügungen entziehe, mit Gewalt zur Philosophie zwingen. Marcus hatte nämlich, um den marktlichen Verkehr nicht zu stören, befohlen, daß die Pantomimenspiele71 an den gewöhnlichen Markttagen später anfangen sollten. Man sprach auch im Volke, wie ich oben bemerkt habe, von einer zärtlichen Leidenschaft Faustina’s für mehrere Pantomimen. Indessen wußte sich Marcus über dieses Alles in seinen Briefen zu rechtfertigen. Marcus verbot auch das Reiten und Fahren in den Städten und hob die gemischten Bäder auf. Den schwelgerischen Sitten der Matronen und vornehmen Jünglinge setzte er Schranken und verbot dem Pöbel zu Pelusium72 die Theilnahme [117] am Serapisfeste73. Das im Schwange gehende Gerücht, daß mehrere Personen unter der Maske der Philosophie den Staat und Privatpersonen beeinträchtigten, widerlegte er.

24 Marcus pflegte alle Verbrechen mit einer geringeren als der in den Gesetzen ausgesprochenen Strafe zu belegen, wiewohl er gegen offenbare, schwere Verbrecher öfters unerbittlich blieb. Peinliche Untersuchungen gegen Personen von Stande nahm er selbst vor, und zwar mit der größten Billigkeit, so daß er einst einem Prätor, der in seinen Untersuchungen zu rasch verfahren war, einen Verweis gab und ihn dieselben noch einmal vornehmen ließ, mit dem Beifügen, daß es der Stand solcher Personen erfordere, daß sie von dem gehört würden, der im Namen des Volkes Recht spreche. Seine Menschenfreundlichkeit erstreckte sich auch auf gefangene Feinde. Einer unermeßlichen Anzahl derselben wies er Wohnsitze im römischen Reiche an. Wie einst sein Heer vor Durst beinahe verschmachtete, entstand auf sein brünstiges Gebet ein Gewitter, dessen Blitze die Anschläge des Feindes vernichteten, und das den Römern Regen brachte74. [118] Marcus war Willens, das Markomannenland und Sarmatien zu römischen Provinzen zu machen und hätte es auch wirklich gethan, wenn nicht damals Avidius Cassius im Oriente sich empört und zum Kaiser aufgeworfen hätte, wozu ihn, nach den Berichten Einiger, Faustina selbst, die an der Wiedergenesung ihres Gemahls verzweifelte, aufgemuntert haben soll. Andere dagegen wollen wissen, Cassius habe auf die falsche Nachricht von Antonins Tod den Purpur genommen, diesen Kaiser aber vergöttert. Indessen machte diese Empörung des Cassius auf Antoninus nur wenig Eindruck. Er verfolgte dessen Verwandte nicht, und der Senat war es, der den Cassius für einen öffentlichen Feind erklärte und dessen Vermögen zum Vortheil der Staatskasse einzog.

25 Marcus ließ nun den Krieg gegen die Sarmaten [119] Markomannen und wandte sich gegen Cassius. Auch zu Rom gab es unruhige Auftritte, weil sich während der Abwesenheit des Kaisers ein Gerücht von des Cassius Anrücken verbreitet hatte. Allein dieser wurde nicht lange nachher getödtet und sein Kopf dem Marcus gebracht, der aber keineswegs über den Tod seines Gegners frohlockte, sondern dessen Kopf bestatten ließ. Auch Mäcianus, des Cassius Sohn, dem die Obhut Alexandriens anvertraut war, sowie der von ihm ernannte prätorische Präfect, wurden von den Truppen erschlagen. Marcus untersagte dem Senate eine strenge Bestrafung der Mitschuldigen des Cassius und bat zugleich, es möchte kein Senator unter seiner Regierung hingerichtet werden, damit sie nicht dadurch befleckt würde. Er ließ auch die Deportirten zurückrufen. Nur einige wenige Centurionen wurden mit dem Tode bestraft. Ueberdieß verzieh Marcus den Städten, welche sich für Cassius erklärt hatten, namentlich den Einwohnern Antiochia’s, welche dem Cassius zu Gefallen viele Schmähungen gegen Marcus ausgestoßen, denen er aber deßwegen ihre Spiele, Volksversammlungen und alle Arten von Zusammenkünften genommen und wider welche er ein sehr scharfes Edict erlassen hatte. Von ihrem aufrührerischen Geist spricht auch Marcus in einem von ihm vor seinen Freunden gehaltenen Vortrage, welchen Marius Maximus aufbehalten hat. Auch wollte er auf seiner Reise nach Syrien Antiochien so wenig sehen, als er Cyprus75, den Geburtsort [120] des Cassius, hatte sehen wollen; in der Folge besuchte er aber doch die erstere Stadt.

26 Bei seinem Aufenthalte zu Alexandrien bewies er sich sehr gnädig. Mit den verschiedenen Königen verhandelte er Manches, befestigte mit allen denen, die ihn besuchten, sowie mit den parthischen Gesandten, den Frieden, und erwarb sich in allen Provinzen des Orients eine sehr große Liebe. In vielen derselben ließ er auch Andenken seiner philosophischen Denkweise zurück. In Aegypten benahm er sich in allen Stadien76, Tempeln, kurz überall als Bürger und Philosoph. Den Alexandrinern, wiewohl sich ihre Wünsche für Cassius erklärt hatten, verzieh er doch insgesammt und ließ seine Tochter bei ihnen zurück. Seine Gemahlin Faustina verlor er im Dorfe Halala am Fuße des Taurusgebirges durch einen plötzlichen Tod. Er bat den Senat, ihr die gewöhnlichen Ehrenbezeugungen nebst einem Tempel zuzuerkennen und hielt ihr dabei eine Lobrede, ungeachtet sie in Betreff ihrer weiblichen Ehre im nachtheiligsten Rufe gestanden hatte, was aber Antoninus entweder wirklich nicht wußte oder nicht wissen wollte. Marcus stiftete zu Ehren seiner verstorbenen Gemahlin eine Erziehungsanstalt für Mädchen, die Jungen Faustinianerinnen77 genannt und dankte dem Senate für die ihr zuerkannte Vergötterung. Weil sie ihn auf seinen Feldzügen begleitet hatte, nannte er sie Lagermutter. Das Dorf, worin sie verschieden war, verwandelte er in eine Colonie78 und errichtete ihr daselbst einen [121] Tempel, der aber in der Folge dem Heliogabalus geweiht wurde. Ließ er es auch zu, daß Cassius getödtet wurde, so gab er doch vermöge seiner Milde keineswegs den Befehl dazu. Heliodorus, ein Sohn des Cassius, wurde deportirt79, Andere aber verbannt, jedoch mit der Vergünstigung, ihren Aufenthaltsort selbst wählen und einen Theil ihres Vermögens behalten zu dürfen. Die Kinder des Cassius erhielten mehr als die Hälfte ihres väterlichen Vermögens und noch Unterstützung an Gold und Silber, die weiblichen Mitglieder seiner Familie aber sogar noch Geschmeide. Alexandra, des Cassius Tochter, und Druncianus, dessen Tochtermann, durften sich an jeden beliebigen Ort begeben und erhielten noch Empfehlungen von Marcus an den Gemahl seiner Tante. Ueberhaupt bezeugte er Betrübniß über des Cassius Tod und äußerte in Bezug darauf, er hätte gewünscht, es wäre ihm vergönnt gewesen, seine Regierung ohne Vergießung von Senatorenblut zu beschließen.

27 Nachdem er die Verhältnisse im Orient in Ordnung gebracht hatte, begab sich Antoninus nach Athen, wo er unter Anderem, um seine Unschuld zu beweisen, den Tempel der Ceres besuchte und allein dessen Heiligthum betrat. Auf seiner Rückfahrt nach Italien hatte er einen sehr gefährlichen Sturm zur See zu bestehen. Wie er über Brundusium nach Italien kam, legte er die Toga an und ließ seine Soldaten das Gleiche thun. Ueberhaupt sah man unter seiner Regierung nie die Soldaten im Kriegsmantel. Bei seiner Ankunft zu Rom hielt er einen Triumph. Von da reiste er nach [122] Lavinium80. Den Commodus nahm er zum Amtsgenossen in der tribunicischen Gewalt an und gab dem Volke ein Geschenk und äußerst prächtige Schauspiele. Sodann traf er viele Verbesserungen in der bürgerlichen Verfassung. Den Aufwand bei den Gladiatorenspielen schränkte er ein. Jederzeit führte er jenen Ausspruch Plato’s im Munde: glücklich werden die Staaten sein, wenn entweder die Philosophen Regenten oder die Regenten Philosophen wären. Seinen Sohn vermählte er mit der Tochter des Brutius Präsens, ließ aber die Hochzeit wie die eines Privatmanns feiern. Bei dieser Gelegenheit gab er dem Volke eine Spende. Hierauf schickte er sich an, den Krieg zu Ende zu bringen, starb aber während der Führung desselben zu einer Zeit, wo sein Sohn bereits von den Grundsätzen des Vaters abzufallen angefangen hatte. Dieser Krieg mit den Markomannen, Hermunduren, Sarmaten und Quaden hatte drei Jahre gedauert, und hätte Antoninus nur noch ein Jahr länger gelebt, so würde er ihre Länder zu römischen Provinzen gemacht haben. Zwei Tage vor seinem Verscheiden ließ er, wie man sagt, seine Freunde vor sich und sagte in Betreff seines Sohnes dieselben Worte, die einst Philippus in Betreff Alexanders gesagt hatte, obschon er bereits schlechte Hoffnung von ihm hatte, und fügte noch bei, daß er im Geringsten nicht ungerne sterbe, da er einen Sohn hinterlasse. Denn dieser ließ bereits seine schändlichen, blutdürstigen Neigungen blicken.

28 Die näheren Umstände seines Todes sind folgende. Gleich beim Beginne seiner Krankheit ließ Antoninus seinen Sohn rufen und bat ihn vor allen Dingen, den Krieg vollends zu Ende zu bringen, um den Schein zu vermeiden, als verabsäume er des Reiches Wohlfahrt. Wie dieser entgegnete, er wünsche ihm vor allem Andern Gesundheit, sagte Antoninus, er lasse sich diesen Wunsch gefallen, [123] bat ihn aber, er möchte noch einige Tage warten oder zugleich mit ihm abreisen. Auf dieß nahm er, sich den Tod herbeiwünschend, weder Speise noch Trank zu sich, und dieß verschlimmerte seine Krankheit. Am sechsten Tage ließ er seine Freunde zu sich kommen, und sagte zu ihnen, erfüllt von Todesverachtung und die Welt in ihrer Nichtigkeit erkennend: Was weint ihr über mich und denkt nicht vielmehr an die Pest und den allgemein herrschenden Tod? Sodann, wie sie sich entfernen wollten, fuhr er mit Seufzen fort: Nun, wenn ihr mich jetzt verlassen wollt, so sage ich euch, der ich euch vorangehe, ein Lebewohl. Auf die Frage, wem er seinen Sohn empfehlen wolle, antwortete er: euch, wenn er es verdient, und den unsterblichen Göttern. Als sich die Kunde von seinem Kranksein unter den Truppen verbreitete, herrschte unter denselben die tiefste Betrübniß, da sie ihn außerordentlich liebten. Am siebenten Tage verschlimmerte sich sein Befinden. Er ließ nur noch seinen Sohn vor sich, schickte aber auch ihn alsobald wieder von sich, aus Besorgniß, er möchte angesteckt werden. Sobald ihn dieser verlassen hatte, verhüllte er sein Haupt, wie um zu schlafen, gab aber in der nämlichen Nacht seinen Geist auf. Man will wissen, Marcus habe, in der Voraussicht, daß sein Sohn so werden werde, wie er wirklich nach seinem Tode geworden ist, dessen Tod gewünscht, damit er nicht, wie er selbst sagte, einem Nero, Caligula und Domitian ähnlich werde.

29 Man machte es diesem Kaiser zum Vorwurfe, daß er die Buhler seiner Gemahlin, einen Tertullus, Utilius, Orphitus und Moderatus, zu verschiedenen Ehrenstellen erhob, besonders da er den Ersteren derselben beim Frühstücke bei ihr angetroffen hatte. Auf diesen zielte einst ein Mime auf der Bühne in Gegenwart des Antoninus. Wie nämlich ein schwachköpfiger Ehemann seinen Sclaven nach dem Namen des Buhlers seiner Frau fragte und dieser drei Mal [124] Tullus (ter Tullus) sagte, der Ehemann aber immer noch fortfragte, entgegnete jener: schon habe ich es dir gesagt drei Mal (ter) Tullus heißt er. Es wurde hierüber mancherlei vom Volke und von Andern gesprochen, aber Jedermann tadelte die Nachsicht des Antoninus. In der letzten Zeit vor seinem Tode, ehe er sich noch einmal in den markomannischen Krieg begab, betheuerte er eidlich auf dem Capitolium: kein Senator sei mit seinem Wissen getödtet worden, und fügte noch bei, er würde selbst die Empörer am Leben erhalten haben, wenn es möglich gewesen wäre. Denn er fürchtete und verabscheute nichts so sehr als den Ruf der Habsucht, in Betreff deren er in seinen Briefen jeden Verdacht ferne von sich zu halten sucht. Man beschuldigte ihn auch, daß er affectirt und keineswegs so natürlich gewesen sei als er geschienen habe oder als Pius oder Verus gewesen. Ueberdieß machte man ihm den Vorwurf, daß er durch die Entfernung seiner Freunde aus seiner Gesellschaft und von seiner Tafel die steife Hofetikette begünstigt habe. Seine Verwandten ließ er vergöttern und beehrte die Freunde derselben, selbst die schon verstorbenen, mit Bildsäulen. Empfehlungen glaubte er nicht sogleich, sondern erkundigte sich selbst immerdar lange Zeit nach der Wahrheit. Nach dem Tode der Faustina gab sich Fabia81 alle Mühe, seine Gemahlin zu werden; allein Marcus nahm, um seinen zahlreichen Kindern keine Stiefmutter zu geben, die Tochter des Verwalters seiner Gemahlin zur Beischläferin82.

Anmerkungen

1 Die letzten Censoren waren P. Aemilius Lepidus und L. Munatius Plancus (im J. der Stadt 731 ) gewesen. Von Augustus an war die Censur unter dem Titel praefectura morum ein Hauptbestandtheil der kaiserlichen Gewalt, welche den Kaiser zum gesetzlichen Aufseher über die Sitten und Vermögensumstände des römischen Volkes machte. Indessen zufrieden mit der Macht der Censoren führten die Kaiser diesen Namen gewöhnlich nicht, sondern nur in dem Falle, wenn sie die Verrichtungen der Censoren wirklich ausübten.

2 Ich interpungire: avus Annius Verus item, consul etc. Die Lesart iterum consul ist unstatthaft, weil Annius Verus nach Dio 79, 21 dreimal Consul war.

3 Wird von Einigen für das heutige Ronda, von Andern für Lucubi in Granada gehalten.

4 J. Ch. 121.

5 Die Salentiner waren ein Volk in Calabrien.

6 Jetzt Lecce im Königreich Neapel zwischen Brindisi u. Otranto.

7 Nachdem Nero die Güter des Lateranus, eines der Hauptverschwörer gegen ihn, eingezogen hatte, so war sein Palast Eigenthum der Kaiser. Er lag in der zweiten Stadtregion, Coelimontium. Jetzt steht auf seiner Stätte ein päpstlicher Palast.

8 Ich übersetze nach der Emendation des Salmasius: Principio aevi sui nomen habuit Catilii Severi, materni proavi.

9 Diese bekamen die römischen Jünglinge ungefähr im fünfzehnten oder sechszehnten Jahre. Antonin legte sie nach Kap. 4 unserer Lebensbeschreibung in seinem fünfzehnten Jahre an.

10 Mit dem Beinamen Veneria, eine Stadt in Nordafrika, und zwar in Numidien, berühmt durch den Tempel und die Verehrung der assyrischen Venus.

11 Ein eben so berühmter als reicher Redner aus Athen im zweiten Jahrhundert.

12 Aus Cirta in Numidien gebürtig, einer der berühmtesten Rhetoren und Sachwalter der spätern Zeit, die ihn sogar dem Cicero an die Seite setzen wollte. Seine Schriften bestanden vornehmlich in Reden und Briefen und wurden lange für verloren gehalten, bis der Bibliothekar Angelo Majo einen Theil derselben in einem codex rescriptus der Ambrosianischen Bibliothek zu Mailand fand. Diese Ueberreste der Frontonischen Muse bestätigen übrigens keineswegs die günstigen Urtheile der Alten über Fronto.

13 Eine Stadt in Böotien, berühmt durch die letzte, aber uns glückliche Schlacht für die griechische Freiheit; jetzt das Dorf Kaprena.

14 Ich lese mit Salmasius: qui ei honorem equi publici sexenni detulit.

15 Eigentlich der Hüpfenden. So hießen die Priester des Mars Gradivus, weil sie an gewissen festlichen Tagen in kriegerischer Rüstung, ihre Schildlein, die ancilia, schwingend, einen Umgang durch die ganze Stadt in hüpfender Tanzbewegung hielten und dabei jenem Gotte feierliche Lieder sangen.

16 Diese Gesänge der Salier hießen axamenta, weil sie auf hölzernen Tafeln geschrieben waren. Sie sollen aus den Zeiten Numa’s stammen und einige von diesem selbst sein, wurden aber schon zu Cicero’s Zeiten von Niemand mehr recht verstanden. Einige Bruchstücke davon sind uns erhalten, aus denen wir aber nur abnehmen können, daß es kurze Stoßgebete waren, welche verschiedene Zeilen einnehmen und an verschiedene Gottheiten gerichtet waren.

17 So hieß ein jährliches Fest, das dem Jupiter Latialis zu Ehren von den verschiedenen Völkerschaften Latiums auf dem Albanerberge gefeiert wurde. Da die höchsten Reichsbeamten dabei anwesend sein mußten, so mußte, um während der viertägigen Feier desselben Unordnungen zu Rom zu verhüten, ein Stadtpräfekt, gewöhnlich einer der vornehmsten Jünglinge, in Rom zurückbleiben. Uebrigens war diese praefectura urbis nur auf die Dauer der latinischen Ferien beschränkt und ganz verschieden von der durch Augustus eingeführten, auch in unsern sechs Geschichtschreibern häufig vorkommenden praefectura urbis, welche eine bleibende Würde war.

18 Aus Gefälligkeit gegen das Volk.

19 Ist die Leseart richtig, so sind unter diesen nachmaligen Freunden seine Staatsräthe, als er Kaiser geworden, zu verstehen.

20 Hierunter ist, wie aus Dio Cassius, der denselben Traum erzählt, erhellt, auch Marcus zu verstehen.

21 Ich habe diese verdorbene Stelle nach der Emendation Obrechts übersetzt, welche vor der des Casaubonus und Salmasius den Vorzug verdient. Obrecht liest: Post excessum Hadriani statim Pius per uxorem suam Marcum sciscitatus est: utrum dissolutis sponsalibus Filiam, quam L. Cejonio Commodo desponderi voluerat impari adhuc aetate, vellet ducere? habita deliberatione velle se dixit.

22 Seviri hießen die Vorsteher der sechs Abtheilungen der römischen Ritter.

23 Der Kaiser konnte vermöge seiner Tribunengewalt, wenn er auch nicht Consul war, in dem Senate jederzeit eine Sache vortragen, welche er wollte, jedoch in den ersten Zeiten des Kaiserthums nicht mehr als eine in einer Senatssitzung, und dieß hieß jus relationis. Später aber wurde dieses jus relationis den Kaisern vom Senate erweitert, so daß sie in einer Senatssitzung mehrere Gegenstände vorzutragen berechtigt waren, daher wir denn in dem Leben des Probus Kap. 12 ein jus tertiae relationis, in dem Leben des Pertinax ein jus quartae relationis und hier sogar ein jus quintae relationis finden.

24 Hier befindet sich eine kleine Lücke im Text. In der Uebersetzung wurde die Ergänzung des Casaubonus: cum id nemo ante istum cum alio participasset ausgedrückt.

25 Dieß geschah bei außerordentlich bedenklichen und traurigen Fällen; allein es darf unter diesem Worte nicht verstanden werden, als sei blos keine gerichtliche Verhandlung vorgenommen worden, sondern es wurden auch die Kaufläden geschlossen und alle Gewerbe ruhten.

26 Die Mimen waren kleine Schauspiele, den Komödien nicht unähnlich. Das menschliche Leben wurde hier in seinen in’s Kleinste fallenden Nuancen vorgestellt und daher der Name. Der Stoff war meist aus dem gemeinen Leben genommen, daher war auch die Sprache, deren sich die Mimen bedienten, incorrect und voll pöbelhafter Ausdrücke. Der behandelte Vorfall war allemal lächerlich, sehr oft obscön. In allen mimischen Schauspielen wurde gesprochen, wiewohl Tanz und Gestikulation stark vorwalteten, in den Pantomimen nicht.

27 Ein deutsches Volk im heutigen Hessen und Thüringen.

28 Hierunter ist das römische Germanien jenseits des Rheins verstanden.

29 Das Land von den Alpen bis an die Ufer der Donau, von ihrer Quelle bis zum Einfluß des Inn.

30 Eine große und wohlhabende Stadt in Apulien am Fluß Aufidus, jetzt Canosa.

31 Ein stattlicher und volkreicher, ganz nahe bei Antiochien gelegener Flecken mit einem angenehmen Lorbeer- und Cypressenhain, worin ein Tempel des Apollo und der Diana sich befand. Da dieser Hain nur der Freude, Ueppigkeit und Liebe geweiht war, so war ein unaufhörlicher Zufluß von Besuchern dahin, freilich nicht zum Vortheile der Sittlichkeit.

32 Das Wort Imperator hat zur Kaiserzeit zweierlei Bedeutungen. Einmal bezeichnet es den Kaiser selbst, das andere Mal wird es im alten Sinne, wie hier, genommen, daß es ein Ehrentitel ist, den ein Feldherr nach einem ansehnlichen Siege von Heer und Senat erhielt. Als Bezeichnung der Kaiserwürde wurde er dem Namen vorgesetzt, wenn aber die Kaiser im alten Sinn den Imperatortitel annahmen, so setzten sie ihn hinter ihren Namen und bemerkten dabei, wie oft sie ihn angenommen.

33 Die Hauptstadt Armeniens am Flusse Araxes. Ihre Ruinen sieht man noch einige Meilen von Erivan unter dem Namen Ardachat.

34 Eine Seestadt in Calabrien, der gewöhnliche Ueberfahrtsort aus Italien nach Griechenland und in den Orient, heutigen Tages Brindisi.

35 Capitolinus irrt hier. Die von ihm dem Marcus zugeschriebene Einrichtung bestand schon längst, dieser Kaiser verbesserte sie nur.

36 So heißt die Schatzkammer, weil sie in dem Tempel des Saturnus war. Uebrigens wurden in derselben nicht blos die öffentlichen Gelder, sondern auch die Gesetztafeln, Volks- und Senatsbeschlüsse u. s. w. aufbewahrt.

37 Ich lese: proderet.

38 Dieß oder zu den Zeiten der Republik: nemo vos tenet waren die gewöhnlichen Worte, womit der Consul die Senatssitzung schloß.

39 Es ist hier nicht von 2 Curatelen die Rede, wie man häufig annimmt, sondern es sind 3 zu unterscheiden, die nach dem lätorischen Gesetze (daß die Jugend unter dem fünfundzwanzigsten Jahre nicht stipuliren, folglich keine Schulden machen solle), die wegen Verschwendung und die wegen Wahnsinns. Uebrigens vergleiche man über diese ganze Stelle Schweppe’s Rechtsgeschichte, 2. Aufl. §. 297 und §. 432.

40 Eine Art Betrüger, die Anderer Vermögen durch Ränke an sich zu ziehen suchten.

41 Diese Abgabe bestand seit Augustus; doch waren die nächsten Anverwandten und ganz Arme davon befreit.

42 Sie war von Eichenlaub und sollte eigentlich nur demjenigen gegeben werden, der einen Bürger gerettet hatte, was durch Zeugen ermittelt wurde.

43 Ein zu dem Stamme der Sueven gehöriges Volk. Sie hatten anfänglich zwischen dem Rhein, dem Main und der Donau gewohnt. Als aber die römische Macht sie von Osten und Westen her in ihren Wohnsitzen bedrohte, zogen sie unter ihrem Könige Marbod nach Böhmen, wo sie ein mächtiges Reich errichteten und mehrere Jahrhunderte lang der Schrecken der Römer waren. Sie stehen mit ihren Nachbarn an der Spitze des Vereins der Feinde der Römer, welcher die Völker an der Donau tief ins innere Land umfaßte.

44 So hießen die Göttermahlzeiten, wo die Bilder der Götter auf Kissen (lecti) gelegt und ihnen auf öffentlicher Straße alle Arten von Speisen vorgesetzt wurden.

45 Ich lese mit Obrecht: Ne quis velleret aperiretve sepulcrum.

46 Sie scheinen nach Eutrop 8,2 ein gothischer Stamm gewesen zu sein.

47 Eine der reichsten, bevölkertsten und stärksten Seestädte Italiens auf der adriatischen Küste, Hauptschlüssel des Reichs an der Nordostseite und Hauptmarktplatz des ganzen italisch-illyrischen Handels. Sie wurde von Attila völlig zerstört und ist jetzt ein geringer Marktflecken Namens Algar.

48 Ein deutsches Volk im östl. Böhmen, Mähren u. Oestrereich.

49 Oder vielmehr, weil er die Genüsse Roms nicht missen wollte.

50 Dieß ist nicht wörtlich zu nehmen. Die römische Geschichte spricht mehr als einmal von vertilgten feindlichen Völkern, welche später kräftiger und mächtiger als je auftraten.

51 Ein deutsches Volk mit wechselnden Wohnsitzen, damals wahrscheinlich in dem an Böhmen und Mähren grenzenden Theile Schlesiens.

52 Murrha war ein orientalischer Stein oder Erdart, woraus kostbare, aber zerbrechliche Gefäße, die hier genannten murrhinischen, verfertigt wurden. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist chinesisches Porzellan darunter zu verstehen.

53 Eigentlich die Einwohner von Chaldäa, welche durch ihre Sternkunde und Wahrsagerei berühmt waren, sodann überhaupt Astrologen, Wahrsager.

54 Salmasius behält sublevaret (wie die meisten Handschriften lesen): siesolle sich mit dessen Blute Erleichterung verschaffen, bei und glaubt, es sei euphemistisch gesagt für: sie solle dessen Blut trinken.

55 Man vgl. damit Aurelius Victor’s Kaisergesch. Kap. 16.

56 Die räuberischen Einwohner des Thales Bukolia in Unter-Aegypten.

57 Eine Stadt in Latium, jeßt Palestrina.

58 Beite Wörter bezeichnen Freiwillige.

59 Gehorchende, Ergebene.

60 Eine Landschaft in Ober-Mösien, dem heutigen Servien.

61 In den Provinzen aufgestellte, leichtbewaffnete Truppen, um solche von Räubern und anderem Gesindel rein zu halten.

62 Die Hermunduren hatten ihre Sitze in der nördlichen Hälfte des jetzigen Baiern über den Thüringer Wald hinüber bis gegen die Elbe. Oestlich von ihnen wohnten die Narisker, vielleicht ein in den alten Sitzen zurückgebliebener Theil der Markomannen.

63 Die Burer wohnten nördlich von den Markomannen u. Quaden in dem Quellenlande der Weichsel und Oder und gehörten nach Tacit. Germ. Kap. 43 zum suevischen Stamme.

64 Beide Völker, sowie die Latringer, sind unbekannt, wenn nicht die Namen durch die Abschreiber verderbt sind.

65 Die Bastarner und Peukiner gehören demselben Volke an. Jene wohnten vom rechten Ufer der Weichsel bis zur Mündung der Donau, diese auf der an der Mündung dieses Stromes gelegenen großen Insel Peuke. Tacitus Germ. Kap. 46 zweifelt, ob er sie zu den Germanen oder Sarmaten (Slaven) zählen soll. Strabo vermuthet, Plinius glaubt, daß sie Germanen seien; Ptolemäus und Dio Cassius betrachten sie als Sarmaten.

66 Hatten nach Ptolemäus ihre Wohnsitze an der obern Weichsel bis zum Dnieper.

67 Man vgl. darüber oben S. 14, Anmerkung.

68 Sie umfaßte die heutige Franche Comté, einen Theil von Bourgogne und den südlichen Theil des Elsasses.

69 Augustus hatte Hispanien (so wurde die ganze pyrenäische Halbinsel genannt) in drei große Provinzen eingetheilt: Lusitania, Bäbica und Hispania Tarraconensis. Lusitanien umfaßte das Land zwischen dem Durius und Anas (Duro und Guadiana) oder das jetzige Portugal mit Ausschluß des nördlichen Theils und mit Zuziehung der Provinzen Salamanca und Estremadura.

70 Die Stadtpräfectur war zu den Zeiten der Republik eine vorübergehende Würde, allein von August wurde der Stadtpräfect bleibend ernannt, gewöhnlich aus gewesenen Consuln. Er hatte die Ausübung der bürgerlichen Polizei und Criminal-Gerichtsbarkeit in der Stadt und ganz Italien, bis Sever seine Gewalt auf die Stadt und den Umkreis von 100 römischen Meilen beschränkte. Später hatten die Stadtpräfecten auch die höhere Civilgerichtsbarkeit und den Vorsitz im Senate. Ihre Unabhängigkeit war blos dadurch beschränkt, daß Berufung von ihnen auf den Kaiser galt.

71 Sie hatten ihren Ursprung bei den Sicilianern und kamen zu Rom unter Augustus auf, von welcher Zeit an bis zum Verfalle des Reichs das Volk eine leidenschaftliche Vorliebe für diese Gattung theatralischer Kunst hatte. Der Stoff dieser Spiele war meistentheils aus der Mythologie, nur selten aus der alten Geschichte entlehnt und von der Art, daß er sich leicht durch Action vorstellen ließ. In diesen Spielen kamen viele Zoten und unsittliche Sachen vor, daher sie die Sitten sehr verderbten.

72 Die Einwohner Pelusiums, im Alterthume ohnedieß nicht im Rufe der Sittlichkeit stehend, scheinen sich bei Gelegenheit des Serapisfestes zügellosen Ausschweifungen ergeben zu haben.

73 Serapis war keine ursprünglich ägyptische Gottheit, sondern der König Ptolemäus Lagi hatte sie, durch ein Traumgesicht dazu bestimmt, aus der Stadt Sinope im Pontus herbeiholen lassen (man vgl. Tacit. hist. 4, 83, 84); sie wurde aber von den Aegyptern nur mit großem Widerstreben in ihre Städte aufgenommen. Jedoch einmal einheimisch geworden in Aegypten, wurde Serapis mit Osiris identificirt und somit Isis als seine Gemahlin angesehen, wie denn auch, als der Irisdienst sich immer mehr auch im Westen verbreitete, Isis und Serapis zu Rom in demselben Tempel vereint waren. Seine Hauptverehrung hatte er zu Alexandria, wo auch ein Serapistempel stand, der an Pracht mit dem Capitol wetteiferte.

74 Dieß ist dieselbe Begebenheit, deren auch christliche Schriftsteller als eines, aber durch das Gebet einer aus Christen bestehenden Legion herbeigeführten, Wunders gedenken. „Man erzählt, daß – so lautet der Bericht des Eusebius in seiner Kirchengeschichte 5,5 – Marcus Aurelius, im Begriff, den Germanen und Sarmaten eine Schlacht zu liefern, in einer großen Noth sich befunden habe, weil sein Heer von Durst gequält wurde. Da haben die Soldaten der sogenannten melitenischen Legion, welche durch das Verdienst ihres Glaubens noch von der Zeit an bis jetzt besteht, als sie schon gegen den Feind in Schlachtordnung standen, sich, nach der bei uns üblichen Weise zu beten, auf die Knie zur Erde niedergelassen und zu Gott gebetet. Dieser Anblick schon erschien den Feinden wunderbar, aber es soll gleich darauf noch etwas viel Wunderbareres erfolgt sein, ein Gewitter nämlich, das die Feinde in die Flucht trieb und Verberben über sie brachte, und ein Regen, welcher das ganze Heer, wobei die Betenden sich befanden, und das in kurzer Zeit vor Durst hätte zu Grunde gehen müssen, erquickte“.

75 Dieß ist unrichtig und entweder ein Irrthum des Capitolinus oder ein Schreibfehler. Cassius war nach Dio 71,22 aus der Stadt Cyrus oder Cyrrhus in Syrien, daher er denn auch kaum, wie in seinem Leben Kap. 1 gemeldet wird, aus der Familie des berühmten Cassius sein konnte. Diese Empörung des Cassius bestimmte übrigens (Dio 71,31) den Kaiser Marcus zu der Verordnung, daß Niemand in seinem Geburtslande fernerhin Statthalter sein sollte.

76 Es war bei den Griechen gebräuchlich, daß die Gelehrten und Philosophen in den Stadien, Gymnasien und andern öffentlichen Orten zusammenkamen, um sich über wissenschaftliche Gegenstände mit einander zu unterhalten.

77 Zum Unterschiede von den (im Leben des Pius Kap. 8 vorgekommenen) Faustinianerinen des Pius.

78 Unter dem Namen Faustinopolis.

79 Der härteste Grad von Verbannung. Denn nicht genug, daß der deportatus an einen wüsten Ort, wozu klippichte Inseln um Italien und im Archipelagus gewählt wurden, die zur Kaiserzeit ganz voll von Deportirten waren, verwiesen wurde, so verlor er auch noch sein Bürgerrecht und Testirrecht, welches beides der relegatus behielt.

80 Eine Stadt in Latium, h. T. Pratica.

81 Sie war eine Schwester des Verus und wahrscheinlich die Tochter des Lucius Cejonius Commodus, welche Antoninus schon früher nach dem Wunsche Hadrians hätte heirathen sollen.

82 Seit Augustus bis zum zehnten Jahrhundert herrschte der Gebrauch des Concubinats sowohl im Occident als Orient. Der Stand einer Beischläferin, unter der Ehre einer Frau, über der Ehrlosigkeit einer Buhlerin, war von den Gesetzen anerkannt.