4. Buch

Ornament

Übersetzung

1 Hippothoos brach mit seinen Genossen von Tarsos nach Syrien auf und unterwarf sich alles, wenn ihm etwas vor die Füße gerieth. Auch zündeten sie Dörfer an und würgten eine Menge Menschen. Auf diesem Zuge gelangten sie nach Laodikea in Syrien, wo sie sich nicht als Räuber aufhielten, sondern so, als wären sie gekommen, die Stadt zu sehen. Hippothoos gab sich viele Mühe, ob er nicht irgendwo den Habrokomes finden könnte. Da es aber fruchtlos war, erholten sie sich und wandten sich nach Phönikien und von da nach Aegypten; denn sie wollten einen Einfall in Aegypten unternehmen. Nachdem sie eine große Horde zusammengebracht, begaben sie sich nach Pelusion, schifften auf dem Nil nach Hermupolis in Aegypten und nach Schedia, liefen in den Kanal des Menelaos ein, steuerten Alexandria vorüber und gelangten nach Memphis, der Isis geweiht, und von da nach Mendes. Sie sammelten sich Raubgenossen und Wegweiser unter den Eingebohrnen, zogen durch Tava und gelangten nach Leontopolis. Dann zogen sie eine Menge anderer, meistens unbekannter, Dörfer vorbey, worauf sie nach Koptos in der Nähe von Aethiopien kamen. Dort beschlossen sie zu rauben, weil eine große Menge Kaufleute, welche nach Aethiopien und nach Indien reisten, durchwanderten. Ihre Bande belief sich auf fünfhundert Köpfe. Sie besetzten die Gebirgshöhen von Aethiopien, vertheilten sich in die Höhlen, und beschlossen die Durchreisenden auszuplündern.

2 Als Habrokomes zu dem Statthalter Aegyptens kam – die Pelusioten hatten ihm den Vorfall: Araxos Mord, und daß er ein Sklave dieses gewagt, schon berichtet – gebote er, ob er gleich noch nicht nach allem geforscht hatte, ohne den Vorfall weiter zu untersuchen, den Habrokomes fortzuführen und an das Kreuz zu binden. Habrokomes staunte bey diesen Uebeln und tröstete sich mit dem Tode, weil er glaubte, auch Anthia sey gestorben. Die Beauftragten führen ihn an das Ufer des Nils – ein steiler Felsen schaute in die Strömung des Flußes hinein – richten das Kreuz auf und fesseln ihn an, mit Stricken ihm Hände und Füße bindend; denn diese Art der Kreuzigung ist bey ihnen Sitte. Dann verließen sie ihn und entfernten sich, als bliebe der Angebundene in Sicherheit. Dieser aber blickte zur Sonne auf und in den Nilstrom und flehte: »O menschenfreundlichster der Götter, der du Aegypten beherrschest, durch den allen Menschen Land und Meer sich zeigt, bin ich schuldig, so will ich kläglich sterben und größere Strafe dulden, als diese, ist sie anders eine Strafe; ward ich aber von einem ruchlosen Weibe verrathen, so beflecke nimmer der Leichnam eines unschuldig hingerichteten den Strom! schaue du nimmer einen solchen Anblick: einen Menschen, der unschuldig in deinem Lande stirbt!« So flehte er; und der Gott hat Erbarmen mit ihm. Plötzlich erhebt sich ein heftiger Sturm, dringt auf das Kreuz an und zerreißt den Grund des Felsens, worin das Kreuz befestigt war. Habrokomes fällt in den Strom, und wurde fortgetragen, ohne daß ihn die Fluth verletzte, ohne daß ihn die Fluth verletzte, ohne daß ihn die Fesseln hinderten und wilde Thiere beschädigten, von der Strömung geleitet, so daß er in die Mündungen des Nils geräth, welche in das Meer auslaufen. Dort fangen ihn Wächter auf und führen ihn als Ausreißer zu dem Statthalter Aegyptens. Dieser, noch mehr erzürnt und ihn für einen wahrhaft ruchlosen haltend, läßt einen Holzstoß errichten, den Habrokomes darauf setzen und verbrennen. Schon war alles bereit, der Holzstoß an den Ufern des Nils errichtet, Habrokomes darauf gesetzt und Feuer untergelegt; schon wollte die Flamme den Körper ergreifen, als er wieder mit wenigen Worten flehte, soviel es ihm möglich war, ihn von dem bevorstehenden Unglücke zu retten. Da wogt der Nil, der Strom dringt auf den Holztstoß zu und vertilgt die Flamme. Die Anwesenden hielten es für ein Wunder; sie ergriffen den Habrokomes, führten ihn zu dem Statthalter Aegyptens, berichteten den Vorfall und erzählten die Hülfe des Nils. Jener staunte über diese Nachricht und gebot, den Habrokomes mit aller Sorgfalt in einem Kerker zu bewachen, bis wir erfahren, sagte er, wer der Mensch ist, und warum die Götter so für ihn sorgen.

3 Während er im Kerker war, beschloß Psammis, welcher Anthien gekauft hatte, nach Hause zu kehren und es wurden alle Anstalten zur Abreise getroffen. Auf seinem Wege durch Oberägypten mußte er nach Aethiopien kommen, wo Hippothoos Räuberbande hauste. Schon war alles bereit, viele Kamele, Esel und Pferde, mit Lasten bepackt, und eine große Menge Gold, eine große Menge Silber und viele Gewande. Auch Anthien führte er mit sich. Als sie Alexandria vorbeygegangen und nach Memphis kam, flehte sie zur Isis, vor dem Tempel stehend: »O mächtigste der Göttinnen! bis jetzt bin ich keusch geblieben, für deine Geweihte gehalten, und rein bewahre ich dem Habrokomes die Ehe. Von da ziehe ich nach Indien, weit von Ephesos Boden entfernt, weit von Habrokomes Resten. Rette mich nun, die Unglückliche, auch fernerhin und gieb mich dem Habrokomes wieder, lebt er noch; ist es aber ganz und gar vom Schicksal beschlossen, daß wir getrennt von einander sterben, so bewirke dieses, daß ich dem Todten die Keuschheit bewahre!« So flehte sie; und die Reise gieng vorwärts. Schon waren sie durch Koptos gezogen, schon hatten sie die Gränzen der Aethiopier betreten, als Hippothoos auf sie einstürzte, den Psammis selbst und viele seiner Gefährten ermordete, die Schätze an sich riß und Anthien gefangen nahm. Nachdem er die erbeuteten Schätze zusammengerafft hatte, brachte er sie in eine Höhle, welche zur Niederlage der Schätze bestimmt war. Auch Anthia kam dahin; doch kannte sie den Hippothoos nicht, noch Hippothoos sie. Als er sie fragte, wer und woher sie sey, gestand sie die Wahrheit nicht, sondern gab sich für eine gebohrne Aegyptierin aus, Memphitis mit Namen.

4 Anthia befand sich nun beym Hippothoos in der Räuberhöhle. Unterdessen läßt der Statthalter Aegyptens den Habrokomes kommen, fragt ihn um sein Schicksal, vernimmt die Erzählung, fühlt Mitleid mit seinem Unglück, giebt ihm Geld, und verspricht ihn nach Ephesos zurückzusenden. Habrokomes wußte ihm allen Dank für die Rettung und bath ihn, ihm zu gewähren, daß er Anthien suche. Reichlich beschenkt, bestieg er ein Fahrzeug und fuhr nach Italien hinauf, um sich dort zu erkundigen, ob er nichts von Anthien erführe. Unterrichtet nun von Araxos Mord, ließ der Statthalter die Kyno kommen und an das Kreuz binden.

5 Während Anthia in der Höhle war, verliebte sich in sie einer von den Räubern, die sie bewachten, Anchialos mit Namen. Dieser, ein Laodikeer von Geburt, war einer von denen, welche mit Hippothoos aus Syrien kamen, und stand beym Hippothoos in Ehren; denn er war muthig und ein gewaltiger Räuber. Verliebt in das Mädchen, suchte er sie Anfangs durch Reden zu gewinnen und gab vor, daß er sie heirathen und vom Hippothoos als Geschenk sich erbitten wolle. Sie aber weigerte sich durchaus, und nichts konnte sie bewegen, weder Höhle, noch Fesseln, noch das Drohen des Räubers: sie bewahrte sich noch dem Habrokomes, wiewohl sie ihn für todt hielt. Oft rief sie auf, wenn sie es in Geheim vermochte: »Nur Habrokomes Gattin muß ich bleiben, soll ich auch sterben, soll ich auch Härteres dulden müssen, als ich erduldet habe.« Dieses versetzte den Anchialos in noch größeres Leiden; täglich Anthien schauend, wurde er zur Liebe entflammt, konnte sich nicht mehr mäßigen und wollte ihr Gewalt anthun. Nächtlicher Weile einst, als Hippothoos nicht zugegen, sondern mit den übrigen auf Raub ausgegangen war, raffte er sich auf und versuchte es an dem Mädchen zu freveln. In dieser verzweifelten Lage zückte sie das zur Seite liegende Schwert und versetzte dem Anchialos einen tödtlichen Stoß; denn da er, sie zu umarmen und zu küssen, sich ganz zu ihr hinneigte, hielt sie das Schwert vor und stieß es ihm durch die Brust. Theuer büßte Anchialos das schändliche Verlangen; Anthia aber fürchtete sich wegen der That und sann mancherley, bald sich selbst zu tödten; doch hoffte sie noch ein wenig auf Habrokomes; bald aus der Höhle zu entfliehen; doch war es unmöglich, weil sie den Weg nicht wußte und keinen Führer hatte. Daher beschloß sie in der Höhle und zu dulden, was das Schicksal verhängte. Unter mannigfachen Gedanken brachte sie schlaflos jene Nacht zu.

6 Als es Tag ward, kamen Hippothoos und seine Genossen zurück und sehen den Anchialos ermordet und Anthien bey dem Leichnam. Sie ahnen, was vorgegangen, befragen das Mädchen und erfahren alles. Die That schien ihnen strafwürdig; sie wollten den Tod des Freundes rächen und ersannen Verschiedenes gegen Anthien. Der eine gebot, sie zu tödten und mit Anchialos zu begraben; ein anderer, sie an das Kreuz zu binden. Hippothoos trauerte um den Anchialos, und ersann eine größere Strafe für Anthien. Er ließ nämlich eine große und tiefe Grube aushöhlen, und sie sammt zwey Hunden hineinwerfen, daß sie so ihr Wagstück theuer büßte. Jene vollzogen den Auftrag und führten Anthien sammt den Hunden zur Grube. Die Hunde waren aus Aegypten, übrigens groß und schrecklich anzusehen. Als sie hineingeworfen waren, legten sie große Hölzer darüber, bedeckten die Grube – sie war nicht weit vom Nil entfernt – mit Erde und stellten einen Räuber, Amphinomos, als Wächter hin. Allein dieser ward schon zuvor von Anthien gefesselt, hatte nun damals um so mehr Mitleid mit ihr und beklagte ihr Unglück. Darauf bedacht, daß sie noch länger leben und von den Hunden nicht belästigt werden möchte, nahm er oft einige der über der Grube liegenden Hölzer weg, warf Brod hinein, reichte Wasser hinab und sprach ihr Muth ein. Auch thaten ihr die Hunde – denn sie fütterte sie – nichts zu Leid, sondern wurden bald zahm und freundlich. In sich selbst blickend und ihr gegenwärtiges Geschick erwägend, rief sie aus: »O des Unglücks! Welche Strafe leide ich? Grube, Gefängniß und eingekerkerte Hunde, weit freundlicher, als die Räuber! Gleiches dulde ich mit dir, Habrokomes; denn auch du hattest einst ein ähnliches Schicksal, und ich ließ dich in Tyros im Gefängnisse zurück. Doch lebst du noch, so ist es kein Unglück; denn vielleicht werden wir einander wieder besitzen, bist du aber schon gestorben, so mühe ich mich umsonst zu leben, umstonst erbarmt sich dieser, wer er immer ist, meiner, der Unglücklichen.« So sprach sie und jammerte unabläßig. Sie blieb mit den Hunden in der Grube verschlossen, und Amphinomos tröstete sie stets und machte die Hunde durch Füttern zahm.