Die zwei Valeriani

Ornament

Übersetzung

1 [537] Der Kaiser Valerianus1, ein Sohn des Valerius, ein Mann von edler Herkunft, war vorher Censor gewesen und stieg, nachdem er alle damaligen Staatsämter stufenweise durchlaufen hatte, auf den höchsten Gipfel menschlicher Größe, indem er nach 70 ruhmvoll durchlebten [538] Jahren des hohen Ruhms theilhaftig ward, daß er, nachdem er alle Ehrenstellen und Würden mit Auszeichnung bekleidet hatte, zum Kaiser gewählt wurde, aber nicht, wie sonst gewöhnlich, in einem stürmischen Volksgetümmel, nicht unter dem Gelärme und Getöse der Soldaten, sondern vermöge des Rechtes, das ihm seine Verdienste gaben und so zu sagen durch die einmüthige Stimme der ganzen Römerwelt. Denn wenn jeder Römer seine Stimme bei der Kaiserwahl hätte geben können, so wäre dieselbe sicherlich auf keinen Andern als auf ihn gefallen. Um indessen meinen Lesern einen Begriff von der hohen Achtung zu geben, in welcher Valerianus seiner Verdienste um den Staat wegen stand, so will ich einige Senatsbeschlüsse beibringen, aus denen jedermänniglich die hohe Meinung, welche dieser erlauchte Stand von jeher von Valerianus gehabt hat, ersehen kann. Wie unter dem Consulate der beiden Decier2, den 27. October, der Senat auf Befehl dieser Kaiser wegen der Wahl eines Censors3, welche dieselben diesem erlauchten Stande anheimgestellt hatten, im Tempel des Castor und Pollux sich versammelt hatte und als einzeln abgestimmt werden sollte, der Prätor nach der Frage: „was dünkt euch, versammelte Väter, wegen der Wahl eines Censors?“ den [539] ersten Senator in Abwesenheit des Valerianus4, der damals sich mit Decius im Feldlager befand, um seine Meinung befragte, so riefen Alle mit Beiseitsetzung der gewöhnlichen Abstimmungsweise einmüthig: „Das Leben des Valerianus ist eine Censur. Der soll über den Senat urtheilen, der selbst ohne Fehler ist. Der urtheile über unsern Wandel, dem nichts vorgeworfen werden kann! Valerianus ist von seiner ersten Jugend an Censor gewesen. Valerianus ist sein ganzes Leben hindurch Censor gewesen. Er ist ein kluger, ein anspruchsloser, ein strenger Senator, ein Freund der Rechtschaffenen, ein Gegner der Tyrannen, ein Feind der Verbrechen, ein Feind der Laster. Ihn nehmen wir alle als Censor an; ihn wollen wir alle gleichzukommen suchen, ihm, der durch Abstammung der Erste, durch Herkunft edel, in seinem Wandel tadellos, durch Gelehrsamkeit berühmt, durch Sitten ausgezeichnet und ein Mann den Alten gleich ist.“ Diese Worte wurden öfters wiederholt mit dem Beisatze: Alle, worauf der Senat auseinander gieng.

2 Als dieser Senatsbeschluß dem Decius zukam, ließ er den ganzen Hof sich versammeln, so wie auch den Valerianus selbst zu sich einladen, verlas sodann den Senatsbeschluß und sprach, sich gegen Valerianus wendend, also: „Glücklicher Valerianus im Urtheile des gesammten Senats, ja in den Gedanken und Gefühlen der ganzen Römerwelt5! Empfange die Censorschaft, welche dir der römische Staat übertragen hat, welche du allein verdienst, und richte über unsere Sitten! Du wirst entscheiden, wer in der Curie bleiben darf; [540] du wirst dem Ritterstande seinen alten Glanz wieder geben; du wirst die Schatzungen vermindern; du wirst die Abgaben feststellen, die Bürger eintheilen und die öffentlichen Angelegenheiten der Censur wieder unterwerfen. Du wirst die Gewalt, Gesetze zu erlassen, erhalten; du wirst über den Soldatenstand richten; du wirst die Waffen besichtigen. Deine Aufsicht wird sich über unsern Palast, die Statthalter und über die höchsten Reichsbeamten erstrecken: Keiner ist davon ausgenommen, als blos der Stadtpräfect, die ordentlichen Consuln, der Opferkönig6 und die Obervestalin, wenn sie ihre weibliche Ehre bewahrt. Aber auch diese deiner Aufsicht nicht unterworfenen Personen werden sich bemühen, deinen Beifall zu verdienen.“ Auf diese Worte des Decius entgegnete Valerianus Folgendes: „Ich bitte dich, erhabenster Kaiser, versetze mich nicht in die Nothwendigkeit, über Volk, Heer, Senat, über das ganze Reich, über Statthalter, Tribunen und Feldhauptleute richten zu müssen. Dieß sind Vorrechte, die von der Kaiserwürde unzertrennlich sind. Dir steht die Censur zu; eine Privatperson kann sie nicht in ihrem ganzen Umfange verwalten. Ich bitte daher um Verschonung mit dieser Ehre, welcher ich meiner ganzen Lebensart und meinem Selbstvertrauen nach nicht gewachsen bin und der der Zeitgeist so sehr widerspricht, daß bei den Menschen, wie sie sind, überhaupt keine Censur mehr Statt finden kann.“

3 Ich könnte noch manche andere Senatsbeschlüsse und vortheilhafte Aeußerungen der Kaiser in Betreff Valerians anführen, [541] wenn nicht dieselben euch großentheils bekannt waren und ich nicht Anstand nähme, einen Mann noch mehr zu erheben, der einem unvermeidlichen Verhängnisse erlegen ist. Denn er wurde von dem persischen Könige Sapor besiegt, als er von einem seiner Feldherren7, dem er den obersten Heerbefehl übertragen hatte, sei es aus Verrätherei oder wirklichen Mißgeschick, in solche Gegenden geführt worden war, wo weder kriegerischer Muth noch Disciplin seine Gefangennehmung verhindern konnten. Er wurde also gefangen und kam in die Gewalt Sapors. Dieser, aufgeblasen8 durch seinen glorreichen Sieg, behandelte ihn auf eine minder ehrenvolle Weise als es sich gebührte, mit Stolz und Uebermuth, und sprach mit dem Beherrscher der Römer wie mit einem schlechten verächtlichen Sclaven. Dieß bewog denn einige befreundete Könige, welche auf seiner Seite gegen Valerianus gewesen waren, verschiedene Briefe an Sapor zu schreiben, welche Julius der Reihe nach anführt.

4 „Dem Sapor Belsolus, der König der Könige, seinen Gruß. Wenn ich glaubte, daß die Römer jemals gänzlich überwunden werden könnten, so würde ich dir zu dem Siege, den du dir zuschreibst, Glück wünschen. Allein da jenes Volk, sei es durch eine Fügung des Schicksals oder durch eigene Tapferkeit, zu einer ungeheuern Macht gelangt ist, so sieh zu, daß der Umstand, daß du einen betagten Kaiser, und dieß noch durch Verrätherei, gefangen bekommen hast, dir und deinen Nachkommen nicht zum Unheil ausschlage. Bedenke, welche mächtige Völker, die vorher feindlich ihnen gegenübergestanden und häufig über sie obgesiegt, sie sich unterworfen [542] haben. Wir wissen, daß die Gallier sie überwunden und ihre unermeßliche Stadt eingeäschert haben. Und dennoch sind diese Gallier jetzt ihre Unterthanen. Die Africaner – haben sie nicht über die Römer gesiegt? Jetzt dienen sie ihnen. Entferntere oder vielleicht minder bekannte Beispiele übergehe ich. Mithridates, König von Pontus, war Herr über ganz Asien. Er ist überwunden worden, und Asien gehört den Römern. Wenn du meinen Rath wissen willst, so geht derselbe dahin: Benütze die Gelegenheit zum Frieden und gib den Valerianus den Römern zurück. Ich wünsche dir Glück zu deinen Erfolgen, wenn du dich ihrer zu bedienen weißt.“

5 Balerus, der König der Cadusier, schrieb an Sapor folgendermaßen: „Die mir zurückgeschickten Hülfstruppen ohne Verlust und Schaden zurückkommen zu sehen, war mir angenehm. Dazu aber, daß Valerianus, der Fürst der Fürsten, in deine Gewalt gerathen ist, kann ich dir nicht recht Glück wünschen; eher würde ich dieß thun, wenn er zurückgegeben würde. Denn am gefährlichsten sind die Römer dann, wenn sie einen Verlust erlitten haben. Handle also so, wie es sich für einen Mann von Einsicht und Verstand ziemt und laß dich nicht durch das Glück, das schon Viele hintergangen hat, aufblähen. Valerianus hat einen Sohn, welcher Kaiser, und einen Enkel, welcher Cäsar ist. Doch was sage ich? er hat die gesammte Römerwelt, die mit ihrer ganzen Macht wider dich aufstehen wird. Gib also den Valerianus zurück und schließe Frieden mit den Römern, der auch für uns, der pontischen Völkerschaften wegen, vortheilhaft sein wird.“

6 Artabasbes, König der Armenier, schickte folgenden Brief an Sapor: „Wiewohl ich Theil an deinem Ruhme habe, so befürchte ich doch, du möchtest nicht sowohl einen Sieg erhalten, als Samen zum Krieg ausgestreut haben. Valerianus wird von seinem Sohne, [543] seinem Enkel, von den römischen Heerführern, von ganz Gallien, ganz Afrika, ganz Hispanien und ganz Italien, so wie von allen Völkerschaften in Illyricum, Orient und im Pontus, die den Römern entweder befreundet oder unterworfen sind, zurück gesendet worden. Einen einzigen Greis hast du zu deinem Gefangenen und alle Völker der Welt hast du zu deinen erbittertsten Feinden gemacht und auch vielleicht zu unsern, die wir dir Hülfstruppen geschickt haben, die wir in der Nähe sind und die wir immer unter euern gegenseitigen Bekriegungen leiden.“

7 Die Baktrianer, Iberer, Albaner und Tauroskythen nahmen Sapors Briefe gar nicht an, sondern schrieben an die römischen Feldherrn und versprachen Hülfsvölker, zu Valerianus’ Befreiung aus der Gefangenschaft. Während aber dieser in Persien hinalterte, brachte Odenatus von Palmyra ein Heer zusammen und stellte Roms Herrschaft im Oriente beinahe wieder her. Er bekam nicht blos die Schätze des Königs, sondern auch seine Beischläferinnen, die in den Augen der parthischen Könige einen höhern Werth haben als jene, in seine Gewalt. Dieß flößte dem Sapor Furcht vor den römischen Feldherrn ein, und er zog sich vor Balista und Odenatus schleunigst in sein Reich zurück. Und so endigte sich indessen der persische Krieg. Dieß wäre das Merkwürdigste von Valerianus. Ich komme nun auf Valerianus den Jüngern.

Valerianus der Jüngere

Valerianus der Jüngere, der nicht dieselbe Mutter wie Gallienus hatte, war von einem schönen Aeußern, liebenswürdig durch seine Bescheidenheit, durch für sein Alter nicht gemeine Kenntnisse ausgezeichnet, durch seine Sitten äußerst angenehm und ferne von den Ausschweifungen seines Bruders. Er wurde von seinem abwesenden Vater zum Cäsar ernannt, von seinem Bruder aber, wie Celestinus berichtet, zum Augustus. Sein Leben bietet sonst nichts Erwähnenswerthes dar, als daß er aus einem erlauchten Hause abstammte, eine vortreffliche Erziehung erhielt und auf eine klägliche Art ermordet wurde. Und weil ich weiß, daß Viele sich in einem Irrthum befinden, wenn sie bei Lesung des Namens des Kaisers Valerianus auf einem Grabmal glauben, der Leichnam des von den Persern gefangen genommenen Valerianus sei zurückgegeben worden, so halte ich zu Vermeidung jeglichen Irrthums die Bemerkung für passend, daß dieser Valerianus zu Mediolanum beigesetzt wurde und daß sein Grabmal auf Befehl des Kaisers Claudius die Aufschrift: Valerianus der Kaiser erhielt. Außer diesem glaube ich weder von dem ältern, noch von dem jüngern Valerianus etwas Denkwürdiges anführen zu können. Und weil ich befürchte, dieser Band9 möchte, wenn [545] ich auch noch das Leben des Gallienus, eines Sohnes Valerianus, dessen ich schon häufig erwähnt habe, und das Leben von dessen Sohn Saloninus, der auch Gallienus heißt, in demselben abhandelte, zu umfassend werden, so will ich dasselbe in einem andern Bande beschreiben. Denn ich habe jederzeit eben so sehr euch als meinen Ruhm vor Augen gehabt, den ich eben so wenig schmälern lassen kann als darf.

Anmerkungen

1 Diese beiden Kaiser schließen sich nicht unmittelbar an Gordian den Dritten an, sondern es sind zwischen diesen und den Valerianen die Lebensbeschreibungen mehrerer Kaiser ausgefallen, nämlich des Philippus und seines Sohnes, des Decius und seines Sohnes, des Gallus und Hostilianus, und des Aemilius Aemilianus. Ihre Regierung zusammen umfaßt einen Zeitraum von 9–10 Jahren und kann in Eutrop (9,3–7), Aurelius Victor (Kaisergesch. Cap. 28–32 und Auszug aus der Kaisergesch. Cap. 28–32), Orosius (7,20–22) und Zosimus (1,19–29) nachgelesen werden. In Betreff der vorliegenden Lebensbeschreibung der beiden Valeriane ist zu bemerken daß dieselbe nur verstümmelt auf uns gekommen ist und nur ein nothdürftiger Zusammenhang sich darin findet.

2 J. Chr. 251.

3 Die Censur hatte schon unter Augustus als ein eigenes Amt aufgehört und sich mit den übrigen Vorrechten der Kaiser verschmolzen: allein auch diese verabsäumten sie nach und nach, und Vespasianus und Titus waren die letzten Censoren. Da Decius sah, daß es unmöglich sei, Roms Größe auf dauerhaftem Grunde wieder aufzurichten, ohne öffentliche Tugend, alte Grundsätze, Sitten und unterdrückte Majestät der Gesetze wiederherzustellen, so beschloß er zu diesem Zwecke das verjährte Censoramt wieder in das Leben zu rufen.

4 Dieser war eigentlich princeps senatus nach Cap. 9 im Leben Gordians des Ersten.

5 Ich folge der Interpunction Obrechts: Felicem te totius senatus sententia; imo animis atque pectoribus totius orbis! suscipe censuram etc.

6 Dieser war unter den einzelnen Priestern der höchste, und sein Amt konnte nur an Patricier kommen. Er hatte die Opfer zu verrichten, die früher den Königen oblagen, war aber sonst ohne alle Macht. Bei ihm fand der einzige Fall Statt, daß die Frau den Titel des Mannes hatte.

7 Er hieß Macrianus. Sein Leben ist unten beschrieben.

8 Ich lese: quem cum gloriosae victoriae successu tumidus, minus honorifice etc.

9 Eigentlich Rolle, denn wie wir Bände haben, so hatten die Alten Rollen.