3. Buch
Übersetzung
1,5 unsicher
1 (1) Diesen Tag kehrten sie in die Höhle zurück, um, was ihnen etwa noch übrig geblieben war, zu holen, und ruhten sammt dem Pferde; denn für Hippothoos war im Walde ein Pferd verborgen. Den andern Tag verließen sie Kilikien, und traten den Weg nach Mazakos an, einer großen und schönen Stadt in Kappadokien; (2) denn Hippothoos gedachte dort junge rüstige Mannschaft zu werben, um wieder eine Räuberbande zusammenzubringen. Auf ihrer Reise durch die großen Dörfer hatten sie Ueberfluß an allen Bedürfnissen; denn Hippothoos war der kappadokischen Sprache kundig und alle nahmen ihn wie einen Eingebohrnen auf. (3) Nach einer Reise von zehn Tagen gelangten sie nach Mazakos, bezogen dort nahe bey den Thoren eine Wohnung, und beschlossen, sich einige Tage von der Ermüdung zu erholen. (4) Während sie nun schmausten, seufzte und weinte Hippothoos; Habrokomes fragte ihn um die Ursache, und jener erwiederte: »Lang ist die Geschichte meiner Schicksale, und sie enthält viel Tragisches.« (5) Habrokomes bat ihn, sie ihm zu erzählen, mit dem Versprechen, ihm auch die seinige mitzutheilen. Hippothoos hohlte sehr weit aus – denn sie waren eben allein – und erzählte ihm seine Schicksale.
2,2 2,6 2,10 unsicher
2 (1) »Ich bin,« sagte er, »von Geburt ein Perinthier – Perinthos ist eine Stadt in der Nähe von Thrakien – und einer der Angesehensten daselbst. Wie berühmt Perinthos, wie reich die Einwohner sind, ist dir bekannt. (2) Dort liebte ich in meiner Jugend einen schönen Jüngling; er war ein Eingebohrner, Hyperanthes mit Namen. Ich gewann ihn zuerst in den Gymnasien lieb, wo ich ihn ringen sah, und konnte nicht widerstehen. (3) Bey einem heimischen Feste und einer Nachtfeyer an demselben nahe ich mich dem Hyperanthes, und flehe ihn um Mitleid an. Der Jüngling hört es und verspricht mir alles, sich meiner erbarmend. (4) Den Anfang der Liebe machen Küsse, Berührungen und viele Thränen von mir; endlich konnten wir, da wir Gelegenheit fanden, allein zusammen seyn; und die Gleichheit des Alters erweckte bey Andern keinen Verdacht. Lange waren wir beysammen und liebten einander außerordentlich, bis uns ein Gott beneidete. (5) Von Byzantion, einer benachbarten Stadt, kam einer der angesehensten Männer daselbst, der sich viel auf seinen Reichthum und Ueberfluß einbildete, Aristomachos mit Namen. (6) Kaum sah er, nach Perinthos kommend, als hätte ihn ein Gott gegen mich gesandt, den Hyperanthes bey mir, als er sogleich von dem Jüngling gefesselt wurde, die Schönheit bewundernd, die jeden reitzen mußte. (7) Von Liebe entflammt, konnte er sich in seiner Leidenschaft nicht mehr mäßigen. Anfangs sandte er zu dem Jüngling; da es ihm aber nicht gelang – denn Hyperanthes gewährte, aus Wohlwollen gegen mich, niemanden den Zutritt – so suchte er seinen Vater zu gewinnen, einen schlechten und habsüchtigen Mann. (8) Dieser vertraute ihm auch, weil er sich für einen Redekünstler ausgab, den Hyperanthes unter dem Vorwande des Unterrichts. Aristomachos nahm ihn zu sich, verschloß ihn Anfangs und brachte ihn dann nach Byzantion. (9) Alles hintansetzend, folgte ich ihnen und kam so oft als möglich, mit dem Jünglinge zusammen; doch war es mir nicht oft vergönnt. Selten wurde mir ein Kuß und mit Mühe eine Unterredung zu Theil; denn ich wurde von vielen bewacht. (10) Endlich konnte ich nicht mehr widerstehen; ich ermannte mich, kehrte nach Perinthos zurück, verkaufte alle meine Habe und eilte mit dem Gelde nach Byzantion. Mit einem Dolch versehen – auch Hyperanthes hielt es für gut – trat ich des Nachts in das Haus des Aristomachos und fand ihn bey dem Jünglinge liegen. Von Zorn erfüllt, versetzte ich dem Aristomachos eine tödtliche Wunde, (11) und entfernte mich sogleich heimlich mit Hyperanthes, während Stille herrschte und alle schliefen. Ich reiste nach Perinthos die ganze Nacht durch, bestieg sogleich ein Schiff, und fuhr, ohne daß Jemand darum wußte, nach Asien. (12) Eine Zeit lang gieng die Fahrt glücklich von Statten; endlich, als wir in der Nähe von Lesbos waren, erhebt sich ein gewaltiger Sturm und wirft das Schiff um. Ich schwamm mit Hyperanthes, kam ihm zu Hülfe und erleichterte ihm das Schwimmen. Mit anbrechender Nach konnte es der Jüngling nicht mehr aushalten, er erlag dem Schwimmen und ertrank. (13) Nur seinen Leichnam konnte ich an das Land retten und begraben, nachdem ich unter vielen Thränen und Seufzern einige Ueberreste zu mir genommen. Da ich von ohngefähr einen passenden Stein fand, setzte ich ihm ein Denkmal auf das Grab, und schrieb zum Andenken an den unglücklichen Jüngling folgende Verse darauf, die ich bey dieser Veranlassung dichtete:
»Dieß ist der Stein, den Hippothoos dir, Hyperanthes, gesetzt hat;
Keinen erhabnern konnt’ er dem trefflichen Bürger errichten.
Ach! in ägäische Tiefen entrafft’ ein feindlicher Dämon
Diese so herrliche Blüthe bey machtvoll brausendem Sturme.«
(14) Seit dem beschloß ich, nicht wieder nach Perinthos zu kehren, sondern wandte mich durch Asien nach Großphrygien und Pamphylien, und ergab mich dort aus Mangel an Lebensunterhalt, und aus Ueberdruß über mein Unglück dem Räuberwesen. Anfangs diente ich bey einer Bande; endlich aber errichtete ich selbst in Kilikien eine Horde, die lange berüchtigt war, bis meine Genossen kurz davor, eh’ ich dich sah, gefangen genommen wurden. (15) Dieß ist die Geschichte meiner Schicksale. Erzähle mir nun, mein Freund, auch die deinigen; denn offenbar treibt dich ein großes Verhängniß in der Irre umher.«
3,3 unsicher
3 (1) Habrokomes erzählt ihm, daß er ein Ephesier sey, daß er ein Mädchen liebte, daß er sie heurathete, von dem Seherspruche, von der Reise, von den Seeräubern, vom Apsyrtos, von der Manto, von den Fesseln, von der Flucht, von dem Ziegenhirten, und von der Reise nach Kilikien. (2) Während er noch erzählte, weinte Hippothoos mit ihm und sprach: »O Altern! o Vaterstadt, die ich nimmer sehen werde! o über alles geliebter Hyperanthes! Du, Habrokomes, wirst deine Geliebte sehen, und mit der Zeit wieder erhalten; ich aber kann den Hyperanthes nimmer sehen.« (3) So sprach er, zeigte ihm das Haar und benetzte es mit Thränen. Nachdem beyde reichliche Thränen vergossen, schaute Hippothoos den Habrokomes an und sagte: »Eine andere kurze Erzählung habe ich übergangen. (4) Kurz zuvor, ehe meine Horde gefangen wurde, kam ein schönes Mädchen zu der Höhle geirrt, gleichen Alters mit dir, und nannte deine Vaterstadt; mehr erfuhr ich nicht. Man wollte sie dem Ares opfern, und schon war alles bereitet, als die Verfolger eindrangen. Ich entgieng durch die Flucht; was aber mit ihr geschah, weiß ich nicht. (5) Sie war sehr schön, Habrokomes, und einfach gekleidet, golden ihr Haar, lieblich die Augen.« Während er noch redete, schrie Habrokomes auf: »Das war meine Anthia, Hippothoos! Wo ist sie hingeflohen? Welch ein Land hat sie aufgenommen? Laß uns nach Kilikien gehen und sie suchen! Sie ist nicht fern von der Höhle. (6) Wahrlich! Ich beschwöre dich selbst bey Hyperanthes Geist, handle nicht freywillig ungerech an mir, sondern laß uns dahingehen, wo wir Anthien finden können!« Hippothoos verspricht alles zu thun; doch müsse er noch, sagte er, einige Mannschaft sammeln, um auf der Reise sicher zu seyn. (7) Während sie unter diesen Umständen rathschlagten, wie sie nach Kilikien zurückkehren würden, waren für Anthien die dreißig Tage verflossen, Perilaos traf Anstalten zur Vermählung und ließ Opfertiere vom Lande herbeybringen. Auch anderes war in großem Ueberfluße vorhanden. Hausgenossen und Anverwandte waren zugegen; auch hatten sich viele Bürger zur Hochzeitfeyer der Anthia eingefunden.
4 (1) Zu eben der Zeit, als Anthia von den Räubern befreyt wurde, kam ein alter Ephesier, ein Arzt, Eudoxos mit Namen, nach Tarsos. Er hatte auf seiner Fahrt nach Aegypten Schiffbruch gelitten. (2) Eudoxos gieng zu den angesehensten Männern von Tarsos, die einen um Kleider, die andern um Geld bittend, und einem jeden sein Unglück erzählend. Auch zu Perilaos kam er, und sagte, daß er ein Ephesier, und ein Arzt sey. (3) Jener führte ihn zu Anthien, in der Meynung, daß es ihr Freude gewähren würde, wenn sie einen Ephesier sähe. Anthia empfieng ihn freundlich, und fragte ihn, ob er ihr etwas von den Ihrigen erzählen könnte. Er aber entgegnete, daß er nichts wüßte, weil er schon lange von Ephesos entfernt wäre. Doch freute sie sich nichts desto weniger, der Heimath sich wieder erinnernd. (4) Eudoxos wurde im Hause als Freund betrachtet, gieng oft zu ihr, erhielt alle Bedürfnisse, und bath sie stets um Zurücksendung nach Ephesos, weil er Weib und Kinder hatte.
5 (1) Als nun Perilaos alle Anstalten zur Vermählung getroffen hatte und der Tag herannahte, wurde ein köstliches Mahl bereitet, und Anthia bräutlich geschmückt. Sie weinte Tag und Nacht, hatte stets den Habrokomes vor Augen (2) und dachte an vieles zugleich, an die Liebe, Schwüre, Vaterstadt, Aeltern, Drang und Vermählung. Als sie allein war und Gelegenheit fand, zerraufte sie ihr Haar, und sprach: »O ich Ungerechteste und Ruchloseste, wie ungleich vergelte ich dem Habrokomes! (3) Um mein Gatte zu bleiben, duldet er Fesseln und Foltern, und sicher ist er schon gestorben. Ich aber vergesse auf jenes, und werde mich vermählen, ich Unglückliche! Das Brautlied wird man mir singen, und Perilaos Lager werde ich besteigen. (4) O über alles geliebter Habrokomes, betrübe dich nicht meinetwegen; denn nicht gern handle ich an dir ungerecht. Zu dir werde ich kommen; bis an den Tod bleibe ich deine Braut!« (5) So sprach sie, und da Eudoxos, der ephesische Arzt, zu ihr kam, führte sie ihn in ein abgelegenes Zimmer, fiel ihm zu Füßen, bat ihn, niemanden etwas von ihrer Unterredung zu sagen, und beschwor ihn bey der vaterländischen Göttin Artemis, sie in allem, um was sie ihn bäte, zu unterstützen. (6) Eudoxos richtete sie auf, indem sie häufige Thränen vergoß, sprach ihr Muth ein, und gelobte ihr durch einen Schwur, alles zu erfüllen. Nun erzählt sie ihm von der Liebe zu Habrokomes, von den Schwüren, die sie ihm geleistet, und von dem Gelübde der Keuschheit. (7) »Könnte ich lebend,« sagte sie, »den Habrokomes am Leben finden, oder heimlich von hier entfliehen, so würde ich mich hierüber mir dir berathen; da er aber gestorben, und es unmöglich ist, zu entfliehen, und da ich mich nimmer der nahen Vermählung fügen kann; denn ich will nicht das Gelübde entweihen, das ich dem Habrokomes ablegte, nicht den Eidschwur brechen; so hilf mir nun: sinne ein Mittel aus, das mich Unglückliche von diesen Uebeln befreyt. (8) Reichlich werden dir dieses die Götter lohnen, zu denen ich vor dem Tode noch oft für dich flehen will; ich will dir Geld geben und Zurücksendung bereiten, und du kannst, bevor es Jemand gewahr wird, ein Schiff besteigen und nach Ephesos reisen. Kömmst du dort an, so suche meine Aeltern, Megamedes und Evippen, auf, und verkünde ihnen mein Ende, und alle Schicksale, die ich auf der Reise erfahren, und daß Habrokomes gestorben ist.« (9) So sprach sie, warf sich ihm zu Füßen, und bat ihn, ihr keine abschlägige Antwort zu geben, und das Mittel zu gewähren. Dann langte sie zwanzig Minen Silbers und ihren Halsschmuck hervor – sie hatte an allem Ueberfluß; denn sie waltete über alle Schätze des Perilaos – und gab sie dem Eudoxos. Vieles erwägend, Mitleid fühlend mit dem unglücklichen Mädchen, nach der Heimkehr verlangend, und durch das Geld und die Geschenke besiegt, verspricht Eudoxos ihr ein Mittel zu geben, und entfernte sich, es zu bringen. (10) Unterdessen klagt sie heftig, ihr Alter beweinend und trauernd, daß sie vor der Zeit sterben müßte; oft auch rief sie »Habrokomes«, wie, wenn er zugegen wäre. (11) Nach kurzer Weile kömmt Eudoxos mit dem Mittel; es war aber nicht tödtlich, sondern schlaferweckend, daß dem Mädchen nichts widerführe, und er Reisegeld bekäme und glücklich heimkehren könnte. Anthia nimmt es, dankt ihm sehr, und entläßt ihn. Sogleich bestieg Eudoxos ein Schiff und reiste ab; sie aber suchte eine schickliche Gelegenheit, das Mittel zu trinken.
6,5 unsicher
6 (1) Schon war es Nacht, schon wurde das Brautgemach bereitet, als die Beauftragten kamen, Anthien dahinzuführen. Ungern und mit Thränen übergossen gieng sie, in der Hand das Mittel bergend. Als sie in der Nähe des Gemaches war, sangen die Anverwandten jubelnd das Brautlied; (2) sie aber klagte und weinte. »So führte man mich zuvor,« sagte sie, »meinem Bräutigam Habrokomes zu, es geleitete uns die Fackel der Liebe und das Brautlied ertönte für beglückte Ehe. (3) Was wirst du jetzt thun, Anthia? Wirst du ungerecht handelnd am Habrokomes, dem Manne, dem Geliebten, der deinetwegen starb? So unmännlich, so feige bin ich nicht im Unglück! Beschlossen sey es: trinken will ich das Mittel, Habrokomes muß mein Gatte seyn, ihn will ich auch im Tode!« (4) So sprach sie, und man führte sie in das Brautgemach. Nun war sie allein; denn Perilaos schmauste noch mit den Freunden. Unter dem Vorwande, sie habe vor Beklemmung Durst bekommen, gebot sie einem der Diener, ihr Wasser zu bringen, wie wenn sie trinken wollte. Man bringt einen Becher, sie nimmt ihn und wirft – es was Niemand bey ihr im Gemache – das Mittel hinein. »O geliebter Habrokomes!« rief sie weinend aus, (5) »ich halte dir das Versprechen und wandle den unglücklichen, aber nothwendigen Weg zu dir. Nimm mich willig auf, und gewähre mir dort bey dir ein glückseliges Leben!« So sprach sie und trank das Mittel; sogleich überfiel sie Schlaf, sie sank zu Boden, und der Trank bewies seine Kraft.
7,3 7,4 unsicher
7 (1) Als Perilaos hineintrat und Anthien liegen sah, entsetzte er sich sogleich, und schrie auf; und unter den Hausgenossen erhob sich ein großer Lärm, gemeinschaftlicher Schmerz, Geheul, Furcht, Entsetzen. Die einen beklagten die Scheintodte, die andern theilten mit Perilaos den Schmerz, und alle weinten über den Vorfall. (2) Perilaos zerriß sein Gewand, warf sich auf den Leichnam hin und klagte: »O Geliebte! vor der Vermählung bist du von dem Liebenden geschieden; wenige Tage warst du Perilaos Braut! (3) Das Grab ist also dein Brautgemach! Glücklich war Habrokomes, wer er immer gewesen; selig jener in Wahrheit, der solche Geschenke von der Geliebten erhielt!« So klagte er, umschlang sie ganz und küßte Hände und Füße: »Unglückliche Braut« rief er, »unglückliches Weib!« (4) Dann schmückte er sie, in viele Gewande sie hüllend und mit vielem Golde umgebend. Nimmer den Anblick ertragend, legte er sie, sobald es tagte, auf ein Bett – sie lag gefühllos da – brachte sie in die Grabmähler unweit der Stadt, setzte sie dort in einem Gemache bey, schlachtete viele Opfer und verbrannte viele Gewande und Schmuck. Nachdem er ihr die letzte Ehre erwiesen, wurde er von den Verwandten wieder in die Stadt begleitet.
8,5 8,7 unsicher
8 (1) Als sie im Grabe wieder zu sich kam und merkte, daß der Trank nicht tödtlich war, sprach sie, seufzend und weinend: »O des trügerischen Tranks, der mich hinderte, den glücklichen Weg zu Habrokomes zu wandern! Getäuscht ward ich – alles ist mir wunderbar – sogar um die Sehnsucht nach dem Tode! (2) Doch ist es mir gegönnt, im Grabe weilend, das Werk des Tranks durch Hunger zu vollenden; niemand wird mich von hier entführen, nimmer werde ich die Sonne schauen, noch an das Tageslicht zurücktreten.« So sprach sie und faßte Herz, muthvoll den Tod erwartend. (3) Als hierauf die Nacht anbrach, kamen einige Räuber – sie hatten erfahren, daß man ein Mädchen reichlich bestattet, und ihr eine Menge weiblichen Schmuckes und eine Menge Silber und Gold beygelegt hatte – zu dem Grabmahl, brachen die Thüren auf, traten hinein, nahmen den Schmuck – und sehen Anthien lebend. Dieß für einen großen Gewinn haltend, richteten sie sie auf und wollten sie entführen. (4) Da warf sie sich ihnen zu Füßen und flehte dringend: »Männer! wer ihr immer seyd,« sagte sie, »nehmet allen diesen Schmuck, so groß er auch ist; nehmet alles, was mit mir ausgesetzt ist; doch schonet meines Körpers! (5) Zwey Göttern bin ich geweiht, dem Eros und Thanatos1; diesen laßt mich dienen! Wahrlich bey eueren vaterländischen Göttern beschwöre ich euch, führet mich nicht an das Tageslicht, mich, die ich Ungemache erduldete, würdig der Nacht und Finsterniß!« So sprach sie; doch beredete sie die Räuber nicht. Diese führten sie aus dem Grabe, brachten sie ans Meer, setzten sie auf ein Fahrzeug und fuhren nach Alexandria. Auf der Fahrt trugen sie Sorge für sie und sprachen ihr Muth ein. (6) Wieder erwägend, in welches Unglück sie gerathen, sprach sie trauernd und klagend: »Wieder Räuber und Meer! wieder bin ich eine Gefangene! Doch ist jetzt das Unglück noch größer, weil ich fern vom Habrokomes bin! (7) Welches Land wird mich aufnehmen? welche Menschen werde ich schauen? Nur nicht Möris, nicht Manto, nicht Perilaos, nicht Kilikien! Käme ich dahin, wo ich auch nur das Grab des Habrokomes sähe!« So klagte sie stets, und nahm weder Speise, noch Trank zu sich, bis die Räuber sie nöthigten.
9,7 unsicher
9 (1) Nach mehreren Tagen vollendeten sie die Fahrt und gelangten nach Alexandria. Dort setzten sie Anthien aus und beschlossen sogleich, sie an Kaufleute zu verhandeln. Als Perilaos die Erbrechung des Grabmahls und das Verschwinden des Leichnams erfuhr, was er in großer und unerträglicher Trauer. (2) Habrokomes aber suchte und forschte mit vieler Mühe, ob Niemand von einem fremden Mädchen wüßte, das als eine Gefangene unter Räubern eingebracht worden sey. Da er aber nichts erfahren konnte, kehrte er müde in die Herberge zurück. Die Genossen des Hippothoos hatten sich ein Mahl bereitet; (3) während aber die andern schmausten, ward Habrokomes ganz muthlos, warf sich auf das Lager hin, weinte und lag da, ohne etwas zu sich zu nehmen. (4) Da nahte sich der Herr des Orts dem Hippothoos; auch begann eine anwesende alte Frau, Chrysion mit Namen, folgende Erzählung. »Höret, ihr Fremdlinge!« sprach sie, »von einem Vorfalle, der sich vor kurzem in der Stadt ereignete. (5) Perilaos, einer der Angesehensten, wurde zum Friedensrichter in Kilikien erwählt, und zog gegen die Räuber aus. Er brachte einige als Gefangene ein, und unter diesen auch ein schönes Mädchen, und suchte sie zu bereden, sich mit ihm zu vermählen. (6) Schon waren alle Anstalten zur Vermählung getroffen, schon gieng sie in das Brautgemach, als sie, entweder aus Wahnsinn, oder Liebe zu einem andern, Gift trank und starb. So erzählt man sich die Art ihres Tode.« Bey diesen Worten sagte Hippothoos: »Dieses ist das Mädchen, das Habrokomes sucht.« (7) Habrokomes hörte zwar die Erzählung; doch war er ganz abgespannt vor Muthlosigkeit. Endlich aber, als Hippothoos redete, sprang er auf und sagte: »Anthia ist nun wirklich gestorben! und hier ist also ihr Grab, hier wird ihr Leichnam bewahrt!« (8) Hierauf bat er die Alte, ihn zu ihrem Grabe hinzuführen, und ihm den Leichnam zu zeigen. Jene aber erwiederte seufzend: »Das größte Unglück für das arme Mädchen war dieses: Perilaos hat sie köstlich bestattet und geschmückt. Auf die Nachricht aber von dem Todtenschmucke, erbrachen Räuber das Grab, nahmen den Schmuck und machten den Leichnam verschwinden. Darüber stellt Perilaos viele und scharfe Untersuchung an.«
10 (1) Bey diesen Worten zerriß Habrokomes sein Gewand und klagte laut um Anthien, daß sie schön und keusch gestorben, aber nach dem Tode unglücklich verschwunden sey: (2) »Was für ein Räuber,« sprach er, »war so verliebt, daß er sich nach dir, auch im Tode, sehnte? daß er auch den Leichnam entwendete? Deiner ward ich, der Unglückliche, beraubt, und meines einzigen Trostes? (3) Nun ist es durchaus beschlossen zu sterben! Doch will ich Anfangs noch ausharren, bis ich deinen Leichnam gefunden; ich will ihn umarmen und mich mit ihm begraben!« So klagte er und Hippothoos mit seinen Genossen und sprach ihm Muth ein. (4) Dann schliefen sie die ganze Nacht; Habrokomes aber erinnerte sich an alles: an Anthien, an den Tod, an das Grab, und an das Verschwinden des Leichnams. Endlich, da sein Schmerz zu übermäßig wurde, gieng er heimlich hinaus – Hippothoos und seine Genossen lagen berauscht da – wie wenn er etwas bedurfte, und begab sich, nachdem er alle verlassen, an das Meer, wo er ein Schiff antraf, das nach Alexandria fuhr. Er stieg ein und fuhr fort, in der Hoffnung, er werde in Aegypten die Räuber treffen, die alles geraubt. Hiezu aber verleitete ihn eine unselige Hoffnung. (1) Während er nach Alexandria schiffte, trauerten des andern Tags Hippothoos und seine Genossen über seine Entfernung, erholten sich noch wenige Tage, und beschlossen nach Syrien und Phönikien auf Raub auszugehen.
11 (1) Die Räuber verhandelten Anthien gegen eine große Summe Geldes an Kaufleute in Alexandria. Diese pflegten sie köstlich, und sorgten für ihren Körper, immer darauf bedacht, sie um einen hohen Preis zu verkaufen. (2) Da kam ein König aus Indien, Psammis mit Namen, nach Alexandria, um die Stadt zu sehen, und Handel zu treiben. (3) Psammis sieht Anthien bey den Kaufleuten, wird bey dem Anblick gefesselt, giebt ihnen eine große Summe Geldes, und nimmt jene als Dienerin zu sich. (4) Kaum aber hatte sie der Barbar gekauft, als er ihr sogleich Gewalt anthun und sie zu seiner Lust gebrauchen wollte. Anthia aber wollte nicht, und widersetzte sich Anfangs; endlich wendete sie bey Psammis vor – die Barbaren sind von Natur aus abergläubisch – daß ihr Vater sie von der Geburt an bis zur Stunde der Vermählung der Isis geweiht habe; und in einem Jahre, sagte sie, nahe der Zeitpunkt heran. (5) Wirst du nun, fuhr sie fort, die der Göttin Geweihte schänden, so wird dir jene zürnen, und schrecklich wird ihre Rache seyn. Psammis läßt sich bereden, wirft sich vor der Göttin nieder und enthält sich Anthiens. Sie ward nun bey Psammis bewacht, weil er sie für eine der Isis Geweihte hielt.
12,6 unsicher
12 (1) Das Schiff, auf welchem Habrokomes fuhr, verfehlt die Fahrt nach Alexandria, geräht in die Mündungen des Nils *** und nach dem sogenannten Parätonion und an die Küste von Phönikien. (2) Da stürzen sich die dortigen Hirten über sie her, rauben ihnen die Ladung, fesseln die Mannschaft, und führen sie durch eine große Wüste nach Pelusion, einer Stadt in Aegypten, wo sie sie, einen jeden an einen andern, verkaufen. Den Habrokomes kauft ein alter Soldat – er hatte schon ausgedient – Araxos mit Namen. (3) Dieser hatte ein häßliches Weib, das in noch weit schlechterem Rufe stand und alle Gränzen der Enthaltsamkeit überschritt, Kyno mit Namen. Diese verliebt sich sogleich in Habrokomes, als er ins Haus gebracht wurde, konnte nicht mehr widerstehen – sie raste vor Liebe – und wollte der Lust genießen. (4) Araxos liebte den Habrokomes, und nahm ihn an Kindes Statt an. Kyno aber sucht ihn zur Umarmung zu bereden; sie bittet ihn zu gehorchen, und verspricht ihm, ihn zum Gatten zu nehmen und den Araxos zu tödten. Schrecklich schien dieses dem Habrokomes, und er dachte an vieles zugleich: an Anthien, an die Schwüre und an die Enthaltsamkeit, die ihm schon oft geschadet. Endlich, da sie ihm anlag, willigte er ein. (5) Des Nachts nun mordet Kyno, um den Habrokomes zum Gatten zu bekommen, den Araxos, und erzählt die That dem Habrokomes. Allein diesem war die Ausgelassenheit des Weibes unerträglich, er verließ sie, und entfernte sich aus dem Hause, sich weigernd, einer Mörderin beyzuwohnen. (6) Als sie wieder zu sich gekommen, gieng sie mit Anbruch des Tages in die Versammlung der Pelusioten, klagte um ihren Mann, und sagte, daß ihn der neugekaufte Sklave ermordet habe, und weinte noch heftiger, und die Versammlung glaubte, sie rede Wahrheit. Habrokomes wurde sogleich ergriffen, gefesselt und zu dem damaligen Statthalter Aegyptens geschickt. Um ihn zu strafen, brachte man ihn nach Alexandria, weil man glaubte, er habe seinen Gebieter Araxos ermordet.
Anmerkungen
1 D. i. dem Liebesgotte und dem Tode.
