Lukan

Ornament

Übersetzung

2 [549] Marcus Annäus Lucanus aus Corduba erstand die erste Probe seiner Befähigung in einer Lobrede auf Nero bei den fünfjährigen Kampfspielen. Nach dem las er eine poetische Beschreibung des Bürgerkriegs zwischen Pompejus und Cäsar vor. Er besaß eine solche Eitelkeit und ein so ungezügeltes Maul, daß er in einer seiner Vorreden seine Zeit und sein erstes Auftreten mit dem des Virgilius verglich und die Kühnheit hatte zu sagen: „Und wie viel fehlt mir noch zum Culex?“1

4 Er wurde in frühester Jugend, nachdem er erfahren, daß sein Vater wegen Ehezwistigkeiten weit weg auf dem Lande lebe,

5 von Nero aus Athen zurückgerufen und unter seine Umgebung aufgenommen, auch mit der Quästur beehrt; wußte sich aber nicht in seiner Gunst zu erhalten.

6 Er fühlte sich nämlich von Nero beleidigt, weil dieser während seiner Vorlesung, lediglich um ihn aus dem Context zu bringen, unvermuthet eine Senatssitzung ansagen ließ und fortgieng; von da an kannte er keine Grenze mehr in auffälligen Reden und Handlungen gegen den Fürsten, so daß er einmal in öffentlichen Bädern, als er eine laute Blähung von sich ließ, folgenden halben Vers des Nero deklamirte:
[550] Gleich Donnergekrach in dem Innern der Erde,
worauf die Mitbadenden eiligst sich davon machten. Und auch in einem Spottgedichte lästerte er ihn und seine einflußreichsten Freunde sehr scharf.

7 Zuletzt trat er fast wie der Führer der Pisonischen Verschwörung auf, ergieng sich geschäftig in öffentlichen Lobpreisungen der Tyrannenmörder, in die er eine Menge Drohungen einfließen ließ, und überschritt so alles Maß, daß er des Kaisers Kopf gegen Jedermann im Munde führte.

8 Wie aber die Verschwörung entdeckt wurde, zeigte er durchaus keine Seelenstärke. Er gestand ohne Bedenken, erniedrigte sich zu den demüthigendsten Bitten, und gab selbst seine unschuldige Mutter als Mitverschworene an, in der Hoffnung, diese Lieblosigkeit gegen seine Mutter werde ihm bei einem Fürsten, der selbst Muttermörder sei, von Nutzen sein.

9 Da ihm nun die freie Wahl des Todes gelassen wurde, schrieb er zuerst ein Billet an seinen Vater mit Correkturen zu einigen seiner Verse, nahm dann eine reichliche Mahlzeit und reichte dem Arzte seine Arme zum Oeffnen der Adern dar.

10 Ich erinnere mich auch, daß ich lyrische Gedichte von ihm vorlesen hörte; die Ausstattung und Ausstellung derselben aber wurde nicht nur umständlich und sorgfältig, sondern selbst geschmacklos betrieben.

Anmerkungen

1 Ein Gedicht des Virgilius.