1. Buch

Ornament

[88] Wie diejenigen, die sich mit Wettkämpfen und der Ausbildung des Körpers beschäftigen, nicht nur für eine gute Konstitution und Leibesübungen, sondern auch für zeitgemäße Erholung sorgen – die sie für den wichtigsten Theil der Ausbildung halten – so, glaube ich, müssen auch diejenigen, welche sich der Wissenschaften befleißigen, nach vielem Lesen ernsterer Dinge ihre Denkkraft abspannen und sie zur folgenden Arbeit kräftiger machen. Vielleicht dürfte es für sie eine passende Erholung sein, wenn sie sich mit einer solchen Lektüre befassen, die nicht allein durch Witz und Scherz nur Anziehung gewährt, sondern auch eine den Musen nicht fremde Belehrung enthält, wie sie etwa, wenn ich es zu hoffen wagen darf, von diesen Aufsätzen urtheilen werden. Es wird sie ebenso der abenteuerliche Inhalt, der lustige Zweck und die mannigfaltigen Lügen anziehen, die ich in überzeugendem und wahrheitsgetreuem Tone vorgetragen habe, wie die spaßhaften, in allen Erzählungen enthaltenen Anspielungen auf einige alte Dichter, Geschichtsschreiber und Philosophen, die viel Wundersames und Fabelhaftes zusammengeschrieben haben und die ich namentlich genannt hätte, wenn sie dir nicht beim Lesen von selbst deutlich [89] sein würden. So schrieb Ktesias, der Sohn des Ktesiochus aus Knidus, über die Inder und ihr Land Dinge, die er weder selbst gesehen, noch von einem andern gehört hatte; auch Jambulus schrieb über das Weltmeer viel Seltsames, von welcher Komposition alle wußten, daß sie eine Lüge sei, doch läßt sie sich nicht ohne Ergötzung lesen. In demselben Geiste schrieben noch viele andere angeblich eigene Irrfahrten und Reisen, und erzählten von großen Thieren, rohen Menschen und ihrer wundersamen Lebensweise. Der Erzvater und Meister aller solcher Aufschneidereien ist der homerische Odysseus, der dem Alkinous vom Aeolus und seinen Unterthanen, den Winden, von einäugigen, wilden Kannibalen, ferner von Geschöpfen mit vielen Köpfen und den Verwandlungen seiner Gefährten durch Zaubermittel erzählt, von welcher Gattung er den einfältigen Phäaken viel vorfabelte. Als mir diese in Hand fielen, so warf ich es den Männern nicht so sonderlich vor, daß sie die Unwahrheit sagen, weil ich sah, daß dies auch schon bei denen, die zu philosophiren vorgeben, gewöhnlich ist; es nahm mich an ihnen aber Wunder, daß sie glaubten, es werde unbemerkt bleiben, daß sie Unwahres schreiben. Weil ich nun auch selbst aus Eitelkeit den Nachkommen etwas zu hinterlassen wünschte, um nicht der Freiheit im Fabeln allein untheilhaft zu sein, so wandte ich mich, da ich nichts Wahres zu erzählen hatte, – mir war nämlich nicht der Rede Werthes begegnet – einer weit verzeihlicheren Lüge zu, als die andern; ich werde wenigstens diese eine Wahrheit sagen, daß ich lüge; durch das Geständniß, daß ich nichts Wahres sage, hoffe ich auch der Anklage Anderer zu entgehen; ich schreibe also über Dinge, die ich weder sah, noch durchmachte, noch von andern hörte, ja vielmehr über solche, die überhaupt nicht existiren und schlechthin nicht existiren können, deßhalb müssen meine Leser sie durchaus nicht glauben.

Einstmals fuhr ich also von den Säulen des Herakles ab und steuerte bei günstigem Winde in das westliche Weltmeer. Ursache und Zweck meiner Reise war, weil ich nichts Besseres zu denken hatte, nach etwas Neuem begierig war und zu erfahren wünschte, wie das Weltmeer endigt, und was für Menschen das [90] Land gegenüber bewohnen. Daher nahm ich sehr viele Lebensmittel und eine genügende Menge Wasser ein, gesellte mir fünfzig Altersgenossen, die mit mir einerlei Sinnes waren, bei, verschaffte mir überdem eine große Menge Waffen und engagirte den besten Steuermann für hohes Gehalt, desgleichen machte ich mein Schiff, welches eine Yacht war, zu einer langen und stürmischen Fahrt fest. Einen Tag und eine Nacht fuhren wir bei günstigem Winde, während das Land noch sichtbar war, nicht sehr schnell in die hohe See, am folgenden Tage aber mit Sonnenaufgang nahm der Wind zu, die See fing an hoch zu gehen, es trat Finsterniß ein und es war nicht einmal möglich, das Segel einzuziehen. Wir überließen uns also der Gnade des Windes und bestanden einen Sturm von neunundsiebenzig Tagen; am achtzigsten erblickten wir, als plötzlich die Sonne hervorleuchtete, in nicht weiter Ferne eine hohe, mit dichtem Walde bewachsene, von nicht hohen Wogen umspülte Insel, denn die See hatte bereits nachgelassen, hochzugehen. Wir legten an, stiegen aus und lagen, wie sich nach der langen Strapaze erwarten läßt, eine beträchtliche Zeit auf der Erde, endlich jedoch erhoben wir uns und wählten dreißig aus unserer Mitte, um zur Bewachung des Schiffe zurückzubleiben, zwanzig sollten mit mir die Insel auskundschaften gehen. Wie wir etwa drei Stadien vom Meere durch Gehölz weiter gegangen waren, sahen wir eine Säule von Erz, auf der in hellenischen, aber dunkeln und verwitterten Buchstaben die Inschrift stand: „Bis hierher sind Herakles und Dionysos gekommen“. Nicht weit davon auf einem Felsen waren zwei Spuren, von denen die eine mir so groß vorkam, wie ein Morgen Landes, die andere war kleiner; diese letztere schien mir von Dionysos, jene von Herakles herzurühren. Nachdem wir ein Knie gebeugt, gingen wir weiter. Wir waren noch nicht weit entfernt, als wir an einen Fluß gelangten, in dem ein Wein floß, der dem Chier am nächsten glich. Der Fluß war tief und groß, so daß er an einigen Stellen auch schiffbar sein konnte. Unser Vertrauen in die Inschrift steigerte sich weit mehr, als wir die Zeichen sahen, daß Dionysos hier gewesen sei. Weil ich aber auch zu erfahren wünschte, wo der Fluß entspringt, so ging ich sein [91] Bette entlang aufwärts und fand zwar keine Quelle, aber viele große, mit Trauben dicht besetzte Weinstöcke, an deren Wurzel funkelnder Wein in Tropfen herabfloß, aus denen der Fluß entstand. Auch viele Fische konnte man in ihm sehen, die an Farbe und Geschmack dem Wein ganz ähnlich waren. Wir fingen einige und bekamen, als wir sie gegessen hatten, einen Rausch; natürlich fanden wir sie beim Aufschneiden auch voll Most, nachher jedoch fiel es uns ein, andere Wasserfische ihnen beizumischen und dadurch den zu starken Weingeschmack zu mildern. Wie wir dann den Fluß an einer seichten Stelle überschritten hatten, trafen wir eine wunderbare Art Weinstöcke an, unten an der Erde hatten sie einen kräftigen, dicken Stamm, oben waren es Frauen, die von den Hüften ab alle Theile vollständig hatten; so bildet man bei uns die Daphne ab, die eben in den Armen des Apollo sich in einen Weinstock verwandelt. Oben aus den Fingerspitzen wuchsen ihnen die Reben und waren voll von Trauben, auch die Stelle des Haupthaars vertraten Ranken, Blätter und Trauben. Als wir herankamen, reichten sie uns die Hand und begrüßten uns, einige in lydischer, andere in indischer, die meisten in hellenischer Sprache; sie gaben uns auch einen Kuß auf den Mund. Der Geküßte war sogleich berauscht und von Sinnen. Sie ließen jedoch nicht Früchte abpflücken, sondern wenn man es that, empfanden sie Schmerz und schrieen. Einige wollten sich sogar mit uns begatten. Zwei von meinen Gefährten, die ihnen zu Willen waren, kamen nicht mehr los, sondern blieben mit den Schamtheilen fest, denn sie wuchsen zusammen und verschlangen ihre Wurzeln, und an den Nägeln waren ihnen schon Zweige gewachsen, und von Ranken umflochten standen sie bereits im Begriff Früchte zu tragen. Wir ließen sie also zurück und eilten zu dem Schiffe und erzählten den Zurückgebliebenen bei unserer Ankunft das Uebrige und wie die Gefährten sich mit den Weinstöcken begattet hatten. Hierauf füllten wir einige Krüge mit Wasser, schöpften in andere Wein aus dem Flusse und brachten dann nahe an seinem Ufer die Nacht zu; des Morgens gingen wir bei nicht sehr starkem Winde in See. Um Mittag, als die Insel nicht mehr zu sehen war, kam plötzlich ein Wirbelwind, der [92] das Schiff im Kreise herumschleuderte, es in die Höhe hob und es eine Strecke von 3,000 Stadien weit nicht mehr in das Meer herabließ, sondern der Wind wölbte das Segel und trug das Schiff in der Höhe davon. Nach einer Luftfahrt von sieben Tagen und gleich viel Nächten sehen wir am achten Tage in der Luft ein großes, glänzendes, kugelförmiges und von einem großen Lichte erleuchtetes Land, das wie eine Insel da lag; hier gingen wir vor Anker, stiegen aus und finden bei näherer Betrachtung das Land bewohnt und bestellt. Bei Tage sahen wir von da aus nichts, in der Nacht aber waren uns viele andere Inseln in der Nähe sichtbar, theils größere, theils kleinere, an Farbe dem Feuer ähnlich, und ein anderes Land unten mit Städten und Flüssen und Meeren und Wäldern und Bergen, das wir für unsere Erde hielten. Da wir beschlossen hatten, weiter vorzugehen, wurden wir von den Hippogypen (Pferdegeiern), wie sie bei ihnen heißen, die uns begegneten, festgenommen. Diese Hippogypen sind Männer, die auf großen Geiern reiten und die Vögel als Pferde gebrauchen, denn die Geier sind groß und haben meistentheils drei Köpfe. Ihre Größe kann man aus Folgendem ermessen; jeder ihrer Flügel ist länger und dicker, als der Mast eines großen Lastschiffes. Diese Hippogypen haben den Auftrag, in dem Lande herumzufliegen und, wenn sich ein Fremder antreffen läßt, ihn zum Könige zu führen. Sie nahmen nun auch uns fest und führten uns zum Könige. Dieser schloß aus unserem Aussehen und unserer Kleidung, wer wir wären und sagte: Ihr seid Hellenen, Fremdlinge? Wie wir es bejahten, fragte er weiter: Wie seid ihr einen so weiten Weg durch die Luft gekommen? Nachdem wir ihm alles mitgetheilt, fing auch er an uns von sich zu erzählen, daß er als Mensch Endymion geheißen habe und im Schlaf von der Erde geraubt und König dieses Landes geworden sei; dies Land sei aber das, welches man von unten für den Mond hält, er hieß uns gutes Muthes sein und keine Gefahr argwöhnen, wir würden alles haben, was wir brauchen. „Wenn ich in dem Kriege glücklich bin,“ fuhr er fort, „den ich jetzt gegen die Bewohner der Sonne führe, so werdet ihr bei mir am allerglücklichsten leben.“ Wir fragten, wer die [93] Feinde seien, und nach dem Grunde des Zwistes. Phaëton, entgegnete er, der König der Sonnenbewohner – denn auch die Sonne ist, wie der Mond, bewohnt – führt schon lange Zeit mit uns Krieg. Derselbe begann aus folgendem Grunde: Ich versammelte einstmals die Aermsten aus meinem Reiche in der Absicht, eine Kolonie nach dem Morgenstern zu senden, der wüst und von Niemanden bewohnt war. Das hinderte Phaëton aus Neid, indem er uns in der Mitte des Weges an der Spitze der Pferdeameisen entgegentrat. Damals nun wurden wir besiegt und zogen uns, weil der Feind besser gerüstet war, als wir, zurück. Jetzt will ich aber wieder den Krieg beginnen und die Kolonie abschicken. Wenn ihr Lust habt, so machet mit mir den Feldzug mit, einem Jeden von euch werde ich einen Königsgeier und die sonstige Ausrüstung liefern; morgen werden wir ausrücken. So soll es geschehen, sprach ich, da es dein Wunsch ist.

So blieben wir damals bei ihm zur Tafel, am Morgen rückten wir in Schlachtordnung aus, denn unsere Vorposten machten uns die Meldung, daß die Feinde in der Nähe seien. Das Heer war ohne den Train, die Maschinenbauer, die Fußsoldaten und die fremden Hülfsvölker 100,000 Mann stark; von diesen waren 80,000 Hippogypen, 20,000 zogen auf den Kohlvögeln zu Felde. Dies ist eine sehr große Art Vögel, die anstatt der Federn überall mit Kohl bewachsen sind und den Blättern des Lattichs ganz ähnliche Flügel haben. An diese postirten sich die Hirsenschützen und Knoblauchwerfer; von dem großen Bären waren auch Verbündete zu ihm gestoßen, 30,000 Flohschützen und 50,000 Windläufer. Von diesen reiten die Flohschützen auf großen Flöhen, woher sie sie den Beinamen haben. Die Flöhe sind so groß wie zwölf Elephanten; die Windläufer aber sind Infanterie, sie bewegen sich in der Luft ohne Flügel, und zwar auf folgende Weise: Sie gürten sich lange, bis an die Füße reichende Unterkleider um und lassen in sie den Wind, wie in Segel, blasen, und sich gleich Kähnen daher treiben. Meistentheils vertreten sie in den Schlachten die Stelle der leichten Infanterie. Auch von den Sternen über Kappadocien sollten 70,000 Sperlingseicheln und 5,000 Pferdekraniche kommen, diese habe ich nicht [94] gesehen, denn sie kamen nicht, deßhalb wage ich auch nicht, ihr Aussehen zu schildern, man sagte aber von ihnen Wunderbares und Unglaubliches.

Derartig war die Streitmacht des Endymion: Rüstung und Waffen waren bei allen dieselben, Helme aus Bohnen, die dort groß und stark sind, Schuppenpanzer aus Lupinen; sie verfertigen nämlich Panzer, indem sie die Hülsen der Lupinen zusammen nähen, die Hülse der Lupine ist dort undurchdringlich wie Horn, ihre Schilde und Schwerter waren wie die hellenischen.

Als es Zeit war, stellten sie sich folgendermaßen in Schlachtordnung: auf dem rechten Flügel stand mit den Hippogypen der König, der eine Elite um sich hatte, unter der auch wir uns befanden; den linken Flügel hatten die Kohlvögel inne, das Centrum die einzelnen Bundesgenossen. Die Infanterie war gegen sechszig Millionen Mann stark. Ihre Aufstellung war auf folgende Art bewirkt: es gibt bei ihnen viele große Spinnen, von dener jede größer ist, als eine der Cykladen. Diese Spinnen erhielten den Befehl, den Luftraum zwischen dem Monde und dem Morgenstern mit Geweben auszufüllen. Nachdem sie das ins Werk gesetzt und festen Boden gemacht hatten, stellte der König hier die Infanterie auf; es befehligte sie Nachtvogel, Schönwetters Sohn, mit zwei andern Feldherrn.

Den linken Flügel der Feinde hatten die Pferdeameisen inne, an deren Spitze Phaëton selbst sich befand; es sind sehr große beflügelte Thiere, die den Ameisen bei uns gleichen, abgesehen von der Größe, denn die größte von ihnen maß zwei Morgen, die Thiere selbst unterstützten ihre Reiter sehr wesentlich im Kampf mit den Hörnern, es hieß, daß ihre Zahl gegen 50,000 betrage. Auf ihrem rechten Flügel ordneten sich die Luftmücken, auf etwa 50,000 an Zahl, lauter Bogenschützen, die auf großen Mücken reiten; an diesen standen die Aerokardaken1, eine Art leichter Infanterie, die aber in der Schlacht wesentliche Dienste leistete, sie schleuderten aus der Ferne ungeheure Rettige, und der Getroffene fand augenblicklich seinen Tod, da sich in der Wunde [95] ein unerträglicher Gestank sogleich entwickelte, man sagte, daß sie ihre Geschosse mit Malvengift bestreichen. An ihnen postirten sich die Stengelschwämme, in der Nähe kämpfendes, schweres Fußvolk, 10,000 Mann; sie hießen Stengelschwämme, weil sie Pilze als Schilde, zu Spießen Spargelstengel gebrauchten. Nahe an ihnen standen die Hundeeichler, die ihm die Bewohner des Sirius schickten, es waren ihrer 5,000 auf beflügelten Eicheln kämpfende Männer mit einem Hundegesicht. Auch von seinen Bundesgenossen sollten zu spät eingetroffen sein die Schleuderer, die er von der Milchstraße hatte holen lassen, und die Wolkencentauren. Diese, die unseretwegen hätten fortbleiben können, kamen, als die Schlacht schon entschieden war; die Schleuderer erschienen überhaupt gar nicht, worüber Phaëton in Zorn gerathen sein und ihr Land später mit Feuer verwüstet haben soll. Mit einer solchen Macht rückte Phaëton heran.

Wie die Signale zur Schlacht aufgehitzt waren und die Esel auf beiden Seiten gebrüllt hatten – sie vertraten bei ihnen die Stelle der Trompeter – so begann der Kampf. Ohne den Angriff der Pferdegeier nur abzuwarten, floh der linke Flügel der Helioten (Sonnenbewohner) sogleich, wir verfolgten sie und richteten ein großes Blutbad an; ihr rechter Flügel aber überwältigte unsern linken und die Luftmücken drangen verfolgend bis an unser Fußvolk vor: dieses jedoch setzte sich so tapfer zur Wehr, daß es sie hinwiederum zum Weichen brachte, vorzüglich, da sie erfahren hatten, daß ihr linker Flügel geschlagen sei. Ihre Flucht war nun entschieden, wir machten eine große Anzahl Gefangene, viele wurden niedergehauen, und eine Menge Blut strömte theils auf die Wolken, so daß sie sich färbten und roth aussahen, wie bei uns, wenn die Sonne untergeht, theils tröpfelte es auf die Erde, woher ich auf den Gedanken kam, weil in alten Zeiten etwas Aehnliches vorgekommen sei, habe Homer angenommen, daß Zeus bei dem Tode des Sarpedon Blut regnen lasse2. Bei der Rückkehr von der Verfolgung errichteten wir zwei Trophäen, die eine auf den Spinngeweben für das Fußvolk, die andere auf den [96] Wolken für diejenigen, die in der Luft gekämpft hatten. Wie wir eben damit beschäftigt waren, meldeten uns die Vorposten, daß die Wolkencentauren heranrücken, die vor der Schlacht hätten zu Phaëton stoßen sollen. Alsbald sah man sie auch herankommen, und diese aus beflügelten Pferden und Menschen bestehenden Geschöpfe boten den allerseltsamsten Anblick dar; die Menschen waren so groß wie die obere Hälfte des Koloß von Rhodus, die Pferde so groß wie ein großes Lastschiff. Ihre Zahl erwähne ich gar nicht, damit man sie nicht für unglaublich halte, so groß war sie. Es befehligte sie der Schütze aus dem Thierkreise. Als sie merkten, daß ihre Verbündeten geschlagen seien, schickten sie einen Boten an Phaëton und forderten ihn auf, wieder heranzurücken, sie selbst stellten sich in Reih’ und Glied und fielen über die Seleniten (Mondbewohner) her, die in vollständiger Unordnung waren und sich auf Verfolgung und Beute zerstreut hatten. Sie trieben sie alle in die Flucht, verfolgten den König selbst bis an die Stadt und tödteten die meisten seiner Vögel, die Trophäen warfen sie um und bemächtigten sich des ganzen von den Spinnen gewebten Schlachtfeldes, mich und zwei meiner Gefährten machten sie zu Gefangenen. Bereits war Phaëton auch erschienen und sie errichteten ihrerseits auch Trophäen; wir wurden an demselben Tage, die Hände mit einem Stück Spinngewebe auf den Rücken gebunden, nach der Sonne abgeführt. Die Helioten beabsichtigten nicht, die Stadt Endymions zu belagern, sondern sie kehrten um und führten in dem dazwischen liegenden Luftraume eine doppelte Mauer aus Wolken auf, so daß die Strahlen von der Sonne nicht mehr auf den Mond dringen konnten. Daher war eine vollständige Mondfinsterniß eingetreten und es herrschte eine immerwährende Nacht. In dieser Bedrängniß schickte Endymion Gesandte und bat, man möge den aufgeführten Bau zerstören und sie nicht im Dunkel leben lassen, er versprach Tribut zu zahlen, ihr Verbündeter zu werden und nie mehr Krieg anfangen zu wollen, und war bereit, hierauf Geißeln zu geben. Bei den Helioten fand zweimal eine Versammlung statt; in der ersten herrschte noch zu viel Erbitterung, als daß gütliche Vorschläge hätten Gehör finden können, in der folgenden [97] änderte sich die Stimmung, und der Friede kam unter folgenden Bedingungen zu Stande:

„Zwischen den Helioten und ihren Bundesgenossen einerseits und den Seleniten und ihren Bundesgenossen andererseits ist nachstehender Vertrag vereinbart worden: die Helioten verpflichten sich, die aufgeführte Mauer zu schleifen und nicht mehr in den Mond einzufallen, ferner die Gefangenen, jeden für ein bestimmtes Lösegeld, freizugeben; die Seleniten dagegen verpflichten sich, die Selbstständigkeit der andern Gestirne zu achten und die Helioten nicht mit Krieg zu überziehen. Wird ein Theil angegriffen, so ist der andere gehalten Hülfe zu leisten. Der König der Seleniten verspricht dem Könige der Helioten alljährlich einen Tribut von 10,000 Eimern Thau zu zahlen und 10,000 von den Seinigen als Geißeln zu geben. Mit Bezug auf die Kolonie nach dem Morgenstern wird festgesetzt, daß sie von beiden Theilen gemeinschaftlich gegründet werden solle, und daß sich von andern Staaten, wer Lust hat, betheiligen könne. Der Vertrag wird auf einer Säule aus Bernstein eingegraben und diese Säule mitten in der Luft auf der Grenze der beiden Reiche aufgestellt. Es beschworen ihn von den Helioten Pyronides, Therites und Phlogios, von den Seleniten Nyktor, Menios und Polylampes3.“

Sogleich, nachdem dieser Friede abgeschlossen war, wurde die Mauer geschleift und wir Gefangenen ausgeliefert; als wir nach dem Monde gelangten, kamen uns die Gefährten und Endymion selbst entgegen und begrüßten uns mit Thränen; Endymion bat uns, wir möchten bei ihm bleiben und uns an der Kolonie betheiligen, in welchem Falle er uns seinen Sohn zur Frau zu geben versprach (Weiber gibt es bei ihnen nicht); doch ich ließ mich durchaus nicht bereden, sondern blieb bei meinem Wunsche, daß er mich in das Meer unten senden solle. Wie er sah, daß er mich nicht überreden könne, entließ er uns nach einer festlichen Bewirthung von sieben Tagen.

Jetzt will ich erzählen, was ich bei meinem Verweilen auf [98] dem Monde Neues und Wunderbares bemerkte. Erstlich werden die Seleniten nicht von Weibern, sondern von Männern geboren; sie haben Männer zu Frauen und ihre Sprache kennt gar nicht einmal das Wort Frau. Bis zu dem Alter von fünfundzwanzig Jahren wird Jeder geheirathet, von da ab heirathet er selbst, der Fötus sitzt bei ihnen nicht in dem Leibe, sondern in der Wade; nach der Empfängniß schwillt die Wade allmälig an und nach Verlauf einiger Zeit schneiden sie sie auf und nehmen den Embryo todt heraus, dann setzen sie ihn mit geöffnetem Munde dem Winde aus und bringen ihn dadurch zum Leben. Ich vermuthe auch, daß die Hellenen dorther den Namen γαστροκνημία (Beinbauch) bekommen haben, weil bei den Seleniten die Wade, anstatt des Bauches, den Fötus enthält.

Noch merkwürdiger ist dies: es gibt bei ihnen eine Art Menschen, die sogenannten Dendriten, die auf folgende Weise entstehen: Sie schneiden einem Menschen den rechten Hoden ab und pflanzen ihn in die Erde, aus ihm wächst ein sehr großer Baum von Fleisch empor, der einem Phallus ähnlich sieht, nur hat er Blätter und Zweige, seine Frucht sind Eicheln von der Größe einer Elle, wann sie zeitig sind, pflückt man sie ab und knackt die Menschen heraus. Diese Dendriten haben jedoch keine Schamtheile, sie sind also genöthigt, sich welche anzusetzen, wozu die Reichen Elfenbein, die Armen Holz nehmen, und diese künstlichen vertreten bei ihnen die Stelle der natürlichen.

Wenn ein Selenite alt wird, so stirbt er nicht, sondern löst sich, wie Rauch, in Luft auf. Die Nahrung ist für alle dieselbe, sie zünden ein Feuer an und braten auf den Kohlen Frösche, die bei ihnen zahlreich in der Luft herumfliegen; um den Herd, auf dem sie gebraten werden, sitzen sie wie um einen Tisch, schlürfen den aufsteigenden Rauch ein und lassen es sich wohl fein. Das ist die Speise, die sie zu sich nehmen; trinken thun sie in einen Becher gepreßte Luft, die eine thauähnliche Feuchtigkeit absondert. In Folge dieser Nahrung haben sie nicht dieselben Exkretionen, wie wir, sie sind auch nicht an derselben Stelle gebohrt, sondern sie haben zu dem oben erwähnten Gebrauch ein Loch in der Kniekehle über der Wade. Für schön gilt bei ihnen, [99] wer kahlköpfig und unbehaart ist, Lockenköpfe verabscheuen sie sogar. Umgekehrt gelten auf den Kometen die mit langen Haaren für schön, wie uns einige Reisende, die von dorther nach dem Monde gekommen waren, berichteten. Etwas über dem Knie wächst ihnen auch ein Bart, an den Füßen haben sie nicht Nägel, sondern alle besitzen nur eine Zehe. Ueber dem Hintern ist Jedem ein langer Kohlkopf, wie ein Schwanz, angewachsen, der stets grün ist und nicht zerbricht, selbst wenn einer auf den Rücken fällt.

Sie schneuzen eine sehr beißende Art Honig aus, und wenn sie sich entweder körperlich anstrengen, oder gymnastische Uebungen vornehmen, so schwitzen sie auf dem ganzen Leibe Milch in solcher Masse, daß sie aus ihr, indem sie ein wenig von jenem Honig hinzuträufeln, Käse bereiten. Aus den Zwiebeln machen sie ein sehr glänzendes und wie Pomade duftendes Oel.

Es gibt bei ihnen viele Reben, die anstatt Wein Wasser tragen; die Kerne der Trauben sehen nämlich wie Schlossen aus und ich glaube, wenn ein Wind kommt und die Reben heftig schüttelt, so zerplatzen die Trauben und die Kerne fallen zu uns als Hagel herunter.

Ihren Bauch benutzen sie als Tasche und verwahren in ihm alles, was sie brauchen, sie können ihn öffnen und wieder schließen, Darm und Leber ist in ihm nicht sichtbar, nur ist er inwendig ganz dicht mit langen Haaren bewachsen, so daß auch die kleinen Kinder in ihn hineinkriechen, wenn sie frieren.

Die Reichen tragen weiche Kleider aus Glas, die der Armen sind aus Erz gewebt; die dortigen Gegenden sind nämlich erzreich und sie bearbeiten das Erz, indem sie es mit Wasser anfeuchten, wie wir die Wolle. Was sie für Augen haben, scheue ich mich, zu sagen, damit nicht gar einer meint, ich lüge, weil es so unglaublich klingt. Nichts desto weniger soll es geschehen. Sie haben Augen, die sich abnehmen lassen, und wem es beliebt, der nimmt sie sich heraus, und ist dann blind, bis er nöthig hat, zu sehen; in diesem Falle setzt er sie ein und sieht. Viele, die ihre Augen verloren haben, leihen sie sich von andern und sehen mit diesen; es gibt auch Leute, die viele vorräthig haben, die Reichen.

[100] Die Uebrigen, außer den Dendriten, haben Platanenblätter als Ohren, sie allein haben hölzerne.

Noch ein anderes Wunder sah ich in dem königlichen Palast: auf einem nicht gar tiefen Brunnen liegt ein sehr großer Spiegel. Wenn nun Jemand in den Brunnen steigt, so hört er alles, was bei uns auf der Erde gesprochen wird; blickt er aber in den Spiegel, so sieht er alle Städte und alle Völker, als wenn er dicht neben ihnen stände. Damals sah ich meine Verwandten und mein ganzes Vaterland; ob sie mich aber auch sahen, das kann ich nicht mit Sicherheit sagen; wer nicht glaubt, daß das so ist, der wird, wenn er selbst einmal dorthin kommt, wissen, daß ich die Wahrheit rede.

Wir verabschiedeten uns nun bei dem Könige und seiner Umgebung, stiegen an Bord und fuhren ab. Endymion beschenkte mich auch mit zwei Unterkleidern aus Glas, mit fünf aus Erz und einer vollständigen Rüstung aus Lupinen, welche Dinge ich sämmtlich in dem Wallfisch zurückließ, auch gab er uns tausend Pferdegeier mit, die uns 500 Stadien weit begleiten mußten. Auf unserer Fahrt kamen wir an vielen andern Ländern vorbei; an dem Morgenstern aber, wo eben eine Kolonie gegründet wurde, stiegen wir ans Land, um Wasser einzunehmen. Dann fuhren wir in den Thierkreis und segelten die Sonne, die uns links lag, hart am Lande vorbei; wir stiegen nicht aus, obwohl die Gefährten sehr große Lust hatten, weil der Wind es nicht gestattete, jedoch sahen wir, daß die Landschaft blühend und üppig und wasserreich und mit allen Gütern gesegnet sei. Als die Wolkencentauren, die bei Phaëton im Solde stehen, uns erblickten, kamen sie auf unser Schiff zugeflogen, entfernten sich aber wieder, wie sie erfuhren, daß wir in dem oben erwähnten Vertrage mit eingeschlossen seien.

Bereits waren auch die Pferdegeier heimgekehrt, und von nun ab begann schon unsere Fahrt niederwärts; nachdem wir die folgende Nacht und den folgenden Tag gesegelt waren, gelangten wir gegen Abend nach der sogenannten Lampenstadt (Lychnopolis). Diese Stadt liegt in der Luft zwischen den Plejaden und Hyaden, doch weit niedriger, als der Thierkreis. Wir stiegen aus [101] und fanden einen Menschen zwar nicht, aber viele Lampen, die auf dem Markte herum liefen und in der Nähe des Hafens verweilten; einige sahen klein und ärmlich aus, nur ein paar glänzende und helle schienen den vornehmen und einflußreichen Ständen anzugehören. Sie hatten Wohnungen und jede besaß ihr Gesellschaftszimmer, auch führten sie, wie Menschen, Namen, und wir hörten sie mit einander sprechen; sie fügten uns kein Leid zu, sondern luden uns vielmehr gastfreundlich ein, allein wir fürchteten uns und keiner von uns wagte zu essen oder zu schlafen. Die Amtsgebäude befinden sich mitten in der Stadt, wo ihre Behörde die ganze Nacht über Sitzung hält, und jeden namentlich vorfordert. Wer nicht antwortet, wird als Deserteur zum Tode verurtheilt; Tod heißt bei ihnen natürlich ausgelöscht werden. Wir traten hinzu und sahen, was vorging, und hörten wie die Lampen sich vertheidigten und die Gründe anführten, weshalb sie sich verspätet hätten. Hier erkannte ich auch unsere Lampe, redete sie an und fragte sie, wie es bei uns zu Hause stünde, worauf sie mir alles erzählte.

Jene Nacht blieben wir dort, am folgenden Tage lichteten wir das Anker und segelten nun schon in der Nähe der Wolken. Hier bewunderten wir auch die Stadt Wolkenkuckucksheim4, obwohl wir sie nicht betraten, weil der Wind es nicht gestattete, jedoch hieß es, daß Koronos5, der Sohn des Kottyphion, in ihr König sei. Bei ihrem Anblick erinnerte ich mich des Dichters Aristophanes, eines weisen und wahrhaftigen Mannes, dem man mit Unrecht nicht glaubt, was er geschrieben hat. Am drittfolgenden Tage sahen wir schon den Ocean ganz deutlich, die Erde aber nirgends, die in der Luft schwebenden ausgenommen, die uns schon feurig und sehr glänzend vorkamen; am vierten Tage gegen Mittag setzte uns ein sanft nachgebender Wind wieder auf das Meer nieder.

Die Freude läßt sich nicht beschreiben, die wir empfanden, als wir das Wasser wieder berührten, wir bereiteten uns ein [102] Mahl, wie es uns unsere Vorräthe nur erlauben wollten, dann sprangen wir aus dem Schiff und schwammen in der See umher, weil es Windstille und das Meer ganz ruhig war. Doch sollten wir erfahren, daß mit der Veränderung zum Bessern oft noch größere Leiden anzufangen pflegen. Nachdem wir nur zwei Tage bei gutem Wetter gesegelt waren, erblickten wir am Anfange des dritten bei Sonnenaufgang eine große Menge Thiere und Wallfische, von denen der größte 1500 Stadien6 groß war; mit aufgesperrtem Rachen, das Meer weithin aufwühlend, kam er von Schaum umspült auf uns los, Zähne wies er, die bei weitem höher waren, als die Phalli bei uns, wie Pfähle zugespitzt und weiß wie Elfenbein. Wir sagten einander das letzte Lebewohl, und während wir, einer in den Armen des andern, warteten, war das Ungeheuer schon da, schlürfte das Wasser auf und verschlang uns sammt dem Schiffe, jedoch konnte es nicht so schnell seine Zähne zusammenklappen, sondern das Schiff glitt durch die Zwischenräume in das Innere hinab. Wie wir drin waren, war es anfänglich so dunkel, daß wir gar nichts sehen konnten, allein nachher sahen wir, wenn der Walfisch seinen Rachen öffnete, ein großes und überall hin breites und hohes Gewölbe, groß genug, daß eine Stadt von 10,000 Einwohnern sich darin befinden konnte. Im Innern umher lagen kleine Fische, und viele andere zermalmte Thiere, Masten und Anker von Schiffen, Menschenknochen und ganze Schiffsladungen, in der Mitte befand sich ein Stück Land mit Hügeln, welches sich, wie ich vermuthe, von dem vielen Schlamm allmälig ansetzte, den der Wallfisch mit verschlungen hatte. Auf diesem Lande war ein Gehölz und verschiedene Baumarten und Gemüsesorten gewachsen und alles sah wie bestellt aus, sein Umfang betrug zweihundert und vierzig Stadien7; man konnte auch bemerken, daß Seevögel, Möven und Eisvögel auf den Bäumen nisteten. Eine lange Zeit weinten wir, später jedoch sprachen wir den Gefährten Muth ein und stützten Balken unter das Schiff, sodann schlugen wir Feuer an [103] und bereiteten uns ein möglichst gutes Mahl; unsere Vorräthe bestanden nur aus verschiedenen Fischen und Wasser hatten wir noch vom Morgensterne. Am folgenden Tage standen wir auf und bekamen, wenn der Wallfisch seinen Rachen aufsperrte, bald Festland, bald Berge, dann wieder nur den Himmel, oftmals auch Inseln zu Gesichte; auch bemerkten wir, daß das Thier sich nach allen Richtungen des Meeres hin schnell bewegte. Als wir uns schon an den Aufenthalt gewöhnt hatten, ging ich mit sieben Gefährten in den Wald, um alles auszukundschaften. Ich hatte noch nicht ganz fünf Stadien durchschritten, als ich einen Hain des Poseidon, wie die Inschrift besagte, fand, und in kurzer Entfernung traf ich auch viele Gräber und Grabsäulen auf ihnen und nahebei eine Quelle klaren Wassers an; bald hörten wir Hundegebell und in der Ferne war Rauch sichtbar, woraus wir auf eine menschliche Wohnung schloßen. Wir beschleunigten also unsere Schritte und stießen auf einen Greis und einen Jüngling, die mit großem Eifer ein Gartenbeet bearbeiteten und Wasser aus einer Quelle darauf hinleiteten. Voller Freude und Furcht zugleich blieben wir stehen, und man kann leicht denken, daß jene dieselbe Empfindung hatten, auch sie standen sprachlos da. Endlich sprach der Alte: Wer seid ihr, Fremdlinge? gehört ihr zu den Meergottheiten, oder seid ihr unglückliche Menschen, wie wir? wir waren auch einst Menschen, die die Erde nährte, jetzt sind wir Meeresbewohner geworden und schwimmen in dem Bauche dieses Ungeheuers umher, ohne einmal recht zu wissen, in welchem Zustande wir uns befinden, wir müssen vermuthen, daß wir gestorben sind und doch bilden wir uns ein zu leben. „In gleicher Weise,“ entgegnete ich, „sind wir eben angekommen, jüngst mit unserm Fahrzeug verschluckte Menschen; wir machten den Gang, um zu erfahren, wie es in dem Walde aussieht, er schien uns groß und dicht zu sein. Ein guter Genius, wie es scheint, führte uns zu euch, wir wissen nun, daß wir nicht allein in dem Ungeheuer eingeschlossen sind. Wohlan, sage uns dein Geschick, wer du bist und wie du hier hineinkamst.“ Doch der Alte erklärte, er werde uns das nicht früher mittheilen und uns nicht früher nach unsern Schicksalen fragen, als bis er uns Gastgeschenke [104] vorgesetzt habe. So führte er uns in seine Wohnung, die bequem eingerichtet und mit Matrazen und anderen nothwendigen Geräthschaften versehen war; er setzte uns Gemüse, Nüsse und Fische vor, schenkte uns auch Wein ein und fragte uns dann, nachdem wir uns hinlänglich gesättigt hatten, wie es uns ergangen sei. Ich erzählte ihm alles der Reihe nach von dem Sturm, den Dingen auf der Insel und der Fahrt in der Luft, von dem Kriege u. s. f., bis zu unserer Hinabfahrt in den Wallfisch. Der Alte gab mir seine große Verwunderung zu erkennen und schilderte dann seinerseits seine Erlebnisse:

Ich bin aus Cypern, meine Gastfreunde: aus meinem Vaterlande unternahm ich auf einem großen, mannigfaltig beladenen Schiffe, dessen Trümmer ihr vielleicht an dem Rachen des Wallfisches bemerkt habt, mit meinem Sohne, den ihr hier seht, und vielen andern Hausgenossen eine Handelsreise nach Italien; bis auf die Höhe von Sicilien ging unsere Fahrt glücklich von statten; dort erfaßte uns ein heftiger Sturm und verschlug uns am dritten Tage in den Ocean, wo wir das Meerungeheuer antrafen und mit Mann und Maus von ihm verschlungen wurden, die andern fanden ihren Tod, wir beide allein retteten uns. Wir bestatteten die Gefährten, bauten dem Poseidon einen Tempel und führen jetzt dies Leben, wir bauen Gemüse in dem Garten und essen Fische und Nüsse. Der Wald ist, wie ihr seht, groß, und hat auch viele Reben, die einen sehr angenehmen Wein geben; vielleicht bemerktet ihr auch die Quelle mit sehr schönem und kaltem Wasser. Das Lager bereiten wir uns von Blättern, machen uns reichlich Feuer an, stellen den Vögeln, die in den Wallfisch hineingeflogen kommen, nach und fangen lebendige Fische, indem wir auf die Kiemen des Thieres heraus steigen, wo wir uns auch baden, so oft wir Lust haben. Nicht weit von hier ist ein See mit salzigem Wasser, dessen Umfang zwanzig Stadien beträgt und der die verschiedenartigsten Fische enthält, in dem wir umherschwimmen und auf einem kleinen Boote fahren, welches ich gezimmert habe. Es sind schon, seitdem uns der Wallfisch verschluckt hat, siebenundzwanzig Jahre. Alles Andere könnten wir vielleicht ertragen, aber die Nachbarn, die in unserer Nähe wohnen, [105] belästigen uns sehr, und es ist mit ihnen wegen ihrer Wildheit kein Verkehr möglich. Gibt es denn noch andere in dem Wallfische? fragte ich. Gar viele ungesellige Leute von sonderbarer Gestalt, war seine Antwort. Die westlichen Theile am Ende des Waldes haben die Tarichanen8 inne, ein kampflustiges, kühnes, rohes Fleisch fressendes Volk mit Aalaugen und Krabbengesichtern. Auf der andern Seite an der rechten Wand des Wallfisches wohnen die Tritonomendeten9, die oben wie Menschen, unten wie Eidechsen aussehen, jedoch wissen sie mehr von Recht und Sitte, als die andern. Links leben die Karkinocheiren10 und Thymokephalen11, die unter sich Freundschaft und ein Bündniß geschlossen; das mittlere Land bewohnen die Paguriden12 und Psettopoden13, ein kampffähiges und im Laufe höchst ausgezeichnetes Volk. Die Gegenden nach Morgen, nicht weit vom Rachen des Wallfisches, sind meistens wüst, weil das Meer sie bespült; gleichwohl habe ich sie für einen Tribut von 500 Austern, den ich den Psettopoden alljährlich zahle. So beschaffen ist das Land; ich bitte euch nun zu erwägen, wie wir im Stande sein werden, mit so vielen Völkern zu kämpfen und wie wir uns ernähren werden. Wie viel sind ihrer im Ganzen? fragte ich. „Mehr als tausend.“ Was haben sie für Waffen? „Nichts als Fischgräte.“ Dann wird es das Beste sein, fuhr ich fort, daß wir uns mit ihnen in einer Schlacht messen, da wir bewaffnet sind und sie nicht; wenn wir sie besiegen, werden wir unser übriges Leben hindurch ohne Furcht wohnen.

Als dies beschlossen war, gingen wir zum Schiffe fort und rüsteten uns, den Grund zum Kriege sollte die Vorenthaltung der Abgabe bieten, zu deren Zahlung der Termin schon da war. Bald [106] erschienen auch Gesandte, die den Tribut abforderten, der Alte wies sie mit einer übermüthigen Antwort ab. Zuerst nun überzogen die Psettopoden und Paguriden aus Zorn den Skintharus – so hieß der Alte – unter großem Lärm mit Krieg. Wir hatten aber ihren Anmarsch erwartet, und sie fanden uns vollständig vorbereitet; eine Abtheilung von fünfundzwanzig Mann hatte ich in einen Hinterhalt vorgeschoben, mit dem Befehle, daraus sich zu erheben, wenn sie sähen, daß die Feinde vorbeigezogen wären; der Befehl wurde pünktlich ausgeführt, sie fielen dem Feinde in den Rücken, während wir, gleichfalls fünfundzwanzig Mann stark – denn Skintharus und sein Sohn befanden sich auch unter uns – von vorn anmarschirten und uns bei dem Gefechte mit großer Bravour und Tüchtigkeit benahmen; endlich warfen wir sie und verfolgten sie bis zu ihren Höhlen. Es fielen von den Feinden 170, von uns einer und der Steuermann, der ein Feind mit der Rippe einer Seebarbe den Rücken durchbohrt hatte. Jenen Tag und jene Nacht bivouakirten wir auf dem Wahlstatt, und errichteten ein Siegesdenkmal, wozu wir den trockenen Rückgrat eines Delphins benutzten. Am folgenden Tage erschienen auf die Kunde von dem Treffen auch die andern, auf dem rechten Flügel die Tarrichanen, – die Pelamos14 befehligte – auf dem linken die Thymokephalen, die Karkinocheiren im Centrum. Die Tritonomendeten verhielten sich ruhig, weil sie vorzogen, neutral zu bleiben. Wir rückten ihnen entgegen und wurden unter großem Feldgeschrei an dem Hain des Poseidon handgemein, so daß das Gewölbe des Fisches wie eine Höhle wiederhallte. Weil es nur leichte Truppen waren, gelang es uns, sie zu werfen, wir verfolgten sie bis in den Wald und waren für die Folge Herren des Landes.

Bald darauf schickten sie Herolde ab, um über die Bestattung der Todten zu unterhandeln und Friedensanträge zu machen; wir hatten aber keine Lust, auf dieselben einzugehen, sondern rückten am folgenden Tage gegen sie und hieben sie alle sammt und sonders nieder bis auf die Tritonomendeten; wie diese sahen, was [107] ihnen bevorstände, so liefen sie aus einander und stürzten sich in das Meer. Hierauf nahmen wir das von den Feinden bereits gesäuberte Land in Besitz, und wohnten weiterhin ohne Furcht; meistentheils beschäftigten wir uns mit Leibesübungen und Jagd, trieben Weinbau und sammelten Baumfrüchte ein, und überhaupt konnte man uns mit denen vergleichen, die in einem großen Gefängniß, aus dem keine Flucht möglich ist, frank und ungebunden leben. Auf diese Weise brachten wir ein Jahr und acht Monate zu.

Am 15. des neunten Monats, um das zweite Oeffnen des Maules – dies that der Wallfisch in jeder Stunde einmal, so daß wir danach die Stunden zählten – also um das zweite Oeffnen hörte man plötzlich großes Geschrei und Lärm, wie von Schiffsleuten und Ruderern. Voller Besorgniß krochen wir zu dem Rachen des Thieres empor und bekamen, zwischen den Zähnen stehend, unter allen Schauspielen, die ich noch sah, das allerseltsamste zu Gesichte, daß Männer von der Länge eines halben Stadiums auf großen Inseln wie auf Triremen heransegelten. Ich weiß zwar, daß das, was ich erzählen werde, unglaublich klingen wird, trotzdem aber soll es geschehen.

Die Inseln waren länglich, aber nicht sehr hoch, jede hatte etwa hundert Stadien im Umfange; es fuhren auf ihnen von jenen Männern etwa 120; die eine Partie von ihnen saß neben einander an beiden Seiten der Insel und gebrauchte große Cypressen sammt ihren Zeigen und ihrem Laube als Ruder, hinten auf dem Schiffshintertheile, wenn man so sagen darf, stand auf einem hohen Hügel der Steuermann, der ein ehernes, fünf Stadien langes Steuerruder regierte. Auf dem Vordertheile kämpften etwa vierzig Schwerbewaffnete, die sonst Menschen ähnlich sahen, bis auf die Haare, diese waren Feuer und brannten, woher sie auch keiner Helme bedurften. Die Stelle der Segel vertrat auf jeder ein großer Wald, in den der Wind blies und die Insel drehte und trieb, wohin der Steuermann wollte. Einer stand dabei, der ihnen den Takt zum Rudern schlug, und die Inseln bewegten sich schnell, wie große Kriegsfahrzeuge. Zuerst sahen wir zwei oder drei, später erschienen gegen 600, die sich in [108] Ordnung stellten und einander eine gehörige Seeschlacht lieferten, eine große Anzahl stieß mit den Vordertheilen zusammen, viele versanken von den Schnäbeln durchbohrt, andere verwickelten sich gegenseitig, so daß sie nicht leicht von einander los konnten, und dann gab es einen hartnäckigen Kampf. Die auf dem Vordertheil aufgestellten Soldaten gaben sich alle mögliche Mühe, auf die Fahrzeuge der Feinde zu steigen und machten alles nieder, denn Pardon wurde nicht gegeben. Anstatt eiserner Haken warfen sie gewaltige Polypen an Tauen auf einander los, die sich um den Wald schlangen und die Insel festhielten; sie bombardirten und verwundeten sich mit Austerschalen, deren jede einen Frachtwagen gefüllt hätte, und mit Pilzen von der Größe eines Morgen Landes. Wenn wir das, was sie einander vorwarfen und die Namen der Könige richtig verstanden haben, so befehligte die eine Partei Aeolocentaurus, die andere Thalassopotes; um Beute willen schienen sie mit einander in Kampf gerathen zu sein: Thalassopotes sollte nämlich dem Aeolocentaurus viele Heerden Delphine fortgetrieben haben. Endlich siegen die Truppen des Aeolocentaurus und versenken gegen 150 Inseln der Feinde und nehmen drei andere sammt den Männern gefangen, die übrigen zogen sich zurück und flohen. Jene verfolgten sie eine Strecke hindurch, und wandten sich, als es Abend war, zu den Wracken, bekamen die meisten in ihre Gewalt und sammelten die ihrigen auf; auch von ihnen waren nicht weniger als achtzig Inseln gesunken. Sodann errichteten sie ein Siegesdenkmal wegen der Inselschlacht, zu welchem Behufe sie eine der feindlichen Inseln an den Kopf des Wallfisches annagelten. Jene Nacht brachten sie auf der Rhede des Thieres zu, indem sie an demselben ihre Taue und Anker befestigten; sie hatten große, starke Anker von Glas. Am folgenden Tage opferten sie auf dem Wallfische, begruben ihre Leichen auf demselben und segelten in freudiger Stimmung und mit Gesang, der sich wie ein Päan anhörte, davon. Das ist alles, was ich von der Inselschlacht zu berichten habe.